Abschreckung-Kontrolle-Ausbeutung
Gaudenz Pfister. Jedes Jahr eine Initiative und in jeder Session vier bis fünf Vorstösse zum Thema Asyl und Ausländer:innen – die SVP ist eine höchst produktive Politmaschine. Sie fordert Abschreckung der Ausländer:innen, der bürgerlichen Parlamentsmehrheit reicht Kontrolle.
Er könne die von der SVP verlangten ausserordentlichen Asyldebatten schon auf Jahre hinaus in seine Agenda eintragen, meinte sinngemäss der zuständige Bundesrat Beat Jans. Im Parlament selbst ist die SVP mit ihren Vorstössen und Redeschlachten kaum erfolgreich. Trotzdem ist sie die Partei mit den meisten Geldern aus der Wirtschaft.
Herr Jans auf Toilette
«Beispiellose Respektlosigkeit», warf der SVP-Scharf-macher Andreas Glarner dem Bundesrat Jans vor, weil dieser das Referat des Asyl-Chefs der SVP, Pascal Widmer, ausgelassen habe. Jans entschuldigte seine Abwesenheit mit einem Toilettengang. Zudem habe Widmer «mehr oder weniger dieselben Dinge» gesagt wie die anderen SVP-Redner:innen vor ihm. Dieser kleine Schlagabtausch fasst die tagelangen Debatten über das Thema Asyl zusammen, mit denen die beiden Ratskammern geschätzt einen Fünftel ihrer Herbstsession verbracht haben. Die SVP will, dass man sie beim Thema Asyl hört, und sie sagt immer die gleichen Dinge.
Diese Episode ereignete sich, als im Nationalrat die Übernahme des EU-Migrations- und -Asylpakts durch die Schweiz behandelt wurde. Mit diesem Pakt macht die EU das, was Bundesrat Jans in der Schweiz macht: Die Verfahren gegen die Geflüchteten beschleunigen und die Lasten für diese Verfahren besser verteilen. Das ist die Art von Administration und Kontrolle, die innerhalb des Bürgertums unbestritten ist. Balthasar Glättli als «Asyl-Chef» der Grünen und der Linken forderte deshalb auch nur fairere aber eben auch schnelle Verfahren: «Es kann ja nicht sein, dass wir die Leute vier Jahre in Unsicherheit lassen, sogar in Fällen, die – im Guten oder im Schlechten – eigentlich klar waren.»
Sabotage und Mobilisierung
Die SVP-National- und Ständerät:innen waren bei der Debatte um den Migrations- und Asylpakt der EU beschäftigt, aber bei der Behandlung der «10-Millionen-Initiative» waren sie im Dauereinsatz. Mit dieser «Nachhaltigkeits-Initiative» will die SVP die Bevölkerungszahl in der Schweiz per Verfassung auf zehn Millionen begrenzen. Fast zwei Tage reihten sich im Nationalrat Redner an Rednerin, obwohl schon im Voraus klar war, dass keine der anderen Parteien zustimmen würde. Für die bürgerlichen Parteien stellte sich nur die Frage: Gegenvorschlag ja oder nein? Oder konkret: Gewinnt die SVP eine Mehrheit der Stimmenden und kann so das Abkommen mit der EU sabotieren? Nur die Mitte sah hier ein Risiko und sprach sich für einen Gegenvorschlag aus, der die Initiative entschärft hätte.
Über diese Initiative wird voraussichtlich nächstes Jahr abgestimmt, vor der Abstimmung über das Abkommen mit der EU. Zudem hat die SVP vorletzte Woche die nächste Initiative eingereicht, mit der sie diese Sabotage fortsetzt. Die Grenzschutz-Initiative verlangt, dass rund um die Schweiz Zöllner:innen an der Grenze stehen und alle Einreisenden kontrollieren. Das Thema Asyl (Geflüchtete sollen gar nicht erst ins Land kommen) eignet sich als Vehikel, um die Waren- und Personenströme des Binnenmarktes zu behindern.
Kontrolliert oder illegal
Als drittes Element hat die SVP in beiden Räten parallel vier Motionen eingereicht, die publikumswirksam die Abschreckung gegen Geflüchtete verschärfen sollen. Drei davon wurden ohne grosse Diskussion in beiden Räten abgelehnt: die Aufhebung des Schutzes für Ukrainer:innen, eine Überprüfung des Asylstatus alle zwei Jahre für alle Geflüchteten und die Verhinderung der Möglichkeit einer Aufnahme von speziell Gefährdeten, die nicht selbst hierherkommen können (Resettlement), wie das jetzt einer Handvoll verletzter Kinder aus Gaza gestattet wird. Die vierte Motion wurde dagegen in beiden Räten angenommen. Vorläufig Aufgenommene bekommen erst nach zehn Jahren eine Aufenthaltsbewilligung statt wie bisher nach fünf. Hier stimmten auch die FDP und die Mitte geschlossen dafür.
Die Verdoppelung der Wartefrist für die Aufenthaltsbewilligung lässt sich administrativ ohne Mehraufwand umsetzen, verlängert aber den prekären Status der Betroffenen massiv. Darauf ist die Administration gegen die Geflüchteten ausgerichtet: Möglichst schnelle Behandlung und Abschiebung auf der einen Seite, eine faktisch rechtlose Situation für diejenigen die hier sind, ob legal in einer der unzähligen Kategorien des Ausländer:innen-Rechts oder illegal als Sans-Papiers. Nur so können sie an die ausbeuterischen Arbeitsplätze in der Paket- und Essenslogistik und in der Hausarbeit
gefesselt werden. FDP und die Mitte konzentrieren sich
darauf, diese Verwaltungsmaschine schneller und billiger zu machen, in der Stille der Finanzkommission des Ständerates und letzte Woche mit dem Vorstoss des Mitte-Ständerates Benedikt Würth zu Beschleunigung der Verfahren.
Wer zahlt für die Gebetsmühle?
Mit den grossen Initiativen sabotiert die SVP direkt die Annäherung an die EU, ein heisses Thema im scharfen Bruderkampf innerhalb des Bürgertums. Vom Wirtschaftsdachverband economiesuisse, quasi dem Zentralkomitee des Grossbürgertums, bekam sie 2024 dennoch knapp eine Viertelmillion Franken als Unterstützung, mehr als die FDP und die Mitte. Und das, obwohl dieselbe economiesuisse der SVP schon Wirtschaftsfeindlichkeit vorgeworfen hat. Auch die Grossbank UBS zahlte letztes Jahr der SVP über 400000 Franken mehr als den anderen bürgerlichen Parteien. Das ist nur auf den ersten Blick paradox. In der Schlacht um die EU-Anbindung sind viele verdeckte Karten im Spiel. Die SVP ist aber die einzige Partei, die zuverlässig die Anliegen der Finanzkapitalisten vertritt und gleichzeitig fähig ist, weite Schichten der Bevölkerung an diese Politik anzubinden.