Ohne Waffen keinen Krieg

Die Schweiz exportiere im Jahr 2016 Kriegsmaterial für rund 422 Millionen Franken. Die Waffen werden an Regimes, die Kriege führen und die ihre Bevölkerung unterdrücken, geliefert, solange sie nicht «in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind». Jahrelange Kriege wie in Afghanistan, Syrien, dem Irak, im Jemen, im Sudan, in Somalia und anderswo wären nicht möglich, wenn nicht alle Seiten auf direkten oder verschlungenen Wegen von den Industriestaaten mit Rüstungsgütern versorgt würden, auch von der «neutralen» Schweiz.

Laut der offiziellen Statistik des Bundes exportierte die Schweiz von 1975 bis 2016 für 17,5 Milliarden Franken Kriegsmaterial. Verkauft wurden diese Rüstungsgüter zu einem grossen Teil an kriegführende Staaten, in Spannungsgebiete, an menschenrechtsverletzende Regimes und an arme Länder in der Dritten Welt. In den 17,5 Milliarden Franken sind die besonderen militärischen Güter nicht eingerechnet, die ebenfalls exportiert wurden, aber nicht in der offiziellen Statistik erscheinen. Auch die Finanzierung von Waffengeschäften durch Schweizer Banken erscheinen in diesen Zahlen nicht. Schweizer Geldinstitute, die Nationalbank, Banken und Pensionskassen investierten in den letzten Jahren auch in Firmen, die an der Atomwaffenproduktion, an der Herstellung von Antipersonenminen und Clusterbomben beteiligt sind.

Strafrechtliche Verantwortung

Für Kriegsmateriallieferungen ist das Strafrecht nicht einfach ausser Kraft gesetzt. Es gibt keinen strafrechtlichen Freipass für FabrikantInnen und PolitikerInnen, die Rüstungsgüter liefern an Regimes, die Kriege führen und die ihre Bevölkerung unterdrücken. Unter Artikel 25 des Schweizerischen Strafgesetzbuches fallen nämlich Delikte wie Beihilfe zum Mord, zu vorsätzlicher Tötung, zu schwerer Köperverletzung und zu schwerer Sachbeschädigung. Gehilfe bei solchen Straftaten ist derjenige, welcher «zu einem Verbrechen oder zu einem Vergehen vorsätzliche Hilfe leistet», wer also auch «vorsätzlich in untergeordneter Stellung die Vorsatztat eines andern fördert».

70 ExpertInnen in Völkerrecht und Strafrecht kritisierten schon vor acht Jahren die Nichteinhaltung der Kriegsmaterialverordnung, im Oktober 2009 in einem offenen Brief an den Bundesrat. Ihre Aussage: Das Exportverbot für Kriegsmaterial gilt für Länder, die «in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind». Simon Plüss vom Seco erklärte daraufhin, der Bundesrat habe das Exportverbot immer dahingehend ausgelegt, dass es sich auf einen internen Konflikt im eigenen Land bezieht. Im Falle eines Bürgerkriegs in Saudi-Arabien oder in den USA gäbe es keine Rüstungsausfuhren in diese Länder mehr.

Deutschland beteiligt sich am Krieg

2016 wurde für rund 422 Millionen Franken Kriegsmaterial exportiert. Deutschland war dabei der grösste Abnehmer von Kriegsmaterial. Für 93,2 Millionen Franken bezog Deutschland aus der Schweiz, Bestandteile zu gepanzerten Radfahrzeugen, Munition (der Ruag), Komponenten zur Fliegerabwehr (von Rheinmetall) und Klein- und Leichtwaffen.

Nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris, kündigte die deutsche Bundesregierung an, sich mit einem Bundeswehreinsatz in Syrien zu beteiligen. Am 4. Dezember 2015 beschloss auch der Deutsche Bundestag die Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den Daesh. Wie es hiess, ist zunächst vorgesehen die Bundeswehr mit bis zu 1200 SoldatInnen ausserhalb Syriens zur Unterstützung einzusetzen.

Die deutsche Tochter der bundeseigenen Ruag der Schweiz lieferte 2014 vier Millionen Schuss Munition den kurdischen Peschmerga-KämpferInnen im Irak, die noch heute in den Krieg verwickelt sind. Was meinte Bern zu diesem Geschäft? «Die Ausfuhr von in Deutschland produzierter Munition der Ruag in den Irak unterliege der Exportkontrolle der deutschen Behörden. Eine Zuständigkeit der Schweiz sei nicht gegeben», erklärt eine Sprecherin des zuständigen Staatssekretariats für Wirtschaft in Bern.

Initiative der Gsoa

Die Ruag gilt als grösste Munitionsherstellerin in Europa. 2013 erzielte die Munitionssparte Ruag Ammotec einen Umsatz von 354 Millionen Franken. Mit Gewehrkugeln, mit Munition für Kleinwaffen, kommen in Konflikten weltweit mehr Menschen um als bei Bombardierungen und Kämpfen mit schweren Waffen.

Eva Krattiger, Sekretärin der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa), erinnerte an der Pressekonferenz in Bern an die Rolle des Finanzplatzes Schweiz: «Über die Schweiz fliessen jährlich mindestens 15 Milliarden Franken in die Rüstungsindustrie.» Die Gsoa wird deshalb zusammen mit anderen Organisationen im Frühling eine Volksinitiative lancieren, welche die Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten verbieten will.

Aus dem vorwärts vom 7. April 2017 Unterstütze uns mit einem Abo.

Der Kampf um die Zukunft ist auch ein Kampf um die Geschichte

Die Geschichte des 8. März ist politisch. Vor 100 Jahren lösten die Arbeiterinnen Petrograds die Februarrevolution aus und erkämpften sich kurz danach das Stimmrecht. Der 8. März wird in diesem Jahr 100 Jahre alt, wie die zwei Revolutionen in Russland. Die Februarrevolution – sie müsste nach unserem Kalender Märzrevolution heissen – wurde am 8. März durch die demonstrierenden Arbeiterinnen Petrograds, der damaligen Hauptstadt Russlands, ausgelöst. Die Zweite Internationale Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau erhob deshalb 1921 diesen Tag zum internationalen Frauenkampftag, was bis heute so geblieben ist.

Das Vorhaben, ein gemeinsames Datum für einen internationalen Frauentag festzulegen, bestand seit 1910, als dies die beiden Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker auf der Zweiten Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen forderten, ohne dabei einem konkreten Datum den Vorzug zu geben. Zentral war Zetkin und Duncker die Stärkung der Frauenbewegung durch einen weltweiten und gleichzeitigen Kampftag. Die internationalen Verbindungen der Frauenorganisationen und der über die Grenzen hinausgehende gemeinsame Kampf könne so den Herrschenden am deutlichsten vor Augen geführt werden. Es zeigte sich in den folgenden Jahren, dass ein internationaler Kampftag ohne fixes Datum die Bewegung vor Probleme stellte. Dies nicht nur, weil es organisatorisch anspruchsvoller war, sondern auch, weil der historische Rückbezug auf vorausgegangene Kämpfe einem Bedürfnis entsprach. Die geschichtlichen Bezüge der Entscheidung, den internationalen Frauenkampftag auf den 8. März zu legen, sind nicht einheitlich. So führen viele das Datum auf die Streiks in den USA von 1908 zurück, als eingesperrte Textilarbeiterinnen in einer Fabrik verbrannten, andere auf Streiks im 19. Jahrhundert. In Frankreich ist auch der Bezug zur Pariser Commune beliebt und wieder andere beziehen sich auf den Gedenktag für die Gefallenen während der Deutschen Revolution von 1848. Die Aufzählung zeigt, wie wichtig die Begründung des Datums ist: Der Frauentag soll mit der politisch passenden Gründungsgeschichte behaftet werden. Der März eignet sich auch dafür, denn es fallen viele wichtige Frauenkämpfe auf diesen Monat. Damit wird versucht, politische Kontinuität herzustellen, insbesondere auch durch solche Kräfte, die von sich behaupten, keine «ritualisierten Kampftage» zu brauchen. Wir gehören nicht zu denen, die denken, dass es keine «ritualisierten Kampftage» braucht! Der 8. März ist für uns ein positiv besetzter Rückbezug auf die von Arbeiterinnen ausgelöste russische Revolution, die im Oktober zur ersten dauerhaften sozialistischen Machtübernahme führte.

8. März 1917 in Petrograd

Die Situation 1917 in Petrograd, mitten in den Wirren des ersten Weltkrieges, war katastrophal: Die jüngeren Männer waren gezwungen Dienst zu leisten – zurück blieben vor allem Frauen. Sie mussten nicht nur die eigene Existenz und jene ihrer Familien sichern, sondern ebenso die Produktion aufrechterhalten. Es ist nicht überraschend, dass sie es waren, die 1917 in den Streik traten und damit die Februarrevolution auslösten. Nur wird dieser Tatsache wenig Aufmerksamkeit und Wert beigemessen. Die Februarrevolution führte zwar zur Absetzung des Zaren, ansonsten änderte sich aber wenig, denn die frisch eingesetzte Provisorische Regierung hatte wenig Spielraum. Solange der Krieg tobte, war den erdrückenden wirtschaftlichen Missständen schwer beizukommen und der Zustand des riesigen Reichs war desolat. Was die Provisorische Regierung aber ohne Probleme hätte tun können, wäre die Einführung des Frauenstimmrechts gewesen – was sie aber unterliess. Im Vorschlag für die Prinzipien der zukünftigen Regierung wurde zwar die Beseitigung aller Ausschlüsse aufgrund von Klasse, Religion und Nationalität festgehalten, vergessen aber wurde die Beseitigung jeglicher Restriktionen in Bezug auf Frauen. Die russischen Frauen reagierten schnell darauf und legten nur eine Woche nach der Februarrevolution entschlossen der provisorischen Regierung eine Erklärung vor, in der eine sofortige Änderung des Programms gefordert wurde: «In den feierlichen Tagen der grossen Befreiung des Volkes (…) hat die russische Liga für die Gleichberechtigung der Frauen mit grossem Erstaunen im Programm der Provisorischen Regierung keine Erwähnung der Beseitigung des grossen Unrechts des alten Systems finden können, nämlich jenes der Unterdrückung einer ganzen Hälfte der russischen Bevölkerung – der russischen Frauen.» Diese Erklärung war von Anfang an auch ein Akt der Agitation und ging nicht nur an die Regierung, sondern wurde auf den Strassen, in Fabriken und übers Land verteilt. Die Aktivistinnen waren nicht bereit, zu Hause auf eine formelle Antwort zu warten, sondern organisierten sich.

Erkämpftes Stimmrecht

Nur zwei Wochen nach der Bitte um Richtigstellung des «Versehens» folgte die Demonstration am 19. März 1917, an der ca. 40 000 russische Frauen nicht mehr um das Stimmrecht baten, sondern dieses bedingungslos einforderten und auch erzwangen. Die Demonstration dauerte bis weit in die Nacht hinein. Als Rednerin und Repräsentantin war Vera Figner auserkoren worden. Sie war im bewaffneten Kampf des 19. Jahrhunderts berühmt geworden. Die Vorsitzende der Liga für die Gleichberechtigung der Frauen, Poliksena Shishkina-Iavein, verwies voller Stolz auf ihre Begleiterin: «Wir kamen hierher, um euch alle daran zu erinnern, dass Frauen loyale Genossinnen waren im gigantischen Kampf für die Freiheit des russischen Volkes, tapfer die Gefängnisse füllten, ins Exil gingen und die besten unter uns schauten furchtlos dem Tod in die Augen. Neben mir steht V.N. Figner, die ihr ganzes Leben lang für das gekämpft hat, was wir nun erreicht haben.» Figner und Shishkina-Iavein suchten sowohl den Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten als auch das Parlament auf, um eine sofortige Antwort zu verlangen. Schliesslich sicherten die Abgeordneten ihre Unterstützung zu. Allerdings sei es an der Provisorischen Regierung, dies zu verfügen, weshalb ein weiterer Gang zu Fürst Lwow, dem Ministerpräsidenten notwendig sei. Der erklärte dann lapidar «(…) dass die Provisorische Regierung den Begriff universell in dem Sinne verstehe, dass er die Ausdehnung des Stimmrechts auf Frauen beinhalte.» Damit hatten die russischen Frauen die grundsätzliche Forderung nach der Teilhabe am politischen Leben erkämpft. Diese Forderung löste die Selbstverständlichkeit männlicher Bestimmung über die Frau nicht auf, aber stellte diese in Frage. Und dies war ein erster notwendiger Teil der Befreiung der Frauen.

Die Zitate sind einem Erlebnisbericht von Olga Zakuta entnommen und in Aspasia, Vol. 6, 2012, S. 117-124 veröffentlicht.

 

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Resist Trump! – Im Land der Daten und Apps

San Francisco, die Stadt der Querdenkerinnen, LGBTQs (LesbianGayBiTransQueers) und Immigrantinnen aus aller Welt, hasst Trump aus vollem Herzen und auf der ganzen Linie. Doch es gibt auch lokale Akteure, die in der gegenwärtigen politischen Lage eine ambivalente Rolle spielen – und das in vieler Hinsicht.

Am «Women’s March» am Tag nach Trumps Amtsantritt beginnt die Demo bereits im Wohnquartier – so gross ist der Andrang bei den U-Bahn-Stationen und die Begeisterung über den vereinten Widerstand. Auch der Flughafen wird nach Inkrafttreten von Trumps Einreisesperre für Flüchtlinge und Menschen aus sieben überwiegend muslimischen Ländern mit grosser Ausdauer und von bunten Massen blockiert, und am «Day without an Immigrant» bleiben ganze Strassenzüge geschlossen, ein Geschäft ums andere vergittert, alle Restaurants zu. Die Botschaft ist klar: Ohne Immigrant*innen (und Frauen!) läuft hier gar nichts, und San Francisco ist entschlossen, dem Trumpschen Angriff an allen Fronten die Stirn zu bieten. Auch wenn die Stadt, die sich bereits in den 1980er Jahren zu einer «Sanctuary City» erklärte, also zu einem Zufluchtsort für Flüchtlinge und Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, damit riskiert, dass ihr von der Regierung Trump der Geldhahn zugedreht wird – denn wer nicht kuscht, der wird gefeuert oder finanziell abgestraft (denn der Präsident hat immer zu 100 Prozent recht).

Neoliberales Laboratorium

Städte wie San Francisco, mit ihrer kosmopolitischen Atmosphäre, ihrem klaren Bekenntnis zu LGBTQ- und reproduktiven Rechten, ihren städtischen Identitätskarten, die auch papierlosen Immigrant*innen offenstehen, und ihren relativ gut ausgebauten Sozialleistungen, sind in Zeiten wie diesen wichtiger denn je. Dennoch erscheint es mir angebracht, die Rolle der San Francisco Bay Area auch kritisch zu beleuchten, den Rissen und Brüchen nachzuspüren, und einen Blick hinter die progressive Fassade zu werfen. Schliesslich befinden wir uns hier in einem regelrechten Laboratorium für neoliberale Rezepte aus der Küche von Uber, Airbnb, Twitter, Facebook und zahlreichen weiteren lokal ansässigen Technologieunternehmen, die den Alltag von Millionen von Nutzerinnen (und Nichtnutzern) auf der ganzen Welt prägen, mit oft verheerenden sozialen Auswirkungen, wie zahlreiche Kämpfe rund um prekäre Arbeitsbedingungen, Privatisierungen und Gentrifizierung belegen. Es sind nicht zuletzt gerade auch solche Kräfte – und die von ihnen und ihren politischen Verbündeten, notabene im Lager der Demokrat*innen, losgetretene Neoliberalisierungswelle – die Rechtspopulist*innen wie Trump in vielen Teilen des Landes Auftrieb verschafft haben. Die Proteste müssen sich daher nicht nur gegen den von aussen kommenden Angriff richten, sondern auch die Rolle von lokalen Akteur*innen in der Konstruktion dieser Kräfte genauestens unter die Lupe nehmen.

Neutrale Technologie?

Dass gerade Technologieunternehmen bei Diskursen rund um den Aufbau einer Muslim-Datenbank oder Rufen nach einem Ausbau des Polizeistaates eine wichtige Rolle zukommt, versteht sich eigentlich von selbst. So trugen zum Beispiel die von IBM angefertigten Lochkarten massgeblich zur reibungslosen Organisation des Holocaust bei. Mit dem Argument, sie habe doch nur «neutrale» Technologien bereitgestellt, deren Endzweck nicht in ihrer Verantwortung liege, lehnt die Firma eine Aufarbeitung der Geschichte bis heute ab. Stattdessen hat sie Trump in einem persönlichen Brief umgehend zur Wahl gratuliert und ihm die Dienste der Firma ans Herzen gelegt. Und IBM ist keine Ausnahme. Als der frischgewählte Präsident in seinen Trump Tower lud, musste er Spitzenmanager*innen von Facebook, Google, Apple & Co. nicht lange bitten. Denn trotz der linksliberalen Rhetorik und Rufen nach einem «Calexit», einer Abspaltung Kaliforniens vom Trumpschen Restland, verhalten sich die meisten Tech-Firmen wie ein Blatt im Wind. Schliesslich ist das Generieren und Auswerten von Daten nicht nur ihre Spezialität, sondern ihr eigentliches Business. Daher sind auch die halbherzigen Beteuerungen vieler Firmen, sich nun doch nicht an solchen Projekten beteiligen zu wollen, und ihre Kritik an Trumps Einreisesperre, die auch hochspezialisierte Mitarbeitende von Tech-Firmen betrifft, mit Vorsicht zu geniessen. Denn in vielen Fällen sind die nötigen Daten bereits vorhanden – unter anderem weil wir sie alle als User*innen generieren helfen. Die Frage ist daher mehr, wer in welcher Form und zu welchem Zweck Zugriff hat, oder sich Zugriff verschaffen kann.

Normalisierung rassistischer Praktiken

Das Sammeln von Daten über Muslim*innen ist in den USA zum Beispiel seit dem 11. September 2001 schon so weit normalisiert worden, dass der Schritt zu einem offiziellen Register gar nicht mehr so gross erscheint. Der Aufschrei ob solcher Pläne, so dringend nötig er auch ist, kommt damit in vieler Hinsicht vielleicht bereits zu spät, nämlich erst nachdem die ausgeklüngelten Systeme zur Überwachung und Ausschaffung breiter Bevölkerungsgruppen bereits fest verankert sind. «Man sagt so einfach ‹nie wieder› – und verkennt dabei gerne, was sich gerade anbahnt, oder wie weit die Normalisierung von rassistischen Praktiken fortgeschritten ist, gerade auch wenn sie bereits unter Obama etabliert wurden – und wir uns eben nicht früh genug dagegen zur Wehr setzen», meint Karyn, eine Aktivistin des Anti-Eviction Mapping Projects, deren beide Grossmütter von rassistisch motivierten Regierungsmassnahmen betroffen waren. Während ihre Grossmutter auf mütterlicher Seite als Immigrantin aus China während Monaten auf Angel Island interniert war – zusammen mit ihren amerikanischen Kindern –, wurde die Mutter ihres Vaters als Amerikanerin mit japanischen Wurzeln während des Zweiten Weltkriegs für mehrere Jahre in ein Internierungslager in Arkansas verfrachtet. Sie war gerade einmal dreizehn Jahre alt. «Natürlich wird es nie genau gleich aussehen, aber wir müssen solche Mechanismen erkennen lernen und uns kritisch damit auseinandersetzen – anstatt uns in eine Erinnerungspolitik zu flüchten, welche die Erfahrung anderer Gruppen und die Gefahr gegenwärtiger rassistischer Strömungen negiert», betont Karyn.

Es rumort in der Tech-Branche

Dass viele Tech-Firmen nun zu einer verhaltenen Kritik an der Politik des Weissen Hauses übergegangen sind, ist wohl vor allem opportunistischem Eigennutzen und Argumenten der «Wirtschaftlichkeit», wie wir sie auch aus der Schweiz gut kennen, geschuldet. Aber auch Proteste und Mobilisierungen haben dazu beigetragen, so zum Beispiel die Blockade des lokalen Uber-Headquarters am «Bleak Friday» oder die Kampagne «DeleteUber», die zum Rückzug von Uber-CEO Travis Kalanick aus Trumps Beratergremium führte. Und auch bei der eigenen Belegschaft rumort es. Ende Januar haben mehr als 2000 Google-Mitarbeitende ihre Arbeit für eine Protestkundgebung niedergelegt und auch anderorts bildet sich Widerstand gegen die Haltung der eigenen Firma. Inwieweit eine solche Kritik jedoch auch die Situation von weniger privilegierten Immigrant*innen und subtiler operierende Mechanismen berücksichtigt, bleibt dahingestellt. Eine kürzlich stattfindende Kundgebung von Tech-Angestellten liess aber zumindest aufhorchen. Die Protestveranstaltung in Downtown San Francisco vereinigte nämlich nicht nur Software-Ingenieur*innen und Programmierer*innen verschiedener Unternehmen, sondern auch die Gewerkschaften des Reinigungs- und Sicherheitspersonals sowie der Beschäftigten der firmeneigenen Cafeterien. In Anlehnung an die Praktiken von Universitäten und Gemeinden wurden «Sancturary Campuses» für Tech-Firmen gefordert, um papierlose Angestellte besser zu schützen, die entgegen der öffentlichen Wahrnehmung auch in der Tech-Branche eine tragende Rolle spielen. Es sind am Ende eben nicht die «Innovators», die Silicon Valley am Laufen halten, sondern Immigrant*innen aus Lateinamerika, die zu Hungerlöhnen und oft unter gesundheitsschädigenden Umständen arbeiten – und gerne unsichtbar gemacht werden.

Und wer putzt das Büro?

Ofelias Mutter, die seit mehr als 20 Jahren in Nachtarbeit die Grossraumbüros von Silicon Valley Firmen putzt und im Gegensatz zu ihrer in den USA geborenen Tochter nicht über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt, ist eine von ihnen. Die Familie lebt in East Palo Alto, das von einer Autobahn von Palo Alto mit seiner prestigeträchtigen Stanford University und anderen reichen und mehrheitlich von Weissen bewohnten Gebieten des Silicon Valley abgeschnitten ist. Im Gegensatz zu San Francisco, das mehrere Millionen dringend benötigter Bundesgelder zu verlieren droht, weiss man in East Palo Alto, das man von der Bundesebene nichts zu erwarten hat. Aufgrund der hohen Mordrate galt der Ort lange Zeit als gefährlichste Stadt der USA. Ofelia und ihre Familie sehen das aber anders. In East Palo Alto, einer Immigrant*innen-Gemeinschaft sondergleichen, wo es nicht auffällt und niemanden kratzt, ob man nun über die richtigen Papiere verfügt oder nicht, fühlen sie sich sicher. Dass besserbezahlte Angestellte von Facebook & Co. neuerdings auch nach East Palo Alto ziehen und sich die durch den Tech-Boom ausgelöste Hypergentrifizierung nun auch noch die letzten bezahlbaren Regionen der Bay Area einverleiben, stellt für papierlose Immigrant*innen wie Ofelias Mutter auf mehreren Ebenen eine Bedrohung dar. Denn wer seine Wohnung verliert, muss zukünftig nicht nur unmenschlich lange Arbeitswege auf sich nehmen, sondern riskiert auch, lebenswichtige Netzwerke und den relativen Schutz von Sanctuary Cities wie San Francisco, Berkeley oder East Palo Alto zu verlieren. Wenn es Firmen wie Google und Apple um mehr als reine Lippenbekenntnisse ginge, müssten sie endlich auch für ihre Rolle in der katastrophalen Wohnungsnot und der Verdrängung und Marginalisierung ganzer Gemeinschaften Verantwortung übernehmen. Dies anstatt ständig weitere Steuerdeals auszuhandeln und mit ihren firmeneigenen Shuttle-Bussen und den von ihnen hergestellten Apps die Privatisierung des Service public ihrer Gaststädte und anderer gewerkschaftlich organisierten Sektoren wie dem Taxi- oder Hotelbereich voranzutreiben. Aber das ist schliesslich – genauso wie die Datengenerierung – ihr eigentliches Kerngeschäft.

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Frankreichs politische Landschaft in Bewegung

Können sich die alternativen Linkskräfte noch auf ein erfolgversprechendes Bündnis verständigen?
Der Wahlkampf in Frankreich zur Präsidenten- und Parlamentswahl im Mai/Juni 2017 hat die politische Landschaft mit unerwarteten Wendungen in Bewegung gebracht.

Noch zu Jahresbeginn 2017 herrschte weithin die Ansicht, dass die Entscheidung bei der Präsidentenwahl im zweiten Wahlgang zwischen der Rechtsextremistin Marine Le Pen vom Front National (FN) und dem rechtskonservativen Kandidaten von Les Républicains (Republikaner), François Fillon, fallen werde. Sechs Wochen später haben sich die Gewichte beträchtlich verschoben.

Le Pen nach wie vor vorn

Die einzige Konstante scheint allerdings leider zu sein, dass den RechtsextremistInnen mit Frau Le Pen in allen Umfragen übereinstimmend mit etwa 26 Prozent im ersten Wahlgang am 23. April nach wie vor die Spitzenposition zugeschrieben wird. Mit ihrer «Anti-System»-Agitation, kombiniert mit nationalistischen Appellen an das französische Nationalgefühl und fremdenfeindlicher Demagogie gegen EinwandererInnen und Flüchtlinge gelingt es den RechtsextremistInnen offenbar anhaltend, rund ein Viertel der von den «etablierten» Parteien enttäuschten WählerInnen über ihre wahren Ziele zu täuschen.
In jüngster Zeit kamen zwar einige Enthüllungen ans Licht, wonach Frau Le Pen ihren persönlichen Leibwächter und ihre Büroleiterin in Paris rechtswidrig als «parlamentarische Assistenten» aus Mitteln des EU-Parlaments bezahlen liess. Die Anti-Betrugs-Agentur der EU (OLAF) und die französische Justiz ermitteln, die FN-Zentrale in Paris wurde von der Polizei durchsucht. Es ist aber zu befürchten, dass dies vielleicht den RechtsextremistInnen eher noch helfen wird, ihr falsches Image als «Anti-System-Partei» zu verstärken.
Angenommen wird allerdings weiterhin, dass es der FN-Kandidatin nicht gelingen kann, auch den zweiten Wahlgang zu gewinnen und tatsächlich zur Präsidentin Frankreichs gewählt zu werden. Denn bei der Stichwahl am 7. Mai gibt es nur noch einen einzigen Gegenkandidaten, auf den sich mutmasslich die Stimmen aller anderen politischen Lager vereinigen werden, sodass er die Mehrheit gegen die FN-Kandidatin hinter sich bringen kann.

Affäre Fillon

Im Lager der «bürgerlichen Rechten» hat sich die Lage aber inzwischen deutlich geändert.
Denn François Fillon, der erzreaktionäre Abtreibungsgegner und Verfechter eines scharfen neoliberalen Spar-, Sozialabbau- und Privatisierungskurs, der sich als moralischer Saubermann und Verkörperung von «Recht und Ordnung» inszenierte, hat erheblich an Zustimmung verloren. Besonders, seitdem bekannt wurde, dass er jahrelang seiner Frau Penelope einen Job als seine «parlamentarische Assistentin» mit aussergewöhnlich hohem Gehalt (bis zu 7000 Euro pro Monat) auf Kosten des französischen Staates verschafft hatte, obwohl diese in seinen Büros fast nie gesehen worden war. Das faktische Scheinarbeitsverhältnis für Frau Fillon hat den französischen Staat, Sozialabgaben und sonstige Vergütungen eingerechnet, laut «Le Monde» insgesamt fast 1,5 Millionen Euro brutto gekostet. Aber auch seine Kinder Marie und Charles hat der Papa, als sie noch studierten, zeitweise als parlamentarische MitarbeiterInnen auf Staatskosten mit insgesamt 86 000 Euro entlohnt.
Die französische Finanzstaatsanwaltschaft, die die Vorgänge untersuchte und das Ehepaar Fillon vernommen hat, hat am 25. Februar mitgeteilt, dass sie im Ergebnis ihrer Vorermittlungen angesichts der «zahlreichen bereits zusammengetragenen Elemente» nun ein gerichtliches Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Veruntreuung öffentlicher Mittel, Unterschlagung gesellschaftlichen Eigentums, Hehlerei und Abgabe falscher Erklärungen ein gerichtliches Ermittlungsverfahren beantragt hat. Der weitere Gang des Verfahrens ist also offen und hängt von den Entscheidungen der eingeschalteten Untersuchungsrichter ab. Selbst eine Gruppe führender Mitglieder der Republikaner hat angesichts der Enthüllungen öffentlich den Kandidaturverzicht Fillons gefordert. Doch dieser hat sich offenbar für die Devise «Augen zu und durch» entschieden und beharrt auf seiner Kandidatur.

Macron «en marche»

Hauptnutzniesser der «Affäre Fillon» ist derzeit offenkundig Hollandes Ex-Wirtschaftsminister und Ex-Rothschild-Banker Emmanuel Macron. Der wollte nicht im Rahmen des Parti Socialiste (PS) antreten, sondern sich mit einem neuen Firmenschild «En marche» (Auf dem Marsch) als «unabhängiger» Kandidat präsentieren. Er gibt sich als Repräsentant der «Mitte» und eines «modernen Pragmatismus», bei dem die traditionellen Trennlinien zwischen rechts und links überwunden seien. De facto will er aber im Wesentlichen die sozial verbrämte neoliberale Politik der Hollande-Valls-Amtszeit weiterführen.
Infolge der «Fillon-Affäre» wendet sich ein Teil der rechtskonservativen bürgerlichen WählerInnen nun Macron zu. Er findet aber auch Unterstützung im rechten Flügel der SozialdemokratInnen. Ebenso haben bekannte frühere RepräsentantInnen der Grünen die Wahl Macrons befürwortet. Ausserdem empfiehlt seit Kurzem auch der Anführer der bürgerlichen Liberalen, François Bayrou, nach Absprachen über eine «Allianz» mit Macron dessen Wahl.
Damit ist es Macron zumindest derzeit gelungen, Fillon den zweiten Platz im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl streitig zu machen. Beide liegen nach den letzten Umfragen mit 20 bis 22 Prozent etwa gleichauf. Macron könnte das «Kopf-an-Kopf-Rennen» gegen Fillon also gewinnen und damit als Gegenkandidat von Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang kommen und eine reale Chance erhalten, zum nächsten französischen Präsidenten gewählt zu werden.

Rivalitäten im Lager der Linken

Auch im Lager der französischen Linken ist Einiges in Bewegung gekommen. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, eine Einigung auf eine gemeinsame erfolgversprechende und mehrheitsfähige Kandidatur zur Präsidentenwahl zu erreichen.
Die Wahl von Benoît Hamon, eines Vertreters des linken, zum Kurs des bisherigen sozialdemokratischen Staatschefs Hollande in Opposition stehenden Parteiflügels, zum offiziellen Kandidaten des Parti Socialiste hat neue Debatten über die Möglichkeit einer solchen Einigung ausgelöst. Aber sie ist zwischen den beiden Hauptkonkurrenten um die linken Stimmen, nämlich Hamon und dem Anführer der Bewegung «La France Insoumise» (Das widerständige Frankreich), Jean-Luc Mélenchon, dessen Wahl auch von der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) unterstützt wird, bisher nicht in Sicht.
Die französischen Grünen (EELV) allerdings haben sich seit dem 24. Februar mit Hamon geeinigt, dass der EELV-Kandidat Yannick Jadot, der bei der Präsidentenwahl nur marginale Ergebnisse erreicht hätte, seine Kandidatur zugunsten von Hamon zurückzieht. Als Grundlage für das vereinbarte Wahlbündnis verfassten Hamon und Jadot eine gemeinsame 10-Punkte-Erklärung, mit der sich Hamon verpflichtet, falls er gewählt würde, eine Reihe von Forderungen der Grünen zu verwirklichen. Das in dieser gemeinsamen Erklärung skizzierte Programm signalisiert eine deutliche Abkehr vom bisherigen Kurs des PS unter Hollande und eine Einigung auf seit Langem von den verschiedenen Linkskräften verfochtene Forderungen für einen politischen Kurswechsels in Frankreich.
Zu den vereinbarten Punkten gehören u.a. der völlige Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2025, die Stilllegung erster AKWs bereits in der kommenden Legislaturperiode, der Ausstieg auch aus fossilen Energiequellen (Kohle, Öl) mit dem Ziel des Übergangs zu 100 Prozent erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050, der Verzicht auf eine Reihe umweltschädlicher Grossbauvorhaben wie den umstrittenen Flugplatz Nôtre-Dame-des-Landes und die Eisenbahn-Schnellstrecke Lyon-Turin, die Bekämpfung von Diesel-Abgasen und das Verbot von Pestiziden. Festgeschrieben wurde aber auch die Wiederabschaffung des umstrittenen, von der PS-Ministerin El Khomri und dem früheren Regierungschef Valls durchgesetzten Arbeitsgesetzes, die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes und der Sozialhilfesätze, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Verstärkung der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in den Unternehmen, der Kampf gegen Steuerflucht, der Bau von 150 000 Sozialwohnungen pro Jahr. Weitere Festlegungen sind die Aufhebung des immer noch geltenden Ausnahmezustands, die generelle Einführung des Wahlrechts für EinwohnerInnen ausländischer Herkunft, die Ablehnung von Freihandelsabkommen wie TTIP sowie die Vorlage eines Verfassungsentwurfs für eine VI. Französische Republik mit Reduzierung des Präsidialsystems und generelle Einführung des Verhältniswahlrechts, der in der Bevölkerung breit diskutiert und letztlich einer Volksabstimmung vorgelegt werden soll.
Neben dieser politisch-inhaltlichen Vereinbarung haben sich Hamon und Jadot offenbar auch darauf geeinigt, dass der PS zur nach der Präsidentenwahl anstehenden Neuwahl des Parlaments in den Wahlkreisen, in denen die Grünen bisher Mandate hatten, keine KonkurrenzkandidatInnen aufstellen wird, womit die Wiederwahl der bisherigen grünen Parlamentsabgeordneten erheblich sicherer geworden sein dürfte.

Hegemonie-Probleme

Die Einigung Hamon-Jadot reicht jedoch nicht aus, um einen Wahlsieg Hamons bei der Präsidentenwahl möglich zu machen. Denn Hamon liegt in den Umfragen derzeit bei 13 Prozent, auch mit den 2 Prozent, die Jadot bestenfalls beisteuern könnte, genügt das nicht, um auch nur in die Nähe der Umfragewerte der Konkurrenten Macron und Fillon und damit in den zweiten Wahlgang zu kommen.
Eine gemeinsame Linkskandidatur mit einer echten Chance, bei der Präsidentenwahl einer linken Mehrheit zum Sieg zu verhelfen, könnte nur entstehen, wenn auch der von dem Linkssozialisten Mélenchon geführte Block der «alternativen Linken», der in den Umfragen derzeit bei 11 bis 13 Prozent liegt und den auch die KommunistInnen unterstützen, in das Wahlbündnis einbezogen würde. Mit den 13 bis 15 Prozent der Allianz Hamon-Jadot käme eine solche Kandidatur dann auf 24 Prozent, könnte sie also Fillon und Macron überholen.
Doch dafür bestehen zumindest derzeit noch wenig Chancen. Dazu müsste die anhaltende Rivalität zwischen dem von Hamon und dem von Mélenchon geführten WählerInnenpotenzial überwunden werden. Hamon hat zwar unmittelbar nach seiner Kür zum Spitzenkandidaten des PS nicht nur Jadot, sondern auch Mélenchon zu Gesprächen eingeladen, und auch Mélenchon hat sich dazu bereit erklärt. Dennoch ist der Kontakt zwischen beiden bisher nicht über ein kurzes Telefongespräch hinausgekommen. Stattdessen wurde in jüngsten öffentlichen Erklärungen beider eher ein rauer Ton praktiziert. Mélenchon liess verlauten, dass er sich nicht an den «Leichenwagen» des PS ankoppeln wolle, und Hamon erklärte, er werde Mélenchon «nicht nachlaufen».
Es wäre falsch, für diese Rivalität nur die persönlichen «Egos» der beiden Spitzenkandidaten verantwortlich zu machen. Dahinter stehen tiefer gehende politische Probleme. Offensichtlich geht es unter anderem darum, wer bzw. welche Richtung im Lager der Linken künftig die politische Hegemonie haben würde.
Hamon geht nach seinem Sieg bei den Vorwahlen als offizieller Spitzenkandidat des Parti Socialiste ins Rennen. In seinen Vorstellungen soll wohl der PS auch künftig die Führungsposition unter den Linken innehaben. Er hat zwar zuletzt in der Vereinbarung mit den Grünen eine deutliche Abkehr vom Hollande-Kurs und eine Festlegung auf ein linkes Regierungsprogramm öffentlich deutlich gemacht. Aber es bleibt die Frage, ob damit bereits garantiert ist, dass er sich auch nach der Wahl unter dem sicher einsetzenden massiven Druck der etablierten Unternehmer- und Rechtskreise sowie der EU noch daran halten würde. Hamon will den zerstrittenen PS wieder «zusammenführen» und dabei auch den rechten Parteiflügel einbeziehen. Dem entsprechend hat er ein Wahlkampfteam berufen, in dem die VerfechterInnen seines Kurses zwar die Mehrheit haben, aber im Namen der «Wiederzusammenführung» des PS auch AnhängerInnen des früheren Hollande-Valls-Kurses einbezogen sind. Hamon möchte offensichtlich trotz seines «linken» Programms den Eindruck eines vollständigen Bruchs mit der bisherigen PS-Politik unter Hollande vermeiden. Das wirft die Frage auf, ob er sich damit nicht durch den rechen Parteiflügel erpressbar macht, bei der Realisierung seines Linksprogramms Abstriche zu machen, wenn die Rechten mit Spaltung drohen.

Mélenchon und PCF gesprächsbereit

Jean-Luc Mélenchon und der PCF-Nationalsekretär Pierre Laurent haben am 25. Februar nach einem gemeinsamen Frühstück auf einer gemeinsamen Pressekonferenz – dem ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt beider seit Wochen – übereinstimmend betont, dass sie für Gespräche mit Hamon offen bleiben. «Ich wende mich an Hamon mit gutem Willen. Wir wollen reden. Aber wir wollen Garantien», erklärte Mélenchon. «Wir werden nicht aufhören, Gesten guten Willens zu zeigen», betonte auch Laurent, aber ein «Anschluss» (an den PS) sei «kein Bestandteil der Kultur der KommunistInnen». Laurent erinnerte daran, dass er und der PCF sich seit einem Jahr für eine politisch-inhaltliche Vereinbarung zwischen allen Linkskräften als Grundlage gemeinsamer Kandidaturen sowohl zur Präsidenten- wie zur Parlamentswahl eingesetzt haben. Ein politischer Pakt für eine linke Mehrheit ist seiner Ansicht nach wohl nach wie vor die entscheidende Voraussetzung für ein Bündnis. «Wenn es ein Treffen der Linken gibt, wird der PCF sicherlich mit am Tisch sitzen. Aber es braucht Garantien. Die FranzösInnen haben Zweifel, und sie haben recht damit. Schon François Hollande hat eine Wende versprochen und schon am Tag nach seiner Wahl den Rückwärtsgang eingelegt.»
Offensichtlich liegt also rund acht Wochen vor dem ersten Wahlgang am 23. April, anders als es zu Jahresbeginn aussah, der Sieg einer linken Mehrheit bei der Präsidenten- und Parlamentswahl in Frankreich noch im Bereich des Möglichen. Aber der Weg dahin dürfte gewaltige Anstrengungen zur Verständigung zwischen den Linkskräften erfordern, auch über Garantien gegen eine Wiederholung des Debakels unter Hollande. Und ob diese Bemühungen letztlich erfolgreich sein werden, ist derzeit nicht mit Bestimmtheit abzusehen.

Update: Die beiden Kandidaten der Linken, Hamon und Mélenchon, haben nach einem Treffen angekündigt, dass sie eine vereinte linke Kandidatur ablehnen und beide im Rennen um die französische Präsidentschaft bleiben werden.

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Hoffnungen für Nekane

Die Baskin Nekane Txapartegi sitzt seit bald einem Jahr in Zürich im Gefängnis. Sie kämpft gegen ihre Auslieferung an Spanien, wo sie bestialisch gefoltert wurde. Dies bestätigt nun auch ein Gutachten.

Am Freitag, 10. Februar, haben in vielen Städten und Dörfern im Baskenland erneut Angehörige und FreundInnen von politischen Gefangenen und Exilierten für deren Rechte demonstriert. In der kleinen Gemeinde Asteasu richtete sich der Blick wieder besonders auf Nekane Txapartegi, die aus diesem Ort mit 1500 EinwohnerInnen stammt und bekanntlich seit fast einem Jahr in Zürich im Knast sitzt. Sie kämpft gegen ihre Auslieferung an Spanien, wo ihr vorgeworfen wird, Unterstützerin der baskischen Untergrundorganisation Eta zu sein. Die Eta hat vor fünf Jahren den bewaffneten Kampf für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland definitiv eingestellt. Txapartegi wird in der Schweiz von verschiedenen Organisationen und Gruppen aktiv unterstützt.

Expertise mit klaren Ergebnissen

Noch sei erstinstanzlich keine Entscheidung über das Auslieferungsgesuch und ihren Asylantrag gefallen, erklärt ihr Anwalt Olivier Peter dem vorwärts. Es sei ein Vorgang, der «tatsächlich länger als gewöhnlich dauert», sagt er. Der Anwalt erwartet eine Entscheidung in den «nächsten Wochen». Die Verzögerungen hängen mit den Gutachten über ihre Glaubwürdigkeit zusammen, denn sie erhebt Foltervorwürfe gegen Spanien. Die Anwälte der 44-jährigen Baskin haben den Wiener Psychiater Prof. Dr. Thomas Wenzel und den türkischen Rechtsmediziner Dr. Önder Özkalipci mit Expertisen beauftragt. Hoffnung macht die Klarheit der Expertenaussagen. Nach der Begutachtung von Txapartegi im Gefängnis und nach dem Studium der medizinischen Dokumentation, kommen sie zum Ergebnis, dass Txapartegi gefoltert wurde. «Unsere Befunde bestätigen in den Schlussfolgerungen den Folterbericht der Betroffenen», schreibt Wenzel. Özkalipci erklärt, dass er unter Betrachtung der psychologischen Diagnosen und den belegten physischen Befunden zum Schluss kommt, dass «sie in den zehn Tagen der Verhaftung in Kontaktsperre zwischen dem 9. und 19. März 1999 gefoltert wurde.» Die beiden Experten führten ihre Untersuchungen anhand des so genannten Istanbul-Protokolls durch. Es ist das international anerkannte Handbuch für die «wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe». Es wurde von 75 ÄrztInnen, PsychologInnen, MenschenrechtsbeobachterInnen und JuristInnen aus 40 Organisationen und 15 Ländern verfasst, die auf Folter spezialisiert sind. Özkalipci, der in Genf lebt, ist Co-Autor des Protokolls und Wenzel ist Herausgeber mehrerer Bücher zum «Istanbul-Protokoll».

Nekane ist stark

Zu den Dokumenten gehört auch der Bericht des Aufnahmearztes im Gefängnis, der einige Folterspuren dokumentierte. Das ist selten, doch ihr Zustand war extrem schlecht, nachdem die Guardia Civil sie übergeben hatte. Die WärterInnen baten die Mitgefangene Lourdes Txurruka, bei ihr zu bleiben, da sie «völlig zerstört» gewesen sei. Im Interview mit dem Autor erklärte Txapartegi nach ihrer Freilassung, sie habe verschiedene «Geständnisse» auswendig lernen und zitieren müssen. Diese wurden an jene «Geständnisse» angepasst, die andere unter Folter gemacht hatten, die mit ihr verhaftet worden waren. Aufgrund dieser Aussagen unter Folter drohten Txapartegi elf Jahre Knast, was sie zur Flucht trieb. Der Oberste Gerichtshof senkte ihre Strafe auf fast sieben Jahre und machte aus dem angeblichen «Eta-Mitglied» eine «Unterstützerin».

Nach Auskunft von Familie und FreundInnen ist Txapartegi stark, doch sei die Inhaftierung eine enorme Belastung. Sie durchlebe immer wieder die Foltertage, weil vieles sie täglich an die traumatischen Erlebnisse erinnere. Sie sowie ihr Anwalt hoffen darauf, dass die Schweiz die Uno-Menschenrechtskonvention achtet und sie nicht an Spanien ausweist. Dass Txapartegi gefoltert wurde, sei «inzwischen unangreifbar». Die Schweiz befindet sich in einem diplomatischen Dilemma, denn sie müsste gegen den Rechtshilfevertrag mit Spanien verstossen und zudem anerkennen, dass in dem EU Land Spanien gefoltert wird. Allerdings stünde sie damit nicht alleine da, denn auch Belgien verweigert die Auslieferung eines angeblichen Eta-Mitglieds wegen drohender Folter in Spanien.

Aus dem vorwärts vom 17. Februar 2017 Unterstütze uns mit einem Abo.

Ciao bello!

matteo-renziDer italienische Ministerpräsident Mateo Renzi ist nach dem Nein des Volks zu seiner Verfassungsreform zurückgetreten. Was kommt nach Renzi? Die wirkliche Gefahr droht von Matteo Salvini, dem Anführer der rechtspopulistischen Lega Nord.

«Ciao bello» titelte die kommunistische Tageszeitung «il manifesto» am Tag nach der Abstimmungsschlappe und den Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Tausend und ein paar zerquetschte Tage dauerte seine Amtszeit. Die grosse Hoffnung des Partito Democratico (PD), der sozialdemokratischen Regierungspartei, ist weg vom Fenster, sang und klanglos. Am Ende kämpfte er praktisch alleine gegen den Rest für seine Verfassungsreform: Die Rechten und die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo hatte er eh gegen sich. Kommunistische Parteien und Organisationen sowie linke Gewerkschaften hatten sich klar für ein Nein stark gemacht, um ihrer Meinung nach die Grundfeste der Verfassung nicht zu zerstören. Am Ende hat dann selbst der linke Flügel des PD offen dazu aufgerufen, Nein zu stimmen und machte somit Stimmung gegen den eigenen Vorsitzenden Renzi. Sein grosser und gleichzeitig stümperhafter politischer Fehler war, dass er das Referendum über seine höchst fragwürdige Verfassungsreform personalisiert hat. Es ging nicht mehr um die Sache, sondern nur und ausschliesslich um die Frage: «Renzi Si o Renzi No?» Die Antwort ist jetzt bekannt.

Wie gespalten der PD ist, zeigte wenige Tage nach dem Nein ein Interview mit Michele Emiliano, dem Präsidenten der Region Apulien und PD-Mitglied. In der TV-Sendung «Matrix» auf dem Berlusconi-Sender «Canale 5» stellte er Renzi als einen machthungrigen, kleinen Diktator dar. Emiliano behauptete weiter, Renzi sei selbstherrlich und habe die Verfassungsreform konzipiert und durchboxen wollen, um seine eigene Macht zu festigen. Schwerwiegende Vorwürfe. Pikant an der Sache ist, dass Emiliano bis vor nicht allzu langer Zeit ein glühender Anhänger von Renzi war. Emiliano unterstützte Renzi tatkräftig auf seinem Weg zur Macht innerhalb der Partei und zum Regierungschef. Dazu sagte Emiliano im Interview: «Das bereue ich heute sehr!» Der Präsident Apuliens gilt als ein heisser Kandidat für das Amt des PD-Parteivorsitzenden und zwar unabhängig davon, ob Renzi wieder dafür kandidieren wird oder nicht.

Salvini schlimmer als Trump

Renzi ist Geschichte, was bringt die Zukunft? Es wird zu Neuwahlen kommen. Nun darf man darüber spekulieren, wann diese stattfinden werden und mit welchem Wahlgesetz. Aber das sind Details schon fast am Rande. Die Gefahr droht von einem Komiker und der populistischen Rechten der Lega Nord mit ihrem Anführer Matteo Salvini. Grillo und seine 5-Sterne-Bewegung ist eine heterogene Wundertüte mit Positionen, die von heute auf morgen wechseln können. Dort, wo sie am Machthebel sitzt, wie etwa in der Stadt Rom, zeichnet sie sich durch interne Streitigkeiten und Chaos aus. Mit Beppe Grillo droht in Italien das noch grössere Chaos. Kaum vorstellbar, aber doch möglich. Die Bewegung von Grillo konnte grosse Wahlerfolge verbuchen, sie ist aber noch jung und in der Bevölkerung noch nicht verankert. Das ist aber die rechtspopulistische und rassistische Lega Nord von Matteo Salvini. Im Norditalien gibt sie seit Jahren in verschiedenen Regionen den Ton an, vor allem auf kommunaler Ebene. Sie hat eine grosse, militante Basis und eine in der Lokalpolitik eingebettete, gut funktionierende Struktur. Salvini als italienischer Trump zu bezeichnen, ist falsch: Salvini ist schlimmer als Trump! Ein Beispiel: Salvini nennt die Boote der italienischen Küstenwache, die im Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Tod retten, «Taxis für illegale Einwanderer». Mateo Salvini ist im gleichen Atemzug zu nennen mit Viktor Orbán aus Ungarn, Marie Le Pen aus Frankreich und Frauke Petri aus Deutschland. Von Salvini und das von ihm propagierte, in der Bevölkerung verankerte Gedankengut ist die wirkliche, grosse Gefahr in Italien.

Aus dem vorwärts vom 23. Dezember 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Fidel Castro ist gestorben

fidel-castro-100-_v-gseagaleriexlFidel Castro, der ehemalige Präsident Cubas und Lider der Revolution, starb in der Nacht vom 25. November. Die Welt verliert damit eine zentrale Figur und einen Vorkämpfer des Sozialismus. Die Welt verliert damit einen Mann, der sich unermüdlich für eine bessere Welt und soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat.

Fidel Castro, der ehemalige Präsident Cubas und Lider der Revolution, starb in der Nacht vom 25. November, wie das kubanische Staatsfernsehen bestätigt hat. Raul Castro, der kubanische Präsident und Bruder des Verstorbenen, kündigte an, das Fidel am Samstag darauf kremiert werden würde. «Der Oberkommandierende der kubanischen Revolution starb heute um 22.29 Uhr», hat Raul Castro gemeldet.
Fidel Castro wurde 1926 in die Familie eines bekannten Landbesitzers in der Provinz Holguín auf Cuba geboren. Er führte die kubanische Unabhängigkeitsbewegung an und besiegte 1959 die von den USA unterstützte Batista-Diktatur. Bald nachdem seine Bewegung die Macht übernommen hatte, übernahm das Land durch Fidel ein explizit sozialistisches Entwicklungsmodell und nahm enge Beziehungen zur Sowjetunion auf. Damit geriet Cuba in Feindschaft zur USA.
Für die nächsten 48 Jahre, bis er 2008 zurücktrat, führte Fidel die kleine Inselnation durch eine historische Entwicklung. Das Land wurde dadurch weltweit führend in vielen sozialen Bereich wie Bildung und Gesundheit.

Cubas Internationalismus

Der Erfolg der kubanischen Revolution bedeutete für das Land auch eine 50-jährige feindselige und ruinöse Blockade durch die USA. Fidel überlebte mehrere Mordanschläge durch den US-Geheimdienst CIA.
Die kubanische Erfahrung inspirierte eine wachsende antikolonialistische Bewegung auf der Welt, die Fidel aktiv unterstützte, indem er kooperative Hilfsnetzwerke in Lateinamerika, Afrika und im Rest des globalen Südens aufbaute.
Unter der Führung von Fidel ging Cubas Internationalismus über die blosse Unterstützung von Befreiungsbewegungen wie dem African National Congress von Nelson Mandela in Südafrika hinaus: Tausende von GesundheitsexpertInnen und ÄrztInnen wurden von Cuba in alle Welt entsandt. Cubas Alphabetisierungsprogramm hat Millionen Menschen ausserhalb von Cuba das Lesen beigebracht. Die kubanischen ÄrztInnen haben sogar das Lob der US-Regierung erhalten für ihre «heroische» Beteiligung am Kampf gegen den Ausbruch von Ebola in Westafrika.
Fidel war auch wichtig für den Aufschwung linker Regierungen in Lateinamerika, der 1998 mit der Wahl von Hugo Chavez in Venezuela seinen Anfang nahm. Fidel und Chavez förderten zusammen die Radikalisierung und Koordination von Bewegungen in der Region, was zu linken Siegen in Ecuador, Bolivien und Nicaragua, und zu gemässigt linken Regierungen in Brasilien, Uruguay und Argentinien führte. Auf die Initiative der beiden Revolutionsführern hin ging auch die Bolivarianische Allianz für Amerika (Alba) hervor, die eine Alternative zum neoliberalen Freihandel darstellte.

Fidel wurde 90

Bewundert von vielen, geächtet von anderen; der kubanische Lider blieb einflussreich und war als scharfsinniger Beobachter des Weltgeschehens hochangesehen. Vor Kurzem hat er noch seinen 90. Geburtstag gefeiert. «Ich werde bald 90 Jahre alt», sagte Fidel im April 2016 am Kongress der Kommunistischen Partei, als er seinen längsten öffentlichen Auftritt seit Jahren hatte. «Bald werde ich so sein wie alle anderen. Für alle wird die Zeit einmal kommen, aber die Ideen der kubanischen KommunistInnen werden auf diesem Planeten bleiben als ein Beweis: Wenn man mit Leidenschaft und in Würde arbeitet, kann man die materiellen und kulturellen Güter schaffen, die die Menschen brauchen und für die man kämpfen muss, ohne jemals aufzugeben.»

Trump gewann – Leute, organisiert euch!

donald-trumpDie nachfolgende Darstellung zum Wahlsieg von Donald Trump befasst sich mit dem Wahlverhalten der US-amerikanischen ArbeiterInnen. Sie wurde von «People’s World» veröffentlicht, die der Kommunistischen Partei der USA nahe ist. Der Autor ist ehemaliger Gewerkschaftsorganisator und in der Bürgerrechtsbewegung im Süden der USA aktiv.

Gewerkschafts- und FortschrittsaktivistInnen im ganzen Land sind bereits dabei, Strategien einer Antwort auf die gestrige Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu formulieren. Der Milliardär war in der Lage, die Unterstützung der Rechten zu gewinnen, die bereits das Repräsentantenhaus und den Senat, die meisten Bundesstaaten und viele Gerichte kontrollieren, indem er ihnen vertrauenswürdig versicherte, dass er die Anti-ArbeiterInnen-Politik verstärken werde, die die Reichen reicher macht. Gleichzeitig nutzte er Lügen, Angstmache und Sündenböcke, um die Unterstützung von vielen Opfern dieser Politik zu gewinnen. Trump wurde an die Spitze gehievt, weil er rund 60 Prozent der WählerInnen aus der weissen ArbeiterInnenklasse und 27 Prozent der WählerInnen bei den Latinos gewann, ein höherer Prozentsatz als für Mitt Romney (Kandidat der RepublikanerInnen bei der Präsidentenwahl 2012 gegen Obama). Alle Wählerbefragungen bei Verlassen der Wahllokale zeigten, dass diejenigen, die Bernie Sanders bei den Vorwahlen der DemokratInnen unterstützten, in voller Stärke zur Abstimmung für Hillary Clinton gingen, während nur etwa 1 Prozent der Wählerschaft die Grüne Partei unterstützte, nicht genug, um etwas zu bewegen. Die Libertäre Partei holte 3,3 Prozent der Stimmen, wobei die meisten andernfalls für Trump gestimmt hätten.

«Zornig und frustriert»

Die grosse Mehrheit der Trump-WählerInnen sagte, dass sie für ihn stimmten, weil er «das Establishment durcheinanderschütten» werde. Gleichzeitig sagten rund 61 Prozent, dass sie wissen, dass Trump nicht qualifiziert ist, Präsident zu sein. Viele sagten, dass sie Obama-DemokratInnen gewesen waren, aber nun das Gefühl haben, dass ihre Partei sie «aufgegeben» hat. Sie verwiesen auf die Tatsache, dass ihr Lebensstandard eingebrochen ist und dass sie sich nicht länger der wirtschaftlichen Sicherheit erfreuen, die sie einst hatten. Sie sagten, dass sie sich «zornig und frustriert» durch die Regierung fühlen und «einen Wechsel wollen». In Nachwahlumfragen in den Staaten des oberen Mittleren Westens, die unter der Deindustrialisierung gelitten haben, bezeichnete sich die Hälfte der WählerInnen, die für Trump gestimmt haben, selbst als Gewerkschaftsmitglieder. Rund 30 Prozent der GewerkschafterInnen in den umkämpften Swing-Bundesstaaten sollen Trump-UnterstützerInnen sein. Trump verstand es, den Ärger und die Angst vieler ArbeiterInnen in den sogenannten «Rostgürtel»-Staaten zu manipulieren, indem er ihre Meinung aufgriff, dass sie Jobs verloren hätten, weil das Nafta-Freihandelsabkommen (mit Kanada und Mexiko, Übers.) die Unternehmen ermutigt habe, ihre Tätigkeit nach Übersee zu verlagern. Er erinnerte unaufhörlich daran, dass Clinton als First Lady für die Annahme von Nafta geworben hat. De facto wurde Nafta aber gegen den Widerspruch der Mehrheit der DemokratInnen durchgesetzt, die zu jener Zeit im Repräsentantenhaus und Senat waren. Während seines Wahlkampfs hat Trump, obwohl er versprach, die durch Nafta und andere Handelsabkommen verlorenen Jobs «nach Amerika zurückholen», niemals einen Plan vorgelegt, um das zu tun. Stattdessen stachelte er Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an, indem er MigrantInnen für viele der wirtschaftlichen Nöte Amerikas verantwortlich machte. Trumps Sieg widerspiegelt den Erfolg von fremdenfeindlichen Rechten in vielen Ländern Europas. Zum Beispiel gelang es jenen, die den Rückzug Grossbritanniens aus der EU unterstützen, die «Brexit»-Abstimmung zu gewinnen, weil sie die Unterstützung der arbeitslosen und unterbeschäftigten britischen ArbeiterInnen fanden, die im deindustrialisierten zentralen Teil von England lebten. Die ökonomische Landschaft dort sieht sehr stark so aus wie das, was überall in den «Rostgürtel»-Staaten zu sehen ist.

Auch eine Chance

Clinton richtete ihren Wahlkampf darauf aus, «Gemässigte» anzusprechen, obwohl die Zahl der WählerInnen, die sich mit diesem Label identifizieren, seit der letzten Präsidentenwahl stark abgenommen hat. Die Tatsache, dass die USA so gespalten sind, stellt für ArbeitervertreterInnen und progressive AktivistInnen auch eine Chance dar. Tatsache ist, dass fast die Hälfte der WählerInnen nicht für Trump gestimmt hat. Darüber hinaus sagen viele von den arbeitenden Menschen, die für ihn gestimmt haben, dass sie ihn nun strikt dafür haftbar machen wollen, dass er seine Versprechen einhält. Die Schlacht gegen die Rechten wird nicht im Fernsehen oder im Internet gewonnen. Sie wird gewonnen durch die Organisierung der arbeitenden Menschen von Angesicht zu Angesicht. Die Gewerkschaftsbewegung muss reale Lösungen für reale Probleme finden, vor denen viele amerikanische ArbeiterInnen aller ethnischen Gruppen stehen. Jetzt, da Trump das Weisse Haus und die RepublikanerInnen die Kontrolle über alle Zweige der US amerikanischen Bundesregierung gewonnen haben, ist für die US-AmerikanerInnen, die eine gerechtere Gesellschaft anstreben, der Aufbau einer machtvollen Volksbewegung entscheidender denn je.

Aus dem vorwärts vom 18. November 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Freiheit für Selahattin Demirta und Figen Yüksekda!

selahattin-demirtas-ve-figen-yuksekdag-mal-varligini-acikladi-1448977629Der Angriff der türkischen Regierung gegen die politische Bewegung der KurdInnen und progressiven Menschen in der Türkei eskaliert weiter. Die beiden Co-Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP Selahattin Demirta und Figen Yüksekda wurden in der Nacht auf den 4. November verhaftet. Die HDP ist eine grosse Oppositionpartei und konnte bei den letzten türkischen Parlamentswahlen über zehn Prozent der Stimmen holen, damit ist sie die drittgrösste Partei im Parlament. Neben den Co-Vorsitzenden wurden zeitgleich auch der Fraktionschef Idris Baluken und weitere prominente VertreterInnen der HDP inhaftiert. Als Vorwand für die Verhaftungen wurde ihnen wie auch bei allen anderen Verhaftungen von HDP-PolitikerInnen Nähe zur militanten kurdischen ArbeiterInnenpartei PKK angelastet.

Nach dem gescheiterten Putsch im Juli hat die Regierung unter Erdogan die Repression stark ausgedehnt und unter anderem die Immunität von ParlamentarierInnen aufgehoben. In der Folge sind reihenweise RegierungskritikerInnen und oppositionelle PolitikerInnen verhaftet worden, zuletzt die Co-BürgermeisterInnen der grössten kurdischen Metropole, aber auch JournalistInnen der Zeitung «Cumhuriyet».

Die Türkei hat damit jeden Rest vom Scheins eines Rechtsstaats abgeworfen, es herrscht nun ohne jeden Zweifel eine brutale Diktatur. Die Schweiz darf keinesfalls die Augen davor verschliessen, dass in der Türkei die freie Ausübung der politischen Rechte massgeblich eingeschränkt und die grosse Oppositionspartei HDP unter fadenscheinigen Vorwürfen aufgerieben wird.

Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) fordert die umgehende Freilassung aller politischer Gefangenen und das Ende des Krieges gegen die KurdInnen und die fortschrittlichen Menschen in der Türkei. Die PdAS sichert den von der Regierung verfolgten Organisationen und Minderheiten ihre volle Solidarität zu.

Die Schweiz wird von der PdAS aufgefordert, sofort jede politische und ökonomische Unterstützung des Regimes abzubrechen und jede ihr verfügbaren diplomatischen und politischen Mittel anzuwenden, um die Freilassung der politischen Gefangenen anzutreiben. AKP-nahe und türkisch-faschistische Gruppen in der Schweiz müssen verboten werden, damit die Sicherheit der KurdInnen und fortschrittlichen TürkInnen in der Schweiz gewährleistet werden kann.

 

Von der Zarenherrschaft zum Sozialismus

vladimir_lenin_cc_img_0Vor 99 Jahren begann die Grosse Sozialistische Oktoberrevolution, eines der wichtigsten Ereignisse des letzten Jahrtausends und der Auftakt einer völlig neuen Ära. Zum ersten Mal in der Geschichte siegte die proletarische Revolution in einem Land; der Kapitalismus wurde gestürzt und musste dem Sozialismus weichen.

Das jahrhundertealte russische Zarenreich war zur Zeit des Ersten Weltkriegs von unlösbaren Widersprüchen zerfressen. Der Kapitalismus befand sich dort in der Entwicklung, in den Städten wie auf dem Land. Mit dem Aufschwung der Industrie in den grossen Städten bildete sich eine ArbeiterInnenklasse, die zwar eine Minderheit im Vergleich zur Gesamtbevölkerung darstellte, in den grossen Produktionseinheiten jedoch zu einer organisierten und kämpferischen Mehrheit konzentriert war. Weder die brutale Tyrannei des Zaren noch die exzessive Zensur konnten die Zunahme von Ar-beiterInnenkämpfen und die Verbreitung von revolutionären Ideen in Russland verhindern. Trotz der unbarmherzigen Repression entstanden und etablierten sich drei politische Parteien, die das Ende der absoluten Monarchie forderten: Die Konstitutionell-Demokratische Partei, auch Kadetten genannt (die Partei der liberalen Bourgeoise), die Partei der Sozialrevolutionäre (eine Partei, die sich auf die Tradition der russischen «Volkstümler» bezog) und einer wirklich marxistischen Partei, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands, die sich bald in die Menschewiki (wörtlich «MinderheitlerInnen», die ReformistInnen) und Bolschewiki («MehrheitlerInnen», RevolutionärInnen) aufteilte.

Das Vorspiel zur Revolution

Am 9. Januar 1905 schoss die Armee auf eine grosse Demonstration von Streikenden, die nach St. Petersburg gekommen waren, um ihre Klagen dem Zaren Nikolaus II. vorzubringen. Dieser Tag ging als Petersburger Blutsonntag in die Geschichte ein. Das Vertrauen, dass die russischen Parteien in den Zaren setzten, war für immer zerstört. Was folgte war die erste russische Revolution. Gewaltige Streiks brachen im ganzen Land aus. Moskau wurde von Barrikaden überzogen. Zum ersten Mal wurden Arbeiter- und Bauernräte, sogenannte Sowjets, gegründet, eine Form der neuen Demokratie, die den revolutionären Kampf anführten. Die Revolution wurde im Blut erstickt, aber nichts war mehr wie zuvor. Die ArbeiterInnen-klasse hatte in ihrer politischen Organisation einen entscheidenden Schritt vorwärts gemacht. Und das zaristische Regime war durch die Revolution ge-zwungen, gewisse Konzessionen zu machen und den Anschein eines Parlaments einzuführen: die Staatsduma. Die ersten Wahlen brachten den Oppositionsparteien erwartungsgemäss eine grosse Mehrheit. Nach zwei Auflösungen und einem Reformversuch des Wahlgesetzes konnte Nikolaus II. schliesslich eine weniger aufmüpfige Duma zusammenstellen; der Sturz des Regimes war jedoch nur noch eine Frage der Zeit. Wie die anderen imperialistischen Staaten versuchte das zaristische Imperium, seine inneren Widersprüche mit dem Ersten Weltkrieg zu lösen. Damit war der letzte Fehlschritt des Regimes getan. Die offizielle Propaganda hatte dem Volk einen klaren und schnellen Sieg versprochen, aber der Krieg zog sich in die Länge und trotz einigen militärischen Erfolgen erwies er sich als verheerend sowohl hinsichtlich der Verluste an Menschenleben als auch ökonomisch. Die Kriegsbeteiligung wurde immer unpopulärer und die Streiks und politischen Mobilisierungen gegen die Fortsetzung des Konflikts sowie die Aufstände und Desertionen innerhalb der Armee vervielfachten sich. Diese Widerstandskämpfe wurden dadurch erleichtert, dass die russischen ArbeiterInnen über eine Partei, die Partei der Bolschewiki, verfügten, die nicht der Politik des Burgfriedens zu Beginn des Krieges verfallen war und ihre Prinzipien nicht verraten hatte. Aus diesem Grund war die Partei in der Lage, im Gegensatz zum Grossteil der sozialdemokratischen Parteien der verräterischen Zweiten Internationale, den revolutionären Kampf anzuführen.

Die Februarrevolution

Am 23. Februar 1917 brach ein grosser Streik aus in St. Petersburg, der damaligen russischen Hauptstadt, der sich schliesslich zum Generalstreik entwickelte. Der Zar befahl der Armee, auf die Menge zu schiessen. Aber diese stellte sich auf die Seite der Aufständischen. Am 27. Februar übernahm der Petersburger Arbeiter- und Soldatensowjet das Taurische Palais, den Sitz der Duma, und er hätte die Staatsmacht erlangen können. Aber der Sowjet war von den SozialrevolutionärInnen und den Menschewiki dominiert, die am Dogma festhielten, dass die Revolution gegen den Zarismus nur eine bürgerliche sein und sie deshalb nur von der Bourgeoisie ausgeführt werden könnte, die dann in einer bürgerlichen Demokratie münden müsste. Alle parlamentarischen Gruppierungen in der Duma, ausgenommen den rechtsextremen MonarchistInnen, kamen in der Nacht auf den 28. Februar zusammen, um ein provisorisches Komitee der Staatsduma zu bilden und die zaristische Herrschaft zu ersetzen. Am 2. März wurde eine provisorische Regierung unter der Leitung von Fürst Lwow, einem Kadetten, konstituiert. Am Tag darauf dankte Nikolaus II. ab zugunsten seines Bruders, Grossfürst Michail, der seinerseits ein paar Tage später zurücktrat. Die Dynastie der Romanows, die Russland während drei Jahrhunderten regiert hatte, war gestürzt. Am 27. März verliess Lenin die Schweiz, wo er als politischer Flüchtling gelebt hatte, um die Führung des revolutionären Kampfes in Russland zu übernehmen.

Doppelherrschaft

Fortan war Russland eine bürgerlich-demokratische Republik und laut Lenin das vorläufig «freieste Land Europas» (im Sinne, dass die Provisorische Regierung nicht in der Lage war, einen strikten Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten wie andere Kriegsländer). Es unterstand für kurzer Zeit sogar einer «linken» Regierung, an deren Spitze der Sozialrevolutionär Alexander Kerenski stand. Diese Konstellation konnte die Probleme des Landes nicht lösen und die Forderungen der Bevölkerung nicht befriedigen. Man hatte zuvor versprochen, Frieden zu schliessen, aber nun beschloss die Regierung, den Krieg «bis zum Sieg» fortzuführen. Die Wirtschaft des Landes lag in Trümmern, eine Hungersnot drohte, die ArbeiterInnen lebten im extremen Elend. Die Regierung hatte nicht vor, dem abzuhelfen. Auch die versprochene Agrarreform, die Hauptforderung der Bauernschaft und die zentrale Losung der SozialrevolutionärInnen vor der Revolution, wurde nicht vollzogen. Gleichzeitig entstand im Land eine Situation der Doppelherrschaft. Offiziell war die Provisorische Regierung die Spitze des Staates. Aber ihre Macht war wackelig und stützte sich nur auf einen Staatsapparat, den sie vom Zarismus geerbt hatte und im Zerfall begriffen war. Die Provisorische Regierung konnte sich nur solange halten, wie sie von der anderen Macht, die im Land präsent war, akzeptiert wurde: Die Sowjets der ArbeiterInnen, BäuerInnen und SoldatInnen, die eine reelle Basis in der Bevölkerung wie in der Armee hatten. Die Sowjets wurden zuvor mehrheitlich von den Menschewiki und den SozialrevolutionärInnen kontrolliert, die sich weigerten, die Revolution gegen das Joch der bürgerlichen Legalität zu wenden. Sie lähmten damit die Handlungsfähigkeit der Sowjets und halfen der Provisorischen Regierung, an der Macht zu bleiben. Die Bolschewiki kämpften derweil unter der Parole «Alle Macht den Sowjets!» im Bewusstsein, dass sie darin in der Minderheit waren. Dadurch sollte die Macht schnell in die Hände der Ar-beiterInnen und BäuerInnen übergehen und eine Volksdemokratie entstehen, die auf der Koexistenz von mehreren Parteien, die dem Sozialismus positiv gesinnt waren, ruhen würde. Dieses Szenario kam nicht zustande, aufgrund der Politik der Menschewiki und SozialrevolutionärInnen, die ihren revolutionären Thesen objektiv den Rücken gekehrt hatten und um jeden Preis an der Kollaboration mit der Bourgeoise festhielten.

Die Oktoberrevolution

Diese Situation konnte keinen Bestand haben. Am 3. Juli liess die Provisorische Regierung ihre loyalen Truppen auf eine Versammlung der Bolsche-wiki schiessen, was 400 Tote und Verletzte zur Folge hatte. Sie versuchte, ebenfalls Lenin wegen Hochverrats zu verhaften, ohne Erfolg. Die Bourgeoisie wollte sich nun nicht mehr mit einer unsicheren provisorischen Regierung begnügen und setzte alles auf die Errichtung einer Militärdiktatur. Der Putsch unter General Lawr Kornilow, der dank des Einsatzes der Bolschewiki scheiterte, kündete das Ende der Herrschaft von Kerenski an. Ein Aufstand war notwendig geworden, um die Revolution zu retten. Die Provisorische Regierung wurde am 25. Oktober (bzw. am 7. November nach unserem Kalender) gestürzt. Die Hauptstadt befand sich in den Händen der revolutionären Truppen und der Bolschewiki. Am 26. Oktober wurde der 2. Allrussische Sowjetkongress eröffnet, an dem die Bolschewiki nun die Mehrheit stellten. Der Kongress nahm das Dekret über den Frieden, das den sofortigen Friedensschluss unter fairen Bedingungen für alle beteiligten Nationen verkündete, und das Dekret über den Grund und Boden an, das alles Landeigentum ohne Kompensation dem Volk übergab. Der Kongress wählte ausserdem einen Rat der Volkskommissare, die erste revolutionäre Regierung Russlands, mit Lenin an der Spitze. Die Revolution weitete sich schnell auf den Grossteil des Landes aus, oft mit Gewalt, manchmal ohne auf Widerstand zu stossen. Anfang Juli 1918 nahm der 5. Allrussische Sowjetkongress die erste Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik an, die die Basis der Macht der ArbeiterInnen und BäuerInnen und des Sozialismus bildete. Der erste Arbeiter- und Bauernstaat der Geschichte war geboren.

Aus dem vorwärts vom 4. November 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Wer eine anfasst, fasst alle an

sciopero_generale_04Es reicht: Lateinamerikanische Länder demonstrieren gegen Frauenmorde und Macho-Kultur. In Argentinien legten Tausende Frauen die Arbeit nieder.

Feminicidio (Femizid) ist in Lateinamerika nicht ein praxisferner Fachbegriff, sondern Realität. Die Anzahl der Morde aus Frauenhass ist gross. Die Nichtregierungsorganisation «Haus der Begegnung» zählte zwischen 2008 und 2016 beispielsweise allein in Argentinien 2094 registrierte Fälle. Sicher gibt es eine Dunkelziffer, zudem bleiben 98 Prozent der Gewaltverbrechen unaufgeklärt, so dass die Täter strafffrei bleiben. Man sagt, dass alle 30 Stunden in Argentinien eine Frau stirbt. In der Praxis sind alle Zahlen Menschen: Lucia Pérez, ein 16-jähriges Mädchen aus Mar del Plata, wurde in der Nacht vom 8. Oktober ermordet, vorher mit Drogen betäubt und vergewaltigt. Schlussendlich führten innere Verletzungen zum Tod.

Ein nationaler Frauenstreik

Das wird nicht mehr einfach so hingenommen: Am 19. Oktober demonstrierten nach dem Aufruf der Fraueninitiative #NiUnaMenos 100 000 Leute in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gegen Feminicidio. Zwischen 13 und 14 Uhr wurde in 80 Städten die Arbeit niedergelegt und später fanden landesweit Versammlungen und Demonstrationen im öffentlichen Raum statt. Viele linke und feministische Organisationen forderten an diesem nationalen Frauenstreik Massnahmen für ein Ende der ökonomischen und sozialen Benachteiligung von Frauen sowie die Anerkennung der nach wie vor unbezahlten Haus- und Erziehungsarbeit. Die Benachteiligung der Frau im Allgemeinen ist einer der Mitgründe für die geschlechtsbezogene Gewalt.

Zwar gibt es in Argentinien seit 2012 ein Gesetz, das eine lebenslange Haftstrafe für Frauenmorde vorsieht. Doch es braucht zusätzliche Massnahmen. «Der Kampf für sexuelle und reproduktive Rechte ist einer der zentralen Schwerpunkte. Dazu gehört die Entkriminalisierung der Abtreibung und ein landesweit einheitlicher Zugang zum legalen Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigungen oder bei Risiken für die Gesundheit der betroffenen Frauen oder Mädchen», meint Beat Gerber, Mediensprecher von Amnesty International Deutschschweiz.

Dies sind Forderungen, die immer mehr Gewicht erhalten, da sich neben einer grossen Masse auch bekannte Persönlichkeiten aus Kultur und Politik, darunter die Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel dafür stark machen. «Dass die Forderungen der Proteste in Argentinien auch strukturelle Gewalt und Anerkennung von unbezahlter Care-Arbeit beinhalten, begrüssen wir. Es zeigt, wie tief das Problem geht», sagt Milena Geiser von der feministischen Friedensorganisation cfd.

Eine Protestkultur entsteht

Neu sind Frauenmorde nicht, zumal es ohnehin eine hohe Anzahl von Gewaltopfern in lateinamerikanischen Ländern gibt. International bekanntgeworden sind diese spezifischen Morde unter anderem durch den Roman «2666» des chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño. Grundlage für den Roman waren die Frauenmorde von Ciudad Juárez, einer seit mindestens Anfang der 1990er-Jahre andauernden Mordserie in der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez. Was sich mittlerweile geändert hat, ist, dass sich AktivistInnen in grosser Zahl organisieren. In Peru demonstrierten im August 150 000 Menschen unter dem Motto «Wer eine anfasst, fasst alle an»; in diesem Jahr wurden bis im August bereits 54 Frauen getötet. Andere Länder ziehen mit. Auch Mexiko, wo je nach Angaben jeden Tag sieben Frauen getötet werden, konnte eine Protestkultur aufgebaut werden. In Kolumbien versammelten sich Frauen zu Kundgebungen in verschiedenen Städten – so auch in Venezuela, Brasilien, Uruguay, Paraguay, Bolivien, Chile, Honduras, Ecuador, Costa Rica, El Salvador und Guatemala. Trotz der Gesetzte, die – ähnlich wie in Argentinien – zum sogenannten «Schutz der Frauen» geschaffen wurden, ist die Gewalt nicht kleiner geworden. Es ist ein kultureller Wandel nötig, um dies zu verändern.

Lateinamerika wacht auf und setzt sich gegen den Machismo zunehmend zur Wehr. Das ist bitter nötig; denn die Morde sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was sich in den Haushalten abspielt.

Kurzinterview mit Dr. Adrian Herrera von der Universität Köln.

Warum passieren in Lateinamerika und in Argentinien eine so hohe Zahl an Femicidios?

In der lateinamerikanischen Kultur ist es nicht selten, dass Frauen nur als passive Sexobjekte betrachtet werden. Auch Witze über Frauen, in denen sie zumeist als «dumm» dargestellt werden, sind nicht selten. Dazu kommt auch die unterwürfige Rolle, die ihnen der in vielen Ländern stark ausgeprägten Katholizismus zuschreibt. In einer Gesellschaft, in der Frauen sich immer mehr emanzipieren – Gewalt gegen sie ist ein horrender Ausdruck von Macht –, ist das eine Art und Weise, um ihnen zu sagen: «Vergiss nicht, wo du hingehörst!» Gleichzeitig kommen in Lateinamerika immer mehr Frauen an Machtpositionen – das ist ein grosses Paradoxon.

Warum organisiert sich ausgerechnet jetzt eine so grosse Zahl an AktivistInnen?

Es gibt natürlich immer Auslöser, die zu Massendemonstrationen führen, wenn die Gesellschaft sich besonders erschreckt und berührt fühlt – die grausame Gewalt gegen diese 16-jährige Teenagerin ist mit Sicherheit nicht ein isolierter Fall, aber indem er bekannt wurde, haben AktivistInnen entsprechend reagiert. Ausserdem darf man nicht vergessen, wie aktiv die argentinische Gesellschaft ist, wenn es darum geht, Menschenrechte zu verteidigen.

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Ein aktives Zeichen der Solidarität

kisanak_3144Linke GemeinderätInnen haben einen Austausch zwischen Zürich und der Stadt Amed/Diyarbakir in der Türkei angeregt und mit Hilfswerken das Komitee «Brückenschlag Zürich-Amed/Diyarbakir» gegründet. Der vorwärts hat mit dem Komitee gesprochen.

Gülten Kisanak und Firat Anli sind Co-BürgermeisterInnen von Amed/Diyarbakir, mit 1,6 Millionen EinwohnerInnen eine der grössten Städte der Region sowie eine Hauptstadt für das kurdische Volk. Vor zwei Wochen besuchten sie auf Einladung des Komitees «Brückenschlag Zürich-Amed/Diyarbakir» die Schweiz und sprachen vor den Medien und auf einer Podiumsdiskussion über die Lage in der Türkei und das solidarische Projekt. Die PolitikerInnen gehören der prokurdischen Partei HDP an, die starker Repression von Seiten der türkischen Regierung ausgesetzt ist. Seit einiger Zeit herrscht wieder Krieg im Südosten der Türkei, in Nordkurdistan. Die Altstadt von Amed/Diyarbakir liegt in Trümmern, 23 000 Menschen mussten ihre Häuser in der Stadt verlassen, gleichzeitig strömen Flüchtlinge aus der Region in die Metropole. In dieser Situation hat der Brückenschlag eine wichtige symbolische Bedeutung.

Die Stadt Zürich und die Stadt Amed/Diyarbakir sollten durch eine Städtepartnerschaft verbunden werden, nun gibt es einen Brückenschlag auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Wie ist die Idee entstanden?

Seit dem Sommer 2015 führt der türkische Staat wieder Krieg in Nordkurdistan und zerstört ganze Städte. Dadurch hat sich die Lage der Bevölkerung massiv verschlechtert. In dieser Situation wollte die ehemalige SP-Gemeinderätin Rebekka Wyler ein aktives Zeichen der Solidarität setzen und lancierte die Idee einer Städtepartnerschaft mit Amed/Diyarbakir, einer der am meisten betroffenen Städte in Nordkurdistan. Zusammen mit Ezgi Akyol von der Alternativen Liste und dem Grünen Muammer Kurtulmus reichte sie deshalb das Postulat für eine Städtepartnerschaft ein. In Amed/Diyarbakir fiel die Idee auf fruchtbaren Boden. Stadtregierung und Verwaltung zeigten sich interessiert an einem Austausch über verschiedene Themen, zum Beispiel über den öffentlichen Nahverkehr, über Heimatschutz und Denkmalpflege sowie Abfallentsorgung, weil sie an Projekten in diesen Bereichen arbeiten.

Wieso lehnte die Zürcher Stadtregierung eine Städtepartnerschaft ab?

Der Stadtrat führte in seiner Antwort auf das Postulat zwei Gründe an. Erstens fänden in Amed/Diyarbakir kriegerische Auseinandersetzungen statt und in einem solchen Umfeld seien die Voraussetzungen für eine offizielle Städtepartnerschaft nicht gegeben. Es würden die verlässlichen Partnerinnen und Partner fehlen und die notwendige staatliche Akzeptanz sei nicht gegeben. Zweitens sei eine Städtepartnerschaft, wenn sie Inhalt und Substanz aufweisen soll, mit erheblichem, langfristigem Aufwand verbunden. Deshalb begrüsste der Stadtrat dann die Abänderung des Postulats, worin nicht mehr von einer Städtepartnerschaft, sondern von einem Brückenschlag die Rede ist. Der Brückenschlag hat in Zürich auch eine eigene Tradition, weil unter diesem Titel schon länger eine Zusammenarbeit mit dem Kanton Uri besteht. Daran konnte der neue Brückenschlag anknüpfen. Der Begriff Brückenschlag beinhaltet auch das, was für die PostulantInnen im Zentrum steht: Die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit – und nicht in erster Linie der Austausch zwischen Verwaltungsstellen.

Welche gemeinsamen Projekte zwischen den Städten hat das Solidaritätskomitee im Sinn?

Der Brückenschlag ist noch jung, auch das Solidaritätskomitee hat sich erst diesen Sommer gebildet. Trotzdem, um dem Brückenschlag zwischen Zürich und Amed/Diyarbakir nach der Überweisung des Postulats rasch Gestalt zu geben, hat das Komitee eine Delegation aus Amed/Diyarbakir nach Zürich eingeladen. Die Kontakte sind nun hergestellt, aber es ist zu früh, um von konkreten Projekten zu sprechen. Die politische Entwicklung in Amed/Diyarbakir ist offen. Es ist möglich, dass die beiden Co-BürgermeisterInnen, die hier auf Besuch waren, von der Regierung abgesetzt werden, wie 28 ihrer KollegInnen. Ein erstes Zeichen der Solidarität ist mit dem Brückenschlag und dem Delegationsbesuch gemacht. Es wird weitere brauchen. Das Komitee setzt sich auch dafür ein, dass der Konflikt in Kurdistan bei uns nicht vergessen geht. Zudem soll materielle Hilfe organisiert werden.

Wie sieht die Situation in Amed/Diyarbakir gegenwärtig aus?

Die politische Situation ist unsicher, weil niemand weiss, was der türkische Staat als nächstes unternimmt. Am Schlimmsten ist die Situation in Sur, der Altstadt von Amed/Diyarbakir. Teile von ihr wurden 2015 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Sur ist durch den massiven Einsatz von schweren Waffen durch die türkische Armee weitgehend zerstört. Die BewohnerInnen sind vertrieben. Fünf Bezirke sind auch heute noch vom Militär abgeriegelt. Jetzt ist ein Prozess der Enteignung der ehemaligen BewohnerInnen von Sur im Gang. Der türkische Staat will die Altstadt nach neuen Plänen wiederaufbauen und dann die Liegenschaften an Private verkaufen. Es handelt sich dabei um ein gewaltiges Projekt von Vertreibung und Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen von Sur.

Amed/Diyarbakir ist ein Ziel für kurdische Flüchtlinge aus Syrien und der Region, gleichzeitig gibt es in der Stadt Binnenflüchtlinge durch die Angriffe der türkischen Regierung. Wie geht die Stadt mit den Flüchtlingen um?

Gemäss den Ausführungen der Delegation fanden die aus Sur Vertriebenen bei Verwandten, Bekannten und FreundInnen Unterkunft. Zu den städtischen Binnenflüchtlingen kommen auch jene, die durch die Politik der verbrannten Erde der türkischen Armee vom Land in die Städte vertrieben werden. Und wie du erwähnst, sind viele Flüchtlinge aus der Region in Amed/Diyarbakir gelandet. Die Stadtverwaltung, aber auch soziale Organisationen bauen mit ihnen Projekte auf, beispielsweise Gärten, um Arbeit und Nahrungsmittel zu produzieren. Die Solidarität, die die kurdische Bevölkerung in dieser schwierigen Situation zeigt, ist ausserordentlich.

Die beiden Co-BürgermeisterInnen zeigten sich am öffentlichen Verkehr von Zürich interessiert. Gibt es etwas, bei dem Zürich von Amed/Diyarbakir lernen kann?

Wir hier in Zürich, in ganz Europa, sollten uns ein Beispiel an der zuletzt erwähnten Solidarität der Menschen in Amed/Diyarbakir nehmen. In einer fast aussichtslosen Situation zeigen sie eine Offenheit, Grosszügigkeit und Solidarität, angesichts der wir dringend über unsere Bücher gehen müssen. Ein zweiter Punkt ist das Gesellschaftsmodell, das in Nordkurdistan verwirklicht werden soll. Ezgi Akyol hat es so formuliert: «Ziel ist ein freies, demokratisches, ökologisches und geschlechtergerechtes Leben. In der Basisdemokratie sollen Dorf- und Stadtversammlungen über ihre Angelegenheiten entscheiden. Jede Führungsposition muss gleichzeitig von einem Mann und einer Frau besetzt sein.» Da gibt es einigen Lernstoff für uns – und auch für die Zürcher Stadtverwaltung…

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Abschottung und Aufrüstung

European flags in BrusselsGrenzen zu und mehr Militär – so will die EU «besser werden». Am Gipfeltreffen von Mitte September beschlossen die EU-ChefInnen mit dem «Fahrplan von Bratislava», wie sie der «Krise» Herr werden wollen. Fahrplan einer Fahrt, die in die falsche Richtung geht.

Sie klangen tatsächlich ziemlich alarmiert, die EU-Oberen, die am 16. September zum Gipfeltreff in Bratislava zusammenkamen. Kommissionspräsident Juncker hatte zwei Tage vorher in seiner Rede vor dem EU-Parlament eine «existenzielle Krise» der EU ausgemacht. Aber auch Kanzlerin Merkel meinte bei ihrer Ankunft in Bratislava: «Wir sind in einer kritischen Situation». Es müsse jetzt darum gehen, «durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können.»

Zugleich sollte allerdings nicht übersehen werden, dass das alarmistische Krisengerede auch einen Zweck verfolgt. «Mehr Geschlossenheit zeigen», heisst die Parole. Gemeint ist damit, dass die verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten sich wieder mehr den von den Führungsmächten gewollten Vorgaben unterordnen und auf «Eigenmächtigkeiten» verzichtet sollen. Die EU sei «zwar nicht fehlerfrei», aber doch «das beste Instrument, über das wir verfügen», heisst es in der von den Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen verabschiedeten «Deklaration von Bratislava». Die führenden Kapitalkreise und ihre politischen AkteurInnen brauchen die EU als Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen nach innen und aussen. Deshalb wollen und werden sie mit aller Entschlossenheit an der Fortentwicklung und dem Ausbau der EU festhalten.

Die EU-Armee kommt

Die «Deklaration von Bratislava» verdeutlicht, wie die EU Chefs die derzeitige «kritische Situation» in den Griff bekommen wollen und wohin die Reise in den nächsten Monaten gehen soll. Kernaussage: Es gehe jetzt vor allem darum, «die politische Kontrolle über die Entwicklungen sicherzustellen». Dazu wurde in Bratislava als Anhang zur verabschiedeten «Deklaration» auch ein «Fahrplan» mit den «Kernprioritäten» für die nächsten Monate verabschiedet. Nach diesem «Fahrplan» konzentriert sich das «Besserwerden» der EU in den nächsten Monaten im Wesentlichen auf zwei Hauptpunkte: Erstens auf die weitere Abschottung der EU gegen Menschen auf der Flucht und zweitens auf den Ausbau der EU-Militärmacht.

Zum Flüchtlingsthema wird unter anderem das «uneingeschränkte Festhalten» an dem schändlichen Abschiebeabkommen mit dem autoritären Erdogan-Regime in der Türkei sowie die Erhöhung der Zahl der Frontex-GrenzschützerInnen an der Grenze Bulgariens zur Türkei festgeschrieben. Bis Ende des Jahres soll die EU-Grenz- und Küstenwache weiter ausgebaut werden. Doch die eigentliche Streitfrage zwischen den beteiligten Staaten, nämlich die EU-weite Aufteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Staaten nach einem von der EU festgelegten Schlüssel, wurde mit keinem einzigen Wort angesprochen.

Die EU-Oberen geben vor, mit ihren «Massnahmen» dem Anwachsen rechtsextremistischer Kräfte in der EU entgegenwirken zu wollen. Aber in Wahrheit übernehmen sie damit nur die Verwirklichung der rechtsextremistischen Forderungen und Parolen als EU-eigene Politik. Der zweite Hauptpunkt des Bratislava-Fahrplans ist der Ausbau der Militärmacht. Ein Kernpunkt ist dabei die Einrichtung eines ständigen «EU-Militärhauptquartiers für Auslandseinsätze» nach einem kurz vorher von Merkel und Hollande gemeinsam vorgelegten Vorschlag. Kommissionschef Juncker plädierte vor dem EU-Parlament auch für die Schaffung «gemeinsamer militärischer Mittel», die, so wörtlich, «in einigen Fällen auch der EU gehören sollten». Also eigene Truppenteile als Kern einer künftigen «EU-Armee». Davon soll dann vor allem die EU-Rüstungsindustrie profitieren, bei der die EU neue Ausrüstungen bestellt. Denn «eine starke europäische Verteidigung braucht eine innovative europäische Rüstungsindustrie», betonte Juncker.

Eine Erkenntnis bleibt

Im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hingegen gibt es im «Fahrplan von Bratislava» kaum nennenswertes Neues. Die von Brüssel diktierte rigorose Spar- und Kürzungspolitik wird mit keinem Wort erwähnt. Noch weniger natürlich Vorstellungen, wie etwa der Einführung eines verbindlichen europäischen Mindestlohns oder der Schaffung von Arbeitsplätzen durch eine EU-weite Festschreibung der Verkürzung der Arbeitszeiten. Ganz zu schweigen von Massnahmen zur Reduzierung der ungleichen und ungerechten Verteilung des Reichtums. Es bleibt bei der Erkenntnis: Fortschritte in diese Richtung sind nicht «von oben» zu erwarten. Sie müssen von den Völkern selbst erkämpft werden.

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Der ungesehene Krieg

krieg-kurdistanAm Anfang steht die Kritik. Die Kritik an der europäischen Öffentlichkeit, die ihren Blick zwar auf Rojava und die kurdische Bewegung gerichtet hatte, als sich deren Selbstverteidigungseinheiten erfolgreich gegen den IS behaupteten; dann aber schwiegen, als sich im Herbst 2015 ein neues Kampffeld auftat.

Nunmehr war es nicht mehr allein der «Islamische Staat», der Hunderttausende KurdInnen aus ihren Häusern vertrieb und Hunderte ZivilistInnen massakrierte, schändete und bei lebendigem Leibe verbrannte. Es waren nicht mehr Städte in Syrien, die unter militärischen Beschuss genommen, dem Erdboden gleichgemacht wurden. Und es waren nicht mehr religiöse FanatikerInnen, die von «Säuberung» sprachen, von Genozid, vom unbedingten Willen, den kurdischen Widerstand endgültig zu zerschlagen.

Es war (und ist) der türkische Staat, innerhalb der eigenen Landesgrenzen – im Südosten des Landes, in Nordkurdistan (Bakur) –, unter Führung des Staatspräsidenten, Recep Tayyip Erdogan, dem «Sultan», dem engen Partner der deutschen Bundesregierung, der Nato und der EU – das Schutzschild für Europa, in der gegenwärtigen «Flüchtlingskrise».

Es ist Krieg, und keiner schaut hin. Das ist die Kritik, die am Anfang steht, zu Beginn dieses Buches, in dem fünf deutsche, türkische und kurdischen AutorInnen mit zahlreichen Berichten, Reportagen, Gedächtnisprotokollen, Analysen und Interviews auf journalistisch-sachliche und persönlich-nahegehende Weise von jenen Ereignissen erzählen, die sonst ungesehen blieben.

12_hinter-den-barrikadenEs begann mit Gezi

Zwei Monate lang, im Januar und Februar 2016, reiste eine Recherchegruppe des Lower Class Magazines durch Nordkurdistan, besuchte die vom türkischen Staat belagerten Städte – die kurdischen Metropolen Diyarbak?r (Amed), Nusaybin und Cizre, das verhältnissmässig kleine aber strategisch wichtige Idil, die Städte Silopi und S?rnak , die als PKK-Hochburg geltende Grenzstadt Yüsekova (Gever) – und wurde Zeuge eines bewaffneten Konflikts, dessen Auslöser über tausend Kilometer weit entfernt und fast genau drei Jahre zurück liegt.

Es begann in Istanbul, im Sommer 2013, mit einer Handvoll UmweltaktivistInnen, die dagegen aufbegehrten, dass der Gezi-Park einem Einkaufszentrum weichen sollte. Die unverhohlene Gewalt, die der türkische Staat gegen diesen Protest an den Tag legte, entfesselte eine unvorhergesehene Dynamik: Aus einer kleinen Widerstandsbewegung wurde innerhalb von wenigen Tagen ein Volksaufstand, an dem sich insgesamt mehr als 8 Millionen Menschen beteiligten. «Was bis dahin sehr gut funktioniert hatte, brach wie ein Kartenhäuschen in sich zusammen und die Opposition gegen die zunehmende Repression, den zunehmenden Autoraritismus und die zunehmenden materiellen Nöte (…) brach die Mauer der Angst und schlug geballt zu», schreibt Alp Kayserilioglu im Rückblick auf die Geschehnisse von damals.

Der Weg zur Autonomie

Mit dem Gezi-Aufstand war auch die «Isolationsmauer um die kurdische Bewegung» gefallen. «Die Akzeptanz für die demokratischen Anliegen der KurdInnen war gestiegen, das Ansehen der AKP schwer angeschlagen», eine Entwicklung, die sich in der darauffolgenden Zeit, etwa mit der Erstarkung der pro-kurdischen Partei HDP, weiter fortsetzte.

Das, und die erfolgreichen Kämpfe der Volksverteidigungseinheiten YPG gegen den IS in Syrien, stärkte das Selbstbewusstsein der Bewegung in der Türkei und führte mit dazu, dass sich die KurdInnen – nach dem Bombenanschlag auf die HDP-Wahlveranstaltung in Diyarbakir, nach dem Attentat des IS auf sozialistische Jugendliche in Suruç, nach den darauf folgenden türkischen Luftangriffen auf kurdische Stellungen in Syrien und den flächendeckenden Razzien gegen vermeintliche AnhängerInnen von «Terrororganisationen», womit vorwiegend die PKK gemeint war, in der Türkei – vielerorts vom Staat lossagten.

Bis Ende August 2015 wurde in «mindestens 16 Städten und/oder Stadtbezirken» die Autonomie ausgerufen. «Die Autonomieerklärung war hierbei nicht als Kriegserklärung gedacht. Sie ist einfach eine logische Konsequenz», wie der linke Rechtsanwalt Tamer Dogan in einem Interview vom September 2015 erläutert.

Erdogan sah das anders. Am 4. September 2015 wurde über Cizre, «zwecks ‹Säuberung der Stadt von Mitgliedern der separatistischen Terrororganisation› (gemeint ist die PKK)», die erste, achttägige Ausgangssperre verhängt. Auf Cizre folgten andere. Bis im Frühjahr 2016 verzeichnete die «Türkische Menschenrechtsstiftung» (TIHV) 65 Ausgangssperren; die längste in Sur, der Altstadt von Diyarbakir, mit über 140 Tagen.

Was die Recherchegruppe auf ihrer Reise durch Nordkurdistan unter dem Begriff «Ausgangssperre» antraf, war ein Belagerungszustand. Die Versorgung der abgeriegelten Gebiete war fast gänzlich unterbrochen worden, die Wasserleitungen gekappt oder verseucht und Hilfsgüter wurden nicht durchgelassen. Ärzten, die Verletzten Hilfe leisten wollten, wurde mit dem Tod gedroht. Zehntausende Polizeieinheiten, Militärs und Sondereinsatzkommandos kontrollierten die Städte, in die sie mit Panzer einmarschiert waren. Scharfschützen schossen zu den Sperrzeiten auf alles, was sich bewegte, selbst auf Kinder. Ganze Stadtteile wurden unter Artilleriebeschuss genommen. «Nur die Luftwaffe fehlt (noch)», ist in einem Beitrag von Alp Kayserilioglu vom Februar 2015 zu lesen.

Hinter den Barrikaden

Doch wo Angriff ist, ist auch Widerstand: Von Diyarbak?r bis Yüsekova trafen die JournalistInnen auf Menschen, die sich hinter Gräben und Barrikaden zur YPS, zu Zivilverteidigungseinheiten, zusammengeschlossen hatten, um die Aggression des türkischen Staates abzuwehren. Es sind vornehmlich Jugendliche, die in der Stadt aufgewachsen sind, jeden Winkel kennen und sich, im Kampf gegen die Belagerungskräfte, zur Guerilla an der Waffe ausgebildet haben. «Jeder Angriff war für die Jugendlichen eine Art Erziehung (…). Die Menschen lernten, indem sie kämpften. (…) Das ist die organisierte Antwort auf die Situation, in der wir uns befinden», erklärt YPS-Kämpfer Semsettin Ertan in einem Interview mit Peter Schaber.

Doch diese «Situation», auch das wird deutlich, ging und geht weit über die Belagerungen hinaus. Was die Menschen im Südosten der Türkei antreibt, ist– nicht anders als in Rojava und in den Kandil-Gebirgen, dem Stützpunkt der PKK, wo die Recherchereise endet – der Wille für einen «demokratischen Konföderalismus», für Selbstbestimmung und Selbstverwaltung – oder, wie es in Schabers Notizen heisst – für ein Lebensgefühl «in dem man den Anderen nicht mehr als Schranke und Begrenzung seiner selbst wahrnimmt, sondern unter Menschen Mensch wird».

Lower Class Magazine (Hg.): Hinter den Barrikaden. Edition Assemblage, 2016, 184 Seiten, ca. 15 Franken

Blockiert vor der Grenze

Seit Juli stecken hunderte Personen, die in Europa Asyl suchen, an der Grenze zwischen Como und Chiasso fest. Während die für die prekäre Situation Verantwortlichen ungeschoren davon kommen, werden solidarische Menschen kriminalisiert.

Ein Telefonanruf am Donnerstag, 1. September. Ich werde darüber informiert, dass die Tessiner Grossrätin Lisa Bosia Mirra verhaftet wird. Sie hätte vier papierlosen Jugendlichen geholfen, in die Schweiz einzureisen. Die Präsidentin der Flüchtlingshilfsorganisation Firdaus unterstützt schon seit Juli Hunderte von Asylsuchenden, die in Como von Schweizer GrenzwächterInnen blockiert werden. Gegen Lisa, die gegenwärtig wieder auf freiem Fuss ist, wird nun strafrechtlich ermittelt.

Eine Entscheidung «von oben»

Vom 21. bis 22. August reiste ich mit einem Tessiner Genossen nach Como. In Chiasso haben wir Lisa getroffen, wo ihre Organisation jeden Tag das Mittag-essen für die MigrantInnen auf der anderen Seite der Grenze zubereitet. An diesem Tag hatte Firdaus etwa 900 Teller in dem Park ausgeteilt, der ein paar Meter vom Bahnhof San Giovanni entfernt liegt und wo hunderte Männer, Frauen und Kinder auf die Weiterreise warten. Warum hat man ihre Flucht vor den Toren der reichen Schweiz aufgehalten? Die Bundesregierung behauptet, dass alles bestens sei, dass man nichts ändern werde und dass das Grenzwachtkorps (GWK) seine Arbeit gut mache. «Alles läuft korrekt ab», so Bundesrat Ueli Maurer. Wie die Asylrechtsexpertin von Amnesty International Schweiz jedoch feststellt, schicken die GrenzwächterInnen 60 Prozent der Personen ohne gültige Reisepapiere zurück nach Italien, zuvor waren es 10 Prozent. Mehrere Organisationen haben nachgewiesen, dass Personen, die eindeutig die Absicht hatten, in der Schweiz Asyl zu beantragen, nach Italien abgeschoben wurden, darunter Minderjährige ohne Begleitung, die zu ihrer Familie in der Schweiz wollten. Die Abschiebungen stützen sich auf ein Rückübernahmeabkommen, das im Jahr 2000 von der Schweiz und Italien ratifiziert wurde, und nichts zu tun hat mit einer strengen Durchsetzung der Dubliner Verträge, wie dies unter anderem die Bundesrätin Simonetta Sommaruga behauptet. Eine solche Kehrtwende in der Praxis kann nur durch eine Entscheidung «von oben» stammen. Aber das Wer, Was und Warum sind Fragen, auf die der Bundesrat bis heute die Antwort verweigert.

Ueli Maurer als Chef des GWK

Die Verschärfung des Grenzregimes hat man schon seit einiger Zeit erwartet. Angesichts der «Notfallplanung Asyl», die vom Bundesrat zusammengeschustert und im vergangenen April veröffentlicht wurde, gibt es nicht mehr den Schatten eines Zweifels: Falls die Schweiz mit einer grösseren Zahl von Asylgesuchen konfrontiert ist, «verstärkt das GWK mit Schwerpunktbildungen die Kontrolle der Landesgrenzen an den neuralgischen Grenzabschnitten und sorgt für die Umsetzung der Rückübernahmeabkommen mit den Nachbarstaaten.» Gleichzeitig verkündete der Bundesrat die Schaffung von 130 neuen Stellen im GWK bis 2017. Offensichtlich gelten Sparmassnahmen nicht für alle staatlichen Sektoren. Maurer traf sich im Juli mit seinem italienischen Pendant Angelino Alfano, um die Kooperation beider Länder zu verbessern und sich mit ihm auf drei Punkte bezüglich des Grenzschutzes zu verständigen. Erstens soll die Präsenzzeit der italienischen Behörden an der Tessiner Grenze deutlich ausgedehnt werden, damit illegale MigrantInnen «sofort und effizient» abgeschoben werden könnten. Zweitens sollen «in den grenzüberschreitenden Zügen von Mailand über die Schweiz nach Paris gemischte Patrouillen italienischer und schweizerischer Grenzbeamter eingeführt werden». Geplant ist ausserdem ein Krisenstab im Tessin, das beide Länder über die Migrationslage informiert. Mitte Juli schlug der Bundesrat das 48-Stunden-Verfahren, das bisher bei Menschen aus dem Westbalkan angewendet wurde, für «MigrantInnen aus Afrika» vor.

Die Geflüchteten werden bleiben

Das Ziel dieser Verschärfungen ist in den Worten Maurers «eine schnelle Rückführung von illegalen Migranten». Aber: Genauso wie Krieg, Verfolgung und Armut nicht einfach verschwinden werden, weil man die Auge verschliesst, werden sich die Personen, die nach Europa fliehen, nicht einfach in Luft auflösen, wenn man die Zahl der GrenzwächterInnen erhöht. Die Geflüchteten werden da bleiben, blockiert, sichtbar, störend, auf eine Lösung wartend, damit sie ihren Weg fortsetzen können. Man darf also nicht erstaunt sein, wenn diese sich an FluchthelferInnen wenden. Es stimmt, einige davon sind kriminell. Sie profitieren von der Not anderer und bereichern sich an ihnen. Aber ihre Abwesenheit von Moral ist nicht weniger verwerflich als die der Verantwortlichen in der Schweiz und in Europa, die eine unmenschliche Asylpolitik verteidigen, die Menschen tötet. Und diejenigen HelferInnen wie Lisa, die aus Solidarität Widerstand leisten, um anderen auf der Flucht, auf der Suche nach einem besseren Leben zu helfen, verdienen unseren Respekt. Jeder Versuch, sie zu kriminalisieren, muss bekämpft werden.

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Frankreichs ArbeiterInnen machen mobil

06_FrankreichNach Demonstrationen und Militanz kommt jetzt der Arbeitskampf: Um die drohende Reform des Arbeitsgesetzes zu verhindern, treten Frankreichs ArbeiterInnen in den Ausstand. Streiks legen Raffinerien und Häfen lahm, der öffentliche Verkehr soll folgen.

Streikunterstützung heisst Volltanken. Dieser Auffassung ist jedenfalls eine wachsende Zahl von UnterstützerInnen der französischen Sozialprotestbewegung. Ökologisch motivierte Bedenken gegen den motorisierten Individualverkehr seien vorläufig einmal zurückgestellt: Jetzt muss ein Autotank her, den man möglichst voll macht, und wenn es geht, auch noch ein paar Kanister dazu. Denn der Streik, der rund um den 20. Mai in den französischen Raffinerien begonnen hat, soll möglichst schnell seine Wirkung zeigen.

Mit dem Arbeitskampf in der petrochemischen Industrie werden nun von Seiten der Gewerkschaften und der Sozialprotestbewegungen andere Saiten aufgezogen – und zugleich eine Perspektive geschaffen, um aus dem Dilemma herauszukommen, das wochenlang darin bestand, zwischen folgenlosen «Latschdemonstrationen» – nach deren Ende man brav nach Hause geht – einerseits, und militanten Kleingruppenaktionen mit strategischer Ausrichtung auf «Glasbruch» andererseits, wählen zu müssen.

Härtere Repression gegen Proteste

Beide Optionen haben längst ihre engen Grenzen gezeigt. Auf Demonstrationen reagiert die Regierung unter dem rechten Sozialdemokraten Manuel Valls ganz offensichtlich nicht. Stattdessen hat sie, unter Rückgriff auf einen Verfassungstrick (die Anwendung des Artikels 49-3, die es erlaubt, die Sachdebatte zu einem Gesetz durch das Stellen der Vertrauensfrage zu unterbinden), die parlamentarische Opposition kurzerhand ausgeschaltet. Die Militanz der Aktionen von kleinen Gruppen ihrerseits ist indes nicht mehr steigerbar, sowohl aufgrund der brachialen Antworten des Staatsapparats als auch wegen der Notwendigkeit, unvertretbare Gewaltübergriffe auf Personen zu vermeiden. Am 18. Mai zündeten einige Individuen am Rande einer Spontandemonstration einen Streifenwagen an. Darin sassen zu diesem Zeitpunkt ein schwarzer Polizist und eine Kollegin. Der männliche Polizist zückte zunächst seine Waffe, beherrschte sich jedoch und steckte sie wieder ein, obwohl er zum selben Zeitpunkt Schläge abbekam. Am Freitag darauf wurde er, vor laufenden Kameras zu Tränen gerührt, für sein Verhalten mit einer Auszeichnung versehen. Es dürfte unschwer zu erkennen sein, wer aus dieser Aktion als politischer und moralischer Sieger hervorging.

Umgekehrt spart der Staatsapparat nicht mit ins Extreme gesteigerten Repressionsmitteln. Gegen eine Studentin, Manon Chelmy, Mitglied der Jugendorganisation der Französischen Kommunistischen Partei, forderte die Staatsanwaltschaft eine fünfjährige Haftstrafe ohne Bewährung. Bei der Räumung eines besetzten Saals in Amiens hatte sie mit ansehen müssen, wie einer ihrer Freunde von PolizistInnen gewalttätig behandelt wurde und spontan ein Saalmikrophon durch den Raum geworfen. Dieses fiel zu Boden, niemand wurde verletzt. Das irrsinnige Strafmass, das durch die Staatsanwaltschaft gefordert wurde, führte zu Petitionen und Protestbriefen.

Auch gegen die Gewerkschaften wird die Repression weiter ausgebaut. In mehreren Fällen wurden Gewerkschaftsräume polizeilich durchsucht, um im Anschluss an Demonstrationen TeilnehmerInnen zu ergreifen. Am 24. Mai drangen PolizistInnen in Räumlichkeiten der Gewerkschaft CGT in Fos-sur-Mer ein und setzte gegen die anwesenden Personen Tränengas ein. Bis dahin hatte die Polizei noch faktisch die Unverletzlichkeit von Gewerkschaftsräumen respektiert.

ArbeiterInnen im Ausstand

Die Mehrwertproduktion zu stören, indem Transportmittel oder die Treibstoffversorgung beeinträchtigt werden, erweist sich jedoch als geeigneter Ausweg aus dem Dilemma. Streiks und Blockaden in der petrochemischen Industrie erweisen sich dabei als am wirkungsvollsten.

Am Vormittag des 24. Mai erklärte die CGT, alle acht französischen Grossraffinerien würden inzwischen bestreikt. Weil die Staatsmacht aufgrund der strategischen Bedeutung der Petrochemie das Personal – unter Androhung einer Haftstrafe – jedoch zur Arbeit verpflichten könnte, wurden die Raffinerien und Treibstoffdepots vielerorts zudem von externen UnterstützerInnen blockiert. Etwa durch die HafenarbeiterInnen in Le Havre und Mitglieder der Platzbesetzerbewegung «Nuit debout».

Daraufhin löste die Polizei die Blockaden im südfranzösischen Fos-sur-Mer, und am nächsten Tag, am 25. Mai, im nordfranzösischen Douchy-les-Mines auf. Gleichzeitig entschied sich jedoch das Personal des Ölterminals am Hafen von Le Havre, über den fast die Hälfte des Rohölimports in Frankreich laufen, mit 95 Prozent Zustimmung, ebenfalls in den Streik zu treten. Am nächsten Tag folgten die Hafenbediensteten in Marseille.

Premierminister Manuel Valls mahnt seitdem dazu, nicht «der Panik» zu verfallen und keine Hamsterkäufe zu tätigen, während die soziale Opposition dazu aufruft, genau dies zu tun. Auch unsere LeserInnenschaft sei, sofern sie sich in der Nähe zur französischen Grenze befindet, etwa im Raum Basel, ausdrücklich zum Volltanken auf der westlichen Seite der Grenze aufgefordert!

Rückhalt in der Bevölkerung

Am 25. Mai wurde vermeldet, dass ein Drittel der französischen Tankstellen inzwischen vollständig oder teilweise trocken liegen würden. Bei einer Reportage in den Warteschlagen am südlichen Stadtausgang von Paris fand die liberale Pariser Abendzeitung «Le Monde» zur selben Zeit allerdings keine Personen, die auf die Gewerkschaften schimpften. Vielmehr erklärten die Befragten, dass die eben erforderlich seien, um sich durchzusetzen.

Auch in den Umfragen der bürgerlichen Meinungsforschungsinstituten vom 24. und 25. Mai gab stets eine deutliche Mehrheit von über 60 Prozent der Regierung und den Kapitalverbänden die Schuld an der «Blockadesituation». Im Vorgriff auf die am 10. Juni beginnende Fussball-Europameisterschaft, deren Eröffnung empfindlich gestört werden könnte, machen 61 Prozent bereits jetzt die Regierung für eine Beeinträchtigung verantwortlich und lediglich eine Minderheit von 37 Prozent die Gewerkschaften.

Am Wochenende vom 28./29. Mai wurde zunächst vermeldet, die Situation an vielen Tankstellen habe sich entspannt. Dies erklärt sich damit, dass die Regierung im Laufe der Woche die – normalerweise für Armeezwecke bestimmten – «strategischen Reserven» angezapft hat und alle Blockaden vor Treibstoffzwischenlagern hat räumen lassen. Die daraus resultierende Atempause für die TreibstoffanbieterInnen wird jedoch nicht ewig dauern: Ab dem 31. Mai wollen die EisenbahnerInnen in den unbefristeten, und alle vierundzwanzig Stunden in Personalabstimmungen verlängerbaren, Streik treten. Ab dem 2. Juni werden ihnen die Beschäftigten der Nahverkehrsbetriebe RATP – also der Métro- und Buslinien im Raum Paris – folgen. Vom 3. bis 5. Juni sollen zudem die Lohnabhängigen der Fluggesellschaften und Flughäfen in den Ausstand treten. Premierminister Manuel Valls hat derweil angekündigt, er würde dennoch eisern durchhalten. Der Kampf geht weiter.

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Free Nekane!

01 Nekane Txapartegi spricht auf einer Demonstration gegen Folter 2006 in Donostia San SebastianNeun Jahre befand sich Nekane Txapartegi auf der Flucht, bevor sie in Zürich verhaftet wurde. Die ehemalige Stadträtin aus der Kleinstadt Asteasu sitzt nun in der Limmatstadt im Gefängnis. Von dort aus versucht die 43-Jährige mit ihrem Anwalt, ihrer Familie und UnterstützerInnen zu verhindern, an Spanien ausgeliefert zu werden, wo ihr erneut Folter droht.

Nekane Txapartegi lebte unter falschem Namen in Zürich. Am 6. April wurde sie verhaftet, nachdem sie ihre siebenjährige Tochter zur Schule gebracht hatte. Spanien behauptet, Txapartegi sei Mitglied der baskischen Untergrundbewegung ETA und hat auf der Grundlage eines internationalen Haftbefehls ein Auslieferungsgesuch gestellt. Die Aktivistin der linken Unabhängigkeitsbewegung wurde erst 2012, fünf Jahre nach ihrer Flucht, zu einer der «meistgesuchten ETA-TerroristInnen» gestempelt. Das erstaunte, da die ETA ein Jahr zuvor den bewaffneten Kampf «definitiv» im Rahmen eines internationalen Friedenskongresses eingestellt hatte. Sie hatte ihre Heimat verlassen, da ihr in einem Massenprozess eine Haftstrafe von elf Jahren drohte. 47 Personen, darunter auch Txapartegi, wurden 2007 vom Sondergericht «Audiencia Nacional» verurteilt, die Politik in legalen Organisationen gemacht hatten. Organisationen, die wie die ETA für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland eintraten und dann verboten wurden, da sie angeblich «im Dienste der ETA» gehandelt haben sollen. Dieses Konstrukt diente zur Kriminalisierung einer ganzen Bewegung. 2009 senkte der Oberste Gerichtshof in Madrid die Strafen aller Verurteilten und sprach neun frei. Txapartegi erhielt nun sechs Jahre und neun Monate.

In den Händen der Guardia Civil

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die baskische Aktivistin bereits seit zwei Jahren auf der Flucht. Und dies angesichts der Gefahr, erneut gefoltert zu werden, so wie 1999 von der Guardia Civil in der berüchtigten «Incomunicado»-Haft: Fünf Tage lang war sie mit der «Tüte» immer dem Erstickungstod nahe gebracht sowie mit Schlägen und Tritten traktiert worden. Auf dem Weg nach Madrid gab es eine Scheinhinrichtung. Dabei kam es auch zu sexuellen Übergriffen, die in einer Vergewaltigung gipfelten. Gedroht wurde auch, Angehörige und FreundInnen zu verhaften und ebenfalls zu misshandeln. Sie sei auch «gemeinsam mit einem verhafteten Freund gefoltert worden, was besonders schlimm war», berichtete Txapartegi in einem Interview. Die Folter sei Tag für Tag härter geworden, bis ihr «alles egal» gewesen sei. Sie habe verschiedene Geständnisse auswendig lernen müssen, sich und andere beschuldigt. «Ich war der letzte Teil eines vorbereiteten Puzzles, das passend gemacht werden musste.» Als sie nach sechs Tagen einem Haftrichter des Sondergerichts vorgeführt wurde, wiederrief sie alle Aussagen und zeigte die Folter an. Ihr «Glück» war, dass der Aufnahmearzt im Gefängnis Folterspuren dokumentierte. Mit dem Bericht hatte Txapartegi etwas in der Hand, was selten der Fall ist. Aber auch das führte nicht dazu, ihre Folterer vor Gericht zu bringen und zu bestrafen.

Ihr Fall sorgte international für Aufmerksamkeit. Amnesty International führte ihren Fall im Jahresbericht auf. Für das Antifolterkomitee des Europarates (CPT) war auch ihr Fall ein Anlass, sich 2001 Zugang zu Gefangenen nach Verlassen der Folterkeller zu verschaffen. «Trotz der verstrichenen Zeit konnten die Delegation der Ärzte in vielen Fällen noch Verletzungen feststellen, die sich mit den angezeigten Vorgängen decken«, schrieben die CPT-ExpertInnen. Gerügt wurde und wird Spanien auch immer wieder wegen der Straffreiheit, da Ermittlungen gegen Folterer meist sehr schnell eingestellt werden. Der Strassburger Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Spanien deshalb immer wieder. 2015 hat der UN-Ausschuss gegen Folter beanstandet, dass «kaum» etwas von dem umgesetzt wurde, worauf zuletzt 2009 gedrängt worden sei. Gefordert wurde die Aufzeichnung «aller Vorgänge in den Polizeidienststellen oder andern Orten nach der Festnahme einer Person per Video» und eine «unabhängige medizinische Überprüfung» der Betroffenen. Und dies so lange bis die «Incomunicado»-Haft bestehe.

«Free Nekane»

Txapartegi kämpft nun gegen die Auslieferung. Auf ihre Familie, die sie kürzlich besuchen konnte, habe sie einen «stabilen, starken und kämpferischen Eindruck» gemacht, erklärten Familienmitgliedern dem vorwärts. Sie will mit ihrem Anwalt alle Rechtsmittel ausschöpfen. Sie bedankte sich für die Solidarität, die sie jeden Tag erfahre. Eine Grussbotschaft richtete sie auch an die Demonstration am 1. Mai in Zürich. Txapartegi erklärte, Teil «einer kollektiven Dynamik im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, Kapitalismus, Imperialismus und Patriarchat» zu sein. Alle «Folter, Gefängnis und Exil haben es nicht geschafft, meinen Willen zu brechen».

Im baskischen Hochland fordern ein Dutzend BürgermeisterInnen von der Schweiz, die Auslieferung abzulehnen. In Txapartegis Heimatstadt Asteasu gibt es immer wieder Demonstrationen. Die Schweiz entscheide, ob sie ein Folteropfer erneut der Folter aussetzt oder mit der Verweigerung zu einer Friedenslösung beizutragen, ist die Ansicht vieler in Asteasu. In der Schweiz hat sich zu ihrer Unterstützung die Gruppe «Free Nekane» gebildet. Das oberste Ziel ist, die Auslieferung an Spanien zu verhindern. Keine Auslieferung des Folteropfers an ihre Peiniger! Die Gruppe wird dafür mit Informationen und solidarischen Aktivitäten an die breite Öffentlichkeit gelangen.

Kontaktadresse: freenekane@immerda.ch

 

Aus dem vorwärts vom 20. Mai 2016 Unterstütze uns mit einem Abo!

Syngenta: Ein Beispiel des helvetischen Imperialismus

syngenta03Mitte April 2016 ist das Buch «Schwarzbuch Syngenta. Dem Basler Agromulti auf der Spur» erschienen. Von Basel über Pakistan bis nach Brasilien geht MultiWatch den Auswirkungen von Syngentas Geschäftspraktiken nach und stellt sich die Frage, was gegen die zerstörerischen Machenschaften des Agromultis getan werden kann.

Seit 2005 führt die konzernkritische NGO MultiWatch Kampagnen gegen einige Schweizer Multis, darunter Nestlé, Glencore, die Credit Suisse, Triumph, Holcim oder Novartis. Das Beispiel Syngenta steht für viele unter ihnen, wie es in der Einleitung zum «Schwarzbuch Syngenta» heisst.

Die Natur des helvetischen Imperialismus beschäftigt die intelligente Öffentlichkeit schon lange, wenn auch noch nicht so lange, wie die wirtschaftlichen und politischen Realitäten dieses Landes beinahe oppositionslos auf die Schaffung von optimalen Bedingungen für das globalisierte Kapital ausgerichtet ist. In diese Geschichte gehört die Geschichte von Syngenta, wie die Geschichte der Schweiz überhaupt seit dem Zeitalter des Imperialismus.

Das schöne und eindrückliche Buch geht detailliert auf eine lange Reihe der Kollateralschäden von Syngenta ein, klagt an, wo dies bitter nötig ist, lässt aber leider den grossen historischen und politisch-ökonomischen Faden zu sehr unbelichtet.

Geld heckendes Geld

Hinter der «philantropischen Fassade von Syngenta versteckt sich ein knallhartes Geschäftsmodell (…), das für Menschen, Tiere und Umwelt gravierende Auswirkungen hat und die Menschenrechte auf Leben, Gesundheit und Ernährung beeinträchtigt». Die philantropische Fassade wird hierzulande eifrig gepflegt, wie man auf der Homepage von Syngenta und in den Prospekten der Syngenta-Stiftung für nachhaltige Landwirtschaft sehen kann. Die politischen Behörden, darunter der Bundesrat und die rot-grüne Regierung von Basel-Stadt, tun alles, um diese Fassade propagandistisch abzustützen. Sie forcierten 2015 die Teilnahme von Syngenta – und Nestlé – an der Weltausstellung in Mailand, die unter dem Motto der Ernährungssicherheit stand, mit einem Schweizer Pavillon. Dies war der Anlass für die Gruppe rund um das «Schwarzbuch Syngenta», im Frühjahr 2015 in Basel eine erfolgreiche Tagung zu organisieren, die hinter die lügnerische Fassade der Konzernpropaganda blicken liess.

Dabei traten unter anderem AktivistInnen aus Pakistan, Indien, Brasilien, Paraguay, Hawaii, der Schweiz oder den Niederlanden auf, die ihren Kampf gegen die Macht der Agromultis, darunter vor allem gegen Syngenta, schilderten. Dabei werden sie oft mit schweren Repressalien bedroht, die bis zur Ermordung führen können, wie 2007 der gewaltsame Tod des Aktivisten Valmir Mota de Oliveira von der brasilianischen Landlosenbewegung MST zeigte, dem das Buch gewidmet ist.

Vergiftung und Auslaugung der Böden, Verarmung kleinbäuerlicher Familien, Vergiftung von KleinproduzentInnen und von KonsumentInnen, Zerstörung der Wasserreserven und des biologischen Gleichgewichtes, Stärkung von korrupten und repressiven politischen Systemen, Förderung der Verarmung der Landbevölkerung und der Mangelernährung: dies das Resultat der zerstörerischen Aktivitäten des agroindustriellen Komplexes, wovon Syngenta als weltgrösster Pestizid und drittgrösster Saatgutfabrikant ein massgeblicher Faktor ist. Resultate, die im diametralen Widerspruch stehen zu den frechen Behauptungen des Konzernes, der Basler Behörden und des Schweizer Bundesrates. Das «Schwarzbuch Syngenta» zeigt hier mannigfaltig und gut recherchiert auf, was wirklich Sache ist.

In der längere Zeit andauernden Debatte um eine Übernahme von Syngenta durch Monsanto oder die ChemChina-Gruppe ging es vordergründig «vornehmlich um den Preis beziehungsweise die Prämien für die Syngenta-AktionärInnen. Niemand schien sich für die Landwirtschaft und die Produkte von Syngenta zu interessieren, geschweige denn für die Welternährung oder die Syngenta-Belegschaft» oder die Opfer der Machenschaften des Konzerns. Geld heckendes Geld eben, wie Marx die innere Logik der kapitalistischen Produktionsweise beschreibt, der der Nutzen der erzeugten Produkte für die menschliche Entwicklung bestenfalls gleichgültig, oft aber geradezu lästig ist.

Was tun?

«Eine sozial gerechte, wirtschaftlich tragbare und umweltverträgliche Landwirtschaft gelingt nur über koordiniertes Handeln von sozialen Landbewegungen im Bündnis mit engagierten Bewegungen aus der Zivilgesellschaft, welche die Ziele der Kleinbauernbewegungen unterstützen. (…) Wenn wir die Hauptursachen von Hunger, Armut, Ungleichheit und Ungerechtigkeit nicht an der Wurzel packen und das von den Konzernen kontrollierte Nahrungssystem abschaffen, bleibt jeder Fortschritt begrenzt», schreiben die AutorInnen dazu.

Das Buch enthält Beiträge von AktivistInnen im internationalen Kampf gegen den agroindustriellen Komplex und versteht sich selbst als Teil dieses Kampfes. Richtig so! Aber welche politischen Antworten sind in der Schweiz, einer zentralen Operationsbasis, einer wichtigen Kommandozentrale für die multinationalen Konzerne, nötig? Immerhin gibt es seit über zwanzig Jahren in vielen wichtigen Kantonen und Städten, darunter in Basel, sogenannte links-grüne Mehrheiten in der Regierung und gelegentlich auch im Parlament, die diesen Konzernen mit einer sogenannten Standortpolitik speichel-leckend zu Diensten stehen. Hierzu fehlen im Buch Hinweise für eine überzeugende politische Antwort. Vielmehr scheint es, dass dem Buch ein antipolitischer Grundton zugrunde liegt. Ist es keiner Rede wert, dass alle linken Organisationen in Basel, inklusive der Gewerkschaften, die Kandidaturen von SP und Grünen – Guy Morin ist grüner Stadtpräsident, Anita Fetz, einzige Ständerätin vom Kanton Basel-Stadt, ist in der SP – vorbehaltlos unterstützen?

Dem Buch ist hoch anzurechnen, dass es sich mit den kleinbäuerlichen Widerstandsbewegungen, insbesondere von «La Via Campesina» solidarisiert und dadurch eine internationalistische Perspektive eröffnet. Allerdings bleibt es dabei auf halbem Weg stecken. Die Internationalisierung des politischen Widerstandes gegen die brutale Durchsetzung der internationalen Arbeitsteilung nach dem Gesichte der Warenform, unter der Profitlogik, deren wichtigste Exekutorinnen die multinationalen Konzerne sind, ist zugegebenermassen kaum mehr existent. Aber die pragmatische Rückwendung zum Lokalen, wie er im Buch empfohlen wird, ist eher eine Orientierung aus Verzweiflung und hat gerade heute eine politisch eher rechte, nationalistische Note. Hier wären weiterreichende Überlegungen angebracht gewesen.

 

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