Zollwunder mit Nebenwirkungen
dom. Der jüngste Deal mit Trump senkt die US-Zölle deutlich, verlangt von der Schweiz aber milliardenschwere Investitionen, sicherheitspolitische Zugeständnisse und ein Ende des Sonderwegs – der Druck auf die Schweiz wächst von allen Seiten.
Nun also doch nur 15 Prozent. Bei dem, was die Schweiz, Lichtenstein und die USA Mitte November unterzeichneten, handelt es sich zwar nur um eine Absichtserklärung – mit Blick auf Trumps Strategie, Unsicherheiten zu schaffen und abrupte Kurswechsel zu vollziehen, ist also Vorsicht angezeigt. Und auch von Seiten der Schweiz könnte der Deal gekippt werden – die SP hat bereits eine entsprechende Petition lanciert. Dennoch stehen die Chancen gut, dass die 39prozentigen US-Zölle vorerst abgewendet sind.
Ein Deal von wem für wen?
Trumps Strategie scheint aufzugehen. Wer wie die Schweiz – und eigentlich alle ausser China – am kürzeren Hebel sitzt, wird mit Drohungen zu Zugeständnissen
gezwungen. Gemäss Absichtserklärung begrenzen die USA ihre Zölle für Schweizer Importe auf 15 Prozent – also auf EU-Niveau. Im Gegenzug verpflichten sich Schweizer Unternehmen, bis 2028 rund 200 Milliarden US-Dollar in den USA zu investieren – etwa in den Bereichen Pharma, Infrastruktur und Aviatik. Zugleich baut die Schweiz ihre Zölle auf zahlreiche US-Güter ab: auf sämtliche Industrieprodukte, auf Fisch und Meeresfrüchte, sowie auf nicht-sensitive Agrarprodukte – also jene Produkte, deren Import die heimische Landwirtschaft nicht wesentlich bedroht. Weiter werden zollfreie Kontingente festgelegt, unter anderem für Rindfleisch (500 Tonnen), Bisonfleisch (1000 Tonnen) und Geflügel (1500 Tonnen).
Seit dem Zollhammer vom 1.August hat Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Führung in den Verhandlungen übernommen, ist nach Washington gereist – von Trump selbst wurde er aber nicht empfangen. Dieser traf sich stattdessen mit führenden Vertretern des Schweizer Kapitals. Tatsächlich kam es zum Durchbruch in den Zoll-Verhandlungen erst, nachdem eine Delegation von Milliardären im Oval Office vorstellig wurde – Rolex-Tischuhr und Goldbarren als Geschenke inklusive.
«Gut gemacht, Herr Bundesrat Parmelin!», feierte die SVP: «Katastrophe abgewendet». Als erbitterte Gegnerin der Bilateralen-III und Verfechterin pragmatischer Sonderwege fürchtete die Partei, die «EU-Turbos» würden angesichts der hohen US-Zölle an Fahrt gewinnen – hatten diese doch zur Stärkung ihres Arguments gerne auf den
relativ tiefen Zoll von 15 Prozent verwiesen, den die EU aufgebrummt bekommen hatte. Aber auch Wirtschaftsverbände, Medien und grosse Teile des Bürgertums sind erleichtert, der Blick titelte gar, die Schweiz habe den «Trump-Code geknackt» und ein «Zollwunder» geschaffen.
Unterwerfung?
Die SPS hingegen stört sich an der Intransparenz des Deals. Demokratische Regeln seien umgangen, zentrale Versprechen gegenüber den USA vom Bundesrat nicht kommuniziert worden. Weder die Konzernchefs noch der Bundesrat hätten offengelegt, welchen Preis «Bevölkerung und öffentliche Hand» für den Deal zahlen müssten. Der Deal bedeute eine «Unterwerfung unter US-Aussenpolitik», die Schweiz werde «Chlorhühner, Cybertrucks oder Implantate importieren», obwohl diese «nicht unseren Standards» entsprächen.
Tatsächlich berichteten die «NZZ am Sonntag» und die «Sonntagszeitung» von deutlich weiterreichenden Zugeständnissen, als vorerst kommuniziert – vor allem im sicherheitspolitischen Bereich. Etwa wurde eine engere Zusammenarbeit bei Wirtschaftssicherheit, Sanktionen, Exportkontrollen und Investitionskontrollen vereinbart – also bei zentralen Instrumenten der US-Aussen- und Sicherheitspolitik. Auch auf die regulatorischen und steuerpolitischen Zugeständnisse, etwa bei der Digitalsteuer, hatte der Bundesrat nicht hinweisen wollen: Gemäss Absichtserklärung sollen auf Dienstleistungen von Konzernen wie Google, Meta oder Amazon weiterhin keine Digitalsteuern erhoben werden.
Druck von allen Seiten
Die SP nutzte den Deal umgehend, um Werbung für die EU zu schalten: Während die Bilateralen-III «Wohlstand und Lohnschutz» sicherten, habe sich die Schweiz den «Deal mit dem Neofaschisten Trump» 200 Milliarden und 15 Prozent Zölle kosten lassen, so Co-Präsident Cédric Wermuth. Was ihm dabei entgeht: Es ist nicht alleine Trump, der an einer Wirtschaftsordnung arbeitet, in der es für Ausnahmen keinen Platz mehr geben soll. Gerade die Verhandlungen um die Bilateralen-III zeigen: Auch die EU macht die Räume enger, schliesst die Reihen und treibt die Blocklogik voran.
Dass es sich beim jüngsten Deal mit den USA nicht nur um ein Zoll- und Investitionspaket handelt, sondern auch um ein sicherheits- und geopolitisches Geschäft, ist keine Überraschung. Bereits vor der Unterzeichnung des Abkommens machten sich bürgerliche Kräfte für den zusätzlichen Kauf US-amerikanischer Rüstungsgüter stark, um das Verhandlungsgewicht in den laufenden Gesprächen zu erhöhen.
Nur ein weiteres Kapitel
Für die Schweiz, deren vorteilhafte Stellung in der globalisierten Welt wesentlich auf Ausnahmen beruht, wird die Situation damit zunehmend ungemütlich. Starker Schutz der heimischen Landwirtschaft; ein weltweites, dichtes Netz von Freihandelsabkommen, bilateralen Verträgen und selektiven Sektorabkommen; Bankgeheimnis; Steueranreize und kantonaler Steuerwettbewerb; eine vergleichsweise offensive Devisenmarktpolitik der Schweizerischen Nationalbank – all das gerät unter Druck.
Insofern bildet der neueste Zoll-Deal weniger das Ende eines Streits als das nächste Kapitel einer grösseren Auseinandersetzung darüber, was die Schweiz sein will – beziehungsweise noch sein kann: ein Land, das seine Sonderwege verteidigt, oder eine integrierte Exportökonomie, die bereit ist, in heiklen Bereichen Zugeständnisse zu machen, um sich den Zugang zu grossen Märkten zu sichern.
