Zapatistische Gemeinde geräumt

Am 29. Januar 2010 meldete die Junta der Guten Regierung von La Garrucha, dass am 22. Januar eine Militäroperation mit vier Helikoptern in der Gemeinde Laguna San Pedro im autonomen Landkreis Ricardo Flores Magón durchgeführt worden sei.

An dem Angriff nahmen laut Angaben der Zapatistas Polizeieinheiten, die mexikanische Bundesarmee sowie Funktionäre der föderalen Umweltbehörde Profepa teil. Begleitet wurden sie von Journalisten und Kamerateams. Der zapatistische Rat beschuldigt die staatlichen Sicherheitskräfte folgender Delikte: Abbrennen der Häuser, Zerstörung von Obstbäumen, Plünderung des Kooperativenladens sowie Diebstahl von Werkzeugen und Grundnahrungsmitteln wie Bohnen und Mais.

Die Bewohnerinnen und Bewohner sind später offenbar unter Zwang per Hubschrauber in eine Notunterkunft nach Palenque geflogen worden. Verantwortlich gemacht wird die Bezirksregierung, die Regierung des Bundesstaates Chiapas von Juan Sabines und die föderale Regierung unter Felipe Calderón. Die Zapatistas prangern an, dass die Regierung einerseits von Dialog und friedlicher Umsiedlung spricht und gleichzeitig gewaltsam gegen Dörfer ihrer Organisation vorgeht. Die Angehörigen des Rates von La Garrucha beziffern den Schaden auf 585.155 mexikanische Pesos (über 32.000 Euro).

Repressionswelle in Chiapas

Im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas eskaliert die paramilitärische und staatliche Gewalt gegen linke Organisationen. Am 30. September wurde José Manuel Hernández Martínez in der Gemeinde 28 de Junio von Sicherheitskräften festgenommen, die sich als Arbeiter der staatlichen Elektrizitätskommission CFE verkleidet hatten. Hernández alias „Chema“ ist eine historische Führungspersönlichkeit der Bäuerlichen Organisation Emiliano Zapata (OCEZ) im Kreis Venustiano Carranza, die dort seit den 1980er Ländereien besetzen und zahlreiche Projekte für ihre Basis durchsetzen konnte. Bei der Operation wurde das OCEZ-Mitglied Jordán López erschossen, mindestens drei weitere Bauern wurden verletzt, als sie sich ihrer Verhaftung widersetzen wollten. „Chema“ wird vorgeworfen, der marxistischen Guerilla Revolutionäres Volksheer (EPR) anzugehören, was von der OCEZ vehement zurückgewiesen wird. Die Kampffront für den Sozialismus (FNLS), zu der die OCEZ gehört, fürchtet, dass „Chema“ wie viele soziale AktivistInnen spurlos „verschwinden“ könnte und macht Gouverneur Juan Sabines von der sozialdemokratischen PRD direkt für die Repression verantwortlich.

Kurz zuvor, am 26. September wurde ein Brandanschlag auf die neuen Räumlichkeiten der Frauenorganisation Kinal Antsetik in San Cristóbal verübt. Die unabhängige Gruppierung fördert Bildungsprojekte und Kooperativen in Chiapas. Es gelang den indigenen Frauen, die auf dem Gelände leben, den Brand zu löschen. Kinal Antsetik sorgt sich nun um die körperliche Unversehrtheit ihrer Angehörigen und besonders der Mitarbeiterin Yolanda Castro. Mexikanische Behörden ermittelten gegen sie und bemühen sich, sie als Angehörige bewaffneter Gruppen darzustellen. Kinal Antsetik geht davon aus, dass der Staat ihre Arbeit als Menschenrechtsverteidigerin kriminalisieren will. In der Menschenrechtsarbeit habe Castro jüngst eine besondere Rolle eingenommen, da sie immer wieder Angehörige von Gefangenen und verschwundenen Personen juristisch begleitete.

Bereits am 18. September attackierten etwa 60 Personen mit Steinen, Stöcken und Schusswaffen den Anwalt Ricardo Lagunes, als dieser sich nach einer Besprechung in der indigenen Gemeinde Jotolá auf den Heimweg machen wollte. Der Anwalt, der für das international renommierte Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas arbeitet, wurde schwer zusammengeschlagen und entging nur knapp einem Lynchmord, da ihm  Gemeindemitglieder zu Hilfe eilten. Bei der Befreiungsaktion eröffneten Paramilitärs das Feuer und verletzten Carmen Aguilar aus San Sebastian Bachajón schwer. Die Angreifer sind Mitglieder der regierungsnahen „Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte“ (OPDDIC), die über einen bewaffneten Arm verfügt, der von Menschenrechtsorganisationen bereits mehrfach für Übergriffe auf zapatistische und andere linksoppositionelle Gemeinden verantwortlich gemacht wurde. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé kritisierte die Vorgehensweise der Polizei, die kurz vor dem Angriff in Jotolá noch mit OPDDIC-Mitgliedern gesprochen habe und danach verschwunden sei.

Die OPDDIC wird beschuldigt, auf gewaltsame und illegale Weise Land an ihre Mitglieder zu verteilen, das 1994 von der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN besetzt wurde. Erst Anfang September hatten Paramilitärs mehrere Zapatistas im EZLN-kontrollierten Landkreis San Manuel schwer verletzt.

Thomas Zapf, Mitarbeiter des Internationalen Friedensdienstes (SIPAZ) in San Cristóbal, bezeichnete im Interview die jüngsten Attacken als „Ausdruck einer neuen Qualität von Repression“. Es sei besorgniserregend, dass in Chiapas selbst vor Angriffen auf Menschenrechtsaktivisten nicht mehr zurückgeschreckt würde.

Hintergrund der Auseinandersetzungen sind neben der Angst der Oligarchie vor einer weiteren Stärkung linker Basisbewegungen Landstreitigkeiten und umstrittene Entwicklungsprojekte in der Region. Sowohl die chiapanekische als auch die mexikanische Bundesregierung unter Präsident Calderón von der konservativ-neoliberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN) fördern Monokulturen, Autobahnen und Tourismusprojekte in Zusammenarbeit mit multinationalen Konzernen, ohne die jeweils betroffenen Gemeinden zu konsultieren.

Von den bereits existierenden Tourismusprojekten wie z.B. den Wasserfällen in Agua Azul profitieren bisher vorwiegend regierungsnahe Kreise. Dabei haben die indigenen Gemeinden als Ganzes Anspruch auf eine kollektive Nutzung und Selbstverwaltung ihrer Territorien. Die mexikanische Regierung hat diese Rechte anerkannt, als sie 1990 das Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO unterzeichnete.

Aufgrund des alltäglichen Rechtsbruches durch die mexikanischen Eliten haben sich daher zahlreiche Gemeinden und Organisationen der „Anderen Kampagne“ angeschlossen, einer Mobilisierung des außerparlamentarischen zivilen Widerstands, die von der EZLN 2006 initiiert wurde und sich über lokale Kontexte hinaus für eine neue antikapitalistische Verfassung für ganz Mexiko engagiert.

Luz Kerkeling 3.10.2009

Foltern für den Tourismus in Chiapas

Im mexikanischen Bundestaat Chiapas sind indigene Bauern genötigt worden, sich als «bewaffnete Räuber» zu definieren. Hintergrund des Konfliktes ist die andauernde Unterdrückung der oppositionellen Bauern, die darauf abzielt bäuerliches Gemeinschaftsland zu privatisieren.

Am 13.April wurden sechs Aktivisten der «Anderen Kampagne», eines linken Bündnisses, das 2005 von der EZLN (Zapatistische Armee der nationalen Befreiung) initiiert wurde, in Bachajón in Polizeigewahrsam genommen.Nach Angaben des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas mussten sie unter der Anwendung von Folter Taten zugeben, die sie nie begangen haben: Ein Überfall auf einen Touristenbus. Am 18. und 19. April wurden weitere zwei Bauern willkürlich festgenommen, deren Aufenthaltsort immer noch unbekannt ist.

Paramilitärische Anschläge

In Agua Azul, das von den regierungsnahen Kräften kontrolliert wird und eines der wichtigsten Touristenziele in Chiapas ist, werden die Bauern der «Anderen Kampagne» und der EZLN- Basis von der OPPDIC(«Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte») angegriffen. Die OPPDIC ist eine regierungsnahe Organisation, die schon mehrmals paramilitärische Anschläge  auf Zapatisten verübte, sie schwer verletzte sowie ihr Vieh abgeschlachtet und ihre Maisplantagen zerstört hatte.

Am 15. April führten Bauern der «Anderen Kampagne»  eine Strassenblockade auf einer vielbefahrenen Landstrasse zwischen Ocosingo und Palenque, die direkt zu Agua Azul führt. Über 100 Aktivisten waren da dran beteiligt um die Freilassung ihrer Familienangehörigen zu erwirken. Zwei Tage später wurden 800 Polizisten herangezogen, woraufhin die Bauern sich gezwungen sahen die Blockade aufzulösen. Trotzdem griff die Polizei die Demonstranten an, entwendete Kleider, Dokumente und vor allem auch 115‘000 Pesos, einen enormen Betrag für die bitterarmen Campesinos der Region. Die OPPDIC blieb dagegen unbehelligt.

Rund 20 Tageszeitungen wurden von der Regierung unter Juan Sabines (Gouverneur des Bundesstaates Chiapas) offenbar bezahlt, da sie alle gleichlautende Artikel veröffentlichten, die die Bauern der «Anderen Kampagne» als gewalttätige Kriminelle bezeichneten.