«Ich bin nur ein Mann und kein Prophet»
Von der bürgerlichen Presse totgeschwiegen jährte sich am 11. Mai zum dreissigsten Mal der Todestag von Reggea-König Bob Marley. Mit seiner Band «The Wailers» eroberte er die Welt. Seine Lieder sind heute noch Botschaften für eine Welt ohne Unterdrückung. Eine Hommage an einen der grössten Musiker der Geschichte und bedeutendsten Männer des 20. Jahrhunderts.
Beim Lesen des Buchs «Bob Marley, the untold story» (Bob Marley, die unerzählte Geschichte) von Chris Salewicz erfährt man Dinge über den Reggae-König, welche der Öffentlichkeit wenig bekannt sind: Zum Beispiel, dass Bob als kleiner Junge den Menschen die Hand gelesen hat und ihnen die Zukunft voraussagte. Weitgehend unbekannt ist auch, dass Marley im Jahr 1966 als Prolet am Fliessband des Autokonzerns Chrysler im Bundesstaat Delaware an der Ostküste der USA seine Brötchen verdiente. Und man erfährt, dass er bereits als Kind und in seiner Jugendzeit sich immer wieder am rechten Bein verletzte. Jenes Bein, von dem sich der Krebs durch seinen ganzen Körper frass und am 11.Mai 1981 zum Tod führte. Er starb in einem Spital in Miami. Zehn Tage später, am 21. Mai 1981, strömten 100‘000 Menschen von Kingstown-Downtown, dem Armenviertel der Hauptstadt Jamaikas, um an der Beerdigung teilzunehmen.
Die Insel und das Leben in den Ghettos
Jamaika ist die Heimat von Bob Marley. Bevor Christoph Kolumbus die Insel entdeckte, wurde sie die «Insel des Frühlings» genannt und von den «Arawak» bewohnt. Jamaika hat eine blutige Geschichte: Zuerst die Ausrottung der «Arawak», dann drei Jahrhunderte der Deportationen, der Sklaverei und der brutalen Unterdrücken durch die Spanier und Engländer. Jamaika hat aber auch eine Revolutionskultur: Die Sklaven, die so genannten «Maroons», leisteten zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert einen Jahren langen, bewaffneten Widerstand in den Bergen gegen die Engländer. Die Hauptstadt Kingstown ist eine Stadt voller Widersprüche, von den bewachten Villen im «Holywood-Style» der Superreichen an den Hängen der «Blue Mountains» bis zu den Blechbaracken in Downtown. «Die Quartiere in Downtowns sind Ghettos der Armut», schreibt Michele Cinque in der Kulturbeilage «Alias» der italienischen, kommunistischen Tageszeitung «il manifesto» und fügt hinzu: «Aus dem Ghetto kommst du entweder mit der Musik, mit der Leichtathletik oder mit der Pistole raus!» In Downtown findet das Leben ausserhalb der Häuser statt. An den Wochenenden fahren die Lastwagen mit riesigen Boxen vor und die Menschen tanzen und feiern bis in die frühen Morgenstunden. In diesen Ghettos liegen die Wurzeln des Reggaes. In einem solchen Ghetto, in Trenchtown, wurde Bob Marley am 6. Februar 1945 geboren. Die Geschichte seines Landes, das Leben und die Menschen in den Ghettos von Kingstown prägten sein eigenes Leben, seine Musik und die gesamte Rastafari-Bewegung bis heute.
Von der Politik hat sich Marley immer fern gehalten. Er hat eine eigene Vision der Welt und ihrer Ungerechtigkeiten entgegenhalten. In seinen Botschaften hat er immer den Kolonialismus, die Sklaverei, die Unterdrückung der Menschen und den Imperialismus ohne Wenn und Aber aufs schärfste verurteilt. Im Lied «War» singt er: «Ein Grundrecht der Menschen ist Gleichheit, ohne Rücksicht auf den Kapitalismus (…) bis die runtergekommenen und unglücklichen Regime gestürzt und zerstört werden, die unsere Brüder in Angola, in Mosambik, und Südafrika als Untermenschen gefesselt halten, ist Krieg. Ich sage Krieg. Und bis zu diesem Tag kennt der afrikanische Kontinent keinen Frieden, wir kennen keinen Frieden. Wir Afrikaner werden kämpfen, wir halten das für notwendig. Wir wissen, dass wir gewinnen können. Wir sind überzeugt von dem Sieg. Wir brauchen nicht noch mehr Ärger, oh nein nein nein, nicht noch mehr ärger, was wir brauchen ist Liebe!»
Attentat durch die CIA?
Ohne Zweifel war Bob Marley ein äusserst unbequemer Zeitgenosse für die Mächtigen der Welt. So unbequem, dass er im 1976 Opfer eines Attentats in seinem eigenen Haus in Kingstown wurde. Er überlebte nur knapp und mit viel Glück. Im Song «Ambush in the night» (Hinterhalt in der Nacht) singt er über dieses schreckliche Erlebnis: «Alle Waffen gegen mich gerichtet, ein Hinterhalt in der Nacht. Sie haben gegen mich das Feuer eröffnet, ich sehe sie kämpfen für ihre Macht.» Die Gründe und die Täter des Anschlags sind bis heute nicht bekannt. Doch für Don Tayler, den Manager von Bob Marley, der beim Attentat ebenfalls verletzt wurde, ist klar, dass die CIA die Hände im Spiel hatte. Nicht zuletzt deswegen, weil der Mordversuch wenige Tage vor dem Friedenskonzert «Smile Jamaica» durchgeführt wurde.
Äusserst widersprüchlich war die Beziehung von Marley zu den Frauen, die ihm zu Füssen lagen. Rita Marley, die Ehefrau von Bob, hat in ihrem Buch «No Women, no Cry. Mein Leben mit Bob Marley» offen ihre Beziehung zum King des Reggea geschildert. Sie schreibt über die Launen, die Eifersuchtszenen und Betrügereien ihres Ehemannes.
Die Vorherschaft der Männer auf Jamaica zieht sich durch die ganze jamaikanische Gesellschaft. Sie zeigt sich auch in der Vormachtstellung der Männer in der Musik: Äusserst selten gelingt einer Frau aus Jamaica der musikalische Durchbruch und dies aus sexistischen Gründen. Gefragt nach der sexistischen Ausgrenzungen der Frauen innerhalb der Rastafari-Kultur, sagte Bob Marley: «Die Frauen sind unsere Mütter. Wir haben Mütter und Ehefrauen und es sind Frauen (…) alles andere als Rollen.» (Regga News, 1980) Schwammiger könnte die Antwort des guten Bobs nicht sein. Auch heute noch sind Sexismus und Homophobie unwürdige Begleiterscheinungen, mit denen die Rastafari-Bewegung zu kämpfen hat.
Heute noch überall präsent
Bob Marley ist in Jamaika ein Nationalheld. Er hat mit seiner Musik die Identität und Würde zurückgebracht, die durch Jahrhunderte der Sklaverei ausgerottet wurde. Durch ihn wurde Jamaika weltbekannt und die Jamaikaner sind wieder stolz auf ihre Insel. Auch 30 Jahre nach seinem Tod ist Bob Marly auf Jamaika überall präsent: In den Worten der Menschen, seine Musik erklingt aus jeder Ecke, auf der Strasse und in der Schule singen die Kinder seine Lieder und selbst die nationale Telefongesellschaft wirbt mit einem Foto von Bob Marley. Der unsterbliche Stellenwert von Bob in der jamaikanischen Gesellschaft bringt Tony, der sich als Autospengler in Kingstown-Downtown durchschlägt, bestens auf den Punkt: «Marley hat seinem Volk die Augen geöffnet. Heute noch lernen durch seine Lieder viele Menschen das Lesen und das Schreiben hier in Downtown». Der König des Reggea wurde wegen seinem Charisma und seinem Mut oft mit Melcom X verglichen. Bob sagte jedoch immer wieder: «Ich bin nur ein Mann und kein Prophet. Ich kenne einige Wörter und weiss, wie sie zu gebrauchen.» Bob Marley war und ist eine Ikone der Musiker und einer der bedeutendsten Männer des 20. Jahrhunderts.