Ja zur dritten Generation

Junge Menschen ohne Pass, die in der dritten Generation in der Schweiz leben, sollen erleichtert – nicht automatisch – eingebürgert werden. Der Abstimmungskampf dürfte trotz starker Verwässerung der Vorlage hart werden. Ein Ja, zu dem auch die Partei der Arbeit (PdA) aufruft, ist Pflicht.

Noch bevor die jüngste Abstimmungsrunde vergangen war, wurde vom Komitee «Ja zur dritten Generation» bereits die Kampagne für die nächste wichtige Abstimmung eröffnet. Am 12. Februar im nächsten Jahr sollen AusländerInnen der dritten Generation leichter eingebürgert werden können: Menschen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind – so wie mindestens ein Elternteil von ihnen – und die noch keinen Schweizer Pass besitzen, soll eine erleichterte Einbürgerung ermöglicht werden. Das überparteiliche Komitee bis nach rechts zur FDP fordert, dass «AusländerInnen der dritten Generation nicht mehr gleich behandelt werden dürfen wie solche der ersten Generation».

«Föderalistischer Unsinn»

Kommenden Februar wird über eine kleine Änderung des Artikels 38 der Bundesverfassung, der über den Erwerb und Verlust der Bürgerrechte bestimmt, entschieden. Das geltende Bundesrecht sieht bisher keine Einbürgerungserleichterungen für Kinder ausländischer Eltern vor. Der Verfassungsartikel hält fest, dass der Bund den Erwerb und den Verlust der Bürgerrechte durch Abstammung, Heirat und Adoption selbst regelt. Die Kompetenz zur Einbürgerung von AusländerInnen hingegen überlässt er weitgehend den Kantonen und beschränkt sich diesbezüglich auf den Erlass von Mindestvorschriften. Für AusländerInnen in einer gemischtgeschlechtlichen Ehe mit SchweizerInnen gelten besondere Regelungen für eine erleichterte Einbürgerung; für homosexuelle AusländerInnen gibt es diese Regelung jedoch nicht.

Mit der erleichterten Einbürgerung für die dritte Generation werden zwei Dinge geändert: Die einbürgerungswillige Person muss nicht mehr beweisen, dass sie integriert ist. «Sie müssen deshalb nicht im ordentlichen Einbürgerungsverfahren mit Interviews und Sprachtests beweisen, was schon alle wissen, nämlich: Die dritte Generation ist hier geboren und aufgewachsen», sagt das Komitee. Falls sich die Gemeinde oder der Kanton gegen die Einbürgerung stellen, müssten diese nun beweisen, dass die betreffende Person nicht integriert ist. Zweitens gäbe es eine Harmonisierung auf nationaler Ebene. Gegenwärtig gibt es grosse Unterschiede zwischen den Kantonen: In neun Kantonen gibt es überhaupt keine Erleichterungen, während die Kantone Waadt und Neuenburg für AusländerInnen der zweiten Generation keinen Integrationstest machen. Dazwischen gibt es sechs verschiedene Mitteldinge: In Bern und Basel wird auf Sprachtests verzichtet für BewerberInnen unter 16 Jahren. In Zürich wird zwischen Menschen mit oder ohne «Anspruch» auf Einbürgerung unterschieden. Das Komitee spricht hierbei zu Recht von einem «föderalistischen Unsinn».

Keine automatische Einbürgerung

Anstoss für die Möglichkeit des Volksentscheids hat eine parlamentarische Initiative der waadtländischen Sozialdemokratin Ada Marra von 2008 gegeben. Darin hiess es: «Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen und aufhören, Menschen als ‹Ausländerinnen und Ausländer› zu bezeichnen, die keine sind. In der Schweiz geborene Personen, deren Eltern ebenfalls in der Schweiz geboren wurden und deren Grosseltern mehr als zwanzig Jahre ihres Lebens überwiegend in der Schweiz verbracht haben, sind keine Ausländer mehr. Die Mehrheit dieser Personen spricht die Sprache der Grosseltern nur mangelhaft oder gar nicht. Müssten sie in ihrem Herkunftsland einen Integrationstest machen, würden sie den Sprachtest auf keinen Fall bestehen. Die dritte Generation unterhält fast nur noch eine symbolische Beziehung zum ‹geheimnisvollen Land› der Grosseltern.» An der Medienkonferenz erklärte Marra, dass die Vorlage alles andere als revolutionär sei und dass es kein leichtes Unterfangen sein wird, die Abstimmung zu gewinnen. 2004 wurde die Vorlage zur erleichterten Einbürgerung der zweiten Generation mit fast 57 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Gleichzeitig scheiterte auch der Bundesbeschluss über den automatischen Bürgerrechtserwerb der dritten Generation relativ knapp. Die Nationalrätin der BDP, der «anständigen» SVP, Rosmarie Quadranti stellte auch sofort klar: «Es geht nicht um eine automatische Einbürgerung, sondern um eine erleichterte Einbürgerung.»

Ein starkes Zeichen

Die Möglichkeit der Einbürgerung soll ausserdem auf junge Menschen beschränkt werden, «die bis zu 25 Jahre alt sind, die hier geboren sind, bei denen mindestens ein Elternteil hier geboren ist, sich mindestens zehn Jahre hier aufgehalten und mindestens fünf Jahre hier in die Schule gegangen ist». Es wird aber eine Übergangsregelung geben. «Während fünf Jahren nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes sollen auch alle unter 35-Jährigen ein Gesuch stellen dürfen», beschwichtigte das Komitee. Revolutionär ist die Vorlage tatsächlich nicht.

Die Partei der Arbeit der Schweiz sowie alle linken Parteien sprechen sich für ein Ja zur erleichterten Einbürgerung der dritten Generation aus. Es ist klar, dass ein Ja bei der Abstimmung ein Zeichen wäre gegen die Diskriminierung von Menschen ohne Pass. Es wäre ein Signal an diese Menschen, dass wir sie haben wollen und sie zu uns gehören. Und es wäre ein kleiner Schritt hin zur Überwindung der Spaltung der Arbeiterschaft in AusländerInnen und SchweizerInnen.

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Die Industrie blutet

Die Richemont-Gruppe, die Luxusuhren produziert, entlässt über 200 ArbeiterInnen. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Unia fordern die ArbeiterInnen die Rücknahme des «Restrukturierungsplans».

Die Richemont-Gruppe, zu der die Luxusmarken Vacheron Constantin und Piaget gehören, hat kürzlich den Abbau von 211 Stellen angekündigt. Davon betroffen sind Produktionsstandorte im Vallée de Joux (VD), in Genf und in La Côte-aux-Fées (NE). Als Protest gegen den geplanten Stellenabbau riefen am 24. November die betroffenen ArbeiterInnen und die Gewerkschaft Unia zu Protestkundgebungen auf. Unter dem Slogan «Unsere Leben zählen mehr als euer Profit!» versammelten sich am Mittag in Le Sentier rund 400 Personen, darunter viele Beschäftigten der dortigen Uhrenfabriken. In einer Resolution forderten sie das Unternehmen auf, die Abbaupläne zu stoppen und stattdessen Kurzarbeit einzuführen, denn Richemont geht es finanziell blendend: Die Gruppe hat im ersten Halbjahr 2016 einen Gewinn von über zwei Milliarden erzielt! Am späteren Nachmittag versammelten sich auch in Genf rund 300 Beschäftigte vor den Betrieben von Vacheron Constantin und Piaget. Sie unterstützten die von den ArbeiterInnen im Vallée de Joux verabschiedete Resolution.

Klare Forderungen gestellt

Unia-Sekretärin Derya Dursun aus Neuenburg erklärt auf Anfrage des vorwärts, dass es bereits im Frühling eine erste Entlassungswelle gab. «Dafür wurde zwischen der Unia und der Geschäftsleitung von Richemont ein Sozialplan ausgehandelt», erklärt Derya. Gefragt nach dem Grund der Entlassungen, antwortet sie: «Es heisst, es gäbe einen Einbruch bei den Uhrenexporten, namentlich durch das Gesetz zur Korruptionsbekämpfung in China. Auch werden die gegenwärtige Instabilität auf der Welt und sogar die letzten Terroranschläge in Europa als Grund angegeben. Wir glauben jedoch, dass die Richemont-Gruppe mit den Entlassungen warten kann. Sie hat in der ersten Hälfte dieses Jahres einen saftigen Gewinn eingefahren. Von daher ist es klar, dass sie mit den Entlassungen nur ihre AktionärInnen zufrieden stellen und die Dividenden erhöhen will.» Und die Gewerkschafterin fügt hinzu: «Die Entlassungen sind für das Unternehmen notwendig, da es in diesem System zum Überleben eine ständige Krisensituation braucht.» Die Gewerkschaft hat vorgeschlagen, zuerst eine Reduktion der Arbeitszeit durchzuführen, um unter anderem den «Salon international de la haute horlogerie» in Genf und die «Basler Herbstwarenmesse» abzuwarten. Die Mehrheit der ArbeiterInnen pocht darauf, dass der «Restrukturierungsplan» zurückgezogen wird. «Dies war das klare Resultat der Betriebsversammlungen, die wir durchgeführt haben und an denen gesamthaft über 700 betroffene ArbeiterInnen teilgenommen haben», erklärt Kollegin Derya. Die Forderungen sind in einer Resolution zusammengefasst, die dem Unternehmen überbracht worden ist. Die betroffenen ArbeiterInnen haben auch von den lokalen politischen Behörden konkret Unterstützung gefordert, die sich für den Erhalt der für die Region wichtigen Arbeitsplätze einsetzten sollen. Der Kampf steht erst am Anfang und so hält Kollegin Derya fest: «Was wir sonst noch für Aktionen in Zukunft durchführen werden, wird an den Betriebsversammlungen entschieden. Klar ist natürlich, dass wir nur das tun, was die ArbeiterInnen wollen.»

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Fidel Castro ist gestorben

fidel-castro-100-_v-gseagaleriexlFidel Castro, der ehemalige Präsident Cubas und Lider der Revolution, starb in der Nacht vom 25. November. Die Welt verliert damit eine zentrale Figur und einen Vorkämpfer des Sozialismus. Die Welt verliert damit einen Mann, der sich unermüdlich für eine bessere Welt und soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat.

Fidel Castro, der ehemalige Präsident Cubas und Lider der Revolution, starb in der Nacht vom 25. November, wie das kubanische Staatsfernsehen bestätigt hat. Raul Castro, der kubanische Präsident und Bruder des Verstorbenen, kündigte an, das Fidel am Samstag darauf kremiert werden würde. «Der Oberkommandierende der kubanischen Revolution starb heute um 22.29 Uhr», hat Raul Castro gemeldet.
Fidel Castro wurde 1926 in die Familie eines bekannten Landbesitzers in der Provinz Holguín auf Cuba geboren. Er führte die kubanische Unabhängigkeitsbewegung an und besiegte 1959 die von den USA unterstützte Batista-Diktatur. Bald nachdem seine Bewegung die Macht übernommen hatte, übernahm das Land durch Fidel ein explizit sozialistisches Entwicklungsmodell und nahm enge Beziehungen zur Sowjetunion auf. Damit geriet Cuba in Feindschaft zur USA.
Für die nächsten 48 Jahre, bis er 2008 zurücktrat, führte Fidel die kleine Inselnation durch eine historische Entwicklung. Das Land wurde dadurch weltweit führend in vielen sozialen Bereich wie Bildung und Gesundheit.

Cubas Internationalismus

Der Erfolg der kubanischen Revolution bedeutete für das Land auch eine 50-jährige feindselige und ruinöse Blockade durch die USA. Fidel überlebte mehrere Mordanschläge durch den US-Geheimdienst CIA.
Die kubanische Erfahrung inspirierte eine wachsende antikolonialistische Bewegung auf der Welt, die Fidel aktiv unterstützte, indem er kooperative Hilfsnetzwerke in Lateinamerika, Afrika und im Rest des globalen Südens aufbaute.
Unter der Führung von Fidel ging Cubas Internationalismus über die blosse Unterstützung von Befreiungsbewegungen wie dem African National Congress von Nelson Mandela in Südafrika hinaus: Tausende von GesundheitsexpertInnen und ÄrztInnen wurden von Cuba in alle Welt entsandt. Cubas Alphabetisierungsprogramm hat Millionen Menschen ausserhalb von Cuba das Lesen beigebracht. Die kubanischen ÄrztInnen haben sogar das Lob der US-Regierung erhalten für ihre «heroische» Beteiligung am Kampf gegen den Ausbruch von Ebola in Westafrika.
Fidel war auch wichtig für den Aufschwung linker Regierungen in Lateinamerika, der 1998 mit der Wahl von Hugo Chavez in Venezuela seinen Anfang nahm. Fidel und Chavez förderten zusammen die Radikalisierung und Koordination von Bewegungen in der Region, was zu linken Siegen in Ecuador, Bolivien und Nicaragua, und zu gemässigt linken Regierungen in Brasilien, Uruguay und Argentinien führte. Auf die Initiative der beiden Revolutionsführern hin ging auch die Bolivarianische Allianz für Amerika (Alba) hervor, die eine Alternative zum neoliberalen Freihandel darstellte.

Fidel wurde 90

Bewundert von vielen, geächtet von anderen; der kubanische Lider blieb einflussreich und war als scharfsinniger Beobachter des Weltgeschehens hochangesehen. Vor Kurzem hat er noch seinen 90. Geburtstag gefeiert. «Ich werde bald 90 Jahre alt», sagte Fidel im April 2016 am Kongress der Kommunistischen Partei, als er seinen längsten öffentlichen Auftritt seit Jahren hatte. «Bald werde ich so sein wie alle anderen. Für alle wird die Zeit einmal kommen, aber die Ideen der kubanischen KommunistInnen werden auf diesem Planeten bleiben als ein Beweis: Wenn man mit Leidenschaft und in Würde arbeitet, kann man die materiellen und kulturellen Güter schaffen, die die Menschen brauchen und für die man kämpfen muss, ohne jemals aufzugeben.»

Trump gewann – Leute, organisiert euch!

donald-trumpDie nachfolgende Darstellung zum Wahlsieg von Donald Trump befasst sich mit dem Wahlverhalten der US-amerikanischen ArbeiterInnen. Sie wurde von «People’s World» veröffentlicht, die der Kommunistischen Partei der USA nahe ist. Der Autor ist ehemaliger Gewerkschaftsorganisator und in der Bürgerrechtsbewegung im Süden der USA aktiv.

Gewerkschafts- und FortschrittsaktivistInnen im ganzen Land sind bereits dabei, Strategien einer Antwort auf die gestrige Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu formulieren. Der Milliardär war in der Lage, die Unterstützung der Rechten zu gewinnen, die bereits das Repräsentantenhaus und den Senat, die meisten Bundesstaaten und viele Gerichte kontrollieren, indem er ihnen vertrauenswürdig versicherte, dass er die Anti-ArbeiterInnen-Politik verstärken werde, die die Reichen reicher macht. Gleichzeitig nutzte er Lügen, Angstmache und Sündenböcke, um die Unterstützung von vielen Opfern dieser Politik zu gewinnen. Trump wurde an die Spitze gehievt, weil er rund 60 Prozent der WählerInnen aus der weissen ArbeiterInnenklasse und 27 Prozent der WählerInnen bei den Latinos gewann, ein höherer Prozentsatz als für Mitt Romney (Kandidat der RepublikanerInnen bei der Präsidentenwahl 2012 gegen Obama). Alle Wählerbefragungen bei Verlassen der Wahllokale zeigten, dass diejenigen, die Bernie Sanders bei den Vorwahlen der DemokratInnen unterstützten, in voller Stärke zur Abstimmung für Hillary Clinton gingen, während nur etwa 1 Prozent der Wählerschaft die Grüne Partei unterstützte, nicht genug, um etwas zu bewegen. Die Libertäre Partei holte 3,3 Prozent der Stimmen, wobei die meisten andernfalls für Trump gestimmt hätten.

«Zornig und frustriert»

Die grosse Mehrheit der Trump-WählerInnen sagte, dass sie für ihn stimmten, weil er «das Establishment durcheinanderschütten» werde. Gleichzeitig sagten rund 61 Prozent, dass sie wissen, dass Trump nicht qualifiziert ist, Präsident zu sein. Viele sagten, dass sie Obama-DemokratInnen gewesen waren, aber nun das Gefühl haben, dass ihre Partei sie «aufgegeben» hat. Sie verwiesen auf die Tatsache, dass ihr Lebensstandard eingebrochen ist und dass sie sich nicht länger der wirtschaftlichen Sicherheit erfreuen, die sie einst hatten. Sie sagten, dass sie sich «zornig und frustriert» durch die Regierung fühlen und «einen Wechsel wollen». In Nachwahlumfragen in den Staaten des oberen Mittleren Westens, die unter der Deindustrialisierung gelitten haben, bezeichnete sich die Hälfte der WählerInnen, die für Trump gestimmt haben, selbst als Gewerkschaftsmitglieder. Rund 30 Prozent der GewerkschafterInnen in den umkämpften Swing-Bundesstaaten sollen Trump-UnterstützerInnen sein. Trump verstand es, den Ärger und die Angst vieler ArbeiterInnen in den sogenannten «Rostgürtel»-Staaten zu manipulieren, indem er ihre Meinung aufgriff, dass sie Jobs verloren hätten, weil das Nafta-Freihandelsabkommen (mit Kanada und Mexiko, Übers.) die Unternehmen ermutigt habe, ihre Tätigkeit nach Übersee zu verlagern. Er erinnerte unaufhörlich daran, dass Clinton als First Lady für die Annahme von Nafta geworben hat. De facto wurde Nafta aber gegen den Widerspruch der Mehrheit der DemokratInnen durchgesetzt, die zu jener Zeit im Repräsentantenhaus und Senat waren. Während seines Wahlkampfs hat Trump, obwohl er versprach, die durch Nafta und andere Handelsabkommen verlorenen Jobs «nach Amerika zurückholen», niemals einen Plan vorgelegt, um das zu tun. Stattdessen stachelte er Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an, indem er MigrantInnen für viele der wirtschaftlichen Nöte Amerikas verantwortlich machte. Trumps Sieg widerspiegelt den Erfolg von fremdenfeindlichen Rechten in vielen Ländern Europas. Zum Beispiel gelang es jenen, die den Rückzug Grossbritanniens aus der EU unterstützen, die «Brexit»-Abstimmung zu gewinnen, weil sie die Unterstützung der arbeitslosen und unterbeschäftigten britischen ArbeiterInnen fanden, die im deindustrialisierten zentralen Teil von England lebten. Die ökonomische Landschaft dort sieht sehr stark so aus wie das, was überall in den «Rostgürtel»-Staaten zu sehen ist.

Auch eine Chance

Clinton richtete ihren Wahlkampf darauf aus, «Gemässigte» anzusprechen, obwohl die Zahl der WählerInnen, die sich mit diesem Label identifizieren, seit der letzten Präsidentenwahl stark abgenommen hat. Die Tatsache, dass die USA so gespalten sind, stellt für ArbeitervertreterInnen und progressive AktivistInnen auch eine Chance dar. Tatsache ist, dass fast die Hälfte der WählerInnen nicht für Trump gestimmt hat. Darüber hinaus sagen viele von den arbeitenden Menschen, die für ihn gestimmt haben, dass sie ihn nun strikt dafür haftbar machen wollen, dass er seine Versprechen einhält. Die Schlacht gegen die Rechten wird nicht im Fernsehen oder im Internet gewonnen. Sie wird gewonnen durch die Organisierung der arbeitenden Menschen von Angesicht zu Angesicht. Die Gewerkschaftsbewegung muss reale Lösungen für reale Probleme finden, vor denen viele amerikanische ArbeiterInnen aller ethnischen Gruppen stehen. Jetzt, da Trump das Weisse Haus und die RepublikanerInnen die Kontrolle über alle Zweige der US amerikanischen Bundesregierung gewonnen haben, ist für die US-AmerikanerInnen, die eine gerechtere Gesellschaft anstreben, der Aufbau einer machtvollen Volksbewegung entscheidender denn je.

Aus dem vorwärts vom 18. November 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Rassistische Polizeikontrollen

stadt-polizei-zuerich-mit-einem-30706Am 7. November stand Mohamed Wa Baile vor dem Bezirksgericht Zürich, weil er sich anlässlich einer rassistischen Polizeikontrolle nicht kooperativ verhielt. Der Fall steht exemplarisch für die erniedrigende Erfahrung Tausender in der Schweiz. Die Allianz gegen Racial Profiling wehrt sich dagegen.

Es war der 5. Februar 2015, als Mohamed Wa Baile von seinem Wohnort Bern nach Zürich unterwegs war, wo er als Bibliothekar an der ETH arbeitet. Als er um 7 Uhr morgens den Zürcher Hauptbahnhof durchquerte, wurde er mitten im PendlerInnenstrom noch in der Haupthalle von drei Beamten der Stadtpolizei Zürich angehalten, da er seinen Blick von ihnen abgewendet hätte. Da Wa Baile die Kontrolle aber als rassistisch motiviert empfand, weigerte er sich, sich auszuweisen. Erst als die Polizisten bei ihm einen AHV-Ausweis fanden, konnte er zur Arbeit gehen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wa Baile aufgrund seiner Hautfarbe ins Visier der Polizei geriet, aber das erste Mal, dass er dieses erniedrigende Prozedere nicht schweigend hinnahmen. Die «Belohnung» für seinen Widerspruch bekam er postwendend in Form einer Busse von 250 Franken wegen «Nichtbefolgen einer polizeilichen Anordnung». Was für die meisten von uns eine Erfahrung ist, die nur die wenigstens je machen werden, ist es für viele andere in diesem Land eine alltägliche Lebensrealität, die in Fachkreisen auch als «Racial/Ethnic Profiling» bekannt ist. «Racial Profiling» bedeutet, dass eine Personenkontrolle nicht etwa aufgrund eines objektiven Verdachtsmoments passiert, sondern lediglich wegen äusseren Merkmalen wie etwa der Hautfarbe oder der religiösen Kleidung.

Allianz gegen Rassismus

Bei der neu gegründeten Allianz gegen Racial Profiling handelt es sich um einen Zusammenschluss von AktivstInnen, WissenschaftlerInnen und Kulturschaffenden sowie Fachpersonen und Menschenrechtsorganisationen, die sich zum Ziel gesetzt haben, sich gegen den institutionellen Rassismus in den Schweizer Polizeikorps zur Wehr zu setzen. So kritisiert die Allianz die Willkürlichkeit von Polizeikontrollen und dass Betroffene unverhältnismässig oft kontrolliert und von bestimmten Orten weggewiesen werden, ohne dass dafür sachliche Gründe vorliegen. Für die Allianz gegen Racial Profiling stellen diese Kontrolle gar eine gravierende Verletzung des verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Verbots rassistischer Diskriminierung dar. So fordert das Bündnis unter anderem den Gesetzgeber auf, juristische Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen rechtlichen Schutz vor rassistischer Diskriminierung durch die Polizei gewährleistet.
Tatsächlich gibt es so einiges an der Polizeiarbeit zu kritisieren. Gerade in den urbanen Zentren könnte man durchaus den Eindruck bekommen, unter Besatzung zu leben. Polizeiliche Omnipräsenz und junge Uniformierte aus ländlichen Regionen und fremden Kantonen, die in den Städten wie Süsswasserfische in einem Salzmeer wirken. Genauso problematisch ist, dass schon beim kleinsten Widerspruch gleich fleissig Strafbefehle verteilt werden und bei jeder Nichtigkeit mit Gummiparagraphen wie «Nichtbefolgen einer polizeilichen Anordnung» und «Hinderung einer Amtshandlung» hantiert wird. Aufmüpfige und kritische ZeitgenossInnen werden so systematisch kriminalisiert, eingeschüchtert, und bei Polizeiübergriffen kommt es durchaus vor, dass kurzerhand – für den Fall der Fälle – schon mal präventiv das Opfer verzeigt wird. Missstände, die schon seit Jahren bekannt sind und in der Vergangenheit immer und immer wieder kritisiert wurden; an der Praxis hingegen hat sich bis heute nichts geändert. Eine nur auf dem Papier existierende Gewaltentrennung, ein Korpsgeist, der uniformierte TäterInnen schützt, sowie nicht existierende, unabhängige Instanzen, sind da nur einige Stichwörter von vielen. Die viel beschworene BürgerInnennähe jedenfalls sieht anders aus.

Spiegelbild der Gesellschaft

Letztlich bedürfte es in den Polizeikorps einen tiefgreifenden Mentalitätswechsel. Die allgegenwärtigen rassistischen Kontrollen sind letztlich eben nicht nur Ausdruck eines tief verankerten, institutionellen Rassismus, sondern ein Spiegelbild der heutigen Gesellschaft. Selbst ein Antirassismusgesetz verkommt zum Papiertiger, solange eben kein gesellschaftliches Bewusstsein für Rassismus vorhanden ist und ein stillschweigender Konsens existiert. Da greift die Kampagne Allianz gegen Racial Profiling zu kurz und überfordert den durchschnittlichen Gölä-Schweizer wohl auch ein wenig. Rassistische Polizeikontrollen jedenfalls sind schon seit Jahren ein Dauerthema, das sehr vielen Betroffenen unter den Fingernägeln brennt. Von daher trifft die Allianz gegen Racial Profiling durchaus einen Nerv. Ob aber auf juristischem Weg, mit Bildungsarbeit und Workshops, institutioneller Sensibilisierung und einer gewissen Autoritätsgläubigkeit effektiv etwas an den rassistischen Verhältnissen in diesem Land geändert werden kann, darf bezweifelt werden. Ach ja, erwartungsgemäss wurde die Busse gegen Wa Baile vom CVP-Einzelrichter Maira bestätigt, da er sich auf den Standpunkt stellte, dass er nicht darüber zu urteilen hätte «ob in der Stadtpolizei rassistische Stereotypen institutionell verankert sind», sondern einzig, ob ein «Nichtbefolgen von polizeilichen Anordnung stattgefunden hat». Effektiv gibt es bis heute keinen einzigen Fall, worin je einE PolizistIn wegen einer rassistisch motivierten Personenkontrolle verurteilt wurde, trotz gesetzlich verankertem Diskriminierungsverbot. Was nicht sein darf, ist auch nicht. Und so verwundert es höchstens, dass die Allianz gegen Racial Profiling noch keine Strafanzeige wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm erhalten hat und Wa Baile nicht wegen übler Nachrede und Beamtenbeleidigung verzeigt wurde. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

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Freiheit für Selahattin Demirta und Figen Yüksekda!

selahattin-demirtas-ve-figen-yuksekdag-mal-varligini-acikladi-1448977629Der Angriff der türkischen Regierung gegen die politische Bewegung der KurdInnen und progressiven Menschen in der Türkei eskaliert weiter. Die beiden Co-Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP Selahattin Demirta und Figen Yüksekda wurden in der Nacht auf den 4. November verhaftet. Die HDP ist eine grosse Oppositionpartei und konnte bei den letzten türkischen Parlamentswahlen über zehn Prozent der Stimmen holen, damit ist sie die drittgrösste Partei im Parlament. Neben den Co-Vorsitzenden wurden zeitgleich auch der Fraktionschef Idris Baluken und weitere prominente VertreterInnen der HDP inhaftiert. Als Vorwand für die Verhaftungen wurde ihnen wie auch bei allen anderen Verhaftungen von HDP-PolitikerInnen Nähe zur militanten kurdischen ArbeiterInnenpartei PKK angelastet.

Nach dem gescheiterten Putsch im Juli hat die Regierung unter Erdogan die Repression stark ausgedehnt und unter anderem die Immunität von ParlamentarierInnen aufgehoben. In der Folge sind reihenweise RegierungskritikerInnen und oppositionelle PolitikerInnen verhaftet worden, zuletzt die Co-BürgermeisterInnen der grössten kurdischen Metropole, aber auch JournalistInnen der Zeitung «Cumhuriyet».

Die Türkei hat damit jeden Rest vom Scheins eines Rechtsstaats abgeworfen, es herrscht nun ohne jeden Zweifel eine brutale Diktatur. Die Schweiz darf keinesfalls die Augen davor verschliessen, dass in der Türkei die freie Ausübung der politischen Rechte massgeblich eingeschränkt und die grosse Oppositionspartei HDP unter fadenscheinigen Vorwürfen aufgerieben wird.

Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) fordert die umgehende Freilassung aller politischer Gefangenen und das Ende des Krieges gegen die KurdInnen und die fortschrittlichen Menschen in der Türkei. Die PdAS sichert den von der Regierung verfolgten Organisationen und Minderheiten ihre volle Solidarität zu.

Die Schweiz wird von der PdAS aufgefordert, sofort jede politische und ökonomische Unterstützung des Regimes abzubrechen und jede ihr verfügbaren diplomatischen und politischen Mittel anzuwenden, um die Freilassung der politischen Gefangenen anzutreiben. AKP-nahe und türkisch-faschistische Gruppen in der Schweiz müssen verboten werden, damit die Sicherheit der KurdInnen und fortschrittlichen TürkInnen in der Schweiz gewährleistet werden kann.