Gesundheit vor Profit!

Revolutionärer Aufbau. Die Corona-Pandemie ist unter anderem eine Krise des Gesundheitssystems, das in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten kaputtgespart wurde. Wir führten mit einer Pflegefachperson (Daria*) und einer Assistenzärztin (Lea*) aus dem Raum Zürich ein Interview und fragten, wie sie die Krise erleben und weshalb ein lauer Applaus als Anerkennung definitiv nicht mehr genügt.

Inwiefern ist euer Alltag und euer Berufsleben momentan geprägt von Corona?
Lea: Für mich ist das grösste Problem, dass es uns an die Kapazitätsgrenzen bringt. Und dass für mich das zugrundeliegende System, was unsere Basis oder unsere Voraussetzung ist, um diese Krise zu bewältigen, kein System ist, das überhaupt funktionieren kann. Alle Auswirkungen der Corona-Krise, sei es nun, dass wir zu wenig Personal haben, dass wir zu wenig Zeit haben für die Patient:innen, dass dadurch eine vermehrte Arbeitsbelastung anfällt, dass dadurch mehr Personal wieder ausfällt, dass wir unsere Pausen nicht mehr machen können, all diese Dinge gab es schon vor Corona. Das sind für mich alles Auswirkungen des schon bestehenden Systems. Wir haben also schon vor der Pandemie extrem viel gearbeitet. Es ist schon lange ein System, in dem die Beziehungsmedizin, oder anders formuliert die Dienstleistungen, die auf dem Persönlichen beruhen, nicht abgerechnet werden können. Es wird immer rationalisiert. Wir haben ein System, in dem eigentlich kein Potenzial mehr besteht zur Verschnellerung, Verbesserung, Effizienzsteigerung, weil wir überall schon am Anschlag laufen.

Habt ihr trotzdem vielleicht konkrete Verschlechterungen oder konkrete Beispiele, die die Rationalisierung im Gesundheitswesen aufzeigen?
Lea: Ein grosser Teil aller Angestellten kann die Pausen nicht einhalten. Dies, weil das Personal fehlt, weil wir einerseits mehr Patient:innen und andererseits auch kompliziertere Fälle betreuen. Dann ist für mich auch ein Problem, dass wir die Arbeitsausfälle aufgrund von Corona im Team kompensieren müssen. Dies schon über einen extrem langen Zeitraum.
Daria: Ja, wenn zu wenig Personal vorhanden ist, dann holt man einfach die Leute aus ihren freien Tagen oder greift auf temporär Angestellte zurück.Das löst das Problem dann natürlich auch nicht, sondern ist nur Symptombekämpfung.
Lea: Also bei mir war das teilweise auch so, dass ich eingesprungen bin, weil ich die einzige Person war, die zu diesem Zeitpunkt einspringen konnte. Ohne meine Hilfe wäre dann nur eine Person für eine Schicht anwesend, für die es eigentlich zwei Personen braucht. Dann ist die Vorstellung, diese Person alleine zu lassen so furchtbar, dass man einfach hingeht, auch wenn man dafür seinen freien Tag opfert. Denn alleine schafft man eine solche Schicht einfach nicht. Das sind dann Situationen, die einem extrem fordern und das jetzt doch schon über einen längeren Zeitraum.
Daria: Ja, das ist nicht einfach. Es geht dabei halt einerseits um die zu betreuenden Menschen und andererseits um die Arbeitskolleg:innen. Das ist irgendwie ein doppelter und dreifacher Druck eigentlich, der teilweise auch sehr manipulativ ausgeübt werden kann, je nachdem wer am Telefon sitzt und einem dann anruft und fragt, ob man einspringen kann.

Wie ist denn nun die Stimmung so allgemein?
Lea: Ich sehe zwei Tendenzen. Auf der einen Seite sehe ich. Dass man sich schon fast ein bisschen daran gewöhnt, dass man die Corona-Pandemie schon fast ein bisschen als Realität akzeptiert hat und viel Hoffnung auf Besserung hat, gerade jetzt mit der Impfung. Auf der anderen Seite sehe ich auch viel Erschöpfung. Dies auch bei vielen Kolleg:innen. Sie sind sehr belastet durch die Arbeit, die Intensität, aber auch dadurch, dass wir immer mehr Leute in kürzeren Abständen sterben sehen. Es gibt Leute aus dem Team, die sich entschieden haben, eine Pause einzulegen, weil sie wirklich einfach erschöpft sind.
Daria: Es ist sehr viel Unmut vorhanden, aber auch sehr viele ambivalente Gefühle, die richten sich vor allem gegen die Menschen von oben – die sogenannten Gatekeeper:innen oder halt Menschen in Führungspositionen, denen man zig Male auch die Türe eingelaufen hat, Emails geschrieben hat, angemeldet hat, wie die Situation ist, weil man sich auch sehr alleine gelassen gefühlt hat. Und auch in dieser Zwischenphase, als die erste Welle vorbei war, da wurde einfach ein Betten-Diktat bestimmt und man musste somit viel mehr arbeiten als noch vor Corona. Normalerweise sind es 16 von 24 belegten Betten, dann waren es während der ersten Welle 30 beatmete Patient:innen und dann hat man im Sommer einfach so die Bettengrenze auf 20 heraufgesetzt. Das ist natürlich viel mehr und schon zuvor waren 1000 Stellenprozente zu wenig vorhanden. Da war enorm viel Frust vorhanden. Andererseits habe ich auch Dankbarkeit verspürt im Vergleich zu Menschen, die jetzt keinen Job haben.

Es gab an verschiedenen Spitälern Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen in der Corona-Pandemie. Wie wurde darauf reagiert?
Lea: Vor allem nach der ersten Welle hat über alle Hierarchiestufen hinaus sehr viel Austausch stattgefunden. Aber alle Forderungen sind bei der Spitaldirektion vernichtet worden. Mein Eindruck war, dass diese Konfrontation auf sehr professionellem Niveau von der Leitung einfach ausgesessen wurde. Also es war wirklich einfach Salamitaktik, da mal eine Sitzung, dort mal eine Sitzung. Sehr nette Angebote, dass man sich immer treffen und über alles sprechen kann. Für alles sollte eine Lösung gefunden werden. Aber am Schluss ist doch nichts passiert.

Und was löste das bei euch im Team aus?
Lea: Empörung und Frust darüber, dass wir nicht wahrgenommen werden. Und schon so das Gefühl, hey, wir sind die, die da abends und nachts auf dem Notfall stehen und ohne uns würde das nicht laufen.
Daria: Ja, bei mir ist es also ziemlich dasselbe. Die grösste Empörung ist auch entstanden durch repressive Massnahmen, die das Spital eingeleitet hat gegenüber einer Person, die an einer Kundgebung, auf die mangelnden Schutzbestimmungen und Zustände in Spitälern aufmerksam machen wollte und verhaftet wurde. Das Spital hat das dann mitgekriegt und mit einer Kündigung gedroht. Das hat das Team mitbekommen, weil das eine Pflegefachperson auf dieser Intensivstation war. Das hat zur grössten Empörung geführt und nicht die mangelnden Schutzbestimmungen und die Überarbeitung und die Kommunikation, die schwierig war.

Habt ihr irgendwie Momente erlebt, in denen ihr auch gedacht habt, diese Coronakrise ist eine Chance für das Team, für das Gesundheitswesen, für das Gesamte?
Daria: Definitiv. Denn nach Jahrelangem auf die Situation aufmerksam machen, ist eigentlich nichts geschehen. Nun habe ich im letzten Jahr Arbeitskolleg:innen gesehen, die sich empört haben mit einer grossen Inbrunst. Währendem sie vorher einfach arbeiten kamen, ihre Arbeit gut machten und dann wieder gegangen sind, sich aber auch nicht beklagten, weil eine gewisse Bequemlichkeit vorhanden war. Zum Beispiel gab es bei uns auf der Intensivstation eine Petition für besser Arbeitsbedingungen, die tatsächlich alle Pflegende und sogar alle Ärzt:innen inklusive Oberärzt:innen unterschrieben haben. Solche Initiativen hätten wir niemals zustande gebracht, wenn wir nicht so extreme Verhältnisse gehabt hätten während der ersten Welle. Nichtsdestotrotz hat sich nicht viel getan seither. Weiter habe ich noch nie eine so enge Zusammenarbeit erlebt wie zu Zeiten von Corona. Eigentlich vor allem mit Oberärzt:innen, weil viele Assistenzärzt:innen, die eigentlich auf den Intensivstationen eingeteilt sind, mussten dann auf Nicht-Covid-Stationen aushelfen. Auf der Covid-Station sind ja alle Beatmungen und die sind extrem komplex. Das überfordert auch uns, die alle schon mehr als fünf Jahre Erfahrung und so haben. Das hat dazu geführt, dass wir halt alle Hand in Hand mit den Oberärzt:innen an den Betten gearbeitet haben, für alle Umlagerungen der Covid-Patient:innen. Da ist man immer ungefähr fünf bis sieben Personen und da waren immer alle mit dabei und das war eigentlich noch schön, dass alle angepackt haben.
Lea: Was ich auch gelernt habe, ist, dass ich gar nicht so viel Angst haben muss, mal etwas zu sagen. Dass das teilweise auch von meinem Team und auch von meinen Vorgesetzten sogar extrem geschätzt wurde, dass ich mich eingesetzt habe, dass ich irgendwie in Aktion getreten bin. Das wurde von ihnen sogar Monate später nochmals rückgemeldet. Ich glaube, bei einem nächsten Mal hätte ich auch weniger Angst vor einer negativen Reaktion. Die ganze Auseinandersetzung hat mich sicherer gemacht und darin bestärkt, dass ich mich auch wehren darf.

* Namen geändert, der Redaktion bekannt.

Share

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..