Jean Ziegler – das Leben eines Rebellen

Neuerdings ist er Vizepräsident des Beratenden Ausschusses der Menschenrechtskommission der Uno, was ihn aber nicht daran hindert, unentwegt den tagtäglichen Skandal des Welthungers in den Medien anzuprangern: soeben ist auf französisch sein neues Buch «Destruction massiv» erschienen, in dem er die neusten Skandale im Bereich der Nahrungsmittelspekulation aufdeckt (siehe unten!). In einem Interview zu seinem 75. Geburtstag, wies er es weit von sich, nun «weise» werden zu wollen. Im Gegenteil: seine Verve in den Diskussionen mit seinen nicht auf den Mund gefallenen GegenspielerInnen und seine Geduld mit BesucherInnen seiner Lesungen nehmen eher noch zu. Wenn er von aggressiven GesprächspartnerInnen unfair angegriffen wird, zieht er höchstens einmal eine Augenbraue hoch oder rückt die riesige, an Frischs und Dürrenmatts Augengläser erinnernde, Brille zurecht: «Monsieur Teflon» hat man ihn auch schon genannt, weil ihn nichts aus der Ruhe bringen kann, er selbst aber die Unruh einer Schweizer Uhr selber ist.

Die erste Ziegler-Biografie

Jürg Wegelin war bestimmt eine gute Wahl für eine erste, summarische Biographie über Jean Ziegler, nach Roger Federer der berühmteste Schweizer. Wegelin, der mit einer Biografie über Nicolas Hayek bekannt geworden ist («Mister Swatch»), war viele Jahre für die «Schweizerische Depeschenagentur» tätig, dann als Ressortleiter beim «Berner Bund» und bei der «Handelszeitung» angestellt, und wurde schliesslich zum Bundeshauskorrespondenten bei der Wirtschaftspostille «Cash» ernannt. Früher war ich schockiert, wenn ich lesen musste, wie Wegelin Ziegler in seinen Kolumnen im Bund in die Pfanne haute; Ziegler hat es ihm offensichtlich verziehen – nicht umsonst hat er sich zum Katholizismus bekehrt – , und Wegelin ist unter anderem dank dieser Gnade vom Saulus zum Paulus geworden. Wie übrigens der Mainstream der Schweizer Intellektuellen, die nach und nach merken, dass Ziegler eigentlich von Anfang an Recht hatte mit seinen Positionen was die Schweiz und den Kapitalismus betrifft. Zu recht positioniert Wegelin Ziegler in seinem Vorwort als politischen Antipoden des rechtspopulistischen Demagogen Christoph Blocher: «Für die einen ist Ziegler ein mutiger Kämpfer für eine bessere, von Hunger und Armut befreite Welt. Für die andern ist er ein Querulant und Nestbeschmutzer, der das Image der Schweiz im Ausland nachhaltig beschädigt.» Zwischen diesen beiden extremen Polen spielen sich die gründlichen Recherchen des versierten Journalisten Wegelin denn auch ab, wobei er auch das Privatleben seines Protagonisten nicht ausser Acht lässt. Zum ersten Mal werden dem staunenden Publikum Fotos preisgegeben, die Hans Ziegler, so sein wirklicher Name – es war Simone de Beauvoir, die in Paris seinen ersten Beitrag für die Zeitschrift «Temps Modernes» mit «Jean» unterzeichnen liess – in seinem persönlichen, ja sogar sehr privaten Umfeld zeigen: eine grosse Bereicherung im Vergleich zu den ewig gleichen Presseschnappschüssen vor Uno-Fahnen und andern Emblemen beim Händedruck mit andern Grossen dieser Welt. Wegelin hat sich für dieses Buch unzählige Male mit Ziegler im «Café des Cheminots» hinter dem Genfer Bahnhof getroffen, wo bis heute GewerkschafterInnen ein- und ausgehen. Aber Ziegler lädt JournalistInnen auch gerne bei sich ein. Sogar bei Zieglers zu Hause im idyllischen Winzerdorf  Russin, hoch über den Mäandern der Rhone gelegen, wo er heute mit seiner zweiten Ehefrau, der Architekturhistorikerin Erica Deuber-Pauli lebt, war Wegelin eingeladen.

Keine heiklen Themen ausgelassen

Das Buch liest sich wie ein Roman, der Roman eines noch lange nicht beendeten Lebens, das aus unzähligen kleinen, aber deswegen nicht unwichtigen Episoden besteht und auch nicht gradlinig verläuft, weder privat noch politisch, sondern immer wieder in den scheinbar stabilen Phasen von überraschenden Sprüngen und Brüchen rhythmisiert ist. Auf einen Lebensabschnitt zur Zeit der Epoche seiner Jugend in der Berner Oberländer Kleinstadt Thun angesprochen, wo er übrigens kürzlich den Preis der Stadt entgegen nehmen durfte, gibt Ziegler heute offen zu, dass er nicht mehr nachvollziehen könne, was damals in ihm vorgegangen sei, als er als Hauptmann der dortigen Kadetten mit einem Säbel an der Seite, flankiert von zwei jugendlichen Offizieren umherstolzierte, wie eine Illustration der Biografie schwarz auf weiss beweist. Und so lässt das interessante Buch von Wegelin keine heiklen Themen, keine gefährlichen Kurven aus, ohne dass der Biograf jeweils wegen des beschränkten Umfangs, der aber dem Nichthistoriker und auch der nicht primär politisch motivierten Leser in entgegenkommt, in die Tiefe sondieren könnte.

Was für Jean Zieglers unermüdlichen Kampfgeist zeugt, ist auch die Tatsache, dass auf französisch bereits sein nächstes Buch erschienen ist: sein Titel «Destruction massive, Géopolitique dela faim» (Seuil, Paris). Es behandelt die sich ununterbrochen zuspitzende Hungerkatastrophe im jetzigen Moment, da die Menschheit auf sieben Milliarden angewachsen ist, die unser Planet alle problemlos ernähren könnte, wenn die Nahrungsmittel endlich gerecht verteilt würden. Denn die Nahrungsmittel würden objektiv ausreichen, um 12 Milliarden zu ernähren, wie Ziegler nachweist.

Jürg Wegelin, Jean Ziegler – das Leben eines Rebellen, Verlag Nagel & Kimche,
Zürich. 192 Seiten, fester Einband,
mit vielen Abbildungen, 25.90 Franken.

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Ein Kommentar

  • Ulrich Mayer

    Guten Abend, ich habe 9 Bücher von Jean Ziegler und würde ihn gerne mal bei
    einer Lesung (Raum Stuttgart/München) persönlich kennenlernen.
    Ausgezeichnete Bücher, bin gerade dabei sein jüngstes Werk „Das Leben eines
    Rebellen“ zu lesen.
    Wer kann mir weiterhelfen?

    Mit freundlichem Gruß
    Ulrich Mayer
    7317 Wendlingen/N
    Erlenaustr. 15

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