Italien, 3. Oktober 2025

sit. Die Antwort auf die militärische Aktion der israelischen Armee gegen die Aktivist:innen der Sumud Global Flotilla war gigantisch: Über zwei Millionen Menschen machten den Generalstreik zu einem historischen Erfolg. Ein beeindruckender Akt der Solidarität kam von den Inhaftierten des Gefängnisses Dozza bei Bologna.

Es waren dramatische Stunden am Abend des 2. Oktober. Um 20.29 Uhr berichteten Aktivist:innen der Flotilla: «Israelische Streitkräfte befinden sich an Bord des Bootes Alma und haben die Mitglieder der Crew festgenommen.» Das Schiff war eines der ersten, das isoliert wurde und dessen Kommunikation blockiert war. An Bord befanden sich Mitglieder der Leitung der humanitären Aktion. Was dann folgte, ist bekannt: Unter anderem mit dem Einsatz von Wasserwerfern stürmte die israelische Armee alle Schiffe der Flotilla, nahm alle 452 Aktivist:innen fest, sperrte sie in ein Gefängnis ein, nannte und behandelte sie als Terrorist:innen – getan und gesagt von einem Staat, der gerade dabei ist, einen Genozid zu begehen. Von demselben Staat, der soeben auf internationales Recht gespuckt hatte. Denn der Angriff auf die Flotilla erfolgte in internationalen Gewässern, fernab des Hoheitsgebiets Israels.

Von historischem Ausmass
Was dann folgte, ist von historischem Ausmass – man kann es nicht anders bezeichnen, auch wenn mit dem Wort «historisch» vorsichtig umzugehen ist. Gleich nach dem Bekanntwerden kam es in Mailand, Rom und Neapel zu den ersten Solidaritätskundgebungen, an denen Tausende von Menschen teilnahmen. In Neapel wurde der Bahnhof blockiert. Zu spontanen Demonstrationen kam es auch in Berlin, Barcelona und Istanbul. Die Basisgewerkschaft USB (Unione Sindacale di Base) rief – wie bereits angekündigt – zum Generalstreik für den 3. Oktober auf. Und siehe da: Die grösste italienische Gewerkschaft, die CGIL, schloss sich dem Generalstreik an. Dann kam der 3. Oktober. «Mehr als 2 Millionen Menschen gingen auf die Strasse, um an den Demonstrationen in über 100 italienischen Städten teilzunehmen, die im Rahmen des landesweiten Generalstreiks zum Schutz der Flottille, der verfassungsmässigen Werte, zur Beendigung des Völkermords und zur Unterstützung der Bevölkerung von Gaza stattfanden. 300 000 Menschen zogen durch die Strassen der Hauptstadt», informierte am späteren Nachmittag die CGIL. In Mailand waren es 100 000, in Florenz 70 000, in Neapel 50 000, um nur drei Städte zu nennen. Ein Massenprotest vom Aostatal bis nach Sizilien und Sardinien – mit einer Anzahl von Menschen, wie das Land sie noch nie gesehen hatte.?«Ein gelungener, kraftvoller Generalstreik gegen die Komplizenschaft der italienischen Regierung mit dem Terrorstaat Israel», erklärte ein Vertreter der USB in einem Video. Er wiederholte die Forderungen: keine Waffenlieferungen nach Israel, Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen und ein Protest der italienischen Regierung gegen die illegalen Verhaftungen der Aktivist:innen der Flotilla. Diese drei Forderungen und die Barbarei des Genozids in Palästina vereinten über zwei Millionen Menschen.

Ein Danke aus Ramallah
Aussagekräftig ist auch die Reaktion der italienischen Regierung. Die faschistische Premierministerin Giorgia Meloni meinte am Vorabend, die Gewerkschaften hätten nur «Lust auf ein verlängertes Wochenende». Sie sei auch an dieser Stelle daran erinnert, dass die Arbeiter:innen durch den Streik einen Tageslohn verloren haben. Meloni meinte dann auch, der Streik würde dem «palästinensischen Volk überhaupt nichts bringen». Eine Behauptung, die wir handfest widerlegen können. Dem vorwärts liegt eine WhatsApp-Nachricht eines Freundes aus Ramallah im Westjordanland vor. Er schreibt: «Diese Proteste tragen dazu bei, ein Gleichgewicht und Zusammengehörigkeitsgefühl für menschliche Werte und Konzepte zu schaffen, die angesichts der Realität jener schmerzhaften Szenen, denen das palästinensische Volk im Allgemeinen ausgesetzt ist, ins Wanken zu geraten schienen. Diese Proteste helfen uns, uns von Gefühlen der Hilflosigkeit, Isolation und Einsamkeit zu lösen und das Gefühl zu bekommen, dass wir nicht verlassen sind und  unsere Schmerzen und Leiden gehört werden.» Er fügt hinzu: «Dies schafft in uns mit jedem Protestschrei gegen das, was geschieht, neue Hoffnung. Ungerechtigkeit und Tyrannei haben Erfolg, wenn sie einen Menschen von seinen Mitmenschen isolieren und ihm glauben machen, dass er allein ist. … Danke.»

Eine Lektion in Sachen Solidarität
Die Arroganz der Ministerpräsidentin erhielt auch eine beeindruckende Antwort von einer Seite, von der man es nicht erwartet hätte: von den Insassen des Gefängnisses Dozza bei Bologna, die im Rahmen des Wiedereingliederungsprogramms FID (Fare Impresa in Dozza) arbeiten. In ihrem Brief schrieben sie: «Für uns Inhaftierte bedeutet zur Arbeit zu gehen, einen Moment der Freiheit aus dem Gefängniskontext, in dem wir leben. Dennoch verzichten wir auf einen Tag Freiheit und auf unseren Lohn.» Und weiter: «Diese Entscheidung wurde getroffen, um unsere ganze Empörung über den laufenden Völkermord auszudrücken und um die Menschen der Flotilla zu unterstützen, die mit der einzigen Schuld verhaftet wurden, Botschafter:innen der Menschlichkeit zu sein. Das ist das Mindeste, was wir tun können.»?Der Brief der Gefangenen wurde an der Demonstration in Bologna von Michele Bulgarelli, dem Generalsekretär der CGIL Bologna, vorgelesen. «Es ist ein sehr bewegendes Dokument, das von einer Geste von grossem Wert zeugt», sagte er über das Schreiben. Der Verzicht auf einen Tag ausserhalb der Gefängnismauern und auf den Tageslohn sei eine «Entscheidung, die tiefen Respekt verdient und eine starke Botschaft mit sich bringt», hielt Bulgarelli weiter fest. «Ich halte es für notwendig, die grosse Lektion hervorzuheben, die uns von ihnen erreicht: Sie erinnern uns daran, dass der Streik ein fundamentales Recht ist, ein Akt der Würde und kollektiven Solidarität. Und dass diejenigen, die sich für einen Streik entscheiden, immer Gehör und Respekt verdienen.»

Warum plötzlich?
Eine Frage bleibt offen: Wie kam es zu diesen Massenprotesten im ganzen Land? Sicher, die Empörung über den Genozid in Gaza ist gross. Immer mehr Menschen schreien laut: basta, es reicht! Wir wollen nicht auf der Seite der Barbarei stehen. Aber reicht das? Auf diese wichtigen Fragen werden wir vertieft in der Printausgabe eingehen, die am 21. Oktober erscheinen wird. So viel sei aber verraten: Nein, Wut und Bestürzung allein reichen nicht aus. Es braucht mehr, um zwei Millionen Menschen auf die Strasse zu bringen.

 

 

 

 

Share

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.