(K)ein Tag für unsere Klasse
flo. Es wäre wichtig gewesen. Und irgendwie hat man auch das Gefühl, dass eigentlich auch mehr möglich gewesen wäre. Der diesjährige 1.Mai, der Kampftag der Arbeiter*innenklasse, war kein Grund zum Feiern. Repression, aber auch Verrat, prägten das Bild. Und mit Blick auf den Tag der Arbeit 2021 sollten wir uns vielleicht mal selbst wieder in den Arsch treten.
Als der Gewerkschaftsbund alle Kundgebungen und Demonstrationen absagte, war doch noch ein Flimmern von Hoffnung da. Vielleicht würde man andere Wege finden, wie die Arbeiter*innenbe-wegung an diesem 1.Mai 2020, an diesem wohl wichtigsten Kampftag der Arbeit, ein kollektives Bewusstsein der Klasse im Kampf schöpfen kann. Als die Maifeier dann näher rückte, zerfiel die Hoffnung aber. Von autonomer Seite gab es Pläne, in Kleingruppen in verschiedenen Städten Aktionen durchzuführen. Manche Radios sendeten Spezialprogramme (auch unter Mitwirkung der vorwärts-Redaktion bei einer Sendung des Winterthurer Lokalradios Stadtfilter), die Gewerkschaften stellten Reden online und verschickte Fahnen. Eine ungenügende Antwort der politischen Linken angesichts der aktuellen Umstände – gleichzeitig übte der bürgerliche Staat gegen die Demonstrationen und Aktionen schwere Repression auch dann aus, wenn die Anordnungen vom Bund in Sachen Abstand eingehalten wurden. Es lohnt sich daher, genauer hinzuschauen.
Der immer gleiche Sonderfall
In Athen gingen die Arbeiter*innen den Abstand einhaltend mit roten Fahnen auf die Strasse. Auch in deutschen Städten waren Platzkundgebungen mit den entsprechenden Sicherheitsmassnahmen machen und auch in Wien 15 Versammlungen mit strengen Auflagen erlaubt. Während uns also Bilder von Demonstrationen aus aller Welt erreichen, herrschte in den meisten Städten der Schweiz die Nulltoleranzlinie von Seite der Polizei aus. Dabei kam es zu paradoxen Situationen. So wurden politische Aktionen auch dann aufgelöst, wenn erst durch die Auflösung selbst die Abstandsregeln des Bundes verletzt wurden. Ein Beispiel: Am Bellevue in Zürich versammelten sich Aktivist*innen, vor allem aus linken migrantischen Organisationen, um mit 40 Personen unter Einhaltung der Abstandregelung den Tag der Arbeit zu begehen. Die Polizei bildete einen Kessel um die Demonstrant*innen, setzte Pfefferspray ein und zog den Ring immer enger, so dass die Aktivist*innen unmöglich zwei Meter Abstand zueinander halten konnten.
Die Zerschlagung jeglicher politischen Aktivität war der Polizei dann auch so wichtig, dass man in einem Bericht zur Polizeiaktion die Lüge verbreitet, es habe sich um 100 Personen gehandelt, die zusätzlich Menschenketten gebildet hätten. Videomaterial, dass dem SRF vorliegt, zeigt aber, dass diese Behauptungen nicht stimmen. Insgesamt verhaftete die Polizei in Zürich am 1.Mai 24 Personen.
Auch in Bern markierte die Polizei Härte. Eine Kleinkundgebung der Partei der Arbeit (PdA) wurde mit Repression aufgelöst. Eine Medienmitteilung der PdA-Lokalsektion kritisiert den Einsatz: «Skandalös war einmal mehr das Verhalten der Polizei in der Stadt Bern. Obwohl sich die Teilnehmenden der PdA-Kundgebung an die Gruppengrössen und die Abstandsregeln hielten, kam es zu Personenkontrollen und zur Beschlagnahmung eines Transparents.» Es handle sich um eine «weitere Einschränkung demokratischer Rechte.»
Demo und Empörung in Basel
Eine Demo von gewisser Grösse fand einzig in Basel statt. Schätzungen von Aktivist*innen gehen von 500 Personen aus. Aufgelöst wurde der Umzug jedoch nicht und dafür hagelte es massive Kritik vonseiten der etablierten Politik. Bürgerliche Parteien, die sonst dafür plädieren, dass Arbeiter*innen gefälligst in die Bude zu gehen haben, um sich dort ungeschützt anzustecken, damit die Wirtschaft auch ja nicht leiden müsse, bilden natürlich die Speerspitze bei solchen Angriffen. Im Falle Basels spielen aber auch Reformist*innen beim Empörungsbingo mit und klagen über die «unsolidarischen» Demonstrant*innen.
Tatsächlich sind viele Schutzmassnahmen absolut zentral und wichtig. Sie haben zum Zweck, das menschliche Leid, das mit der aktuellen Pandemie einher geht, zu mildern und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Angesichts einer ökonomischen Krise, die alles, was bisher dagewesen ist, übertreffen könnte und deren Kosten aus Sicht des Kapitals Prolet*innen mit ihrer Arbeit und in letzter Instanz mit ihren Leben bezahlen sollen, dürfen wir jedoch keine totale Ausmerzung des Versammlungsrechts hinnehmen. Es kann nicht sein, dass Menschen mit selbsterklärten linken Selbstverständnis den Arbeiter*innen, also jenen, die unter der aktuellen Situation am meisten leiden, ihre demokratischen Mittel des Widerstands absprechen.
Heuchelei ist keine gute Beraterin
Es ist schwierig (auch für den Schreibenden dieser Zeilen), die Demonstration von Basel einzuordnen. War es fahrlässig? Oder wäre es überhaupt erst fahrlässig, jene Rechte, die im Zuge von teils blutigen Umwälzungen erkämpft wurden, einfach so aufzugeben? Aber auf diese Frage gibt es keine per se richtige oder falsche Antwort. Es ist, wie Lenin sagen würde, keine prinzipielle Frage, sondern eine abhängig von den objektiven Bedingungen. Schon zu Zeiten des Landesgeneralstreiks versuchte man mit Verweis auf die damalige Pandemie der Spanischen Grippe, Demonstrationen zu verhindern. In der Rückblende erschiene Sozialist*innen ein Verzicht auf den Kampf wegen der Spanischen Grippe absurd – man kämpfte ja gerade darum, um die Lage der Arbeiter*innen auch im Kampf gegen die Krankheit zu verbessern. Heute ist es nicht anders.
Vorsicht ist richtig und wichtig, Kadavergehorsam kann aber ebenso schlimme Folgen zeitigen wie Nachlässigkeit. Es droht eine massivste Welle von Prekarisierung und Verarmung, als Folge der aktuellen Krise des Kapitalismus über die Werktätigen der Schweiz und aller Länder hinwegzufegen. Das Leid, das den Massen droht, wenn die Krisenpolitikpläne des Kapitals sich erneut durchsetzen, wird dem Leid der Pandemie wohl im Nichts nachstehen.
Wenn wir wollen, dass der 1.Mai…
Gerade in solchen Zeiten bräuchten die Arbeiter*innen ihre Organisationen, ihre Parteien, ihre Verbände. Doch während viele in der Sozialdemokratie über das Leid der KMU klagen und eine Neuauflage der Burgfriedenspolitik und nationaler Einheit propagieren, haben sich die Gewerkschaften in Sachen 1.Mai erstaunlich wenig bewegt. Fahnen konnten bestellt und Reden online angehört werden. In einem Fall, dem des Kantons Thurgau, spielte der Gewerkschaftsbund in Form seiner Präsidentin Edith Graf-Litscher gar Steigbügelhalter der Bürgerlichen. Diese liessen ausnahmsweise die Läden am Tag der Arbeit öffnen, obwohl im Kanton der Kampftag der Arbeiter*innen arbeitsfrei wäre. Vom kantonalen Gewerkschaftsbund gab es dafür das Okay. Die kantonale Vertretung der organisierten Arbeiter*innen vertrat an diesem 1.Mai also nicht die Interessen der Arbeiter*innen, sondern jene des Kapitals, der Patrons und Ausbeuter*innen, die aktuell auch über Leichen gehen, um Profite zu sichern.
Auch wenn es sich hierbei um den traurigen Tiefpunkt handelt, kam – wie bereits erwähnt – auch sonst nicht genug von den Gewerkschaften. Wollen wir, dass der Tag der Arbeit der Tag bleibt, an dem unsere Klasse und ihre Strukturen Kraft sammeln, um die Kämpfe des kommenden Jahres durchzustehen, werden wir jedenfalls besser vorbereitet dem 1.Mai 2021 entgegen gehen müssen. Wir müssen uns vielleicht selbst mal wieder ordentlich in den Arsch treten.