«Herzen öffnen»
dab. 1000 Kilometer von Bellinzona durch die Schweiz und über 52 Etappen wieder nach Bellinzona: Der «Bainvegni Fugitivs»-Marsch, initiiert von der Tessiner Grossrätin Lisa Bosia Mirra, vereinigt ab 14. Oktober Einheimische und Flüchtlinge, die informieren und mit der Bevölkerung diskutieren werden.
Der von nationalen und lokalen humanitären Organisationen organisierte «Marsch für die Menschenrechte und die Menschenwürde» vom 14. Oktober bis 10. Dezember ist offen für alle Betroffenen und Solidarischen, die von Anfang an dabei sind oder irgendwo auf der Route dazu stossen. Er ist laut Lisa Bosia «eine Bewegung von gewöhnlichen Menschen», die jene Zivilgesellschaft verkörpern, «die mit Bestürzung und wachsender Ohnmacht vor beispiellosen humanitären Krisen steht, vor systematischen Verletzungen der Menschenrechte und dem Verlust der Prinzipien der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe, die doch am Anfang der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte stehen und das Fundament unserer Gesellschaft bilden». Die Balkanroute ist dicht, das Mittelmeer mittlerweile auch, viele Flüchtlinge werden in Libyen in Lagern festgehalten, in denen offenbar Mangel an Platz und Hygiene, dazu Nötigung, körperliche und psychische Übergriffe bis hin zu Folter herrschen. Die Politik will so das Problem «lösen» und die Fremdenangst im eigenen Land klein halten. Aber Abschottung gibt den professionellen SchlepperInnen Auftrieb und löst keine Probleme.
Pflicht der Staaten gefordert
Mit dem Marsch verlangt das organisierende Tessiner Komitee die Öffnung der Grenzen, das Ende der Ausweisungen, das Ende einer Politik der Kontrolle und der Verfolgung der Asylsuchenden. Es ruft dazu auf, humanitäre Korridore zu schaffen, um Familienzusammenführungen zu ermöglichen. Das Komitee verlangt die Respektierung der internationalen Konventionen zum Schutz von unbegleiteten Minderjährigen. Es betont auch die Pflicht der Staaten, diese Minderjährigen zu schützen und zu unterstützen und das Verbot der Rück- und Ausweisung zu respektieren.
Humanitäre Hilfe illegalisiert
SP-Grossrätin und Gründerin der Flüchtlingshilfsorganisation Firdaus, Lisa Bosia Mirra, ermöglichte 24 Flüchtenden die Einreise von Como in die Schweiz. Von der Grenzwache wurde sie festgenommen, als sie vier minderjährige Flüchtende begleitete. Ihre humanitäre Hilfe wurde von den Behörden als illegale Schleppertätigkeit betrachtet. «Sie sei ein ganz normaler Mensch, weder eine Heldin, als die sie die einen beschrieben, noch eine Kriminelle, als die sie andere sähen, erklärte sie vor Gericht, nachdem sie das Schicksal von zwei jungen gefolterten Flüchtlingen geschildert hatte», schrieb die Onlinezeitung «Watson» in der Prozessberichterstattung. Ende September wurde sie vom Kantonalen Polizeigericht in Bellinzona wegen Verstössen gegen das AusländerInnengesetz zu einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 110 Franken sowie zu einer Busse von 1000 Franken verurteilt. Das Gericht bestätigte den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft, gegen den die Grossrätin Rekurs gemacht hatte und meinte, das Gericht sei nicht der Ort, um über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder das Handeln der Grenzwacht zu diskutieren.
Flüchtlinge sichtbar machen
Andernorts aber erhielt Lisa Bosia Mirra mehr Respekt: Im vergangenen Februar wurde sie zusammen mit dem Italiener Don Giusto della Valle für ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe mit dem mit 12 000 Franken dotierten Cornelius-Koch-Preis «Alpes ouvertes» ausgezeichnet. Kaplan Koch setzte sich jahrzehntelang für Flüchtlinge und Rechtlose ein. Solidarität werde kriminalisiert und unbegleitete Minderjährige müssten aufgenommen werden, hielt Michael Rössler vom Freundeskreis Cornelius Koch am Auftakt zum Marsch, der Medienkonferenz in Bern, fest. Beim Marsch gehe es darum, die Flüchtlinge sichtbar zu machen und deutliche Signale zu geben für eine andere Flüchtlingspolitik.
Friedliche zivile Emanzipation
Der «Bainvegni Fugitivs»-Marsch (romanisch: Willkommen Flüchtlinge) hat laut Lisa Bosia Mirra «mindestens drei Ziele»: Erstens die Flüchtlingspolitik der Schweiz und der EU anprangern und «die Stimmen derer, die sich Tag für Tag an der Basis engagieren, vor allem aber jener, die diese Politik erdulden müssen, hörbar machen». Zweitens «die ausländischen Gemeinschaften zu einer friedlichen zivilen Emanzipation ermuntern, um ihnen den Zugang zu politischen Entscheiden zu ermöglichen». Drittens die vielen Basisorganisationen im Migrationsbereich miteinander in Kontakt bringen.
Für Kinder geeignete Etappen
Mit einer Demonstration startet der Marsch in Bellinzona, weitere Demos werden in grösseren Ortschaften stattfinden. Vorgesehen sind auch Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen wie Podiumsgespräche und Filmvorführungen. Eine mobile Ausstellung mit Zeichnungen von Flüchtlingskindern und Fotos von Ricardo Torres ist im Gepäck. Übernachten werden die TeilnehmerInnen gratis bei Kirchgemeinden, Sozialinstitutionen und in Privathäusern oder in Pensionen und Hotels. Von den genau 1032 Kilometern sollen im Schnitt pro Tag 20 zurückgelegt werden. Einige Etappen, insbesondere diejenigen an den Sonntagen, sind kürzer und auch für Familien mit Kindern geeignet. «Gehen wir gemeinsam durch die ganze Schweiz, begegnen wir der Bevölkerung und öffnen wir unsere Herzen und unser Bewusstsein», hält das Manifest auf der Webseite des Marschs fest. «Gute Schuhe anziehen und mitmarschieren!», meinte Lisa Bosia Mirra an der Medienkonferenz in Bern und lächelte.