Gebären unter Zwang
lmt. Jede vierte Frau in der Schweiz erlebt Gewalt unter der Geburt – in einem System, das Effizienz über Empathie stellt. Das ist kein Einzelfall, sondern ein Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Frauen, die gebären, fordern jetzt Respekt, Würde und echte Selbstbestimmung.
«Wir hören Sie schon schreien, aber wir haben keine Zeit.» Sätze wie dieser bleiben haften. Gesagt in einem Moment, in dem ein Mensch zwischen Schmerz, Angst und Hoffnung pendelt. Gesagt von einer Fachperson, die helfen sollte – und doch verletzt. Solche Erlebnisse sind keine Ausnahmen. Laut einer Studie der Berner Fachhochschule berichten 27 Prozent der Frauen in der Schweiz, sie hätten während der Geburt Zwang, mangelnde Aufklärung oder Übergriffe erlebt. Manche werden unter Druck gesetzt, in Eingriffe einzuwilligen, die sie kaum verstehen. Andere erfahren Demütigungen, Abwertung oder Missachtung ihres Willens.
Eine Betroffene schildert, wie Ärzt:innen gegen ihren Widerstand eine Untersuchung begannen, während sie weinte und flehte, sie mögen aufhören. Eine andere erinnert sich an das kalte Brennen der Nadel, mit der ihr Damm ohne wirksame Betäubung genäht wurde. Solche Geschichten erzählen nicht nur von Einzelschicksalen – sie berichten von einer Geburtshilfe, die der Effizienz- und Profitlogik des Kapitals weichen musste.
Gebären im Takt des Kapitals
Gebären ist ein existenzieller Prozess. Doch in vielen Spitälern herrscht ein Klima der Kontrolle. Frauen werden überwacht, gelenkt, korrigiert – ihre Körper zu Risiken erklärt, ihre Stimmen zu Störfaktoren. Das medizinische System, das eigentlich schützen soll, hat sich in eine Maschine verwandelt, die Funktionalität über Würde stellt.
Wenn Geburten unter Zeitdruck stattfinden, wenn Routinen wichtiger werden als Bedürfnisse, wenn Hierarchien Empathie ersetzen, dann wird Gewalt zur Systemfrage – es ist ein strukturelles Problem. Auch die Geburt ist längst eingebettet in wirtschaftliche Logiken. Zeit ist Geld – auch im Gebärsaal. Eingeleitete Geburten, geplante Kaiserschnitte, standardisierte Abläufe: Sie sollen Planbarkeit schaffen und Kosten senken. Doch was dabei verloren geht, ist das Vertrauen in die Fähigkeit des Körpers.
Die Kaiserschnittrate in der Schweiz liegt bei über 33 Prozent – doppelt so hoch wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen. Jede vierte Frau wird künstlich eingeleitet, oft ohne zwingende medizinische Indikation. Diese Eingriffe geschehen nicht selten unter Druck, begleitet von Angst statt Aufklärung.
Die WHO warnt seit Jahren: Jeder unnötige Eingriff erhöht das Risiko für Komplikationen und Traumatisierungen. Eine Geburt, die von aussen gesteuert wird, hinterlässt oft Spuren, die lange nachwirken – im Körper, im Herzen, in der Beziehung zum Kind.
Würde ist kein Luxus
Dabei wissen wir, was hilft. Frauen, die während der Geburt kontinuierlich begleitet werden, erleben signifikant weniger Eingriffe, brauchen seltener Schmerzmittel und berichten häufiger von positiven Geburtserfahrungen. Eine internationale Studie zeigt: 50 Prozent weniger Kaiserschnitte, 41 Prozent weniger Zangengeburten, 60 Prozent weniger Schmerzmittel. Doch Doulas – erfahrene Geburtsbegleiterinnen, die Schwangere vor, während und nach der Geburt emotional, körperlich und mental unterstützen – sind in der Schweiz kaum anerkannt. Sie sind keine medizinischen Fachpersonen, sondern unabhängige Vertrauenspersonen, die Frauen durch Information, Präsenz und Fürsorge stärken.
Trotz ihres nachweislich positiven Ein-flusses auf das Geburtserlebnis und die Gesundheit von Mutter und Kind wird ihre Arbeit in der Schweiz nicht von den Krankenkassen übernommen – und bleibt damit vielen Frauen verwehrt. Die Petition von Gina, selbst Betroffene, will das ändern. Sie fordert unter anderem eine landesweite Anerkennung von Doulas, verpflichtende Schulungen für Fachpersonal, klare Leitlinien für riskante Eingriffe und unabhängige Beschwerdestellen für Frauen, die Gewalt erlebt haben. «Jede Frau, die Gewalt unter der Geburt erlebt, ist eine zu viel», sagt Gina. Und doch passiert es jeden Tag.
Gebären als Menschenrecht
Jede Frau hat das Recht, selbst zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht. Doch in der Praxis bleibt dieses Recht oft Theorie. Informierter Konsens wird zur Formalität, Aufklärung zum Zeitproblem, Respekt zum Zufall.
Am 25.November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, legen Betroffene im Rahmen der Roses Revolution Rosen an die Türen jener Spitäler, in denen sie verletzt wurden – still, aber unübersehbar. Es sind Blumen des Widerstands, Erinnerungen an das, was nie wieder geschehen darf.
Die Forderung ist klar: Geburtshilfe muss wieder zu dem werden, was sie sein sollte – eine Praxis des Vertrauens, der Fürsorge und des Respekts. Denn wie wir gebären, zeigt, wer wir als Gesellschaft sind. Und eine Gesellschaft, die ihre Frauen im Moment des Lebensbeginns verletzt, muss sich selbst hinterfragen – jetzt.