Von der Zarenherrschaft zum Sozialismus

vladimir_lenin_cc_img_0Vor 99 Jahren begann die Grosse Sozialistische Oktoberrevolution, eines der wichtigsten Ereignisse des letzten Jahrtausends und der Auftakt einer völlig neuen Ära. Zum ersten Mal in der Geschichte siegte die proletarische Revolution in einem Land; der Kapitalismus wurde gestürzt und musste dem Sozialismus weichen.

Das jahrhundertealte russische Zarenreich war zur Zeit des Ersten Weltkriegs von unlösbaren Widersprüchen zerfressen. Der Kapitalismus befand sich dort in der Entwicklung, in den Städten wie auf dem Land. Mit dem Aufschwung der Industrie in den grossen Städten bildete sich eine ArbeiterInnenklasse, die zwar eine Minderheit im Vergleich zur Gesamtbevölkerung darstellte, in den grossen Produktionseinheiten jedoch zu einer organisierten und kämpferischen Mehrheit konzentriert war. Weder die brutale Tyrannei des Zaren noch die exzessive Zensur konnten die Zunahme von Ar-beiterInnenkämpfen und die Verbreitung von revolutionären Ideen in Russland verhindern. Trotz der unbarmherzigen Repression entstanden und etablierten sich drei politische Parteien, die das Ende der absoluten Monarchie forderten: Die Konstitutionell-Demokratische Partei, auch Kadetten genannt (die Partei der liberalen Bourgeoise), die Partei der Sozialrevolutionäre (eine Partei, die sich auf die Tradition der russischen «Volkstümler» bezog) und einer wirklich marxistischen Partei, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands, die sich bald in die Menschewiki (wörtlich «MinderheitlerInnen», die ReformistInnen) und Bolschewiki («MehrheitlerInnen», RevolutionärInnen) aufteilte.

Das Vorspiel zur Revolution

Am 9. Januar 1905 schoss die Armee auf eine grosse Demonstration von Streikenden, die nach St. Petersburg gekommen waren, um ihre Klagen dem Zaren Nikolaus II. vorzubringen. Dieser Tag ging als Petersburger Blutsonntag in die Geschichte ein. Das Vertrauen, dass die russischen Parteien in den Zaren setzten, war für immer zerstört. Was folgte war die erste russische Revolution. Gewaltige Streiks brachen im ganzen Land aus. Moskau wurde von Barrikaden überzogen. Zum ersten Mal wurden Arbeiter- und Bauernräte, sogenannte Sowjets, gegründet, eine Form der neuen Demokratie, die den revolutionären Kampf anführten. Die Revolution wurde im Blut erstickt, aber nichts war mehr wie zuvor. Die ArbeiterInnen-klasse hatte in ihrer politischen Organisation einen entscheidenden Schritt vorwärts gemacht. Und das zaristische Regime war durch die Revolution ge-zwungen, gewisse Konzessionen zu machen und den Anschein eines Parlaments einzuführen: die Staatsduma. Die ersten Wahlen brachten den Oppositionsparteien erwartungsgemäss eine grosse Mehrheit. Nach zwei Auflösungen und einem Reformversuch des Wahlgesetzes konnte Nikolaus II. schliesslich eine weniger aufmüpfige Duma zusammenstellen; der Sturz des Regimes war jedoch nur noch eine Frage der Zeit. Wie die anderen imperialistischen Staaten versuchte das zaristische Imperium, seine inneren Widersprüche mit dem Ersten Weltkrieg zu lösen. Damit war der letzte Fehlschritt des Regimes getan. Die offizielle Propaganda hatte dem Volk einen klaren und schnellen Sieg versprochen, aber der Krieg zog sich in die Länge und trotz einigen militärischen Erfolgen erwies er sich als verheerend sowohl hinsichtlich der Verluste an Menschenleben als auch ökonomisch. Die Kriegsbeteiligung wurde immer unpopulärer und die Streiks und politischen Mobilisierungen gegen die Fortsetzung des Konflikts sowie die Aufstände und Desertionen innerhalb der Armee vervielfachten sich. Diese Widerstandskämpfe wurden dadurch erleichtert, dass die russischen ArbeiterInnen über eine Partei, die Partei der Bolschewiki, verfügten, die nicht der Politik des Burgfriedens zu Beginn des Krieges verfallen war und ihre Prinzipien nicht verraten hatte. Aus diesem Grund war die Partei in der Lage, im Gegensatz zum Grossteil der sozialdemokratischen Parteien der verräterischen Zweiten Internationale, den revolutionären Kampf anzuführen.

Die Februarrevolution

Am 23. Februar 1917 brach ein grosser Streik aus in St. Petersburg, der damaligen russischen Hauptstadt, der sich schliesslich zum Generalstreik entwickelte. Der Zar befahl der Armee, auf die Menge zu schiessen. Aber diese stellte sich auf die Seite der Aufständischen. Am 27. Februar übernahm der Petersburger Arbeiter- und Soldatensowjet das Taurische Palais, den Sitz der Duma, und er hätte die Staatsmacht erlangen können. Aber der Sowjet war von den SozialrevolutionärInnen und den Menschewiki dominiert, die am Dogma festhielten, dass die Revolution gegen den Zarismus nur eine bürgerliche sein und sie deshalb nur von der Bourgeoisie ausgeführt werden könnte, die dann in einer bürgerlichen Demokratie münden müsste. Alle parlamentarischen Gruppierungen in der Duma, ausgenommen den rechtsextremen MonarchistInnen, kamen in der Nacht auf den 28. Februar zusammen, um ein provisorisches Komitee der Staatsduma zu bilden und die zaristische Herrschaft zu ersetzen. Am 2. März wurde eine provisorische Regierung unter der Leitung von Fürst Lwow, einem Kadetten, konstituiert. Am Tag darauf dankte Nikolaus II. ab zugunsten seines Bruders, Grossfürst Michail, der seinerseits ein paar Tage später zurücktrat. Die Dynastie der Romanows, die Russland während drei Jahrhunderten regiert hatte, war gestürzt. Am 27. März verliess Lenin die Schweiz, wo er als politischer Flüchtling gelebt hatte, um die Führung des revolutionären Kampfes in Russland zu übernehmen.

Doppelherrschaft

Fortan war Russland eine bürgerlich-demokratische Republik und laut Lenin das vorläufig «freieste Land Europas» (im Sinne, dass die Provisorische Regierung nicht in der Lage war, einen strikten Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten wie andere Kriegsländer). Es unterstand für kurzer Zeit sogar einer «linken» Regierung, an deren Spitze der Sozialrevolutionär Alexander Kerenski stand. Diese Konstellation konnte die Probleme des Landes nicht lösen und die Forderungen der Bevölkerung nicht befriedigen. Man hatte zuvor versprochen, Frieden zu schliessen, aber nun beschloss die Regierung, den Krieg «bis zum Sieg» fortzuführen. Die Wirtschaft des Landes lag in Trümmern, eine Hungersnot drohte, die ArbeiterInnen lebten im extremen Elend. Die Regierung hatte nicht vor, dem abzuhelfen. Auch die versprochene Agrarreform, die Hauptforderung der Bauernschaft und die zentrale Losung der SozialrevolutionärInnen vor der Revolution, wurde nicht vollzogen. Gleichzeitig entstand im Land eine Situation der Doppelherrschaft. Offiziell war die Provisorische Regierung die Spitze des Staates. Aber ihre Macht war wackelig und stützte sich nur auf einen Staatsapparat, den sie vom Zarismus geerbt hatte und im Zerfall begriffen war. Die Provisorische Regierung konnte sich nur solange halten, wie sie von der anderen Macht, die im Land präsent war, akzeptiert wurde: Die Sowjets der ArbeiterInnen, BäuerInnen und SoldatInnen, die eine reelle Basis in der Bevölkerung wie in der Armee hatten. Die Sowjets wurden zuvor mehrheitlich von den Menschewiki und den SozialrevolutionärInnen kontrolliert, die sich weigerten, die Revolution gegen das Joch der bürgerlichen Legalität zu wenden. Sie lähmten damit die Handlungsfähigkeit der Sowjets und halfen der Provisorischen Regierung, an der Macht zu bleiben. Die Bolschewiki kämpften derweil unter der Parole «Alle Macht den Sowjets!» im Bewusstsein, dass sie darin in der Minderheit waren. Dadurch sollte die Macht schnell in die Hände der Ar-beiterInnen und BäuerInnen übergehen und eine Volksdemokratie entstehen, die auf der Koexistenz von mehreren Parteien, die dem Sozialismus positiv gesinnt waren, ruhen würde. Dieses Szenario kam nicht zustande, aufgrund der Politik der Menschewiki und SozialrevolutionärInnen, die ihren revolutionären Thesen objektiv den Rücken gekehrt hatten und um jeden Preis an der Kollaboration mit der Bourgeoise festhielten.

Die Oktoberrevolution

Diese Situation konnte keinen Bestand haben. Am 3. Juli liess die Provisorische Regierung ihre loyalen Truppen auf eine Versammlung der Bolsche-wiki schiessen, was 400 Tote und Verletzte zur Folge hatte. Sie versuchte, ebenfalls Lenin wegen Hochverrats zu verhaften, ohne Erfolg. Die Bourgeoisie wollte sich nun nicht mehr mit einer unsicheren provisorischen Regierung begnügen und setzte alles auf die Errichtung einer Militärdiktatur. Der Putsch unter General Lawr Kornilow, der dank des Einsatzes der Bolschewiki scheiterte, kündete das Ende der Herrschaft von Kerenski an. Ein Aufstand war notwendig geworden, um die Revolution zu retten. Die Provisorische Regierung wurde am 25. Oktober (bzw. am 7. November nach unserem Kalender) gestürzt. Die Hauptstadt befand sich in den Händen der revolutionären Truppen und der Bolschewiki. Am 26. Oktober wurde der 2. Allrussische Sowjetkongress eröffnet, an dem die Bolschewiki nun die Mehrheit stellten. Der Kongress nahm das Dekret über den Frieden, das den sofortigen Friedensschluss unter fairen Bedingungen für alle beteiligten Nationen verkündete, und das Dekret über den Grund und Boden an, das alles Landeigentum ohne Kompensation dem Volk übergab. Der Kongress wählte ausserdem einen Rat der Volkskommissare, die erste revolutionäre Regierung Russlands, mit Lenin an der Spitze. Die Revolution weitete sich schnell auf den Grossteil des Landes aus, oft mit Gewalt, manchmal ohne auf Widerstand zu stossen. Anfang Juli 1918 nahm der 5. Allrussische Sowjetkongress die erste Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik an, die die Basis der Macht der ArbeiterInnen und BäuerInnen und des Sozialismus bildete. Der erste Arbeiter- und Bauernstaat der Geschichte war geboren.

Aus dem vorwärts vom 4. November 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

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