Feministischer Generalstreik im Baskenland für ein kollektives Sorgesystem

Olatz eta Nekane. Vor einem Jahr, am 8.März 2023, riefen Aktivist*innen der feministischen Basisbewegung im Baskenland zu einem feministischen Generalstreik am 30.November auf. Zentrale Anliegen waren das Recht auf kollektive Sorge und die dringliche Notwendigkeit, das Gesundheitswesen von Grund auf zu verändern.

Der Prozess wurde während der Pandemie gestartet: Im Februar 2022 trafen sich einige Feminist*innen in Gasteiz (Baskenland), mit dem Ziel, das Sorgesystem radikal zu verändern. Als erster Schritt ihrer Kampagne nahmen sie sich Zeit, um die Sorge-Arbeit im öffentlichen Bereich und in den Gemeinschaften zu analysieren und genau zu definieren. Sie befassten sich mit Streikforderungen und -kriterien und suchten das Gespräch mit feministischen Gruppen an Versammlungen in den verschiedenen Regionen, Städten, Gemeinden und Quartieren. So entstand die Plattform «Denon Bizitzak Erdigunean» (Das Leben aller im Zentrum), die den ersten feministischen Generalstreik im Baskenland am 30.November 2023 anführte.

Gora borroka feminista
Am jenem 30.November wachten alle voller Vorfreude und Motivation auf, getragen von der Leidenschaft für die Revolution. Egal ob jung oder alt, alle beteiligten sich. Und auch der strömende Regen konnte die Streikenden nicht aufhalten. Um fünf Uhr morgens standen die ersten feministischen Streikposten vor den Fabriken, um die Arbeiter*innen zu informieren. Diese Streikposten wurden zusammen mit den Gewerkschaften organisiert, um die Gründe des Streiks im Vorfeld bekannt zu machen, und so viele Menschen wie möglich zum Streiken zu ermutigen. Es ging darum, in die Arbeitsabläufe einzugreifen: Der Streiktag sollte kein normaler Arbeitstag sein. Den Streikposten folgten ab sieben Uhr morgens Autokorsos, die die Strassen blockiert und den Streik hörbar und sichtbar gemacht haben.
Eine viel diskutierte Frage während den Vorbereitungen war die Frage der Beteiligung von Care-Arbeiter*innen. Wie können Arbeiter*innen, denen das Streikrecht weggenommen wird, trotzdem Teil der Kampagne sein, sowohl bei der Organisierung als auch am Tag selbst? Um sicherzustellen, dass sie während des Streiks sichtbar sind und Anerkennung finden, wurden um 12.30 Uhr mittags Solidaritätsstreikposten organisiert. Es ging um das Selbstverständnis der Solidarität und um die Einbindung der Einzelnen, sowie um die Unterdrückung, Verletzung und Ungleichheit im Hinblick auf das Engagement, die Realitäten der verschiedenen Bereiche der Sorge-Arbeit – und letztendlich um Wiedergutmachung und soziale Gerechtigkeit.
Während dem ganzen Streiktag gab es Versammlungsorte für den Austausch sowie Protestaktionen vor den Institutionen, die das gegenwärtige System aufrechterhalten. Am Abend kam es zu lautstarken Massendemonstrationen in verschiedenen Städten. Tausende Feminist*innen in allen Ecken und Winkeln riefen «Gora borroka feminista» (Es lebe der feministische Kampf) und «Zaintza erdigunera» (Die Sorge-Arbeit ins Zentrum).
Die Forderung der feministischen Bewegung am 30.November war klar und deutlich: Die Entwicklung eines öffentlichen, kostenlosen und menschenwürdigen Sorge-Systems durch die Verwaltungen und Institutionen des Baskenlandes, damit die gemeinschaftliche Care-Arbeit in Zukunft im gesamten Baskenland sichergestellt ist.

Allianzen und Vernetzung
Die LAB-Gewerkschaft war von Anfang an Teil dieser Kampagne. Ziel war es, das Thema Pflege in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zu thematisieren. Es bedeutete viel Arbeit, sowohl strategisch als auch organisatorisch. Als Ergebnis wurde dieser lebhafte und kämpferische Tag zu einem historischen Meilenstein – ganz Baskenland sprach plötzlich über Fürsorge und Care-Arbeit. Neue Forderungen nach menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und mehr Arbeitsrechten für Arbeiter*innen in Alters- und Pflegeheimen waren plötzlich an der Tagesordnung. Der Alltag der PoC-Frauen in der Care-Arbeit wurde öffentlich thematisiert und die Wichtigkeit der Care-Arbeit hervorgehoben. Dem Streikaufruf der feministischen Bewegung wurde aus sehr unterschiedlichen Arten und Weisen Folge geleistet. Viele Grossunternehmen, Schulen und Kitas schlossen ihre Türen und sorgten für grossen Einfluss und Bewegung in der öffentlichen Verwaltung. Die Organisator*innen machten aber deutlich, dass nicht alle sich dem Aufruf anschliessen können: Die Internas – so werden die Hausangestellten und privaten Pfleger*innen genannt, weil sie im Haushalt der Arbeitgeber*innen wohnen – können nicht streiken, weil sie unter den schlechtesten Bedingungen im Care-System arbeiten müssen und ihnen das Streikrecht verweigert wurde. Die meisten Internas sind Migrant*innen aus der Abya Yala. Die Kampagne und der gesamte Prozess der Organisation waren ermächtigend, sowohl für die feministische Bewegung wie auf für die vielen beteiligten Frauen. Die Umsetzung eines Streiks dieser Grösse war eine grossartige Erfahrung. Und auf vielen Plakaten und Transparenten stand: «Dies ist erst den Anfang!» Ein wichtiger Anfang, da es gelungen ist, das sehr wichtige Thema der Sorge-Arbeit in die Öffentlichkeit und in die gesamte Gesellschaft zu tragen.
Da es sich um einen Generalstreik handelte, wurden Männer auch zum Streiken aufgerufen. Der Kampf für das Recht auf Sorge ist nicht nur eine Angelegenheit der Frauen, wir reden über das Leben aller. Daher müssen wir alle Verantwortung übernehmen. Die Männer sollten nicht Teil der Entscheidungsfindung oder politischen Führung des Streiks sein, aber dennoch als Subjekte aktiv mitstreiken.

Organisiert euch
«Der feministische Generalstreik war ein Meilenstein, aber er ist nicht das Ende von irgendetwas», erklärt die Plattform. Die Bewegung kam gestärkt aus dem Streik heraus. Sie fordert die baskische Gesellschaft dazu auf, diese Kraft mit einem Sozialvertrag (herri akordio) zu bündeln: «Organisiert euch! Sorgt für einander und erhaltet alles am Leben, was wir bisher geschaffen haben! Wir können so die Schaffung eines öffentlichen, kollektiven Sorge-Systems erreichen.» Das bedeutet nichts weniger, als das kapitalistische, rassistische und heteropatriarchale System zu überwinden und ein System zu schaffen, welches das Leben in den Mittelpunkt stellt.
Nun gibt es noch viel zu tun für uns Feminist*innen. Wir müssen weiterhin Druck machen, damit die Forderungen umgesetzt werden – und wir müssen über Strategien nachdenken. Jede Feminist*in muss weiterhin Einfluss in ihrem eigenen Bereich nehmen und einen strategischen Plan für die gemeinschaftliche Sorge-Arbeit entwickeln und umsetzen, der alle Akteur*innen und Bereiche der Gesellschaft berücksichtigt.

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