Eine Bewegung über die Wahlen hinaus

Potere al Popolo. Am 4. März wird in Italien ein neues Parlament gewählt. Die Aussichten sind düster: In den letzten Jahren hat Italien einen Rechtsrutsch aller institutionellen Parteien und einen massiven Angriff auf die Rechte der ArbeiterInnen erlebt. Potere al Popolo will darauf eine Antwort von unten sein. Die Wurzeln der Bewegung liegen in den sozialen Kämpfen.

Potere al Popolo, so heisst eine im November 2017 ins Leben gerufene politische Bewegung, die an den kommenden Wahlen in Italien antreten wird. Potere al Popolo – sinngemäss am ehesten mit «alle Macht den ArbeiterInnen» zu übersetzen – ist nach einem Aufruf der AktivistInnen des Centro sociale «Ex-Opg Je so’ Pazzo» in Neapel entstanden. Das Ex-Opg ist ein 2008 verlassenes psychiatrisches Gefängnis, welches im März 2015 besetzt wurde, um darin soziale Aktivitäten für und mit den QuartierbewohnerInnen zu entwickeln.
«An den kommenden Wahlen wird es keine politische Kraft geben, welche unsere Bedürfnisse und diejenigen der grossen Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes aufnimmt und sie zu beantworten weiss. Wenn uns niemand vertritt und wir aber die Mehrheit dieses Landes darstellen, warum versuchen wir nicht, uns selber zu vertreten? Warum wagen wir diesen Schritt nicht?», heisst es im Video-Aufruf. Diesem Aufruf sind neben kleineren linksradikalen Parteien in erster Linie linke Vereine, Basisgewerkschaften, Basisinitiativen und Personen gefolgt, die prekär leben und arbeiten. Menschen, welche die tägliche Gewalt der aktuellen politischen und ökonomischen Krise am eigenen Körper erfahren. Innerhalb von acht Wochen wurden zwei Versammlungen mit jeweils mehr als 1000 Aktivist-Innen aus ganz Italien und über 150 regionale Versammlungen zur Konstituierung von Potere al Popolo organisiert. Dies alleine ist ein wichtiger Erfolg dieser neuen politischen Bewegung, die in den sozialen Kämpfen ihre Wurzeln hat.

Eine destrukturierte Linke
In den Folgejahren der «Niederlage» der globalisierungskritischen Bewegung Anfang der 2000er Jahren wurde die italienische Linke auf der institutionellen Ebene stark destrukturiert. Nach und nach verlor sie auf nationaler Ebene institutionellen Einfluss und schied 2008 ganz aus dem Parlament aus. Aber auch die sozialen Bewegungen verloren immer mehr an Kraft, sodass in den letzten fünf Jahren kaum eine Mobilisierung von unten organisiert wurde, welche eine vereinigende Antwort auf die Fragmentierung der sozialen Kämpfe hätte sein können. Grob kann das Bild der italienischen Linken so skizziert werden: Auf der lokalen Ebene besteht eine Vielzahl von sozialen Basisinitiativen, die von den Centri sociali und lokalen Vereinen organisiert und angeboten werden. Alternative Krippenplätze und Sportangebote, juristische Unterstützung von MigrantInnen und ArbeiterInnen, Gassenküchen als Antwort auf die sich immer weiter verbreitende Armut und vieles mehr: Die radikale Linke hat sich auf die unmittelbaren Bedürfnisse der Ausgebeuteten und Unterdrückten konzentriert – Bedürfnisse, welche kaum noch von den öffentlichen Institutionen oder von den traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften, Volkshäuser etc.) beantwortet werden. Auf der einen Seite ist das eine positive Entwicklung, da dadurch die radikale Linke vermehrt mit den sozialen und politischen Subjekten der gesellschaftlichen Veränderung in Verbindung steht. So werden die sozialen Bedürfnisse «politisiert». Doch diese Politisierung bleibt auf der lokalen Ebene stehen und findet keinen Ausdruck auf der nationalen Ebene. Das sind der Widerspruch und die grosse Herausforderung, mit der sich heute die radikale Linke konfrontieren muss.

Zum politischen Subjekt
Potere al Popolo ist eine Antwort auf diesen Widerspruch. Daher geht es Potere al Popolo nicht darum, nach den Wahlen vom 4. März die Zusammenarbeit zwischen denjenigen politischen und sozialen Kräften, die sich im Programm wiedererkennen, abzubrechen und erneut in die lokalen Aktivitäten zurückzukehren. Potere al Popolo ist viel mehr als nur eine Wahlliste und ein Programm, sie ist ein Instrument und eine politische Herangehensweise, um die radikale Linke wieder im sozialen Terrain der Ausgebeuteten und Unterdrückten aufzubauen. Die Wahlen stellen einen von vielen Momenten dar, um die nötige Verbindung zwischen den politischen AktivistInnen und der Klasse zu knüpfen und zu festigen.
Die letzten Wochen des Wahlkampfes werden stark beeinflusst sein von den Ereignissen in Macerata, wo ein Rechtsextremist auf eine Gruppe von Menschen aus Afrika schoss und dabei sechs Personen verletzte. Beim Täter handelt es sich um einen 28-jährigen, der noch vor einem Jahr für die rassistische «Lega» von Matteo Salvini kandidierte. In den politischen TV-Talkshows wird nun fast ausschliesslich über die Legitimität dieser Tat gestritten. Es scheint ein Konsens zu sein, dass es völlig normal ist, wenn ein weisser Mann auf eine Gruppe von schwarzen Menschen schiesst. Die Aufgabe von Potere al Popolo wird also sein, während dieses Wahlkampfes die Werte des Antirassismus und des Antifaschismus zu verteidigen – dies jedoch nicht nur mit Worten, sondern mit den alltäglichen sozialen Aktivitäten an der Basis.

 

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