«Dass es Leute wie euch gibt, die an unserer Seite stehen
Roland Wüest. Wenn in den hiesigen Medien von Kuba zu hören ist, so handelt es sich meist um negative Meldungen. In unserer täglichen Arbeit bei mediCuba hören wir jedoch andere Geschichten von Menschen, die sich trotz widrigster Umstände unbeirrt für das Recht auf Gesundheit und zum Wohle der kubanischen Bevölkerung engagieren.
Als eine Mitarbeiterin eines Projektes, das mediCuba-Suisse (mCS) in Kuba unterstützt, gefragt wurde, was ihr in diesen für die Menschen im Lande so schwierigen Zeiten Hoffnung gibt, antwortete sie: «Dass es Leute wie euch gibt, die an unserer Seite stehen.» Ihre Antwort ist sowohl Anerkennung für das Geleistete als auch Herausforderung für die Zukunft, und sie hebt den zentralen Aspekt der Zusammenarbeit zwischen mCS und Kuba hervor: die Solidarität.
Gemeinsam für die Gesundheit in Kuba
Seit seiner Gründung 1992 – damals befand sich Kuba nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einer seiner schlimmsten Krisen, der sogenannten
«periodo especial» – setzt sich mediCuba-Suisse für das kubanische Gesundheitswesen ein. Zunächst mit Medikamentenlieferungen und später mit Projekten, die anhand der Prioritäten des kubanischen Gesundheitsministeriums gemeinsam erarbeitet werden. So unterstützt mCS das Land trotz aller Widerstände und Herausforderungen darin, sein universelles und allen frei zugängliches Gesundheitssystem aufrechterhalten zu können.
In den vergangenen 33 Jahren setzten wir in Kuba rund 40 Projekte um – sowohl auf der primären Versorgungsebene, beispielsweise durch die Stärkung der Polikliniken in den Gemeinden, als auch in hochspezialisierten Fachbereichen, etwa durch die Einführung neuer Methoden in der Chirurgie. Von diesen Projekten profitieren spezifische Gruppen, darunter HIV-Betroffene, Kinder und Jugendliche oder ältere Menschen, aber auch die gesamte Bevölkerung, wie bei den Projekten für das nationale Krebsregister oder der Stärkung und dem Ausbau der molekularbiologischen Labors in ganz Kuba.
Die Arbeit von mediCuba-Suisse hat sich in den letzten Jahren stark verändert und professionalisiert, doch die Herausforderungen sind nicht kleiner geworden. Die Situation zeigt sich schwieriger denn je – sowohl in Kuba als auch in der Schweiz, wo die Anforderungen und Hürden für Nichtregierungsorganisationen immer höher und gleichzeitig die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit laufend gekürzt werden.
Zwar überstand Kuba die Covid-Pandemie dank einer umfassenden Strategie und der Entwicklung eigener Impfstoffe relativ glimpflich (und unterstützte auch noch andere Länder wie etwa Italien bei der Bekämpfung der Pandemie), doch das Land zahlte einen hohen Preis und konnte sich nie richtig erholen. Der Einbruch des Tourismus führte zum Ausfall einer der wichtigsten Devisenquellen des Landes, und die wirtschaftliche Lage bewegt viele, auch gut ausgebildete Kubaner:innen, dazu, das Land zu verlassen.
Die tägliche Realität
«Was hätte Kuba ohne die Blockade tun können?», so die rhetorische Frage des kubanischen Aussenministers Bruno Rodríguez Parrilla bei der Vorstellung des jährlichen Berichtes zu den Auswirkungen der völkerrechtswidrigen Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der USA. Zu aktuellen Preisen belaufen sich die Schäden, die während der mehr als 60-jährigen Blockade entstanden sind, auf über 170 Milliarden US-Dollar. Oder um ein konkretes Beispiel zu nennen: Sechs Tage Blockade entsprechen den erforderlichen Finanzmitteln für den Import von medizinischem Verbrauchsmaterial wie Spritzen, Nadeln, Nahtmaterial und Kathetern, aber auch von Infusionsgeräten oder Reagenzien, die das nationale Gesundheitssystem für ein Jahr benötigt (rund 129 Millionen Dollar). Schätzungen der kubanischen Regierung gehen davon aus, dass ohne die Blockade das BIP Kubas zu aktuellen Preisen im Jahr 2024 ein Wachstum von etwa 9,2 Prozent hätte erreichen können.
Die Auswirkungen der Blockade lassen sich jedoch nicht nur anhand abstrakter Zahlen belegen, sondern zeigen sich auch ganz konkret in den von uns unterstützten Projekten: Yadiannis Quintana Noris, Spezialistin des Hörzentrums des bereits erwähnten Cochlea-Implantat-Programmes in der Provinz Holguín, bemerkt dazu, dass mehr als ein Drittel der benötigten Teile aus den USA stammen und zu hohen Preisen über Drittländer gekauft werden müssen, was dazu führt, dass ein Kind im Alter von zwei Jahren in das Hörzentrum kommt und im Alter von vier bis fünf Jahren implantiert wird.
Und Dr. Taymí Martínez Naranjo, Direktorin des Krankenhauses Faustino Pérez in Matanzas, stellt fest: «Eine der grössten Herausforderungen für das kubanische Gesundheitssystem und die Krankenhäuser ist derzeit die Herstellung und der Import von Medikamenten. Das Projekt zur lokalen Herstellung von Heparin, das gemeinsam mit den AICA-Laboratorien durchgeführt und von mediCuba unterstützt und finanziert wird, hat zur Stärkung der nationalen biopharmazeutischen Produktion beigetragen und hilft, die hohen Importkosten zu senken.» Und sie fügt hinzu: «Die Wirtschaftsblockade stellt ein grosses Hindernis für die Entwicklung des Sektors dar und verteuert und behindert darüber hinaus alle internationalen Transaktionen: Das ist keine politische Rhetorik, sondern die tägliche Realität für kubanische Ärzt:innen.»
Wo stünde die Schweiz
Bei der nun bereits 33. Abstimmung in der UNO-Generalversammlung über die Resolution Kubas zur Beendigung der einseitigen Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der USA, die jährlich stattfindet, zeigte sich auch Ende Oktober dieses Jahrs das bekannte Resultat: Über 90 Prozent der Mitgliedsländer unterstützen die Resolution, während – kaum überraschend – die USA und verbündete (oder besser gesagt von ihr abhängige) Länder wie Israel, die Ukraine oder Argentinien gegen die Resolution stimmten. Im Vorfeld wurde auch von erheblichem Druck der USA auf Länder in Lateinamerika und Europa berichtet, mit dem Ziel, deren Abstimmungsverhalten zu beeinflussen. Der US-Vertreter Mike Waltz bezeichnete die UN-Sitzung in der Folge gar als «politisches Theater» und leugnete schlichtweg die Existenz einer Blockade gegen Kuba.
Dass dies eine dreiste Lüge ist, wissen wir nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern wurde unlängst von der UN-Sonderberichterstatterin Alena Douhan bestätigt, die für die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen auf die Menschenrechte in Kuba zuständig ist: «Seit über 60 Jahren unterhält die USA ein umfassendes Regime wirtschaftlicher, handelspolitischer und finanzieller Restriktionen gegen Kuba, die am längsten andauernde einseitige Sanktionspolitik in den Aussenbeziehungen der USA», sagte Douhan in einer Erklärung am Ende ihres offiziellen Besuchs im November in Kuba. «Infolgedessen haben Generationen von Kubanern unter einseitigen Zwangsmassnahmen gelebt, welche die wirtschaftliche und soziale Landschaft des Landes geprägt haben.»
Und einige Schweizer Banken, darunter die UBS oder die Bank Cler, spielen dieses zynische Spiel in vorauseilendem Gehorsam mit und verweigern Zahlungen nicht nur nach Kuba, sondern auch innerhalb der Schweiz. Es reicht, dass der Name «Cuba» auf der Zahlung erscheint, damit Spenden an mCS zurückgewiesen werden. Wo stünde die Schweiz, wenn sie seit 60 Jahren einer Wirtschaftsblockade unterliegen würde?
Kuba ist nicht allein
Dass die Solidarität mit Kuba nach wie vor stark ist, zeigt sich auch anhand der zahlreichen Aktionen von Menschen in der Schweiz, etwa durch privat organisierte und finanzierte Containerlieferungen mit medizinischem Material oder durch die humanitäre Unterstützung von Ärzt:innen, die sich mit eigenen Initiativen für das kubanische Gesundheitswesen einsetzen.
Und nicht zuletzt durch die solidarische Unterstützung von Organisationen wie mCS, der Vereinigung Schweiz-Cuba, AMCA und dem europäischen Netzwerk mediCuba-Europa, die jüngst mit einer gemeinsamen Spende von 100000 Franken den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Melissa unterstützt haben. Doch die Herausforderungen bleiben enorm, sei es beim Wiederaufbau im Osten Kubas nach dem Hurrikan Melissa – der zwar verheerende Schäden hinterliess, aber dank der umfassenden Katastrophenvorkehrungen keine Todesopfer forderte – oder bei der aktuellen Dengue- und Chikungunya-Epidemie, die mit derzeit 47125 Menschen in medizinischer Behandlung als schwerster Ausbruch in der Geschichte Kubas gilt. Und ein Ende der US-Blockade ist leider nicht in Sicht. Deshalb braucht Kuba unsere gemeinsame solidarische Unterstützung nach wie vor – und gerade in diesen extrem schwierigen Zeiten.
Roland Wüest ist Koordinator
von mediCuba-Suisse
