Kampfzone Bau
Tausende BauarbeiterInnen im Ausstand: Mit «Protesttagen» ging der Kampf um den Landesmantelvertrag (LMV) in die nächste Runde. Hauptforderung ist der Erhalt des Rentenalters 60. Der Baumeisterverband blockiert weiter.
Die BauarbeiterInnen sind wütend. Und zwar gehörig. Nach wie vor verweigert sich der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) jeder Diskussion um eine Anpassung des Landesmantelvertrags (LMV), des Gesamtarbeitsvertrags für die Baubranche, der Ende Jahr ausläuft.
Deshalb riefen die Gewerkschaften in der zweiten Novemberwoche zum Protest. Hunderte Baustellen in der ganzen Schweiz standen still. Insgesamt 10 000 ArbeiterInnen nahmen gemäss der Unia an den dreitägigen Aktionen im Tessin, in der Deutschschweiz und in der Westschweiz teil, bei denen in erster Linie mehr Sicherheit gefordert wurde. So verlangen die ArbeiterInnen etwa, dass im LMV griffige Massnahmen gegen Lohndumping festgehalten werden. Weiter brauche es Regelungen zum Gesundheitsschutz, so die Unia. Jährlich würde jede fünfte BauarbeiterIn verunfallen; hundert ArbeiterInnen hätten in den vergangenen fünf Jahren auf der Baustelle ihr Leben verloren. Für den SBV ist dies indes kein Grund, um zu verhandeln.
Angriff aufs Rentenalter 60
Geht es nach den UnternehmerInnen, soll der LMV verlängert werden, wie er ist. So wäre auch die Regelung zur Frühpensionierung auf dem Bau, die sich die ArbeiterInnen im Jahr 2002 erkämpft haben, weiterhin in einer gesonderten Vereinbarung festgehalten. Und damit angreifbar. Darauf, so scheint es, zielen die Baumeister ab. «Sie wollen das Rentenalter erhöhen und die Renten senken», sagte Nico Lutz, Sektorleiter Bau bei der Unia, am «Protesttag» in Zürich.
Tatsächlich hatte der SBV eine Woche zuvor, ei einer Gesprächsrunde zwischen den «Sozialpartnern» das Ansinnen geäussert, entweder die bestehende Frührente um bis zu 18 Prozent zu senken oder das Rentenalter auf 61 bis 62 Jahre zu erhöhen, wie der «Tagesanzeiger» schreibt. Der Plan des SBV steht damit im offensichtlichen Widerspruch mit seinem Gelöbnis, die Beibehaltung der Frührente sei «oberstes Ziel». Noch im Oktober hatte er auch auf Baustellen für sich geworben und unter dem Slogan «Rente ab 60! Wir stehen dazu!» glauben machen wollen, dass die Frühpensionierung nicht in Gefahr sei.
Jetzt, kaum einen Monat später, ist es mit dem vermeintlichen Renten-Eid allerdings schon wieder vorbei. An Pensionsalter sowie Rentenleistung soll tüchtig geschraubt werden. Denn schliesslich steht es nicht gut um die «Finanzierung des frühzeitigen Altersrücktritts» (FAR), findet seit kurzem auch der SBV, obwohl Vizedirektor Martin Senn noch im Juni gegenüber dem «Blick» meinte, die Stiftung, die es BauarbeiterInnen ermöglicht, frühzeitig in Rente zu gehen, verfüge über eine «gute Deckung». Die Unia hingegen machte bereits damals darauf aufmerksam, dass bei der Finanzierung der Frühpension mittelfristig eine Lücke droht. «In den nächsten zehn Jahren werden wir vorübergehend mehr BauarbeiterInnen haben, die in Pension gehen. Für diese Phase braucht es mehr Mittel, um die Rente mit 60 sichern zu können», erklärte Unia-Funktionär Lutz gegenüber dem Schweizer Fernsehen.
Von einer Rentenkürzung will man bei der Unia jedoch nichts wissen. Denn eine Senkung um 18 Prozent würde auf einer durchschnittlichen BauarbeiterInnenrente von 4400 Franken rund 800 Franken ausmachen. Damit könne sich kaum jemand mehr leisten, mit 60 in Pension zu gehen, argumentiert die Unia. Stattdessen soll die Deckung der Stiftung FAR durch höhere Lohnbeiträge gewährleistet werden. Die Rede ist von 1,5 bis 2 Prozent, die ArbeiterInnen und Baumeister gemeinsam stemmen sollen. Allerdings begrenzt auf die nächsten zehn Jahre, in denen vorübergehend mehr ArbeiterInnen in Rente gehen als bisher, und unter der Bedingung, dass das Rentenalter 60 im LMV geregelt wird.
Ein «Angebot», auf das der SBV bisher nicht eingestiegen ist. Zu Wort meldete sich stattdessen die Implenia, die grössten Baufirma der Schweiz. Zu Beginn der «Protesttage» am 9. November rief sie die «Sozialpartner» öffentlich zu «konstruktiven Gesprächen» auf. Bereits in der Woche zuvor hatte die Unia-Zeitung «work» Auszüge aus einem internen Implenia-Dokument veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass Verhandlungen «dringend aufgenommen werden» sollen, weil «Stabilität und sozialer Frieden», wie sie der LMV garantiere, ein entschiedener «Standortvorteil der Schweiz» seien.
Streiks in Aussicht
Die Implenia möchte den Burgfrieden zwischen den Sozialpartnern gewahrt sehen. In Gefahr war er, seit im Jahr 2002 mit 15 000 beteiligten ArbeiterInnen der grösste Streik der jüngsten Geschichte stattfand und das Rentenalter 60 durchgesetzt wurde, nur noch einmal. Nämlich 2013 bei den letzten LMV-Verhandlungen. Damals forderten die Gewerkschaften, dass der Gesundheitsschutz, der auch heute wieder Thema ist, in den Vertrag Eingang findet. Als sich die Baumeister dagegen stellten, drohte die Unia mit Ausständen. Die BauarbeiterInnen standen bereits zum Streik bereit, als die beiden Gewerkschaften Unia und Syna kurzerhand doch noch nachgaben und einen LMV nach dem Gusto der BaumeisterInnen unterschrieben.
Doch dieses Mal, so scheint es zumindest, will man von Gewerkschaftsseite keine derartigen Zugeständnisse mehr machen. Einem LMV werde nicht zugestimmt, solange die Rente mit 60 nicht gesichert sei, bekräftigte Nico Lutz jüngst. Und die ArbeiterInnen seien bereit zu kämpfen. Komme es bis Ende Jahr zu keiner Einigung, sei mit Streiks zu rechnen.
Aus dem vorwärts vom 21. November 2015. Unterstütze uns mit einem Abo!