Im Staate der Eidgenossen

schweizer fahnIm Staate der Eidgenossen Wir haben am 30. November wieder mal Demokratie spielen dürfen, 2:1 für uns lautet das Schlussresultat: Abfuhr für die rassistische Ecopop-Initiative und Abfuhr für die demagogische Gold-Initiative. Gut, dass Dummheit dieses Mal bestraft wurde. Es war auch schon anders und der 9. Februar 2014 ist gar nicht so lange her; genau, das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative der SVP. Schade um das Gegentor, auch wenn es zu erwarten war. Die gut 5000 pauschalbesteuerten Superreichen stehen nun demokratisch abgesegnet unter Artenschutz und dies in einem der reichsten Länder der Welt. Es lebe die bürgerliche Demokratie! Einer dieser Multimillionäre ist Ingvar Kamprad, Besitzer von IKEA. Sein Vermögen türmt sich laut dem Wirtschaftsmagazin «Bilanz» auf 42 Milliarden Franken. Herr Kamprad wird weiterhin 50 Rappen Steuern pro Jahr bezahlen, zumindest im Vergleich zu Frau Müller. Ja, denn würde Frau Müller, die ein Vermögen von 100?000 Franken besitzt, mit dem gleichen Ansatz wie Herr Kamprad besteuert werden, würde sie 50 Rappen Steuern im Jahr bezahlen. Dieses absurde Missverhältnis nennt sich bei uns in der Eidgenossenschaft Steuergerechtigkeit. Bitte merken.

Im Schatten der eidgenössischen Wahlen fand im Zürcher Unterland eine Abstimmung statt, die den heutigen Zeitgeist wie wohl kaum was anderes auf den Punkt bringt: Die Mehrheit der Stimmberechtigten der 34 Zweckverbandgemeinden in den Bezirken Bülach und Dielsdorf haben entschieden, dass das Spital Bülach zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt wird. 21?190:?15?649 lautet hier das Resultat. Ganz spannend ist dabei, dass das Spital Bülach auf seiner Webseite den Menschen den Neoliberalismus bilderbuchmässig erklärt: «Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, hat sich mit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung massiv verändert. Spitäler wurden mit der neuen Spitalfinanzierung in die Selbständigkeit entlassen und müssen heute auf eigenen Beinen stehen. Eine Defizitgarantie vom Kanton und den Trägergemeinden gibt es nicht mehr. Andere Spitäler sind von Mitbewerbern zu Konkurrenten geworden, da die Patientinnen und Patienten heute ihr Spital frei wählen können.» Krass? Machen wir uns nichts vor, das ist das bitterer Präsens und die düstere Zukunft zugleich. Bülach ist der Vorbote des Bösen und des Schlimmen. Nein, ich meine es nicht ironisch. Das Böse und Schlimme hat einen Namen, das Monster nennt sich «TiSA». Es erscheint in Form eines Freihandelsabkommens, an dem die Schweiz gemeinsam mit den USA, der EU und weitere 20 Ländern seit 2012 kräftig mitbastelt. Eines der Hauptziele des Abkommens ist es, das Gesundheitswesen komplett dem Markt zu unterwerfen.

Daher gleich zurück zum Schulbeispiel in Bülach und wir lernen dabei: «In erster Linie sind Spitäler heute Unternehmen wie andere auch, die Ertragsüberschüsse erwirtschaften müssen, um in die Zukunft investieren zu können. Sie müssen sich im Markt mit guten Leistungen von den Mitbewerbern abheben, um bestehen zu können. Sie benötigen eine solide Trägerschaft, Flexibilität und Handlungsspielraum, um auf Veränderungen zeitgerecht reagieren zu können.» Voilà, liebe Eidgenossen, ein Spital ist ein Unternehmen und muss Gewinn abschütteln. Und Gewinn erzielen, das ist die erste und einzige Priorität im Kapitalismus. Das wissen wir alle. Wer das Gegenteil davon behauptet, ist – um es mit den Worten des deutschen Kabarettisten Volker Pispers zu sagen – ein «kompletter Vollidiot oder eine extrem unappetitliche Körperöffnung». Nicht die Kranken und Pflegbedürftigen stehen im Mittelpunk, sondern man muss sich «im Markt mit guten Leistungen von den Mitbewerbern abheben». Warum eigentlich? Warum kann sich ein Spital nicht einfach auf sein Kerngeschäft konzentrieren, sprich die Kranken möglichst gut und rasch zu pflegen? Und: Wie misst man diese «Leistungen», mit denen man sich «abheben» muss? Anhand des Prozentsatzes derjenigen Menschen, die ins Spital eingeliefert wurden und es wieder lebend verlassen können? Verlassen auf den eigenen Beinen gibt zehn Leistungspunkte, das Verlassen im Rollstuhl fünf und wenn es leider Füsse voran in der Bahre liegend ist, dann null Leistungspunkte? Oder misst man den Erfolg, so wie bei jeder AG, durch die Höhe der Gewinne, die auf das Bankkonto der AktionärInnen fliessen?

Das Spital kommt auf den Markt. Es wird somit zu einer Ware, wie alles was auf dem Markt ist, und die PatientInnen zu Kostenfaktoren. So einfach ist die Sache und man muss nicht mal MarxistIn sein, um dies zu begreifen. Vor noch 25 bis 30 Jahren, als die Mauer noch stand, da redeten nur ein paar wenige, kranke MarktfetischistInnen davon, dass ein Spital ein Unternehmen werden muss. Es war selbstverständlich und völlig klar, dass sich die öffentliche Hand an den Kosten des Spitals beteiligte. Heute ist genau das Gegenteil der Fall, was das Ausmass unserer Niederlage und die herrschende Dominanz der kapitalistischen Ideologie beweist. Wir lecken mal wieder unsere Wunden, während andere die Korken knallen lassen. So auch Frau Ilse Kaufmann, Verwaltungsratspräsidentin und Vizepräsidentin der Stiftung des Spitals Bülachs. Sie freut sich über «das klare Zeichen der Bevölkerung» und sagt: «Das positive Resultat ist für die Spitalverantwortlichen zugleich Auftrag und Bestätigung, ihren Dienst an der Bevölkerung des Zürcher Unterlandes mit guten Leistungen weiterzuführen.» Liebe Frau Kaufmann, dass die Leistungen gut sein sollen, erwarten wir als Selbstverständlichkeit. Genauso wie Sie, Frau Kaufmann, wenn Sie in eine Pizzeria gehen, erwarten Sie bestimmt, dass die Pizza fein schmeckt und nicht nach dem, was die unappetitliche Körperöffnung raus wirft, oder etwa nicht? Die Frage ist vielmehr, ob sich alle die Dienstleistungen des Spitals auch leisten können? Aber diese Frage an Frau Kaufmann zu stellen, ist so, als würde man den Fuchs fragen, wie der Hühnerstall am besten zu bewachen sei. Die Frage geht daher an uns Linke. Was tun wir, dass jede und jeder unabhängig des Bankkontos sich der Aufenthalt im Spital leisten kann? Hat jemand eine Antwort?

Happy Birthday, Ulrike Meinhof

09_MeinhofAm 7. Oktober 2014 wäre die Journalistin und Aktivistin Ulrike Marie Meinhof 80 Jahre alt geworden. Ein kurzer Blick auf eine etwas vergessen gegangene Seite ihres Engagements.

Wochen nach Ulrike Meinhofs Tod bringt «Emanzipation», die Zeitung der Progressiven Frauen Schweiz (PFS) den kurzen Text «Ulrike Meinhof zur Frauenfrage» und zitiert eine ihrer konkret-Kolumnen aus dem Herbst 1968: «Ersticken doch täglich Millionen von Frauen an dem, was sie alles herunterschlucken, schlagen ihre Kinder, werfen mit Kochlöffeln nach ihren Ehemännern, motzen und machen vorher die Fenster zu, damit keiner hört, was alle wissen: dass es so, wie es geht, nicht geht.» Ulrike Meinhof fordert, dass «mehr Frauen über ihre Probleme nachdenken, sich organisieren und ihre Sache aufarbeiten und formulieren lernen.» Sie ist eine der ersten Frauen in der BRD, die sich als Journalistin und erwerbstätige Mutter öffentlich Gedanken macht zu feministischen Anliegen und wie Geschlechterrollen durch das kapitalistische System bedingt sind. Sie wünscht sich nicht privaten «permanenten Ehekrach», sondern eine «Öffentlichkeit des Krachs», da, wo Kommunikation und Verständigung herstellbar sind (…), damit Argumente zum Zuge kommen und nicht nur die Überlegenheit des Mannes aufgrund seiner gesellschaftlich überlegenen Stellung.»

Bewegte Geschichte

Ulrike Meinhof wächst im Nachkriegsdeutschland in bürgerlichem Milieu auf, beide Eltern sind Intellektuelle. Obwohl die einzige Protestantin in einer katholischen Schule, ist sie beliebt und wird zur Klassensprecherin gewählt. Meinhof spielt Geige, liest viel, hört Jazz und wird als verträumt beschrieben. Sie beginnt ein Studium, möchte eine Abschlussarbeit über Pestalozzi schreiben. Als 24-Jährige ist sie Mitbegründerin des Arbeitskreises für ein kernwaffenfreies Deutschland und hält eine Rede vor 10 000 DemonstrantInnen. Wie viele andere setzt sie sich gegen eine Wiederaufrüstung Deutschlands im Bündnis mit der Imperialmacht USA ein. Ihr politisches Engagement führt sie zu journalistischer Tätigkeit bei konkret. Ab 1962 ist Meinhof dort mehrere Jahre Chefredaktorin, später freischaffende Kolumnistin. 1966 veröffentlicht sie in den linkskatholischen Frankfurter Heften den Reportageessay «Heimkinder in der Bundesrepublik». Sie verfasst ein Drehbuch: Bambule. Auch im Rundfunk der ARD werden Reportagen von ihr ausgestrahlt. Sie lässt so Stimmen zu Wort kommen, die sonst niemand hören kann. Meinhof spricht auch hier an, wie Gewalt gesellschaftlich entsteht und wo sich kapitalistisch verursachte Armut und Gewalt aus Ohnmacht wie an wem austobt. Eine sich diesen Kindern gegenüber kriminell verhaltende Umwelt mache diese zu Kriminellen. Berühmt ist sie heute vorwiegend als Gründungsmitglied der RAF und mutmassliche (Mit-)Verfasserin deren ideologischen Konzeptes. Nach ihrer Festnahme ist sie Mitangeklagte im Stammheimprozess und stirbt 1976 im Gefängnis Stuttgart-Stammheim.

Fussball und Solidarität – ein Widerspruch?

12_bukanerosPraktisch immer bleibt der Fussballclub Rayo Vallecano im Schatten von Real und Atlético, den beiden grossen Clubs der spanischen Hauptstadt. Doch nun steht der fest im ArbeiterInnenstadtteil Vallecas verankerte Club weltweit im Rampenlicht, denn er schaut den Zwangsräumungen von Wohnungen in seinem Quartier nicht mehr tatenlos zu. Solidarität und -sozialen Verantwortung gehören zum Erbgut des Clubs.

 

Es war kein speziell schönes oder komisches Tor, es war auch kein Sieg im Derby gegen Real oder Atlético, das den spanischen Erstliga-Club Rayo Vallecano aus dem Arbeiterviertel Madrids weltweit aus dem Schatten der beiden grossen und reichen Clubs der Hauptstadt führte. Viel mehr war es etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann: Die Solidarität! «Es war die grösste Pressekonferenz in der neueren Geschichte des Clubs», sagte der Trainer Paco Jémez. Am Anlass nahmen 15 TV-Sender teil, darunter auch solche aus Deutschland, Italien und Mexiko. Ein Sender übertrug sogar live. Hinzu kamen viele Radiostationen, Zeitungen und Fotografen. Eigentlich wollte der Club keinen Medienrummel auslösen, doch musste er zwei Tage nach der Pressekonferenz zugeben, dass er von den Reaktionen fast überfordert wurde. Der Grund dafür ist beeindruckend und zwar nicht nur für die Fussballwelt: Trainer, Spieler und Verein wollen nicht länger tatenlos zuschauen, wenn Menschen aus ihrer Wohnung geschmissen werden. Vor allem dann nicht mehr, wenn eine 85jährige Anhängerin im Stadtteil Vallecas auf die Strasse gesetzt wird. Stadtteil, dem der Club seinen Namen verdankt und zutiefst mit ihm verbunden ist. Carmen Martínez Ayuso wurde trotz massiven Protesten der Bevölkerung Ende November von der Polizei auf die Strasse gesetzt. Eine Ersatzwohnung wurde der alten Frau nicht angeboten. 50 Jahre lang hatte sie in ihrer Wohnung gelebt. Diese wurde geräumt, da sie für einen Kredit ihres Sohns über 40’000 Euro gebürgt hatte. Das hatte sie nicht verstanden. «Ich kann weder lesen noch schreiben und habe die Unterlagen einfach unterzeichnet, um meinem Sohn zu helfen», erklärte die verzweifelte Frau. Mit überhöhten Zinsen eines «Kredithais» und den Verfahrungskosten stiegen die Schulden des Sohns auf über 77 000 Euro an.

Klassenstolz und die Stimme des Bewusstseins

Die unmenschliche Behandlung konnte den Club nicht kalt lassen. Der Rayo sprang sofort dafür ein, wozu eigentlich der Staat verantwortlich sein sollte. «Wir werden nicht zuschauen und der Frau helfen», sagte der Trainer an der Pressekonferenz. Und er versprach: «Nicht ich alleine, sondern der gesamte Trainerstab, die Spieler, der Verein werden dafür sorgen, dass Carmen bis zu ihr Lebensende eine Miete zahlen, ein würdiges Leben führen kann und sich nicht einsam fühlen wird.» Zwangsräumungen gehören in Spanien mittlerweile zur täglichen «Normalität». Dies obwohl die Verfassung im Artikel 47 «das Recht auf eine menschenwürdige und angemessene Wohnung» garantiert. Manuel San Pastor, der Anwalt der «Plattform der Hypothekengeschädigten» (PAH), spricht von einer «Politik des Sozialterrorismus», denn die Stadt versilbere ihre Sozialwohnungen an «Geierfonds». Ein Drittel stünde leer, «während tausende geräumte Familien kein Angebot erhalten», erklärt San Pastor. Nach dem Eingreifen des Clubs hat die Stadt der alten Rayo-Anhängerin eine Sozialwohnung angeboten. Angebot, das laut Verfassung vor der Zwangsräumung hätte kommen müssen und wohl nie gekommen wäre, hätte der Verein durch seine Aktion nicht für weltweiten Wirbel gesorgt. Der Club hat nun ein Spendenkonto eingerichtet, das von Trainern, Spielern und privaten Spenden aus der Bevölkerung gefüllt wird. Hinzu kamen fünf Euro pro Eintrittskarte, die für das Heimspiel gegen Sevilla vom 7. Dezember verkauft wurden. Jémez erklärte an der Pressekonferenz: «Als bescheidener Verein sind wir einen Schritt vorwärts gegangen, weil Solidarität und soziale Verantwortung zu unserem Erbgut gehören. Wenn die Institutionen nun Carmen eine würdige Wohnung geben, werden wir mit dem gespendeten Geld anderen bedürftigen Menschen im Stadtteil helfen.»

Der Verein, seine Fans und das im Süden Madrids gelegene ArbeiterInnenviertel mit gut 300 000 EinwohnerInnen bilden eine Symbiose. «Rayo ist nicht einfach ein Fussballclub, sondern der Klassenstolz und die Stimme des Bewusstseins», meint Pedro Roiz. Sein Vater war von 1965 bis 1972 Präsident des Clubs. Roiz erklärt den Stadtteil so: «Vallecas ist die Erde der einfachen und engagierten Leute». Es sind ZuzüglerInnen aus allen Teilen Spaniens und EinwanderInnen, die sich mit «grosser Mühe ihr Brot verdienen und KämpferInnen sind. » Der Verein wurde 1924 gegründet. Er steht in der antifaschistischen und klassenkämpferischen Tradition, genauso wie seine Fans, allen voran die Ultras-Gruppe «Bukaneros». Als im November 2012 in ganz Spanien gemeinsam mit Griechenland und Portugal gegen die Kürzungspolitik und die tiefen Einschnitte in die Sozialsysteme gestreikt wurde, schlossen sich der Club und seine AnhängerInnen ganz selbstverständlich dem Kampf an. Ganz im Gegensatz dazu der Manager der königlichen von Real Madrid, Pedro Duarte. Er verbreitete per Twitter die Meinung, dass «Gewerkschaftler einer nach dem anderen an die Wand gestellt werden sollten».

Solidarität mit verhaftetem Fan

Während dem Streiktag im November 2012 wurde in ganz Spanien nur eine einzige Person verhaftet. Und es ist wohl kaum ein Zufall, dass diese Person ein Mitglied der «Bukaneros» ist. Der 21jährige Alfonso Fernández Ortega (Alfon) verhaftet, bevor er am Streikposten eintraf. Mit schwammigen Anschuldigungen wurde er fast zwei Monate in Untersuchungshaft gesteckt. «Es ist eine Inszenierung der Polizei, um ein Exempel zu statuieren», erklärte seine Mutter Elena Ortega kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin. Alfon wird der Besitz eines Rücksackes vorgeworfen, der mit Utensilien zum Bau von Molotow-Cocktails im Stadtteil gefunden wurde. Ihm drohen nun wegen «Besitz von Explosivstoffen» fünfeinhalb Jahre Knast. Beweise dafür gibt es wohl nicht. Weder wurden seine Fingerabdrücke, noch wurde bei Hausdurchsuchungen belastendes Material gefunden. Im Prozess vom 18. November erklärte Alfon, von der Polizei erpresst zu werden. Sie habe ihm mit dieser Anklage gedroht, wenn er nicht andere «Bukaneros» und Mitglieder der «Antifaschistischen Brigaden» identifiziere. Der Club, seine AnhängerInnen und das ganze Quartier haben Alfon ihre Unterstützung und Solidarität zugesichert.