«Wir müssen uns vorbereiten»

Andrea/SDAJ. Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) unterstützt die Regierung von Nicolás Maduro, benennt aber auch ganz klar die Unterschiede zu dessen sozialdemokratischen Partei. Interview mit Carolus Wimmer, Internationaler Sekretär der PCV über die aktuelle Situation in dem lateinamerikanischen Land.

 

Wie bewertet ihr den Wahlsieg?

Carolus Wimmer: Der Sieg von Maduro ist für uns ein wichtiger und guter Wahlsieg – aber kein Sieg zum Feiern, sondern einer, um vieles zu durchdenken, um Kritik und Selbstkritik zu üben. Die USA, unterstützt von der EU, wollten, dass die Wahlen gar nicht stattfinden. Sie haben schon vor der Wahl angekündigt, dass sie das Wahlergebnis nicht anerkennen werden. Die Bourgeoisie in Venezuela hat am Wahlsonntag einen Generalstreik im Transportwesen durchgeführt. Dass die Wahl überhaupt stattfinden konnte – und das sogar erfolgreich und ruhig – ist ein Beweis dafür, dass die Mehrheit der Bevölkerung Frieden und Demokratie will. Für uns bedeutet Demokratie eben auch das Recht der Bevölkerung, durch Wahlen zu entscheiden, wer ihr Präsident sein soll.

Die Wahlbeteiligung und die absolute Stimmenzahl für Maduro war deutlich geringer als bei der letzten Wahl. Warum?

Das lag erst einmal daran, dass die Opposition zum Boykott der Wahl aufgerufen hat. Trotzdem hat ein Teil der Opposition an der Wahl teilgenommen, es waren demokratische Wahlen mit vier Gegenkandidaten gegen Maduro. Da die Opposition grösstenteils nicht teilnahm, haben vermutlich auch viele unserer WählerInnen gesagt «Ja, der gewinnt sowieso» und sind nicht wählen gegangen. Im Vergleich zu andern lateinamerikanischen Ländern hatten wir eine hohe Wahlbeteiligung – für unser Land sind wir unzufrieden, aber sie ist höher als in Kolumbien, Argentinien, Chile, Brasilien etc. Es ist also eine Zahl, die man relativieren muss.

Warum habt ihr als kommunistische Partei Maduro unterstützt?

Wir haben Maduro unter dem Slogan «Einheit zur Verteidigung des Vaterlands» unterstützt. Venezuela ist ein kapitalistisches Land mit den normalen Widersprüchen eines kapitalistischen Landes und wir haben auch Widersprüche mit unserem Verbündeten, der PSUV, die eine sozialdemokratische Partei ist. Aber für uns steht im Moment die Verteidigung der nationalen Souveränität Venezuelas im Vordergrund, gegen die Einmischung, gegen die militärische Drohung von USA und EU. Für uns war damit klar, dass diese Gemeinsamkeit über Unterschieden mit der PSUV steht, die wir trotzdem im Wahlkampf thematisiert haben.

Ihr hattet ein Abkommen mit der PSUV als kommunistische Partei. Was war Inhalt und Ziel dieses Abkommens?

Wir haben Maduro unterstützt, aber unter der Bedingung, dass ein gemeinsamer Minimalplan besteht, darum haben wir uns auf ein Abkommen mit der PSUV geeinigt. Das Abkommen abzuschliessen war nicht leicht, aber trotzdem erfolgreich. Für uns ist es ein Programm für den Kampf zur Verteidigung der ArbeiterInnenklasse und es enthält viele Vorschläge, mit denen Schwierigkeiten und Fehler korrigiert werden. Das ist seit 19 Jahren das erste gemeinsame Programm zwischen PCV und PSUV in Venezuela und deshalb sehen wir es als erfolgreich an, aber auch als nötig. Ohne dieses Programm wäre unsere Unterstützung für Maduro nicht sicher gewesen.

Was sind die zentralen Inhalte des Abkommens?

Das Programm besteht aus insgesamt 19 Punkten, auf die wir uns mit der PSUV einigen konnten. Dazu gehört, dass wir eine kollektive Leitung des revolutionären Prozesses brauchen – revolutionär im Sinne der nationalen Befreiung, nicht im Sinne des Sozialismus. Aus unserer Sicht haben wir in Venezuela viele Probleme, weil die Lohnabhängigen noch keine leitende Stellung eingenommen haben. Sie können zwar wählen, aber die leitenden Stellungen sind immer noch durch die Bourgeoisie besetzt.
Weitere Punkte sind der Kampf gegen die Korruption, die Forderung einer zentralisierten Planung, der Kampf gegen die Privilegien der Bourgeoisie, die Forderung, dass in der schwierigen Wirtschaftslage Venezuelas kein Dollar an die Bourgeoisie geht. Ein weiteres wichtiges Thema ist für uns die Weiterentwicklung der Produktion. Venezuela ist ein Erdölland, wir leben jetzt über ein Jahrhundert vom Erdöl und fordern, dass das Land weiter industrialisiert wird. Nicht nur in Mammutprojekten, die ja existieren, sondern auch in mittleren und kleinen Betrieben, in Handwerksbetrieben, in der Landwirtschaft. Es ist kein sozialistisches Programm, aber ein positiver Anfang, wenn die Regierung wirklich bereit ist, die Situation konkret zu verbessern und die Punkte umzusetzen.

In welchen Punkten unterscheidet ihr euch von der PSUV?

Der Unterschied zwischen uns und der PSUV liegt zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie. Das ist für uns im Moment nicht der Hauptpunkt, aber wir kämpfen für den Sozialismus. Sozialismus, das ist die Befreiung der Menschen von der Ausbeutung, die Macht an die ArbeiterInnenklasse und Lohnabhängigen und Arbeitenden.
Unsere theoretische Grundlage ist der Marxismus-Leninismus und wir können im 200. Jahr des Geburtstags von Karl Marx beweisen, dass in Venezuela schon grosse Fortschritte gemacht wurden, speziell im Überbau. Marx spricht ja von der ökonomischen Basis und vom Überbau. Aber was ist das letztlich Entscheidende? Die ökonomische Basis. Das bedeutet, dass auch das Bewusstsein der Menschen letztlich durch die ökonomische Situation bestimmt ist. In diesem Punkt gab es ein falsches Verständnis in den ganzen fortschrittlichen Prozessen in Lateinamerika – in Argentinien, in Brasilien mit Lula, in Ecuador mit Correa etc. Sie konzentrierten sich alle auf den Überbau – Erziehung, Gesundheitswesen, Wohnungsbau, neue Verfassung, partizipative Demokratie, Kultur, Sport; alles hübsch, schön und gut. In Venezuela funktionierte das auch alles und als der Erdölpreis sehr hoch war, konnte man viel Geld in die Entwicklung des Überbaus stecken. Durch den Fall des Erdölpreises hat uns aber die Realität getroffen.

Welche Rolle spielen die Angriffe des US-Imperialismus und der EU?

Uns ist klar, dass, wenn der Klassenkampf vorankommt – und er ist in Venezuela zweifellos vorangekommen – der Klassenfeind reagiert. Der lässt uns zwischendurch mal etwas in Ruhe, wenn wir keine Gefahr darstellen, aber wenn unsere Arbeit und unser Kampf vorankommt und die Privilegien der Bourgeoisie, der internationalen Monopole in Gefahr sind, kommt natürlich eine Reaktion. Als KommunistInnen darf man das nicht irgendwie als Tragödie ansehen, sondern wir sind eben gegen den Burgfrieden des Kapitalismus, wo er ausbeuten kann, ohne grossen Widerstand, wir sind für den Kampf, um uns eben zu befreien. Dieser Klassenfeind wird natürlich all unsere Schwächen ausnutzen. Unsere Hauptschwäche ist die schwache ökonomische Basis in Venezuela. Alles hängt vom Monoprodukt Erdöl ab. Die ganze Infrastruktur entspricht z.B. nicht den Notwendigkeiten eines unabhängigen und produktiven Landes, sondern ist ausschliesslich auf den Export ausgerichtet. Das heisst die ganzen Städte sind an der Küste, im Hinterland gibt es im Prinzip keine. Strassen und Schienen und alles Weitere sind eigentlich nur von den Erdöltürmen oder von den Bergwerken zur Küste gebaut worden. Die ganze Struktur ist geplant für die Ausbeutung des Landes, der Rohstoffe und für den Gewinn der grossen Monopole und der imperialistischen Länder.
Es ist logisch, dass die imperialistischen Länder versuchen, unsere Länder zu kontrollieren, und dass jeglicher Widerstand dort bekämpft wird. Das zeigen nicht zuletzt die vielen Kriege in Afrika und das zeigt auch das Beispiel Venezuela. Denn was passiert in Venezuela? Seit 19 Jahren leistet ein kleines und schwaches Land Widerstand gegen die immer noch grösste militärisch-imperialistische Macht. Ähnlich wie Kuba, ähnlich wie Bolivien, aber eben, und das ist auch ein Unterschied, durch den Reichtum von Venezuela. Wenn wir ein armes Land wären, oder ohne viele Bodenschätze, würden sie das wahrscheinlich mit mehr Geduld betrachten. Aber der Imperialismus ist gierig und darum wird sich der Plan der USA, und auch der EU als Vertreterin des europäischen Kapitalismus, sich diese Bodenschätze unter den Nagel zu reissen, nicht ändern.

Was bedeutet das für euch?

Das heisst, wir müssen uns vorbereiten auf einen langen Kampf wie Kuba oder wie andere Länder, die das erfolgreich gemacht haben, zum Beispiel Vietnam. Wir sind zwar eine kleine Partei, aber wir spielen eine wichtige Rolle, z.B. hinsichtlich unseres Beitrags zur Organisierung der ArbeiterInnenklasse oder hinsichtlich der arbeitenden Jugend. Das ist eine grosse Aufgabe, aber auch eine grosse Möglichkeit. Und aktuell ist das in unserer bolivarischen Revolution noch zugespitzter: Der Kampf bringt Schwierigkeiten und Gefahren mit sich, aber das ist auch eine grosse Möglichkeit, die Sache zu ändern. Wenn der Klassenkampf sehr schwach entwickelt ist, ändert sich fast nichts und die imperialistischen Länder können in Ruhe ausbeuten.
Venezuela hat sehr viel Solidarität gegeben, speziell in Lateinamerika, aber auch anderswo. Den revolutionären Prozess in Venezuela zu verstärken, bedeutet auch, dass wir auch andere Freiheitskämpfe unterstützen. Deshalb gehören wir für den US-Imperialismus zur «Achse des Bösen». Das zeigt die Gefahr eines offenen Angriffs der USA auf Venezuela. Das stellt uns vor eine komplizierte Situation: Wir, die wir für Revolution und Sozialismus kämpfen, kämpfen auch immer für den Frieden, für die Freiheit von imperialistischen Kriegen. Wenn uns nun der Imperialismus mit Krieg droht, dann müssen wir fähig sein, uns zu verteidigen. Im Moment kämpfen wir natürlich in diesem kapitalistischen System. Das bedeutet, wir kämpfen für Reformen. Gleichzeitig kämpfen wir auch für die Revolution, weil wir wissen, die Reformen sind immer beschränkt. Das heisst auch, für den Frieden zu kämpfen, und gleichzeitig müssen wir uns jetzt militärisch auf einen möglichen Angriff vorbereiten und nicht erst dann reagieren, wenn er da ist.
Das ist eine Lehre aus dem faschistischen Putsch in Chile 1973. Da wurde ja im Nachhinein kritisiert, und von aussen ist es immer leichter zu kritisieren, dass die den Streitkräften vertraut haben. Es wurde gehofft, dass in einer Demokratie, in der es über 100 Jahre keinen Putsch gab, während überall geputscht wurde, es auch in Zukunft keinen geben würde. Aber es gab eben 100 Jahre lang keine Notwendigkeit zum Putschen für die Bourgeoisie. Dann wurde zwar keine revolutionäre Regierung, aber eine fortschrittliche, demokratische Regierung gewählt, was für die chilenische Bourgeoisie und den US-Imperialismus offensichtlich Grund genug für einen Militärputsch war. Das war ein unwahrscheinliches Verbrechen und das wird überall so sein, wo wir nicht gut vorbereitet sind. Ein weiteres wichtiges Beispiel ist Kuba. Der Imperialismus, und vor allem der US-amerikanische, haben viel dafür getan, dass das sozialistische Kuba verschwindet, aber es ist ihnen bisher nicht gelungen. Denn seit fast 60 Jahren ist die Einheit des kubanischen Volkes stärker. Es ist diese Einheit des Volkes, die für uns auch in Venezuela sehr nötig ist. Deshalb unterstützen wir als kommunistische Partei Venezuelas die Union der zivilen und militärischen Bevölkerung. Das ist auch ein wichtiger Grund, warum die Regierung von Maduro noch überlebt. Wenn die Streitkräfte gespalten werden oder gegen die Regierung wären, dann wäre es schlimm. Das mag für Linke in Europa paradox erscheinen – aber wir sagen, wir müssen auch fähig sein, uns zu verteidigen, weil wir kein imperialistisches Land sind wie die USA oder die Staaten der EU.

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