Den Sozialabbau bekämpfen!
dab. Die bürgerliche Sparwut kennt kein Ende. Die Mehrheit der Gesundheits- und Sozialkommission des Grossen Rats des Kantons Bern will weitere
massive Kürzungen bei der Sozialhilfe. Ein Drittel der Betroffenen sind Kinder.
Die jetzt dem Grossen Rat für die Wintersession vorliegende Teilrevision des Sozialhilfegesetzes zeugt von beflügelter neoliberaler Spar- und Streichfantasie. Xenophobe PolitikerInnen und ihr Stimmvieh portieren seit drei Jahrzehnten den erfundenen Mythos, vor allem EinwanderInnen und Flüchtlinge bereicherten sich schamlos an der Schweizer Sozialhilfe.
BezügerInnen von Sozialhilfe sollen laut der Kommission auf keinen Fall «mehr erhalten als Arbeitende im untersten Lohnsegment». Deshalb wollen der Regierungsrat und die Gesundheits- und Sozialhilfekommission (GSoK) «eine generelle Senkung des Grundbedarfs nach den Richtlinien der Schweizerischen Sozialhilfekonferenz (Skos) um maximal zehn Prozent und weitergehende Kürzungen bei denjenigen Bezügerinnen und Bezügern von Sozialhilfe, die sich nicht hinreichend um ihre berufliche Integration und Sprachkenntnisse bemühen». Vorläufig Aufgenommene sollen 15 Prozent weniger erhalten, wenn sie nach sieben Jahren Unterstützung keine eigene wirtschaftliche Existenz aufgebaut haben.
Massive Reduktionen müssten ebenfalls junge Erwachsene (minus 15 bis 30 Prozent) und Personen mit ungenügenden Sprachkenntnissen (minus 30 Prozent) hinnehmen. Ausnahmen gibt’s nur bei Alleinerziehenden mit Babys unter einem Jahr, Personen ab 60 und Menschen mit Behinderungen. Dazu beabsichtigt der Kanton Bern, die tieferen Integrationszulagen und Einkommensfreibeträge anzuheben und den Skos-Richtlinien anzupassen. Damit sollen die Arbeitsanreize verstärkt werden.
Gegen Kinderrechtskonvention
Die Kommissionsminderheit gibt zu, dass die Hälfte der BezügerInnen Kinder, Jugendliche und Ältere mit gesundheitlichen Problemen sind, die gar keine Möglichkeit haben, den Ausweg aus dem Sozialhilfesystem ins Erwerbsleben zu finden. Ein Drittel der von den Kürzungen Betroffenen sind laut Emilie Graff vom Dachverband «Avenir Social – Soziale Arbeit Schweiz» Kinder. Besonders zynisch ist dieser Missstand vor dem Hintergrund der internationalen Politik der offiziellen Schweiz: Sie hat die Kinderrechtskonvention unterschrieben und ratifiziert. Das Abkommen verpflichtet, das Interesse des Kindes als übergeordnet zu behandeln. Es verlangt das Recht auf Leben und auf die bestmögliche Entwicklung und betont das Recht aller Kinder auf einen Lebensstandard, der ihre körperliche, geistige, moralische und soziale Entwicklung befördert.
Schikanieren, Sanktionieren und Sparen respektive Bereichern: für die Betroffenen werden diese Spielchen immer mehr eine Reise ins Bodenlose. Nicht genug damit, dass die SKOS kürzlich das Existenzminimum gesenkt hat, so dass bereits heute bei dieser miserablen Unterstützung die Mobilität und die Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben äusserst eingeschränkt sind. Die Streichung von Sozialleistungen wird heute im Kanton Bern ohne aufschiebende Wirkung eines Rekurses sofort verhängt, Rekurs- und Gerichtskosten zu Lasten der Betroffenen, denen soeben finanzielle Leistungen für das Allernötigste entzogen worden sind. Eine ebenso fiese Praxis zeichnet sich bei den Steuern ab: BezügerInnen von Ergänzungsleistungen (EL) waren bisher steuerfrei nach Artikel 41. Bernische Steuerbeamtete ignorieren diese Bestimmung offenbar: Die KonsumentInnen-Sendung «Kassensturz» von SRF meldete im Oktober, dass EL-BezügerInnen neu Steuerrechnungen von um 3000 Franken erhalten können.
Privatisierung der Probleme
«Das Recht auf Sozialhilfe wird in der Schweiz immer mehr unterhöhlt», sagt Caritas-Geschäftsleitungsmitglied Marianne Hochuli. Sie versteht die Aufregung um die Sozialhilfekosten nicht. Denn diese betragen in der Schweiz 1,6 Prozent der Gesamtausgaben für Sozialleistungen, 80 Prozent werden für Alter, Gesundheitsvorsorge, Krankheit und Invalidität ausgegeben. Dass mit dieser Repressionsvorlage viel Geld gespart werden kann, ist deshalb nicht zu erwarten. Die Kommissionsminderheit sieht sogar «einen massiven administrativen Mehraufwand bei der Umsetzung» auf den Kanton zukommen. Marianne Hochuli weist auch darauf hin, die Öffentliche Hand verstehe Sozialhilfe nur als eine finanzielle Hilfe und nicht als Beratungs- und Integrationsauftrag. Armutsbetroffene würden mit ihrer Situation zunehmend allein gelassen und müssten Unterstützung und Beratung bei Hilfswerken und privaten Organisationen holen.
18 Hilfsorganisationen, Verbände, Gewerkschaften und die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn kritisierten Mitte Oktober zum Internationalen Tag gegen Armut die anhaltenden Angriffe auf die Sozialhilfe in der Schweiz und kündeten politischen Widerstand an. Caritas lancierte einen Appell und die SP Bern eine Petition. Sollte der Widerstand in den Kantonen nicht Wirkung zeigen, will man auf nationaler Ebene aktiv werden.
Ab 20. November ist die Teilrevision des Sozialhilfegesetzes zur Beratung im Grossen Rat des Kantons Bern. In den Kommissionsberatungen wurden zahlreiche Minderheitsanträge abgelehnt und es entstanden Minderheitsanträge zuhanden des Grossen Rats, unter anderem ein Nichteintretens-Antrag. Präsentiert der Rat eine referendumsfähige Vorlage, kann gegen die Teilrevision das Referendum ergriffen werden. Die bewusstseinslose Sparwut kennt kein Ende, wenn wir ihr kein Ende setzen.