Exportverbot unter Beschuss

flo. Bewaffnete Konflikte haben Hochkonjunktur – und die Schweizer Rüstungsindustrie kriegt für ihren Geschmack zu wenig davon ab. Daher wenig erstaunlich, dass bürgerliche Steigbügelhalter:innen der Waffenfabrikant:innen Druck für Deregulierungen bei Waffenexporten machen.

Die Konflikte, die aktuell wüten, sorgen für massive Einnahmen bei Rüstungsunternehmen. Seit der Eskalation des Ukrainekriegs konnte der deutsche Waffenhersteller Rheinmetall seinen Aktienkurs von etwa 80 auf fast 2000 Euro Anfang Oktober erhöhen. Seit Januar 2025 schiessen die Aktienkurse durchs Dach. Von diesem Geldregen merken Schweizer Rüstungsfabrikant:innen ziemlich wenig. So verlegte kürzlich die Saltech AG aus Solothurn ihre Produktion von Munition nach Ungarn. Die tschechische Eigentümerin von Saltech klagte darauf in der «Sonntagszeitung», dass an der Produktionsverlegung einzig die Ausfuhrgesetze schuld seien. Wenn Kapitalist:innen jammern und jegliche Eigenverantwortung von sich weisen, sind natürlich Parlamentsabgeordnete nicht weit, die einen grossen Effort dafür leisten wollen, damit die Profite ihrer Kumpel auch möglichst hoch sind.

Verkauf auch im Kriegsfall
Aktuell beobachten wir dies in der sicherheitspolitischen Kommission (SiK) unseres Nationalrats. Die Kommissionsmitglieder der SVP, FDP und Mitte beschlossen am 11. November, dass Länder, die Schweizer Waffen kaufen, diese weitergeben dürfen. Doch ein anderer Punkt dürfte einen formidablen Dammbruch darstellen: So soll die Weitergabe und der Verkauf von Waffen und Kriegsmaterialien neu auch im Kriegsfall möglich sein – zumindest im Fall von Ländern auf der sogenannten Anhang-2-Liste der Kriegsmaterialienverordnung. Auf der Liste finden sich vor allem – mit wenigen Ausnahmen wie Österreich oder Australien – Nato-Mitglieder. Die Änderung wurde mit 16 zu 9 Stimmen angenommen. Damit geht die SiK erheblich weiter als der Bundesrat, der auch schon Vorschläge zur Aufweichung der Ausfuhrbestimmungen für Kriegsmaterialien gemacht hatte. Er hatte für sich die Möglichkeit eingefordert, in «ausserordentlichen Lagen» von den gängigen Bestimmungen abweichen zu können. Das gesamte Gesetz zur Einschränkung von Waffenexporten wäre damit zu einem Papiertiger geworden.

Gewollt ineffektiv
Die SVP hatte in der ganzen Misere eine besondere Rolle gespielt. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine manövrieren Exponent:innen der Partei zwischen den geopolitischen Lagern. Während liberale Bürgerliche bis in die SP hinein lautstark nach Waffenexporten in die Ukraine rufen, hatte sich die SVP stets gegen solche Exporte – jedoch nicht gegen andere in Konfliktgebiete – gestellt. Einen möglichen Export von Kriegsmaterialien in die Ukraine lehnt die SVP immer noch ab; zu verhindern wäre dieser aber nicht mehr, wenn die Weitergabe Schweizer Waffen nach dem Export derart explizit erlaubt wird.
Bereits mit den bestehenden Restriktionen waren immer wieder Schweizer Rüstungsgüter in Konflikten der letzten Jahre aufgetaucht. Im syrischen Bürgerkrieg kämpften IS-Fundamentalisten mit Ruag-Handgranaten, im Jemen schossen saudische Soldaten mit Neuhausener SIG-Sturmgewehren, und in der Ukraine tauchten Mowag-Eagle-Aufklärungsfahrzeuge auf, die in Kreuzlingen gebaut werden. Gehen wir noch weiter zurück in der Geschichte, wird es noch elender: Pinochets Soldaten zerschlugen die Demokratie mit einer Exportversion des Sturmgewehrs 57 in der Hand. Und im Zweiten Weltkrieg belieferte Oerlikon anfänglich freudig alle möglichen Seiten mit ihren 20-mm-Kanonen – mit Fortschreiten des Krieges aber bevorzugt die Achsenmächte, was nach dem Fall Frankreichs geopolitische Gründe hatte. Ethische Überlegungen sind bei der Schweizer Ausfuhrpraxis von Rüstungsgütern auffällig absent – so war noch 2021 Saudi-Arabien, eine brutale theokratische Diktatur und eine der furchtbarsten Tyranneien unseres Erdballs, die noch heute einen grausamen Krieg im Jemen führt, bei dem sie die Zivilbevölkerung in keinster Weise zu schonen versucht, auf Platz 6 der Empfängerländer für Schweizer Waffen. Dass jetzt bei den Bestimmungen rückwärtsgemacht werden soll, ist daher vor allem als wirtschaftliches Signal nach aussen zu verstehen.

Niemals neutral
Die Schweizer Neutralität ist natürlich ein Mythos. Und der soll demnächst mit der SVP-Neutralitätsinitiative noch ein bisschen mehr überhöht und von der Realität abgekoppelt werden. Die immerwährende, bewaffnete Neutralität soll in die Verfassung. Zusätzlich solle sich die Schweiz nicht an militärischen Konflikten von Drittstaaten beteiligen. Ein Abstimmungstermin steht noch nicht fest. Nato-Turbos argumentieren besonders laut gegen die Vorlage – doch auf die Kluft im SVP-Bewusstsein muss man hier deutlich hinweisen: Man reklamiert Neutralität, segnet dann aber eine Liste für Kriegsmaterialienexporte ab, in der sich fast ausschliesslich Staaten des westlichen Nato-Kriegsbündnisses befinden. Die Motivation ist denn auch rasch klar – für die Mehrheit der SiK ist es ein Signal an die Industrie, wohl damit keine weiteren Munitionsproduzent:innen wie die Saltech AG nach
Ungarn abwandern. Dass aktuell die Ukraine von solchen erweiterten Exporten ausgenommen wäre, könnte hier noch ein Unterpfand für die Verhandlungen im Nationalrat sein. Dort wird im Rahmen der Wintersession im
Dezember vermutlich über das Geschäft verhandelt,
wobei die Bürgerlichen ein Referendum vermeiden wollen.
Dass ihnen das gelingt, ist unwahrscheinlich. Ein breites Bündnis von PdA bis EVP und Friedensrat hat sich bereits formiert, um zu verhindern, dass die Schweiz noch stärker zum Arsenal von Kriegstreibern und Tyrannen wird.

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