Im Staate der Eidgenossen
Im Grunde ist es eine Furzidee eines unbedeutenden FDP-Lokalpolitikers aus dem Kanton Solothurn, der 2011 beim Versuch den Sprung in den Nationalrat zu schaffen, scheiterte. Das Problem ist aber, dass dieser Mann mit Name Alex Miescher aktueller Generalsekretär des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) ist. Im Interview im «Tages-Anzeiger» vom 6. Juli hat er den Adler abgeschossen.
Auf die Frage, wie er den «blutleeren Auftritt» der Nationalmannschaft gegen Schweden im Achtelfinal der WM erkläre, antwortete Miescher: «Es war schon offensichtlich, dass irgendetwas nicht gestimmt hat.» Was denn? Der erste Teil der Antwort ist peinlich: «Da ich kein Fussballtechniker bin, bitte ich um Nachsicht, dass ich das mit Blick auf den Platz nicht genau weiss.» Wir nehmen erstaunt zur Kenntnis, dass der Generalsekretär des SFV vom Fussball so viel versteht, wie der Schreiber dieser Zeilen vom Fliegen, also nada, nichts. Der zweite Teil der Antwort hat es in sich, er beinhaltet die verkappte politische Botschaft: «Falls es so sein sollte, dass der emotionale Höhepunkt im Serbien-Spiel gewesen ist, (…) müsste ich mich fragen: Was haben wir falsch gemacht?» Die Anspielung ist klar: Die «Albaner» im Team wie Xhaka und Shaqiri haben nur im Spiel gegen Serbien mit Leib und Seele gespielt, Gras gefressen, wie man im Fussballjargon so schön sagt. Nur in diesem Spiel waren sie auf Mission für ihr wirklich gefühltes Vaterland, jedoch nicht bei den restlichen, vor allem den beiden folgenden Spielen der Schweiz. Damit dies bei zukünftigen Stars der Nationalmannschaft nie mehr geschieht, schlägt Miescher vor, der SFV solle nur noch jene Jugendliche fussballerisch ausbilden, die auf ihren Zweitpass verzichten und nur noch den schweizerischen behalten.
Lassen wir den rechtlichen Aspekt beiseite. Der Fussball ist nicht nur jener der milliardenschweren Tourniere wie der WM. Fussball ist vor allem die zahlreichen kleinen und mittleren Fussballclubs in der ganzen Schweiz. Hier spielen Tausende von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In dieser schönen Realität ist der Fussball noch gesund, nicht verseucht von den Milliarden Euros, die, wie üblich im Kapitalismus, nur ganz Wenigen vergönnt sind. Gesunder Fussball heisst gesellschaftliche Integration. Ein Beweis dafür ist, dass die ganzen Strukturen der Fussballvereine und somit des Schweizer Fussballs zusammenbrechen würden wie ein Kartenhäuschen, wäre da nicht die freiwillige Arbeit von Tausenden von Personen mit zwei Pässen, zum Beispiel als TrainerInnen der JuniorInnen. Der Vorschlag von Miescher ist für all diese Menschen verletzend, eine Beleidigung, eine Ohrfeige ins Gesicht. Diese Zweipass-Personen gemeinsam mit ihren Schweizer Einpass-KollegInnen leisten in den Fussballclubs, wohlverstanden kostenlos und in ihrer Freizeit, eine gesellschaftlich wichtige Arbeit; sie vermitteln und lernen den Kindern und Jugendlichen Werte wie Respekt, Solidarität und Verantwortung. Bereits bei den JuniorInnen treffen verschiedene Kulturen und Religionen zusammen. Kinder und Jugendliche machen dabei die wertvolle Erfahrung, dass mit gewissen gemeinsamen Spielregeln ein Miteinander trotz Verschiedenheit möglich ist. Mehr noch: Sie erfahren, dass gemeinsam gar etwas Neues entstehen kann, dass Grenzen überwunden werden können. Gibt es eine bessere Form von gesellschaftlicher Integration, Herr Miescher?
Aufgabe und gesellschaftliche Pflicht des SFV ist es, diese Integration zu unterstützen sowie zu fördern, und nicht, sich mögliche Regeln zu überlegen, wie man bereits Kinder in Einpass-SchweizerInnen und Zweipass-SchweizerInnen abstempeln kann. Was für ein absurder Blödsinn! Dann die Behauptung, so die jungen Menschen zu unterstützten, da man ihnen eine Belastung abnehmen würde. Vielmehr stellt man sie an die Wand und sagt ihnen: Guck, Junge, wir ermöglichen dir, deinen Traum Fussballprofi zu werden, weiter zu träumen, vielleicht gar zu verwirklichen, da entlang geht es zur Ausbildung. Aber nur und alleine der Rote Pass mit dem weissen Kreuz hat das Recht dazu. Entscheide dich, Vögeli friss oder stirb. Zum Kotzen, echt! Der einzige Unterschied zu einem Apartheidregime ist es, dass der/die junge FussballerIn die Wahl hat, die aber im Grund gar keine ist, denn Erpressung bleibt Erpressung.
Miescher, als ehemaliger Schwimmer auf hohem Niveau, scheint sich keinen Dreck um den Erfolg des Schweizer Fussballs zu interessieren. Ja, denn sonst könnte er locker feststellen, dass Frankreich, Belgien und England – immerhin drei der vier aktuell besten Fussballnationen der Welt – ihren grossen Erfolg dank FussballspielerInnen mit Migrationshintergrund erreicht haben. Diese Kinder von AusländerInnen tragen mit Stolz das Trikot ihrer Nationalmannschaft und genauso selbstverständlich sind sie noch fest mit dem Herkunftsland ihrer Eltern verbunden. Und wissen sie was, Herr Miescher? Das ist dort für niemanden ein Problem! Möglicherweise hat es einen ganz einfachen Grund: Sie haben von Geburt an den Pass jener Länder bekommen, wo sie geboren wurden. Jus soli nennt sich das. Statt Furzideen in die Welt zu setzen, soll der SFV seine gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, die Jus soli fordern und sich dafür aktiv einsetzen. Dies hätte auch einen tollen Nebeneffekt: So Ablenkdiskussionen wie jene rund um den albanischen Doppeladler von Xhaka und Shaqiri würden gar nicht entstehen. Und das ist doch auch in ihrem Sinne, Herr Miescher, oder etwa nicht? Wissen Sie was: Mit ihnen als Generalsekretär hat der SFV den Einzug in den Viertelfinal der Fussball-WM nicht verdient. Der Fisch stinkt bekanntlich immer vom Kopf. Treten Sie zurück, Herr Miescher!
Siro Torresan