Schlampe!
Laura Romand. Wieso müssen sich junge Frauen schämen, wenn sie masturbieren? Wieso werden Frauen als Schlampen bezeichnet, wenn sie gerne Sex haben? Wir betreiben die Sexualisierung unserer Töchter von klein auf, gleichzeitig verbieten wir ihnen, über ihren Körper selbst zu bestimmen.
«Du wirst doch nicht so angezogen ausgehen wollen. Eine Schlampe, werden die Leute sagen!» «Schlampe» – ein kleines Wort mit viel Gewicht. Das Wörterbuch urteilt: «Eine Schlampe ist eine Frau von schlechter Moral.» Nun stellt sich mir die Frage: Gibt es eine besondere Polizei, die alle überwacht, die über ihren Körper und ihr Leben selbst bestimmen wollen? Wer oder was definiert die schlechte Moral einer Frau? Die gute Moral ist ausdrücklicher Befehl, der die Frau von der Kindheit an verfolgt. Wenn die kleinen Buben Pirat, Chauffeur des Müllabfuhrwagens oder auch Superheld werden wollen, müssen die kleinen Mädchen Prinzessinnen sein – Punkt, Schluss.
Jungfräulichkeit gestohlen?
Kinder wachsen, die Probleme auch. Steigende Hormone, Berufswahl, Familienschwierigkeiten – nun beginnt die schwierige Phase des Teenageralters. Wenn wir doch davon verschont geblieben wären! Aber nein: Dort, wo die werdenden Männer das Recht haben, zu sein, wie sie sind, oder besser, es stolz einfordern, da müssen wir Frauen zurückstehen. Denn wenn er sich das Recht nimmt, seine Sexualität hemmungslos auszuleben, muss sie aufpassen, dass man ihr ihre Jungfräulichkeit nicht stiehlt. «Stehlen» – als ob frau nicht von sich aus Hormone in Hülle und Fülle haben kann und Lust dazu hat, ihre Bedürfnisse frei zu leben – gar nicht zu reden von Masturbation!
Es überrascht immer wieder, wenn ein junger Mann ohne Scham über Selbstbefriedigung spricht und von der Gesellschaft dafür wertgeschätzt, ja aufgewertet wird. Für die jungen Frauen ist das ganz anders. Sie masturbieren nicht und sind oft stolz darauf, dass sie es nicht tun. Das einfache Wort «Masturbation» klingt für sie fast wie ein Verbrechen und ist ein so widerliches Tun, dass es unbedingt sechs Fuss unter die Erde verbannt gehört und nie mehr davon gesprochen werden darf.
Im naturwissenschaftlichen Unterricht in der Schule wurde noch bis vor Kurzem bloss ein Teil der weiblichen Genitalien gezeigt, nämlich die Scheide und Gebärmutter. Dabei fehlten die Vulva und besonders die Klitoris und was frau damit machen kann. Fachleute stimmen darin überein, dass die weibliche Masturbation nicht einfach ein kleiner, dreckiger Zeitvertreib ist, sondern eine Wohltat, die die Frauengesundheit physisch und psychisch verbessert. Warum also erlauben wir unseren Töchtern nicht, sich freudvoll und ohne Schuldgefühle selbst zu befriedigen?
Mentale Beschneidung
Die schauderhafte Lektüre einer Mädchenbeschneiderin, die ihr Tun rechtfertigt, weil «unbeschnittene Mädchen hinter Jungen herlaufen würden, statt begehrt zu werden», hat mich danach fragen lassen, ob wir am Ende unsere Mädchen nicht mental beschneiden? Die eigene Sexualität alleine entdecken, ohne einem Mann anzugehören, das ist für junge Frauen in unserer patriarchalen Gesellschaft ebenfalls verboten.
Und wehe denen, die machen, was sie wollen: Das Slut-Shaming (das Blossstellen, Demütigen von «Schlampen») ist kein Übel aus dem Internet und hat nicht erst auf die sozialen Netzwerke gewartet, um Schaden anzurichten. Nur hat das Internet die Ausgangslage verändert. Die Aggressionen geschehen nicht mehr nur im Schulhof, sondern im eigenen Zimmer. Unter diesem Stress zu stehen, ohne sichere Umgebung, kann zum Suizid führen – die Selbstmordfälle unter jungen Frauen wegen Belästigung sprechen für sich und zu uns.
Eine zutiefst patriarchale Welt
Wir betreiben die Sexualisierung unserer Töchter von klein auf, gleichzeitig verbieten wir ihnen, über ihren Körper selbst zu bestimmen und im weiteren Sinne Nein zu sagen. Wir bringen unseren Töchtern nicht nur bei, dass sie Vergnügungsobjekte sind, sondern dass sie, wenn mal eine Beziehung schiefläuft, alleine dafür verantwortlich sind. In Frankreich hat eine Studie gezeigt, dass für 27 Prozent der Befragten eine Vergewaltigung gerechtfertigt war, wenn das Opfer «sexy» angezogen war. Die patriarchale Vergewaltigungskultur und die Kontrolle über die weibliche Sexualität lassen grüssen.
Ich wiederhole meine Eingangsfrage: Gibt es eine Spezialpolizei, die all jene überwachen, die über ihren Leib und ihr Leben selbst bestimmen? Meine Antwort: Ja, wir. Egal welches Geschlecht und sexuelle Orientierung wir haben, unsere Umgebung lehrt uns frauenfeindlich zu sein. Wir vergessen, dass eine Frau – egal welchen Alters! – das Recht hat, über ihren Körper selbst zu bestimmen, sich nach ihrem Geschmack zu kleiden, ihre Karriere und Sexualität selbst zu gestalten. In dieser zutiefst patriarchalen Welt erziehen wir unsere Mädchen von klein auf dazu, das zu verdrängen, was sie frei und mächtig machen würde. Zurückzukehren zu den Grundgedanken der Frauenbewegung und eine qualitätsvolle Sexualerziehung zu bieten, unseren Mädchen die Kontrolle über ihren Körper zurückzugeben; das ist keine Frage der Geschlechtergleichheit, sondern eine des gesunden Menschenverstandes und der Menschlichkeit.