Die Wiederherstellung von «Kultur und Volk»

Ueli Schlegel. Die Vereinigung «Kultur und Volk» blickt auf eine lange Geschichte zurück: Seit 1935 geht es den Mitgliedern darum, Kunst und Kultur auch den ArbeiterInnen zugänglich zu machen.

Älteren wird die Vereinigung «Kultur und Volk» noch in guter Erinnerung sein, Jüngere werden kaum ihren Namen kennen, denn «Kultur und Volk» ist vor etlichen Jahren eingeschlafen – nicht infolge Mitgliederschwundes oder Desinteresses, sondern mangels Aktivität des Vorstandes.
Was ist das für eine Organisation? «Kultur und Volk» wurde nicht, wie manchmal angenommen, nach dem zweiten Weltkrieg gegründet, sondern schon 1935, und zwar von Mathilde Danegger und Wolfgang Langhoff. Die berühmte österreichische Schauspielerin Mathilde Danegger war bis 1933 am Deutschen Theater Berlin tätig. 1933 flüchtete sie vor den Nazis in die Schweiz und arbeitete hier beim Schauspielhaus in Zürich. 1947 zog sie in die Deutsche Demokratische Republik um. Dort war sie zuerst beim Berliner Ensemble und danach beim Deutschen Theater in Berlin (DDR) tätig. Zugleich half sie beim Aufbau der Filmproduktion der DDR mit.
Wolfgang Langhoff war zuerst am Schauspielhaus Düsseldorf, danach bis 1933 an den Städtischen Bühnen Düsseldorf tätig, bis ihn die Nazis verhafteten, folterten, ins Zuchthaus und danach ins Konzentrationslager Börgermoor steckten. 1934 floh er in die Schweiz. Hier war er bis 1945 am Schauspielhaus in Zürich als Schauspieler und Regisseur tätig. Im Konzentrationslager schrieb er zusammen mit seinen Mithäftlingen Johann Esser und Rudi Goguel das berühmte Lied «Wir sind die Moorsoldaten». 1935 entstand das Buch «Die Moorsoldaten». Wolfgang Langhoff ging 1945 zunächst nach Düsseldorf zurück und dann ein Jahr später in die sowjetische Besatzungszone / Deutsche Demokratische Republik, wo er 1946 das Deutsche Theater in Berlin (Ost) übernahm.

Breit verankert
Den Gründungsmitgliedern ging es erstens darum, Kunst und Kultur nicht nur den Reichen, sondern auch Arbeiterinnen und Arbeitern, kurz allen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen und zweitens den ausgrenzenden und rassistischen Propagandisten der Nazis eine offene, humanistische und in die Zukunft weisende Kulturtheorie und -praxis entgegenzusetzen.
Die weitere Entwicklung und Geschichte von «Kultur und Volk» ist in ihrer Gesamtheit kaum bekannt. Die Liste der Personen, die mit «Kultur und Volk» Kontakt hatten, liest sich allerdings wie ein Who is who der schweizerischen Kulturszene. In der Zentralbibliothek – genauer in den Beständen der ehemaligen «Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung» – und im Sozialarchiv finden sich denn auch Tausende von Akten über die Vereinigung, meist aus persönlichen Sammlungen ehemaliger Vorstandsmitglieder, manchmal chronologisch geordnet, manchmal ungeordnet und meist ohne Katalog oder Inhaltsverzeichnis. Nebenbei gesagt wäre «Kultur und Volk» ein packendes Thema für eine geschichtswissenschaftliche Dissertation.
Bemerkenswert ist, dass die Vereinigung breit verankert war – KommunistInnen, SozialistInnen, AntifaschistInnen, DemokratInnen unterstützten sie über die ganze Zeit, sodass sie das Verbot der Kommunistischen Partei der Schweiz 1940 und alle Aggressionen der kalten Krieger überstand, obschon viele ihrer Mitglieder in jener Zeit persönliche Nachteile erlitten.

Gegen Kommerzkunst
Seit der Rückkehr der Arbeitslosigkeit in den siebziger und dem Wegfall der Systemkonkurrenz zwischen sozialistischen und kapitalistischen Ländern in den neunziger Jahren besinnt sich die herrschende Politik mit den OligarchInnen unseres Landes wieder immer stärker auf die alten Parolen Macchiavellis und des römischen Reiches, auf «divide et impera» (teile und herrsche) und «panem et circenses» (Brot und Zirkusspiele) zurück – Ausgrenzung und Rassismus und Aufhetzung verschiedender Gruppen der arbeitenden (bzw. arbeitslosen) Klassen gegeneinander und Ablenkungs- und Kommerzkunst zwecks Vergessens der realen Verhältnisse.
Genau deshalb sind wir – ehemalige Mitglieder und Vorstandsmitglieder der Vereinigung – daran, Kultur und Volk wiederherzustellen. Wir sind für alle zweckdienlichen Informationen und Mithilfen dankbar. Wir sind erreichbar unter www.kultur-und-volk.ch. Auf der Seite gibt es ein (Wieder-)Anmelde- und Mitteilungsformular, Statuten der Vereinigung und Hinweise auf aktuelle Veranstaltungen (Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge, Filme usw.), Bücher und kulturpolitische Aktionen. Demnächst wird ein Newsletter starten, in den frau/man sich eintragen kann.

Infos: www.kultur-und-volk.ch

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