Wer zahlt den Zoll?
dom. Die USA lassen 39-Prozent-Zölle auf Schweizer Exporte bestehen. Trumps Ziel angesichts der umfassenden Krise: Das US-Güterdefizit muss weg. Die Schweizer Politik ringt um Antworten – zwischen Standort-Fitnessprogramm und Rettung des Freihandels.
Die ersten Schockwellen haben sich gelegt, die Zölle bleiben: 39 Prozent auf Schweizer Exporte in die USA. Pharmaprodukte sind weiterhin ausgenommen, beim Gold gab es ein Hin und Her: Zwischenzeitlich sah es aus, als würden die Zölle auch für Ein-Kilo-Goldbarren gelten – das wäre ein weiterer harter Schlag gewesen: Die Schweizer Industrie verarbeitet 30 bis 40 Prozent
des weltweit zirkulierenden Goldes. Inzwischen hat Trump die Goldzölle wieder zurückgenommen – fürs
Erste jedenfalls.
Was ist Trumps Problem?
Jahrelang meinten Industrie und Politik, die Schweiz exportiere Maschinen, Pharmazeutika und Luxusprodukte, die so hochwertig und spezifisch seien, dass sie auf dem Weltmarkt unverzichtbar wären. Strafzölle könnten der Schweiz nur wenig anhaben, weil deren Produkte so gefragt sind, dass sich Abnehmerländer mit Strafzöllen vor allem selbst schaden würden – mag sein, ist Trump aber egal. Er stört sich am US-Handelsdefizit. Bei Gütern (also Dienstleistungen ausgenommen) erzielt die Schweiz gegenüber den USA einen gewaltigen Handelsüberschuss. Auf der Liste jener Staaten, mit denen die USA ein Handelsdefizit erzielen, liegt die Schweiz mit knapp 40 Milliarden US-Dollar jährlich auf Platz 13 – obwohl sie nur 0,1 Prozent der Weltbevölkerung stellt. Damit entspricht das US-Güterdefizit pro Schweizer Kopf fast 4500 Dollar – ein überdurchschnittlich hoher Wert.
Rund zwei Drittel der betreffenden Schweizer Ausfuhren stammen aus der Pharmaindustrie. Weil höhere Pharma-Zölle die Medikamentenpreise weiter erhöhen würden, ist sie vorerst von den neuen Zöllen ausgenommen. Die beiden Pharmariesen Novartis und Roche gehörten jedoch zu den Unternehmen, die kürzlich Briefe von Trump erhielten, in denen sie aufgefordert wurden, ihre Preise zu senken und Milliardeninvestitionen in den USA zu tätigen – obwohl Letzteres bereits geplant ist.
Die Spielräume werden enger
Trumps Botschaft ist simpel: Für Ausnahmeregelungen hat es in der Wirtschaftsordnung, an deren
Errichtung er arbeitet, keinen Platz. Für die Schweiz, deren vorteilhafte Stellung in der globalisierten Welt wesentlich auf Ausnahmen beruht, eine unbequeme Wahrheit. Kaum ein Land schützt seine heimische Landwirtschaft stärker mit Zöllen als die Schweiz. Weiter nutzt die Schweiz ihre Neutralität, um sich weltweit ein dichtes Netz von Freihandelsabkommen, bilateralen Verträgen und selektiven Sektorabkommen zu schaffen.
Die Gegenleistungen in Form von Finanzbeiträgen, Marktöffnungen oder Rechtsübernahme bleiben im Vergleich zu vollwertigen Mitgliedschaften begrenzt, weshalb der Schweiz immer wieder «Rosinenpickerei» vorgeworfen wird. Zu nennen wären auch das – zwar aufgeweichte, aber nicht abgeschaffte – Bankgeheimnis, Steueranreize und kantonaler Steuerwettbewerb zugunsten internationaler Grosskonzerne oder eine vergleichsweise offensive Devisenmarktpolitik der Schweizerischen Nationalbank zur Beeinflussung des Wechselkurses des Schweizer Frankens.
Ein Fitnessprogramm für die Schweiz?
Weil die US-Hegemonie vom aufsteigenden China abgelöst zu werden droht, macht Trump mit seiner protektionistischen Wende die Spielräume für Aussen- und Wirtschaftspolitik enger. Die SVP prescht vor und sieht den Zollhammer als Chance: Nicht jammern, sondern anpacken, Produktionsstätten in die USA verschieben, neue Märkte erschliessen, auf politischer Ebene die nationalen Rahmenbedingungen für das Kapital verbessern. Damit gehen die übrigen bürgerlichen Kräfte des Landes weitestgehend einig. Es brauche «dringend ein Massnahmenpaket zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Schweiz», meint der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, die Schweizer Wirtschaft benötige ein «Fitnessprogramm», schreibt die FDP – gemeint sind «vor allem niedrige Produktions- und Standortkosten». Andernfalls seien «Zehntausende Stellen in der Tech-Industrie und in anderen Exportbranchen» in Gefahr, warnte Stefan Brupbacher.
SP will den Neoliberalismus retten
Dass die Folgen der Zölle auf die Arbeiter:innen abgewälzt werden sollen, beschäftigt die SP nur am Rande. Die hat es sich stattdessen zur Aufgabe gemacht, den Freihandel zu retten. Fabian Molina möchte gerne die USA über die WTO verklagen, seine Partei bekräftigt die Forderung nach einer engeren Anbindung an das neoliberale Projekt der EU. In ihrer Medienmitteilung vom 1.August verlangt die SP, die bilateralen Verhandlungen mit Brüssel rasch voranzutreiben, um «wirtschaftliche Stabilität und sozialen Zusammenhalt» zu sichern.
Voller Empörung und mit Blick nach Brüssel erweist sie sich als unfähig, hinter Trumps Politik Kalküle zu entdecken. Unter dem Titel «Haltung zeigen» hat die SP eine Petition lanciert und predigt eine Kultur der Stärke und des Mutes, hat aber politisch nichts weiter zu bieten als die Flucht ins altbekannte, neoliberale Gefüge. Sie klammert sich an das Ideal offener Märkte und bietet damit keine Antwort auf die realen Verschiebungen der Weltwirtschaft – sondern lediglich eine nostalgische Verklärung der Zeit vor Trumps Protektionismus.
Aber wer Stärke predigt, muss sie auch organisieren: in den Betrieben, in Lohnverhandlungen, auf der Strasse. In diesem Sinne wären – statt sich an autoritären Krisenfiguren aufzureiben – Machtfragen zu stellen und konkrete Schutzschirme für die Arbeiter:innen durchzusetzen: Jede Abwälzung der Zölle auf Löhne und Lebensstandard zurückweisen, Entlassungen verhindern, Kurzarbeit nur bei voller Lohnfortzahlung akzeptieren – und eine klare Absage an die abgehobene Landesführung, die fern der allgemeinen Lebensrealitäten herumeiert.