Tanz der Vampire
Dominik Dübi. Regisseur Ryan Coogler verarbeitet in «Sinners» die Rassentrennung in den Südstaaten der USA. Er erzählt die Geschichte als Horrorfilm, in dem Musik eine grosse Rolle spielt.
Der Sound der Bluesmusik geht darauf zurück, dass gewisse Tonstufen anders intoniert werden als im westlichen Tonsystem üblich. Diese Töne werden als «Blue Notes» bezeichnet und geben dem Blues seinen schwermütigen Klang. Die dadurch geweckten Emotionen harmonieren mit den behandelten Themen wie Rassendiskriminierung, Sklaverei und der anschliessenden Segregation in einzelnen Bundesstaaten. Die Relevanz des Blues für die afroamerikanische Geschichte wird auch dadurch begründet, dass er Elemente afrikanischer Musik enthält und den Hip-Hop als wichtigstes zeitgenössisches Genre afroamerikanischer Musiker:innen prägte. Dieses Erbe nimmt Ryan Coogler in seinem Film auf und nutzt die Musik als roten Faden, der sich durch die Story zieht.
Rassistische Geschichte
Die Zwillinge Smoke und Stack Moore (bekannt als die Smokestack-Brüder, beide gespielt von Michael B. Jordan in einer Doppelrolle) kehren im Jahr 1932 aus Chicago in ihre Heimat im US-Bundesstaat Mississippi zurück. Unter Al Capone hatten die beiden genug Geld verdient, um im von den rassistischen Jim-Crow-Gesetzen geprägten Südstaat der USA eine Bar für Afroamerikaner:innen zu eröffnen. Solche Bars wurden als Juke Joints bezeichnet und waren während der Rassentrennung im Süden der USA ein wichtiger Zufluchtsort für die afroamerikanische Bevölkerung. Die Musik nahm in diesen Bars eine wichtige Rolle ein, weshalb auch die Smokestack Brüder für die Eröffnung ihres Juke Joints eine Auswahl an Bluesmusiker:innen zusammentrommeln. Zentral ist dabei ihr Cousin Sammie «Preacher Boy» Moore, ein talentierter junger Musiker, der gegen den Wunsch seines als Pfarrer arbeitenden Vaters mit Musik sein Geld verdienen will.
Wenn die Brüder mit ihrem Cousin durch die Baumwollfelder des ländlichen Mississippi fahren und an verschiedenen Stationen weitere Musiker:innen für die grosse Eröffnung ihrer Bar anwerben, werden Erinnerungen an die Blues Brothers wach, die im gleichnamigen Film von 1980 mit einem fixen Ziel durch die USA fahren: «Get the Band back together». «Sinners» nutzt Mississippi als Kulisse, um die rassistischen Praktiken der Rassentrennung schonungslos aufzuzeigen. Es sind Afroamerikaner:innen zu sehen, die in Gefängnisuniformen in der sogenannten Chain Gang Steine klopfen. Andere arbeiten wie zu Zeiten der Sklaverei in den Baumwollfeldern. Zwar werden sie dafür bezahlt, aber häufig nur mit Holzmünzen, einer Art Jetons, die nur in den Hofläden der weissen Farmer eingelöst werden können. Der Musiker Delta Slim (Delroy Lindo) beschreibt die Situation im Film mit den Worten «See white folks they like the blues just fine. They just don’t like the people who make it.»
Stilbruch
Ryan Coogler gelingt es in dieser ersten Hälfte des Films sehr gut, mit ruhigem Erzähltempo die relevanten Figuren und den Schauplatz der Handlung einzuführen. Ludwig Göranssons Soundtrack nimmt das Blues-Thema auf und untermalt die in Louisiana eingefangenen Bilder sehr passend. Für eine Produktion eines grossen Studios, die ein Massenpublikum anziehen soll, wird der Handlung erstaunlich viel Zeit gelassen, sich zu entwickeln. Hier ist auch die beste Szene des Films zu sehen, als während der Eröffnung des Juke Joint Sammie auftritt. Sein Song «I Lied to You» wird mit einer aufwändigen Tanzchoreografie unterlegt, in der plötzlich Musiker:innen in traditionellen afrikanischen Trachten, Hip-Hop-DJs und Breakdancer:innen auftauchen. Wurzeln und Erbe des Blues werden in einer opulenten, ausufernden Tanzparty eingefangen. Coogler schafft es, den Zuschauer:innen den Stolz der Afroamerikaner:innen auf ihre Kultur und deren Wichtigkeit während Zeiten grausamster Unterdrückung zu vermitteln.
Es schmerzt umso mehr, dass das letzte Drittel des Films mit dem Ausflug ins Genre des Vampirfilms nicht mit dem Rest des Films mithalten kann. Es überschlagen sich die Ereignisse, als eine Gruppe von Vampiren (mit weisser Hautfarbe) den Juke Joint belagert. Einziges Highlight ist in diesem Teil eine Art musikalischer Gegenangriff der Vampire, als sie zu irischer Musik um ein Lagerfeuer tanzen. Obervampir Remmick versucht, die Nicht-Vampire aus dem Haus zu locken, indem er ihnen sagt, dass Hautfarbe unter Vampiren keine Rolle spiele – was er sogar ernst meint.
Der grosse Kampf zwischen Vampiren und Menschen im letzten Drittel ist durchaus unterhaltsam und erinnert an den Kultfilm «From Dusk Till Dawn» von Robert Rodriguez, in dem ein klassischer Crime Thriller sich unvermittelt in ein Vampirgemetzel verwandelte. Dieser Genre-Bruch spät im Film ist auch bei «Sinners» überraschend – angesichts des finanziellen Erfolgs des Films scheint Ryan Cooglers Idee beim Publikum Anklang zu finden.
Kulturelles Erbe
Der Regisseur liess sich vom Studio Warner Brothers vertraglich zusichern, dass er fünf Prozent der Gesamteinnahmen des Films erhält, ohne, dass zuvor die Auslagen des Studios davon abgezogen werden. Dies ist für einen so jungen Regisseur selten und war nur möglich, weil Coogler mit seiner ebenfalls für Warner produzierten «Rocky»-Fortsetzung «Creed» und den für Disneys Superheldenuniversum gedrehten «Black Panther»-Filmen sowohl Erfolg bei der Kritik als auch beim Publikum hatte. Dabei war es ihm auch stets wichtig, Rassismus in den USA anzuprangern. Diese Kritik war schon bei seinem Erstling «Fruitvale Station» von 2013 zentral, in dem er die reale Geschichte des von einem Polizisten in Oakland erschossenen Afroamerikaners Oscar Grant erzählte. Dank dieser über die Jahre aufgebauten Reputation war es ihm möglich, in den Verhandlungen mit Warner eine Klausel festzulegen, dass die Rechte an «Sinners» nach
25 Jahre an ihn zurückgehen.
Gerade in Zeiten, in denen die Wiederverwertung von Filmen über Streaming sehr lukrativ ist, kann es dabei um Millionen gehen. Coogler sagte dazu, es sei ihm wegen der Thematik des Films und angesichts der Unterdrückung seiner Vorfahren wichtig gewesen, dass
die kreative Kontrolle und die zukünftige Verwertung des Stoffes in seinen Händen blieben.
Zukünftiger Kultfilm?
Obwohl Coogler natürlich auch finanziell von diesem Deal mit dem Studio profitiert, ist er als Vorbild für junge Afroamerikaner:innen sicherlich wichtig, weil er vorzeigt, dass eine antirassistische Botschaft und Blockbuster mit grossem Budget sich nicht ausschliessen müssen. Man darf gespannt sein, ob Coogler in seinen nächsten Werken weiterhin bei massentauglichen Blockbustern mit einer gewissen Botschaft bleibt oder eher wieder ernsthaftere Dramen dreht. Fest steht, dass Stimmen wie seine in den USA aktuell dringender gebraucht werden als je zuvor.
Insgesamt hat Ryan Coogler einen kurzweiligen Blockbuster mit einer guten, antirassistischen Botschaft geschaffen. Der Entscheid, dass die Filmklimax einen Wechsel ins Genre des Vampirfilms beinhaltet, schadet dem Film als Gesamtwerk, könnte aber dazu geführt haben, dass er ein sehr grosser Publikumserfolg wurde. Gut möglich, dass sich «Sinners» über die Jahre zu einem Kultfilm entwickelt, was angesichts einiger starker
Szenen, politischer Botschaft und herausragendem Soundtrack auch absolut verdient wäre.