Die Tote packt die Lebenden

FILE: Baroness Thatcher Dies Aged 87Wenn die Linke den Tod Thatchers feiert, tappt sie in die Falle der Individualisierung, die Thatcher mit aufgebaut hat. Denn auch wenn eine alte Dame gestorben ist, lebt ihre Politik weiter. Etwa in der Form, dass ihre früheren Feinde – die britische Labout Party an vorderster Front – ihre Politik längst übernommen haben.

Aus der Printausgabe des vorwärts vom 10. Mai 2013. Unterstütze uns mit einem Abo!

Der Tod Margaret Thatchers am 8. April 2013 war ein bemerkenswertes Ereignis in mindestens zweifacher Hinsicht. Einerseits wurde die anhaltende Wirkmacht einzelner ideologischer Elemente des Neoliberalismus sichtbar und andererseits bot die Beerdigung ein Beispiel für den bitteren Witz der -Dialektik. Die ehemalige Premierministerin Grossbritanniens (1979–1990) war früh Teil der neokonservativen und neoliberalen Bewegungen. Sie entwickelte ihre Ideologie auf der Grundlage von Werken neoliberaler Intellektueller wie zum Beispiel Friedrich August von Hayek und Milton Friedman. Bekannt wurde sie nicht nur durch ihre antisoziale Politik und den Kampf gegen die Gewerkschaften, sondern auch als jemand, die den Neoliberalismus popularisierte.

Bekannt wurde unter anderem ihr Ausspruch von 1987: «There is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families.» («Es gibt nicht so etwas wie Gesellschaft. Es gibt individuelle Männer und Frauen, und es gibt Familien.») Den radikalen Individualismus brachte sie gegen den Sozialstaat in Anschlag. In anderen Bereichen gab es dann sehr wohl Gesellschaft und Staat, insbesondere beim Rückgriff auf Polizei und Armee. Thatcher stieg bald zu einer Art Superindividuum auf. Sie machte den Neoliberalismus, sie zerstörte die Gewerkschaften, sie führte den Falklandkrieg. Bertolt Brecht warnte in seinem Gedicht «Fragen eines lesenden Arbeiters» vor diesen Formen von Individualisierung («Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?»). Wenn also Linke meinen, den Tod Thatchers feiern zu müssen, so tappen sie selber in die Falle der Individualisierung, die Thatcher mit aufgebaut hat.

Langer Kampf gegen den Staat

Thatcher hat schon lange Zeit vor dem Regierungsantritt gegen den Staat gewettert. Im anderweitig bekannten Jahr 1968 verfasst sie ein Pamphlet («What’s Wrong with Politics?»). Darin kombinierte sie die antistaatliche Rhetorik mit der ideologischen Anrufung der Subjekte als «selbstverantwortlich». Staat und Bürokratie sollten mehr oder weniger zum Verschwinden gebracht werden (das ist eines der neoliberalen Hauptthemen). Das Resultat, unter anderem gerade als Resultat von Thatcherismus und Reaganomics ist das Gegenteil: Staat und Bürokratie wurden ausgebaut und vermehrten sich in einem historisch noch nie dagewesenen Mass. Der Staatsausbau ging aber mit einem radikalen Umbau einher: Alle Bereiche des Sozialen wurden drastisch abgebaut, dafür wurde der repressive Staatsapparat und der marktradikale Staat ausgebaut. Soviel zur Dia-lektik kollektiven neoliberalen Handelns. Die Pointe bildet dann das pompöse und millionenschwere Begräbnis Thatchers.

Sich mit Thatcher zu beschäftigen, bedeutete aber auch, sich mit schweren Fehlern der Linken auseinanderzusetzen. Im Sog von 1968 gingen warnende Stimmen unter. Der Ökonom David A. Collard veröffentlichte im Oktober 1968 ein Traktat («The New Right: A Critique»). Er warnte, wie sich später herausstellte, vergeblich vor dem Aufstieg des Neoliberalismus, den Think Tanks sowie einer Schar von Intellektuellen und PolitikerInnen. In die Euphorie dieses Jahres mochte Collard nicht einstimmen, denn seine Sorge bestand darin, dass die Linke erfolgreich von der Neuen Rechten ausgehebelt würde. Was sich leider bewahrheiten sollte.

Von der Dritten Welt lernen

Längst war das neoliberale Feld bestellt. Es begann die Zeit des sukzessiven Umbaus der Gesellschaft (die gibt‘s), der Ideologie, der Moralvorstellungen usw. Und es war nicht zuletzt die Regierung von Thatcher, die das tat, wovon die Linke immer geredet hat: Von der «Dritten Welt» lernen, in diesem Falle konkret von den blutigen Diktaturen in Chile und anderen Ländern Lateinamerikas. Diverse Instrumente und Politiken wurden übernommen, so zum Beispiel die «Schocktherapie», um soziale und solidarische Strukturen zu zerstören.

Wer eine deutliche Kritik des Thatcherismus sucht, sollte sich (wieder einmal) den Film Peter Greenaways von 1989, «The Cook, the Thief, His Wife and Her Lover», ansehen. Greenaway erklärte, der Film sei eine Allegorie auf die Regierung Thatchers. Der Film verbindet die Kritik am Thatcherismus mit der französischen Revolution, die sich 1989 zum zweihundertsten Mal jährte. Die Errungenschaften der Revolution werden brutal unterdrückt oder beseitigt. Eindringlich werden die neoliberalen Gewalt-formen in einer anderen, sehr eindringlichen und bildstarken Sprache gezeigt. Der Dieb, Albert Spica, tritt einem Mann in die Hoden und meint knapp: «Das ist es, was diese Leute brauchen. Kurze, scharfe Schockbehandlungen.» Lachen kann man über alles, aber nicht über die Ware, und sei diese noch so ausgefallen wie «menschliche Milch». Spica scharf zu Cory, einem Bandenmitglied: «Mach keine Witze. Sie [die menschliche Milch] ist eine kostbare Ware, nicht eine witzige Sache.» Wie aktuell der Film ist, wird deutlich, wenn Spica auf die Qualität zu sprechen kommt. Wir leben ja in einer Zeit, in der es nur so von Qualitätsmanagment usw. wimmelt. Qualität wird garantiert, kontrolliert, ausgewiesen, überwacht. Spica: «Ich repräsentiere Qualität hier herum.» Er bietet «Qualität und Protektion», wie heutzutage Qualitätszertifizierungsinstitutionen.

Individuell betrachtet ist Thatcher tot, gesellschaftlich ist vieles, wofür sie (mit tausenden Anderen) kämpfte und was sie in der Politik umsetzte, allzu lebendig. Erfolg ist, wenn der Gegner von ehedem, sich zu dem gewandelt hat, was man selbst vertrat. In ihre Fussstapfen trat Anthony Blair, und aus Labour wurde New Labour, unter anderem eine Adresse für Privatisierungen. Eine kritische Linke hat vor wie nach Thatchers Tod genug zu tun. Sie sollte sich auf ihre Aufgaben konzentrieren. Wenn sie sich mit Thatcher beschäftigt, so sollte sie sich auch selbstkritisch mit der eigenen Geschichte beschäftigen.

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