Eine Zeitreise mit John Heartfield

Werner Schweizer. Der neue Animations-Dokumentarfilm «Johnny & Me» von Katrin Rothe unternimmt mit dem bekannten Fotomonteur John Heartfield eine Zeitreise – und geht der Frage nach, ob und wie heute mit politisch künstlerischer Arbeit eine gesellschaftliche Veränderung erzielt werden kann.

John Heartfield war mit seinen einzigartigen Fotomontagen einer der wichtigsten Agitatoren gegen die Nazis. Durch seine Mitarbeit in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung AJZ von 1930 bis 1938 und durch seine wirkungsvollen Plakate für die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) wurde sein Werk weltweit bekannt.

Monteur-Dada
Helmut Herzfeld wurde 1891 in Berlin geboren und nannte sich bereits 1916 «John Heartfield» – aus Protest gegen den englandfeindlichen Nationalismus im Deutschen Kaiserreich. Sein Vater Franz Herzfeld (Pseudonym: Franz Held) war Dichter und Sozialist. Er wurde wegen «Gotteslästerung» zu Gefängnis verurteilt und flüchtete darauf mit seiner Familie nach Weggis in die Schweiz. Dort wurde die Familie bald als «mittellose Ausländer» vertrieben und zog nach Salzburg.
Schon früh engagierte sich John Heartfield in der sozialistischen Bewegung. Gleich nach Gründung der KPD 1918 tritt er zusammen mit seinem Bruder Wieland, George Grosz und Erwin Piscator in die Partei ein; sein Parteibuch soll er von Rosa Luxemburg persönlich erhalten haben. Heartfield nimmt an der ersten internationalen Dada-Messe teil und gestaltet mit George Grosz den Umschlag des Buches: «Dada siegt: Eine Bilanz des Dadaismus». Dadurch ist er einer der wichtigsten Vertreter der Dada-Bewegung. In den gemeinsamen Auftritten mit den Künstlern tritt er als «Monteur-Dada» auf. Damit gilt er auch als Erfinder der politischen Fotomontage. Seine polemischen Arbeiten erleben in den 1930er-Jahren ihre grösste Bekanntheit und sind bis heute vielen Grafiker:innen ein Vorbild.

In Vergessenheit geraten
Nach der Niederlage des Nazi-Reiches und dem aufkommenden Anti-Kommunismus verloren Heartfields Montagen an Bedeutung. Erst in der Folge der Student:innenbewegung in den 1960er-Jahren wurde Heartfield neu entdeckt und eine bekannte Figur der progressiven Linken im Westen. Viele Grafiker:innen und Zeitungsgestalter:innen liessen sich von ihm inspirieren. Theo Pinkus, ein enger Freund von Heartfield, erlebte ihn sowohl in Berlin wie später in der DDR und ging gar mit einer eigenen Wanderausstellung mit Heartfields Werken auf Tournee. Doch dann geriet Heartfield wieder in Vergessenheit.
Umso überraschender und erfreulicher nun der Film von Katrin Rothe, einer Filmemacherin aus dem Osten Deutschlands, die sich mit dem Werk und dem Leben von John Heartfield in einem AnimaDok persönlich diesem in Vergessenheit geratenen Meister der Fotomontage widmet.

Bekannte und weniger bekannte Aspekte
Katrin Rothe erweckt den antifaschistischen Künstler in Form einer kleinen, sprechenden Figur auf spielerische Art zum Leben und erzählt chronologisch seine Biographie nach. Seine Lebensabschnitte werden im Film anhand animierter Sequenzen gezeigt, die eingebettet sind in Dialoge zwischen Heartfield und einer heutigen, jungen Grafikerin (gespielt von Stephanie Stremler), welche die Zuschauendenden stets in die Gegenwart holen. Stephanie steckt in einer Schaffens- und Sinnkrise und nutzt eine Auszeit von ihrem Job, um sich mit dem Leben und Wirken von Heartfield auseinanderzusetzen. Dabei stellt sie sich auch die Frage, was sie selber tun könnte, um mit ihrer künstlerischen Arbeit gesellschaftliche Veränderung zu erzielen. Denn genau darin war Heartfield erfolgreich. Seine Werke wie «Der Sinn des Hitlergrusses» oder «Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen» erlangten grosse Bekanntheit. Auch weniger bekannte Aspekte von Heartfields Leben werden im Film aufgegriffen. Zum Beispiel wie er sich mit seiner Gestaltung eines KPD-Wahlplakates für die Reichstagswahl am 20.Mai 1928 – «Fünf Finger hat die Hand, mit fünf Fingern packst du den Feind» – mit einer Genossin gegen den Parteivorsitzenden Ernst Thälmann und die traditionalistische Parteilinie durchsetzen musste, und so als Künstler zeitlebens eine gewisse Aussenseiterrolle einnahm.

Flucht nach England und Rückkehr nach Deutschland
1933 bricht die SS in sein Haus ein. Nur durch einen Sprung aus dem Fenster gelingt ihm die Flucht. Heartfield entkommt nach Prag, wo wöchentlich seine Fotomontagen gegen das Hitlerregime erscheinen. Seine besten Bilder entstehen in der tschechoslowakischen Hauptstadt. Er arbeitet manisch. Ein Weggefährte im Film beschreibt: «Der Hass seiner Feinde macht ihn produktiv». Hier gestaltet er auch Buchumschläge für den Malik-Verlag, den sein Bruder Wieland im Prager Exil weiterführte.
Im Frühjahr 1934 gibt es einen offiziellen Einspruch der Hitlerregierung gegen eine Ausstellung von Heartfield in Prag wegen «Verunglimpfung des Bildes des Führers». Dieser Zensur-Versuch beschert der Ausstellung einen Besucherrekord. Auf der Liste der meistgesuchten Personen steht Heartfield nun ganz oben. Im November 1934 wird er von den Nazis ausgebürgert und ist fortan staatenlos. 1938 flieht Heartfield nach England und bleibt dort bis zum Ende des Krieges.
Als Heartfield 1950 nach Deutschland zurückkehrt und nach Empfehlung seines Bruders in die DDR zieht, wird er nicht erwartungsgemäss mit offenen Armen empfangen. Aufgrund seines Exils in England wird ihm skeptisch begegnet: «Alle die nicht aus Moskau kommen, sind verdächtig» zitiert der Film ein Mitglied der Zentralen Parteikontrollkommission. Im Rahmen der gleichzeitg gestarteten Formalismusdebatte in der DDR wird seine Kunst abgelehnt. Ebenjene Kontrollkommission entscheidet 1951, dass Heartfield trotz seines Gesuches nicht in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED aufgenommen wird.
Kurz darauf erleidet er einen Herzinfarkt. Nachdem er sich von seiner Krankheit erholt hat, nimmt er 1954 seine Arbeit wieder auf, wird 1956 Mitglied der Akademie der Künste und zeitgleich in die SED aufgenommen. Zudem erhält er die Medaille für den Kämpfer gegen den Faschismus.

«Leider noch aktuell»
Heartfield stirbt am 26.April 1968 nach einer schweren Grippe. «Leider noch aktuell» betitelt John Heartfield 1967 seine letzten Ausstellungen in Skandinavien. Die Fotomontagen zum Dritten Reich «haben etwas Patina angesetzt», meint Heartfield damals im Katalog zur Ausstellung. «Aber haben sie dadurch an Bedeutung verloren? Leider nicht! Darum betitle ich meine Ausstellung ‹Leider noch aktuell›».
Wie würde John Heartfield heute auf den neu keimenden Faschismus und die aktuelle Kriegsbegeisterung mit seiner Kunst reagieren? Diese Frage stellt sich nach dem Film «Johnny & Me» uns allen.

Sämtliche Infos und Trailler hier

Vorführungen und Diskussion in der CH
Katrin Rothe begleitet ihren Film nach einer erfolgreichen Kinotour in Deutschland und Österreich nun auch in der Schweiz. Vorführungen in Anwesenheit der Regisseurin Katrin Rothe und Crew:

Donnerstag. 4. Dezember, Kinok, St. Gallen, 20 Uhr
Freitag, 5. Dezember, Kino Sputnik Liestal, 15 Uhr
Samstag, 6. Dezember, Stadtkino Luzern, 13.15 Uhr
Samstag, 6. Dezember, Kino in der Reithalle, Bern, 20 Uhr
Sonntag, 7. Dezember, Kino Riff-Raff, Zürich, 11 Uhr

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