Gesundheitskosten: Nur abstimmen, nicht bestimmen
Gaudenz Pfister. Am 30. November wird in der Stadt und im Kanton Zürich über eine Verbilligung der Krankenkassenprämien abgestimmt und in drei Zürcher Gemeinden über Kredite an ein Regionalspital, das sonst bankrottgehen würde. Das ist, wie wenn man Vitaminpillen einwirft, um einen aggressiven Krebs zu bekämpfen.
Das Spital Wetzikon ist als kleines regionales Spital im Nachteil: Weniger margenträchtige Spezialoperationen, viel Gesundheitsversorgung, die wenig einbringt. Vor gut zehn Jahren wurde ein Neubau beschlossen und dafür ein Kredit von 170 Millionen Franken aufgenommen. Dieser Kredit hätte vor zwei Jahren erneuert werden müssen, und seit da ist das Spital ein Sanierungsfall. Neue Kredite hätte es nur mit Staatsgarantien bekommen, was die Geesundheitsdirektorin des Kantons Zürich, Natalie Rickli (SVP), verweigerte. Vor anderthalb Jahren bewilligte das zuständige Bezirksgericht Hinwil die Nachlassstundung – ein vorläufig aufgeschobener Bankrott.
Ein Spital als Spekulationsobjekt
Eine private Investorengruppe hätte die Schulden und damit das Spital gerne übernommen. Der Neubau ist im Rohbau fertig aber noch nicht als Spital ausgebaut, kann also ohne grossen Aufwand für profitablere Nutzungen ausgebaut werden. Mit derselben Logik hat der Generalunternehmer des Neubaus, die Firma Steiner, im Mai 2024 den Vertrag gekündigt und eine Betreibung eingereicht. Gleich zwei Hyänen, die auf die Immobilie scharf sind. Das ist möglich, weil das Spital Wetzikon eine AG ist, an der zwölf Gemeinden aus der Umgebung beteiligt sind. Die AG kann übernommen und ausgeweidet werden.
Die industrielle Logik in der Spitalplanung ist einfach: Operationen nur in spezialisierten Spitälern, diese haben dafür viele Fälle. So bleiben die Ärzt:innen in Übung und die Spitäler sind ausgelastet. Die Bevölkerung hält aber starrsinnig daran fest, dass es um Gesundheit geht und nicht um den Konsum von standardisierten medizinischen Leistungen. Gesundheit braucht Pflege und Besuch von Angehörigen und Bekannten, und dafür sind die zentralen Spitäler meistens zu weit weg.
Jetzt lässt man die Bevölkerung für ihren Starrsinn bezahlen. Um das Spital Wetzikon vorläufig zu sanieren, braucht es 50 Millionen Franken, die die zwölf Gemeinden, die Aktionärinnen des Spitals sind, aufbringen müssen. So bleibt der Stimmbevölkerung nur die Wahl, das Spital bankrottgehen zu lassen oder es mit Steuergeldern zu sanieren. Allerdings bleiben damit die strukturellen Probleme, die zu dieser Situation geführt haben, ungelöst. Genauso gut kann das Spital Wetzikon wieder in die finanzielle Bredouille geraten.
Am Tropf des Staates
Am gleichen Wochenende vom 30.November wird in Zürich über zwei Initiativen der SP zur Prämienverbilligung abgestimmt, eine auf kantonaler und eine auf städtischer Ebene. Wenn die Kosten für die Gesundheitsversorgung immer weiter steigen und über die Krankenkassenprämien auf die Bevölkerung überwälzt werden, so ist es scheinbar am einfachsten, diese Prämien im Nachhinein wieder zu verbilligen. Es ist ohne Weiteres klar, dass Prämienverbilligungen für die ärmeren Schichten eine substanzielle Erleichterung sind. Mittlerweile ist daraus aber auf nationaler Ebene wie auch bei den Kantonen ein System von Rückzahlungen geworden, das alles andere als durchschaubar ist und zunehmend mehr auch Familien begünstigt, die man ohne weiteres zum oberen Mittelstand zählen kann.
Die SP betreibt unter dem Banner der Kaufkrafterhaltung die finanzielle Stützung ihrer kleinbürgerlichen Klientel. Es gibt drei Hebel, wie es möglich ist, dafür staatliche Gelder zu organisieren: die Verbilligung der Krankenkassenprämien, günstige Wohnungen und Verbilligung des öffentlichen Verkehrs. Krankenkassen sind obligatorisch. Alle müssen die Prämien bezahlen, deshalb sind Verbilligungen ein ideales Instrument für Subventionen an kleinbürgerliche und proletarische Schichten. Ende 2022 hat die SP deshalb mit anderen Parteien im Zürcher Kantonsrat eine Erhöhung des kantonalen Beitrags an die Krankenkassen eingefordert. Darüber wird jetzt abgestimmt. In der Stadt Zürich ist die SP stark genug, das allein zu machen. Hier streiten sich der zuständige Sozialvorsteher von der SP und die Parteimitglieder im Stadtparlament über die Höhe dieser Beiträge.
Natürlich ist es gut, wenn die Belastung durch die Krankenkassenprämien vermindert wird. Damit werden aber nur Symptome gelindert. Die Finanzierung einer solidarischen Gesundheitsversorgung darf nicht davon abhängen, dass Gemeinden und Städte gute Steuerzahler:innen haben.
Wo wuchert der Tumor?
Gesundheit als Basisversorgung ist in modernen bürgerlichen Gesellschaften eine öffentliche Aufgabe. Medizin ist aber auch eine zentrale kapitalistische Wachstumsbranche, weil sich mit technischen und chemischen Innovationen neue Anwendungen, also neue Märkte erschliessen lassen. Kranke und Verletzte als Konsument:innen sind bereit, für ihre Gesundheit alles zu bezahlen. Diese Ausdehnung von Produktion und Nachfrage führt naturgemäss zu Kosten und damit zur Frage, wer diese Kosten trägt.
Mit Abstimmungen kann man an diesem System nichts ändern. Bei den Spitälern wird der Druck weiter zunehmen, weil sie vor vielen Jahren einer Marktlogik unterstellt wurden, um so Schliessungen zu erzwingen. Dieser Druck wirkt doppelt auf diejenigen, die im Spital arbeiten. Wie in jeder Firma soll die gleiche Anzahl Arbeitender mehr leisten. Weil die Spitäler ein Interesse haben, möglichst viel Leistungen zu verrechnen und so den eigenen Umsatz zu erhöhen, braucht es eine Abrechnungsbürokratie, die als sinnloser Aufwand die Arbeitenden zusätzlich belastet.
Im November 2021 haben die Stimmbürger:innen die Pflege-Initiative, mit der bessere Bedingungen in der Pflege gefordert wurde, mit grosser Mehrheit angenommen. Der Bundesrat hat nun ein Gesetz vorgeschlagen, das die 35-Stunden-Woche und die Pflicht zu GAV-Verhandlungen vorschreibt. Weil die Finanzierung aber überhaupt nicht geregelt ist, läuft es am Schluss wieder auf das gleiche hinaus: Pflegeverrichtungen am Fliessband statt Pflege als Arbeit an der Gesundheit. Dieser Gesetzesentwurf wird im Dezember im Nationalrat behandelt.
Abstimmungen ändern nichts an den Gesundheitskosten so wenig wie Geschäfte im Parlament. Deshalb: Alle an die Pflegedemo am Samstag, 22. November, 14.15 Uhr auf dem Bundesplatz in Bern (Infos und Fahrzeiten der Extrazüge hier).
