Sexarbeitsfeindlichkeit abbauen
Ruby Rebelde. Sexarbeitende sind eine superdiverse Gruppe von Menschen. Unsere Biografien, Hintergründe und Identitäten sind vielfältig. Unsere Arbeit umfasst ein breites Spektrum, doch eins verbindet uns alle: Arbeitsrechte schützen uns, oder: Würden uns schützen.
Am 1.Mai ist Tag der Arbeit, auch für Sexarbeitende. Was banal klingt, stellt sich in der Praxis leider als alles andere als selbstverständlich heraus. Denn Gesellschaften und die Menschen darin, schreiben Sexarbeitenden, über die sie wenig wissen, aber umso mehr vermuten, Identität, Geschlecht und Geschichte zu. Das Ergebnis ist eine klischeehaft verzerrte Norm-Hure mit den gängigen Attributen Netzstrumpfhose, hohe Absätze, Zigarette, gemachte Nägel. Das Konstrukt der Norm-Hure entlastet die Gesellschaft von einer längst überfälligen Verantwortung. Statt Sexarbeitsfeindlichkeit abzubauen, nimmt diese gefühlt gerade zu. Das erfolgt auf vielen Ebenen gleichzeitig, denn die Norm-Hure ist sowohl ein soziales, kulturelles und politisches Konstrukt, als auch eine Konfiguration im Denken.
Wer in der Schublade Hure inklusive der gängigen Vorstellungen, Zuschreibungen und Nichtwissen landet, erfährt Vorverurteilung, Diskriminierung und Ablehnung. Okay, dann gibt es eben Vorurteile über Sexarbeitende, na und? Die gibt es doch über jede Gruppe in der Gesellschaft. Habt Euch mal nicht so …
Diskriminiert
Von dem Moment, an dem die Gesellschaft eine Person zur Hure «erklärt» oder wenn eine Person beginnt, mit Sexarbeit Geld zu verdienen, gehört sie nicht länger Teil zur «normalen» Gesellschaft. Sie erlebt Sexarbeitsfeindlichkeit, eine vielschichtige Ausgrenzungserfahrung, die das gesamte Leben von Sexarbeitenden durchzieht. In meinem Buch «Warum sie uns hassen» (Mai/2025) erläutere ich, wie Sexarbeitsfeindichkeit sich kulturell, materiell, individuell und institutionell auswirkt.
Seit 14 Jahren schaffe ich an. Mit der Post kam keine Gebrauchsanleitung für ein Leben mit Hurenstigma und Sexarbeitsfeindlichkeit. Vielmehr war es eine steile Lernkurve, geprägt von Ausschlüssen, Geheimniskrämerei und Frust.
Meinem Buch den Titel «Warum sie uns hassen» zu geben, damit zögerte ich dennoch lange. Die heftige Aussage darin provoziert Widerspruch. Doch je länger ich zur Verfolgungsgeschichte von Sexarbeitenden recherchierte, umso alternativloser wurde dieser Titel. Denn was ist es anderes als Hass, Dirnen –historisches Wort für Sexarbeitende – aus den mittelalterlichen Städten zu vertreiben? Sie zum Tragen von Schandfarben zu zwingen, oder ihnen öffentlich die Haare zu scheren – wenn es halbwegs «glimpflich» ausging. Sexarbeitende wurden im 17. und 18.Jahrhundert in «Krankenhäusern» (zum Beispiel das Hôpital de la Salpêtrière in Paris) gesperrt.
Aus den Augen – aus dem Sinn
Es gab und gibt Versuche der Ideologisierung von Sexarbeitsfeindlichkeit. Damit wird eine persönliche Einstellung zur Theorie erhoben. Der italienische «Kriminalanthropologe» Cesare Lombroso (1835–1909) vertrat eine «Typenlehre», die besagte, dass Menschen, die über bestimmte äussere Merkmale verfügten, als Verbrecher «geboren» wären. Um solche Aussagen zu «belegen», vermass er unter anderem die Schädel von Sexarbeitenden. Ende des 19.Jahrhunderts verfasste Lombroso «Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte». Lombrosos Werk erhält ein Kapitel über die «Geschichte der Prostitution». Lange her? Bis in die 1970er-Jahre hielt sich hartnäckig eine Sichtweise von Sexarbeitenden als «Berufsverbrecher», auch eine Kategorie der Verfolgung durch den Nationalsozialismus. Lange hielt sich nach Kriegsende die Vorstellung: Manche waren zu Recht im KZ, ganz verschwunden ist sie noch lange nicht.
Und damit habe ich noch kein Wort verloren über Hexenverbrennungen oder die Zuschreibung asozial, aufgrund derer meine historischen Geschwister zwangsasyliert wurden, Zwangsarbeit zu Umerziehungszwecken leisten mussten und in Konzentrationslagern um ihre Unversehrtheit und manchmal auch um ihr Leben fürchteten. Eins ist all diesen hasserfüllten und von Auslöschungswünschen getriebenen Praktiken gemeinsam: Das, was wir taten und tun, ja, das mit dem Sex und dem Körperlichen, Du weisst schon …, durfte nicht als Arbeit gelten. Stattdessen hiess es, das sei krank, sittlich verwahrlost, moralisch verkommen, kriminell. Diese Zuschreibungen teilen eine ablehnende Haltung über Sexarbeitende mit, enthalten aber darüber weitere, angebliche, negative Auswirkungen für andere, nicht-Sexarbeitende. Wir schaden also demnach nicht nur uns selbst, sondern auch allen anderen. Aus subjektiven Gefühlen und Einstellungen wird so eine ausgrenzende Vorgehensweise, die noch dazu als «Schutz» daherkommt. Sondergesetze und sexarbeitsfeindliche Ideologien, die die Abschaffung von Sexarbeit (und Sexarbeitenden!) fordern, vermitteln die Sichtweise von Sexarbeitenden als Bedrohungsszenario. Aus dem «Ich» individueller Ablehnung wird somit ein «Wir» niedergeschriebener Ausschlüsse. Der Schutz der Allgemeinheit, das Gemeinwohl, der Schutz des Volkskörpers, zum Schutz aller Frauen, und so weiter. Unsere Existenz «schade» der Gesellschaft, der Gleichstellung, der Menschenwürde. Eigentlich sind wir für all das verantwortlich, einfach weil es uns gibt.
Das muss weg
Hass ist ein komplexes Gefühl. Hass kann Ekel und Wut umfassen. Hass trennt. Wen wir hassen, grenzen wir aus. Dafür werden «Gründe» angeführt, wieso es normal sein soll, uns Huren keine Existenzberechtigung zuzugestehen. Die Angst vor Sex triggert so hart, dass da kein Raum mehr für Rechte oder Verbesserungen der Lebens- und Arbeitssituation von Sexarbeitenden ist, sondern nur noch für: Das muss weg. Das «das» sind wir, sexarbeitende Menschen, aber es wird so getan, als gäbe es uns nicht. Wir verschwinden in der Abstraktion einer Welt ohne Prostitution, die angeblich eine bessere sein soll. Die heftig geführte Debatte fokussiert beinahe ausschliesslich auf die rhetorische Frage: Darf es das geben? Oder muss das abgeschafft werden?
Versuche, Sexarbeit zu verbieten, haben eine ebenso lange wie erfolglose Geschichte. Ein simple Verbotsforderung zu erheben, scheint vielen ausreichend – und enthält immer auch einen Wunsch nach Vereinfachung. Warum muss auch immer alles so kompliziert sein?
Schlechte und gute Nachrichten
Wer sich beim Lesen dieses Textes selbst bei sexarbeitsfeindlichen Gedanken ertappt hat: Sexarbeitsfeindlichkeit schadet nicht «nur» Sexarbeiter:innen, sondern auch der Gesellschaft. Die politische Bewegung für die Welt ohne Prostitution heisst Neo-Abolitionismus. Sie ist eine wilde Mischung aus Frauenrechtler:innen, christlichen Fundamentalist:innen und (Ultra-) Konservativen und reitet das tote Pferd «Prostitution verbieten» seit mehr als 150 Jahren. Gewiss: In einigen Ländern hat der Neo-Abolitionismus die Einführung der Kriminalisierung der Nachfrage («Nordisches Modell») erreicht. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für meine Kolleg:innen
(ja, richtig gelesen, Sexarbeit hört auch dann nicht auf zu existieren) verschlechterten sich in diesen Ländern radikal. Sexarbeitsfeindlichkeit verfestigte sich mehr. Die schlechte Nachricht lautet: Verschwendete Zeit und
Ressourcen, denn ausser Symbolpolitik steckt darin nur Ressentiment und Hass gegenüber Sexarbeiter:innen.
Eine gute Nachricht zum Schluss: Sobald wir beginnen, hinzuschauen, zuzuhören, gemeinsam nachzudenken und aktiv zu werden, dann können wir Sexarbeitsfeindlichkeit abbauen. Damit tun wir auch etwas gegen Trans-Misogynie und Sexismus. Der 1.Mai ist Tag der Arbeit, und Sexarbeit ist Arbeit. Die restlichen 364 Tage im Jahr auch.
Ruby Rebelde lebt in Hamburg von Sexarbeit und politischer Bildung über Fundamentalismus, Rechtsextremismus und Feminismus. Ruby liest Anfang Juni in Biel, Bern und Zürich.
«Warum sie uns hassen». Lesung und Diskussion mit Ruby Rebelde. Sexarbeitsfeindlichkeit schadet nicht «nur» Sexarbeitenden – Sexarbeitsfeindlichkeit ist eine zutiefst unterschätzte Bedrohung für Vielfalt und Demokratie und kann ein Einstieg in Radikalisierung und Autoritarismus sein. Ruby Rebelde erläutert anhand von Themen wie Sexualmoral, Abwertung von Promiskuität und Autoritarismus, warum Sexarbeitende ausgegrenzt werden und ihr Existenzrecht infrage gestellt wird.
Sonntag, 1. Juni, 19 Uhr, Carré Noir, Obergasse 12, Biel
Montag, 2. Juni, 19.30 Uhr, Nydeggkirche, Nydeggplatz 2, Bern
Dienstag, 3. Juni, 18.30 Uhr, Alte Kirche Wollishofen, Kilchbergstrasse 13, Zürich
Weitere Infos:
rubyrebelde.com
xeniabern.ch