Was sind Kader?
Tarek Idri. Die Frage der Kader hat in der PdA Schweiz Diskussionen ausgelöst. Im Folgendem der Versuch einer Annäherung an den Begriff «Kader» und seine Abgrenzung zu Berufsrevolutionär:in und Parteimitglied.
Unter den Anträgen zur allgemeinen politischen Resolution, die dem Zentralkomitee der Partei der Arbeit Schweiz (PdAS) im Juni zur Diskussion vorgelegt wurden, befand sich einer, bei dem man genauer hinschauen sollte. Die Sektionen Bern und Genf beantragten die Streichung eines Absatzes, der die Rolle der Kader sowie die Aufgabe der Partei hinsichtlich der Kader beschreibt. Die Berner Genoss:innen forderten darüber hinaus, das Wort «Kader» komplett aus der Resolution zu streichen. Der Absatz, mit dem die zwei Sektionen nicht einverstanden waren, lautet folgendermassen: «Es ist nötig, innerhalb der Partei einen disziplinierten Stamm aus Kadern zu entwickeln, die sich ausgiebig der Agitations- und Propagandaarbeit widmen, die die marxistische Theorie weiterentwickeln und die Arbeiter:innenklasse in den Massenorganisationen organisieren und anleiten. Die Leitung der Partei durch einen gut geschulten Kern aus Kadern und eine klare Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Kadern sind Voraussetzung, dass die PdAS eine breite kommunistische Massenpartei sein kann.»
Folgendes geht aus diesem Abschnitt hervor: Erstens, die Partei erhält die Aufgabe, einen Stamm aus Kadern zu entwickeln. Zweitens wird definiert, was die Aufgabe der Kader ist: Sie haben agitatorische, propagandistische, theoretische und organisatorische Aufgaben. Drittens wird das strategische Ziel der PdAS, nämlich kommunistische Massenpartei zu werden, gesetzt, und dieses Ziel wird in Verbindung mit der Kaderentwicklung gebracht.
Parteipositionen klären
Was in diesem Abschnitt nicht geklärt wird, ist das Wie und das Warum. Was sind Kader? Wie entwickelt man Kader? Wie wird Agitationsarbeit etc. geleistet? Warum braucht es Kader? Wieso ist die Unterscheidung zu den regulären Mitgliedern Voraussetzung für eine kommunistische Massenpartei? Diese Fragen können nicht vollständig in einem Parteiprogramm geklärt werden. Es ist nicht möglich (und nötig), die gesamte marxistische Theorie in ein Programm zu packen. Dazu braucht es die Diskussion innerhalb der Partei. Ich meine damit nicht nur mündliche Diskussionen, die sehr enge Grenzen haben, sondern vielmehr die schriftliche Auseinandersetzung und Klärung der Parteipositionen in den Parteizeitungen, in Broschüren, in erläuternden Dokumenten, kurz, in der ganzen sogenannten Parteiliteratur. Zum Material, das bisher bereits erschienen ist, gehört das Marxistische Glossar, welches die PdAS-Parteileitung als Begleitdokument zur Resolution erstellt hat.
Die Sektion Bern hat in der Begründung ihres Streichungsantrags auf die offenen Fragen hingewiesen. Sie schreibt, im Text sei unklar, «warum Kader eine Voraussetzung für eine Massenpartei sind, wer ein Kader ist» etc. «Diese Fragen müssen diskutiert und beantwortet werden.» Das ist richtig. Ich denke aber, ein Streichungsantrag ist nicht der richtige Weg, um diese Fragen zu diskutieren, weil damit die Grundlage für die Diskussion verschwindet. Wer wirklich interessiert ist an einer Diskussion, könnte auch Präzisierungen und Verbesserungsvorschläge liefern, Diskussionsrunden organisieren oder Artikel und Sektionsresolutionen verfassen, die zur Klärung beitragen können. Ich versuche in diesem Artikel einen ersten Anlauf zur Klärung der Fragen bezüglich der Kader.
Definition von «Kader»
Zunächst einmal müssen wir den Begriff «Kader» genauer betrachten. Das Marxistische Glossar gibt uns folgende Definition: «Kader sind theoretisch geschulte und praktisch erfahrene Parteimitglieder, die fähig sind, Leitungspositionen zu übernehmen. Sie zeichnen sich durch hohe Opferbereitschaft, Eigeninitiative und Flexibilität aus. Sie verfügen über eiserne Disziplin und sind ideologisch gefestigt. Den Begriff ‹Kader› darf man nicht mit ‹Berufsrevolutionär:in› gleichsetzen; Kader sind nicht zwingend hauptberuflich für die Partei tätig. Sie müssen ebenso wenig bezahlte Funktionär:innen sein.» Hier wird ausgesagt, dass Kader eine theoretische Schulung durchlaufen und praktische Erfahrung gesammelt haben, dass sie also bereits eine gewisse Reife als Parteimitglieder vorweisen können. Sie sind fähig, Leitungspositionen zu übernehmen, das heisst, sie können sein, sind aber noch nicht zwingend leitende Mitglieder. Auch ein Basismitglied ohne «Amt» kann Kader sein. In der Definition werden verschiedene Eigenschaften aufgezählt, welche die Kader vorweisen sollen. Dadurch wird eine Art Ideal festgesetzt, auf welches die Kaderentwicklung hinsteuern sollte. Zuletzt wird «Kader» begrifflich abgegrenzt von Funktionär:innen und Berufsrevolutionär:innen, für die eine ganz kurze Definition gegeben wird. Funktionär:innen sind demnach «bezahlte» Mitglieder. Berufsrevolutionär:innen arbeiten Vollzeit für die Partei, sind also gewissermassen Vollzeit-Funktionär:innen.
Berufsrevolutionär:innen?
Der Begriff «Berufsrevolutionär:in» entstammt direkt dem Werk «Was tun?» von Lenin und wird häufig und fälschlicherweise mit «Kader» gleichgesetzt. Wir in der gegenwärtigen Situation sollten diese zwei Begriffe nicht miteinander vermischen. Für die russische Bewegung in der Zeit des Zarismus, in der Illegalität ohne irgendwelche politischen Freiheiten, spielte die Unterscheidung eine weniger grosse Rolle, weil die Kader möglichst immer auch Berufsrevolutionär:innen sein mussten. Für unsere Zwecke im gegenwärtigen Augenblick ist der Begriff «Berufsrevolutionär:in» zu weit gefasst, er geht über «Kader» hinaus. Wie unterscheiden sich die beiden Begriffe? In «Was tun?» benutzt Lenin «Berufsrevolutionär:in» einerseits als Gegenstück zu «Handwerklerei».
Mit Handwerklerei meinte Lenin, die Amateurhaftigkeit, welche die sozialistischen Organisationen seiner Zeit prägten. Damals wurden immer wieder sozialistische Zirkel gegründet, die ohne übergeordneten Plan und ohne genügend Erfahrung in der konspirativen
Arbeit unter den Arbeiter:innen tätig waren, die dann aber schnell von der zaristischen Polizei zerschlagen wurden. Die Handwerklerei hatte politische Auswirkungen: Die Sozialist:innen konzentrierten sich fast ausschliesslich auf den ökonomischen Tageskampf in den einzelnen Betrieben, also den Kampf für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen etc. Lenin forderte eine stabile, führende Organisation von Berufsrevolutionär:innen, die nicht in der Gewerkschaftsbewegung aufging, sondern den sozialistischen Kampf auch auf weitere Gesellschaftsbereiche ausweitete. Er forderte die Professionalisierung der Bewegung; er wollte professionelle Revolutionär:innen, keine blossen Amateur:innen. In dieser Hinsicht stimmt der Begriff «Berufsrevolutionär:in» mit «Kader» überein: Kader müssen professionell arbeiten. Auf der anderen Seite meinte Lenin mit «Berufs-revolutionär:in» explizit auch Leute, «deren Beruf die revolutionäre Tätigkeit ist», die befreit waren von der sonstigen Lohnarbeit in einem Betrieb. Unter dem Zarismus war dies aus konspirativen Gründen notwendig für die Organisation, unter anderem weil es dadurch für die Revolutionär:innen leichter möglich war, den Wohnort zu wechseln. In der PdA steht die Frage der Berufsrevolutionär:innen, im Sinne von Vollzeit-Funktionär:innen, noch nicht auf der Tagesordnung. Hingegen sehe ich die Frage der Kader als dringende Aufgabe unserer Partei, die schon jetzt in Angriff genommen werden muss.
Stabilität und Festigkeit
Überlegen wir uns, was die Probleme sind, die in jeder Sektion der PdA bestehen. Was hört man überall? Wir haben zu wenig Kapazitäten für dies und das; wir haben zu wenig Mitglieder, die aktiv sind. Einverstanden. Aber würden die Probleme verschwinden, wenn wir jetzt augenblicklich eine riesige Menge an neuen Mitgliedern hätten – allesamt ohne praktische Erfahrung und ohne marxistisches Hintergrundwissen? Nein, das würde die Probleme nicht lösen, es würde sogar neue schaffen. Was wir in Wirklichkeit brauchen, sind mehr fähige, erfahrene Aktivist:innen, die über ein klares sozialistisches Bewusstsein verfügen. Wir können nicht erwarten (und in der Realität läuft es auch selten so), dass sich die neuen Mitglieder von selbst zu konsequenten Kämpfer:innen für den Kommunismus entwickeln.
Ich habe vor Kurzem im vorwärts folgende Metapher benutzt: Stellen wir uns die Partei als Körper vor. Die breite Basis an Mitgliedern bilden die Muskeln des Körpers, die Kader bilden das Skelett. Ein blosses Skelett ohne Fleisch nützt nicht viel, es sind tote Knochen. Umgekehrt sind die Muskeln ohne Skelett bewegungsunfähig, egal wie gross und wie viele Muskeln es sind. Der Körper wäre ein formloser Fleischklumpen. Die Partei ohne ein Skelett, ohne Kader ist instabil, sie ist plan- und orientierungslos. Sie läuft den Massenbewegungen hinterher, sie ist bei dieser und jener Demo dabei, unterstützt diese und jene Initiative und Vorlage, ohne Plan und Strategie. Wie ein Fähnchen im Wind dreht sie sich nach den neuesten Modeströmungen und Modephilosophien.
Mit der Entwicklung von Kadern können wir unserer Partei Stabilität geben, wir können die breitere Masse an Parteimitgliedern, Unterstützer:innen sowie die parteinahen Organisationen tatsächlich in Bewegung setzen. Eiserne Disziplin und ideologische Festigkeit, die im Glossar als wünschenswerte Eigenschaften der Kader genannt werden, sind Voraussetzungen, damit die Kader der Partei diese Stabilität geben können. Kader müssen die Disziplin haben, die Aufgaben und das Programm der Partei wirklich umzusetzen, und sie müssen ideologisch sicher genug sein, so dass sie sich nicht von der nächstbesten Schmutzkampagne oder einem propagandistischen Angriff der Bürgerlichen kleinkriegen lassen.
Erste Schritte
Die Sektion Bern fragte in ihrem Streichungsantrag: «Wer bestimmt, wer ein Kader ist»? In letzter Instanz ist das eine persönliche Entscheidung. Die einzelnen Mitglieder müssen sich fragen: Will ich mein Leben der Revolution widmen, will ich Kader werden, kann ich überhaupt Kader sein, zum Beispiel angesichts familiären Verantwortungen? Es ist nicht nur eine formale Einteilung. Und dennoch ist es nötig, dass die Partei ihre Ansprüche an die Kader definiert. In der Sektion Zürich sind wir erste Schritte gegangen in die Richtung, dass die Pflichten der Mitglieder klarer umrissen und ihnen deutlicher vermittelt werden. Auch für die Kader sollte das vorgenommen werden. Auf der praktischen Seite ist die aktive Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe, in einem Gremium Voraussetzung. Kader müssen zwingend aktive Mitglieder sein, das ist der Startpunkt. Die potenziellen Kader sind zusätzlich aufgefordert, Verantwortung in diesen Parteiorganen zu übernehmen. Aber wie Lenin sagt: «Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung
geben.» Auf der ideologisch-theoretischen Seite sind die Kader aufgefordert, sich die marxistischen Literatur im Selbststudium und im Kollektiv anzueignen. Die Partei steht jedoch ihrerseits in der Pflicht, Kaderschulungen auszuarbeiten und durchzuführen. Das könnten die ersten Schritte hin zur Entwicklung von Kadern sein.