Nix geht ohne Lohnschutz!

flo. Das Rahmenabkommen mit der EU wurde auf die lange Bank geschoben und durch Covid-19 weiter verzögert. Und jetzt scheint nichts mehr, das Wunschprojekt aus Brüssel und den EU-Befürworter*innen hierzulande noch retten zu können. Kein Grund, um traurig zu sein.

Am 27.September hat man in Brüssel wohl mit grossem Interesse auf die eidgenössischen Ergebnisse der Abstimmungen gewartet. Zwar nicht bei den Vorlagen, in denen es um Vaterschaftsurlaub oder Fuchs und Wolf ging, sondern bei der Begrenzungsinitiative (BGI). Diese hätte den bisherigen bilateralen Weg mit der EU beendet. Sie war aber auch der Klotz am Bein der Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen mit der Europäischen Union.

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Die EU will das Asylsystem tiefgreifend verschärfen

Peter Nowak. Kürzlich ist das Buch «Europas Grenzen. Flucht, Asyl und Migration» von Bernd Kasparek erschienen. Der Autor spricht im Gespräch mit dem vorwärts über sein Werk und die europäische Migrationspolitik, die von der EU angestrebt wird.

In der letzten Woche haben zahlreiche deutsche Politiker*innen – sogar Horst Seehofer – den italienischen Innenminister Matteo Salvini wegen seiner Weigerung, die Grenzen für Gerettete zu öffnen, kritisiert. Ist Deutschland plötzlich eine einzige Nation von Seenotretter*innen?

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Sich auf einen feministischen Streik hin bewegen…

Sabine Hunziker. Sechs Millionen Menschen haben am 8. März 2018 im Spanischen Staat teilgenommen. Dieser Streik ist als die grösste von Frauen* organisierte Mobilisierung in die Geschichte Spaniens eingegangen. Die Geschichte eines Streikes, der Vorbild für viele Aktionen im Frauen*streikjahr sein wird.

Bereits einige Frauen sind im Weissen Saal im Volkshaus am Morgen des 12. Januar 2019. Wie jedes Jahr findet hier das alternative Forum «das Andere Davos» statt, das sich als eine Art Gegenpol zu dem in Davos organisierten World Economic Forum (WEF) versteht, wo sich mächtige «Wirtschaftsführer», einflussreiche Politikerinnen* und Verantwortliche von internationalen Institutionen wie IWF, WTO oder EZB treffen. Zwar versuchen die Organisatorinnen* und Teilnehmerinnen* des WEF mit ihrem Anlass alle davon zu überzeugen, dass sie an Lösungen zu ökonomischen und gesellschaftlichen Problemen interessiert sind. Wir allerdings wissen, dass sie als Repräsentantinnen* der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aktiv verantwortlich für Armut und Unterdrückung sind. So hat die Bewegung für den Sozialismus (BFS) auch dieses Jahr wieder eine Auswahl an Themen in Form von Vorträgen oder Workshops zusammengestellt und Rednerinnen* eingeladen. Auch zum Frauen*streik am 8. März 2018 im Spanischen Staat wurde informiert: Eingeladen war Julia Cámara, Mitglied der nationalen Koordination des Frauen*streiks 2018 und feministische Aktivistin von Anticapitalistas.

Vorbild für viele Frauen*kollektive
Am internationalen Frauen*kampftag 2018 sind in vielen Ländern Frauen* auf die Strasse gegangen. Mit dem Streik wollten die Teilnehmerinnen* unter anderem auf patriarchale Unterdrückung, Diskriminierung am Arbeitsplatz und sexualisierte Gewalt aufmerksam machen und dagegen protestieren. Im Spanischen Staat haben 6 Millionen Menschen an diesem Tag unter dem Motto «Wenn wir streiken, steht die Welt still» ein Zeichen gesetzt. Dieser Streik ist als die grösste von Frauen* organisierte Mobilisierung in die Geschichte Spaniens eingegangen und Vorbild für viele Frauenkollektive geworden. Das Ziel, während einer bestimmten Zeit die von Frauen* verrichtete Arbeit niederzulegen und so auf die doppelte Belastung aller Frauen aufmerksam zu machen, wurde erreicht. Frauen* machen oft Lohn- sowie Hausarbeit und erhalten dabei keine, respektive eine andere Entlohnung als Männer. Mit dem Frauen*kampftag wollen Teilnehmer*innen nicht nur auf Themen aufmerksam machen und protestieren, sondern auch die Vernetzung von Frauen* fördern, damit der Kampf eine Kontinuität erhalten kann. Im «Manifest des 8. März», das zu diesem Anlass verfasst wurde, sind vier Ebenen skizziert: Arbeiterinnen*streik, Studentinnen*streik, Konsumstreik und Care-Streik. Ziel dieses Workshops im Volkshaus war nicht nur die Information rund um die Aktion durch Cámara, sondern auch die Analyse davon. Weshalb waren die Aktivist*innen so erfolgreich? Welche Lehren für ähnliche Mobilisierungen können daraus gezogen werden? Arbeitsorte der Arbeiterinnen* und Studentinnen* werden auch in anderen Ländern bestreikt. Die betriebliche Niederlegung der Arbeit wie auch Demonstrationen in Institutionen allgemein oder Unterrichtsboykott in Bildungsinstitutionen sind Kernbereiche der Frauen*streiks. Streiks rund um den Konsum sollen darauf aufmerksam machen, welche Rollen Frauen* in Medien und Konsumwelt spielen. Oft werden Frauen* hier auf ihren Körper reduziert, idealisierte Frauenbilder dargestellt und bestimmte Rollen reproduziert. Zum Care-Begriff wird in der aktuellen Frauen*bewegung gearbeitet. Es finden Diskussionen dazu statt, wie sich die Sorge-Arbeiterinnen vernetzen können oder in welcher Form man diese Arbeit bestreiken, respektive in politische Aktionen einbetten kann. Reproduktionsarbeit sichtbar zu machen und zu Forderungen dazu zu kämpfen, sind noch immer Herausforderungen.

Eigene Proteste ins Leben rufen
Seit den 1990er Jahren haben wir verzweifelt auf eine Veränderung gewartet, so beginnt Julia Cámara mit ihren Erinnerungen. Kämpfe in Argentinien wie auch in Irland rüttelten auf und machten Lust, sich an diesen internationalen Kämpfen aktiv zu beteiligen. So beschlossen Frauen* am 8. März einen eigenen Protest mit Forderungen ins Leben zu rufen. Wir wollten auch mitmachen. Inspirieren liessen wir uns vom internationalen Kontext, so Julia Cámara. So wurde eine Koordination aufgebaut und in Diskussionsrunden darüber gesprochen, was Sachlage war. Das erste Treffen fand im Sommer 2017 statt, bei dem sich über 150 Frauen* trafen, um über eine mögliche Aktion zu sprechen. Ein Beschluss fiel, bei dem man sich auf einen Streik hinbewegen wollte – auf einen feministischen Streik hin. Doch welcher Art sollte der er sein? Themenbereiche wie Arbeiterinnen*, Studentinnen*, Konsum oder Care-Arbeit waren schnell gefunden. Klar war aber auch, dass der 8M-Streik (für 8. März) aus Respekt zu Katalonien und dem Baskenland keine nationale Aktion sein würde. Verschiedene Versammlungen und eine genauere Planung erfolgten sowohl in Städten und Dörfern. Beim zweiten Treffen waren schon ca. 550 Frauen* mit dabei. Mitunter gab es auch ein Manifest zum feministischen Streik, der auf 4 Ebenen stattfinden würde. Die grösste Herausforderung – so Julia Cámara – war die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Denn im Spanischen Staat ist ein Streik nur legal, wenn anerkannte Gewerkschaften dazu aufrufen. Nur basisnahe Gewerkschaften wie die CNT (Konföderation anarchosyndikalistischer Gewerkschaften in Spanien) halfen mit, einen Generalstreik zu tragen. Grosse Gewerkschaften wie beispielsweise die UGT (Unión General de Trabajadores) machten einen Rückzieher und riefen schlussendlich nur für einen Teilstreik von einigen Stunden auf.

Streik für unbezahlte Arbeit?
Menschen, die unbezahlt in einem Haushalt arbeiten, haben sich zuvor wohl noch nie an einem Generalstreik beteiligt. Das Fazit der Diskussionen in den Organisationskollektiven war, dass ein feministischer Streik mehr als ein Frauen*streik ist und dass diese Art von Streik viel weiter geht als ein Generalstreik. Der klassische Streik kommt schnell an Grenzen, weil bestimmte Menschen keinen Gebrauch machen können vom Streikrecht. Mit Generalstreiks kann nur wenig auf die Bedürfnisse von Frauen*, die beispielsweise unbezahlte Arbeit machen, eingegangen werden. Es stellte sich die Frage, wie es möglich ist, alle Frauen* in diesen feministischen Streik einzubeziehen. Mit der Pflege- und Sorgearbeit kommen andere Orte in Frage als traditionelle Streikorte im Betrieb. Es würde nicht zu einer klassischen Niederlegung der Arbeit kommen. Frauen* ohne Arbeitsvertrag oder mit einer Arbeit unter schwierigen Bedingungen können sich kurz oder lange am Streik beteiligen oder auch nur symbolisch darauf hinweisen. Es soll ein Bewusstsein geschaffen werden für Missstände ausserhalb der klassischen Streikthemen. In Arbeitsgruppen innerhalb der Streikorganisation wurden spezifische Themen detailliert bearbeitet. Zur Vernetzung und zum Erreichen möglichst vieler Frauen* wurden Treffpunkte im Quartier besucht, mit Mitgliedern gesprochen oder dort Versammlungen mit Essen und Musik organisiert. Um auch die Landbevölkerung zu erreichen, sind Aktivistinnen* mit Autos von Dorf zu Dorf gefahren – haben informiert und mobilisiert. In Spanien gibt es viele Dörfer, die nur wenig mit den Städten verbunden sind. Somit wurde der Streik mit Autos in die Dörfer getragen, so Julia Cámara. Hier funktionierte alles nach dem Motto: Wenn du nicht an den Streik (in den Städten) gehen kannst, kommt der Streik zu dir. In Gesprächen kam heraus, dass viele Frauen häusliche Arbeit zwar an diesem Tag bestreiken wollten, sich aber erst mit ihrem Mann dazu besprechen mussten. Julia Cámara sagte, dass sich hier erst noch das Bewusstsein durchsetzen musste, dass es sich bei den Forderungen des feministischen Streiks schlussendlich um eine Aufnahme und Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme handelt, die alle betreffen.

Feminismus als historische Verantwortung
Durchsetzen musste sich hier das Bewusstsein: Wir sind unsere eigenen Vorgesetzten und wir lösen Probleme gemeinsam. Je weiter die Streikvorbereitungen vorwärts gingen, desto mehr begannen sich auch einige Männer zu organisieren und die Arbeit aufzuteilen. Männer haben sich auch am 8. März 2018 um die Kinder gekümmert, gekocht und Reinigungsarbeiten geleistet. Die grosse Mobilisierung mit 6 Millionen Menschen in Dörfern und Städten am 8. März 2018 im Spanischen Staat zeigte, dass Feminismus heute, anders als vielleicht früher, «etwas Stärkeres ist» – eine historische Verantwortung. Neben vielen Beispielen von Kämpfen in der Vergangenheit die ein starkes Fundament bieten, gibt es heute eine grosse länderübergreifende Solidarität mit Mobilisierungskampagnen auf internationaler Ebene. Veränderungen auf globaler Ebene sind passiert und es ist den Aktivistinnen* gelungen, Risse im herrschenden System zu schaffen. Wichtig war bei den Kämpfen im Spanischen Staat, dass die Bewegung hier möglichst autonom bleibt. Wer für die Bewegung spricht, darf nicht aktiv resp. eine wichtige Person in einer Partei oder Gewerkschaft sein. Spenden und Unterstützung sind willkommen, jedoch werden keine Namen der Gönnerinnen* veröffentlicht. Wichtig war auch das Wegkommen von der Idee vom «individuellen Empowerment», bei dem einzelne Frauen* sich ermächtigen sollen – auch auf Kosten von anderen Frauen*.
So wird beispielsweise eine Frau, die Karriere machen will, eine andere Frau bezahlen, die möglichst kostengünstig bei ihr im Haushalt arbeitet. Die Situation aller soll verbessert und die Sorgearbeit auf die Gesellschaft verteilt werden. Was können wir lernen für weitere Kämpfe im Jahr 2019? Es ist schwierig, alle Frauen* für einen feministischen Streik erreichen zu können, da es kein typisches Profil gibt für eine Frau*. Wichtig werden hier Allianzen mit unterschiedlichen Frauen*kollektiven wie Migrantinnen*kollektive, Nachbarschaftsgruppen oder Vereinigungen von Müttern und Vätern. Nicht alle fühlen sich angesprochen durch einen Aufruf zum Streik. Aktivistinnen* in Spanien haben aktiv Treffpunkte von Frauen* aufgesucht, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Sie haben nicht gewartet, bis die Betroffenen zu Kollektiven dazu gestossen sind.

Beschäftigung muss vor Profit kommen

Ralph Hug. Millionen in der EU sind ohne Arbeit. Das darf nicht sein, finden die Unia-Ökonomen Beat Baumann und Christoph Bucheli. Sie wollen die Konzerne mit einer Vorgabe dazu bringen, mehr Jobs zu schaffen. Ein Vorschlag gegen die Massenarbeitslosigkeit.

Was ist Europas grösstes Problem? Die Flüchtlinge? Der grassierende Populismus? Einstürzende Autobahnbrücken? Nichts von alledem. Unia-Ökonom Beat Baumann sagt klipp und klar: «Es ist die Arbeitslosigkeit.»

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Der Robin Hood der Finanzwelt

Ralf Streck / sit. 130’000 Datensätze von 24’000 KundenInnen der HSBC-Bank hat Harvé Falciani «gestohlen». In der Schweiz wurde er 2015 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Spanien bot Falciani der Eidgenossenschaft so quasi im Tausch gegen zwei Katalaninnen an, die in der Schweiz im Exil und in Spanien wegen Rebellion angeklagt sind.

Spanien macht auf Rechtsstaat: Am 18. September hat der Nationale Gerichtshof in Madrid entschieden, Hervé Falciani nicht an die Schweiz auszuliefern. Soweit eigentlich gut, wäre da nicht die Tatsache, dass genau das schon das Ergebnis der ersten Verhaftung und des ersten Verfahrens gegen den «Robin Hood der Finanzwelt» vor einigen Jahren in Spanien war. Bizarr, aber wahr. Und es sei an dieser Stellte noch mehr verraten: Falciani wird in einem Prozess freigesprochen, den es nie hätte geben dürfen. » Weiterlesen

Koalition der Kriegswilligen

Horst Teubert. Vor Kurzem wurde eine neue europäische Militärformation gegründet. Die Europäische Interventionsinitiative soll schnelle Entscheidungen über gemeinsame Kriegseinsätze ermöglichen.

Die Europäische Interventionsinitiative geht zurück auf die europapolitischen Vorstösse, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 26. September 2017 in seiner programmatischen Rede an der Sorbonne vorgestellt hat.

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Wer das Kommando hat

Horst Teubert. Über die Zukunft der Europäischen Union scheinen sich Deutschland und Frankreich, die Hegemonialmächte, nicht einig zu sein. Für die Pläne des französischen Präsidenten und Jungspunds Macron hat die Noch-Immer-Kanzlerin Merkel nicht viel übrig.

Mit höflichen Phrasen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am 28. September vor dem informellen EU-Gipfel in Tallinn zentrale Forderungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron für den Umbau der Eurozone abgeblockt. Macron hat insbesondere die Einführung eines Haushalts für die Eurozone und die Ernennung eineR Euro-FinanzministerIn befürwortet. » Weiterlesen

Europas Leitkultur

Horst Teubert. Mit der Veröffentlichung eines neuen «Reflexionspapiers» und eines Konzepts für einen «Vertei-digungsfonds» treibt die EU-Kommission die Militarisierung des europäischen Staatenbundes voran. Es wird ein «durchsetzungsfähiges Europa» angestrebt.

Künftig sollen jährlich 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt für die Rüstungsforschung und -entwicklung bereitgestellt werden; die Gelder sollen als Anreiz dienen, die Rüstungsindustrie EU-weit stärker als bisher zu verschmelzen. Darüber hinaus stellt die EU-Kommission Szenarien für die Militärpolitik zur Debatte, die auf «strategische Autonomie» zielen und es der EU auf lange Sicht ermöglichen sollen, nicht nur «an der Seite ihrer Hauptverbündeten», sondern bei Bedarf auch «allein zu handeln». Neue Beschlüsse der EU zur Militärpolitik werden für das zweite Halbjahr 2017 erwartet, allerdings vermutlich erst nach der deutschen Bundestagswahl. Unterdessen treibt Deutschland die Unterstellung von Truppenteilen fremder Staaten unter die Bundeswehr energisch voran. Wie es an der Münchner Bundeswehr-Universität heisst, könnten im nächsten Schritt skandinavische Einheiten ihre Einbindung in die deutschen Streitkräfte in Angriff nehmen. Einflussreiche deutsche PolitikerInnen plädieren zudem dafür, Einsätze «europäischer» SoldatInnen der nationalen Kontrolle zu entziehen und sie von EU-Beschlüssen abhängig zu machen.

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Neutralisierung durch Integration

Susann Witt-Stahl. Eine Koalition aus SPD, Grünen und der Linkspartei in Deutschland wäre kein progressives Reformbündnis. Die «R2G»-IdeologInnen bemühen sich eifrig darum, sich als einzige Alternative zu einem AfD-Aufstieg darzustellen. Es droht ein gefährlicher Pyrrhussieg.

In Deutschland stellt sich die Frage: Kommt Rot-Rot-Grün, oder kommt Rot-Rot-Grün nicht? Galt das Projekt Anfang des Jahres noch als politisch so gut wie tot, wachsen seit Frühlingsbeginn dank «Schulz-Effekt» mit den ersten Blättern auch die Umfragewerte der Sozialdemokratie und sorgen für frischen Wind in den Segeln der «R2G»-Begeisterten. Aber viel schlauer ist man auch nach der Saarland-Wahl nicht. Hin- und hergeworfen zwischen Schreckensbildern – «Rot-Rot-Grün gefährdet die Sicherheit der Bevölkerung!» (Volker Kauder, CDU) – und Euphorie angesichts des kommenden «Bündnisses aller progressiven Kräfte» (Sigmar Gabriel, SPD) schlingert die veröffentlichte Meinung weiter in Richtung Bundestagswahl. » Weiterlesen

Frankreichs politische Landschaft in Bewegung

Können sich die alternativen Linkskräfte noch auf ein erfolgversprechendes Bündnis verständigen?
Der Wahlkampf in Frankreich zur Präsidenten- und Parlamentswahl im Mai/Juni 2017 hat die politische Landschaft mit unerwarteten Wendungen in Bewegung gebracht.

Noch zu Jahresbeginn 2017 herrschte weithin die Ansicht, dass die Entscheidung bei der Präsidentenwahl im zweiten Wahlgang zwischen der Rechtsextremistin Marine Le Pen vom Front National (FN) und dem rechtskonservativen Kandidaten von Les Républicains (Republikaner), François Fillon, fallen werde. Sechs Wochen später haben sich die Gewichte beträchtlich verschoben.

Le Pen nach wie vor vorn

Die einzige Konstante scheint allerdings leider zu sein, dass den RechtsextremistInnen mit Frau Le Pen in allen Umfragen übereinstimmend mit etwa 26 Prozent im ersten Wahlgang am 23. April nach wie vor die Spitzenposition zugeschrieben wird. Mit ihrer «Anti-System»-Agitation, kombiniert mit nationalistischen Appellen an das französische Nationalgefühl und fremdenfeindlicher Demagogie gegen EinwandererInnen und Flüchtlinge gelingt es den RechtsextremistInnen offenbar anhaltend, rund ein Viertel der von den «etablierten» Parteien enttäuschten WählerInnen über ihre wahren Ziele zu täuschen.
In jüngster Zeit kamen zwar einige Enthüllungen ans Licht, wonach Frau Le Pen ihren persönlichen Leibwächter und ihre Büroleiterin in Paris rechtswidrig als «parlamentarische Assistenten» aus Mitteln des EU-Parlaments bezahlen liess. Die Anti-Betrugs-Agentur der EU (OLAF) und die französische Justiz ermitteln, die FN-Zentrale in Paris wurde von der Polizei durchsucht. Es ist aber zu befürchten, dass dies vielleicht den RechtsextremistInnen eher noch helfen wird, ihr falsches Image als «Anti-System-Partei» zu verstärken.
Angenommen wird allerdings weiterhin, dass es der FN-Kandidatin nicht gelingen kann, auch den zweiten Wahlgang zu gewinnen und tatsächlich zur Präsidentin Frankreichs gewählt zu werden. Denn bei der Stichwahl am 7. Mai gibt es nur noch einen einzigen Gegenkandidaten, auf den sich mutmasslich die Stimmen aller anderen politischen Lager vereinigen werden, sodass er die Mehrheit gegen die FN-Kandidatin hinter sich bringen kann.

Affäre Fillon

Im Lager der «bürgerlichen Rechten» hat sich die Lage aber inzwischen deutlich geändert.
Denn François Fillon, der erzreaktionäre Abtreibungsgegner und Verfechter eines scharfen neoliberalen Spar-, Sozialabbau- und Privatisierungskurs, der sich als moralischer Saubermann und Verkörperung von «Recht und Ordnung» inszenierte, hat erheblich an Zustimmung verloren. Besonders, seitdem bekannt wurde, dass er jahrelang seiner Frau Penelope einen Job als seine «parlamentarische Assistentin» mit aussergewöhnlich hohem Gehalt (bis zu 7000 Euro pro Monat) auf Kosten des französischen Staates verschafft hatte, obwohl diese in seinen Büros fast nie gesehen worden war. Das faktische Scheinarbeitsverhältnis für Frau Fillon hat den französischen Staat, Sozialabgaben und sonstige Vergütungen eingerechnet, laut «Le Monde» insgesamt fast 1,5 Millionen Euro brutto gekostet. Aber auch seine Kinder Marie und Charles hat der Papa, als sie noch studierten, zeitweise als parlamentarische MitarbeiterInnen auf Staatskosten mit insgesamt 86 000 Euro entlohnt.
Die französische Finanzstaatsanwaltschaft, die die Vorgänge untersuchte und das Ehepaar Fillon vernommen hat, hat am 25. Februar mitgeteilt, dass sie im Ergebnis ihrer Vorermittlungen angesichts der «zahlreichen bereits zusammengetragenen Elemente» nun ein gerichtliches Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Veruntreuung öffentlicher Mittel, Unterschlagung gesellschaftlichen Eigentums, Hehlerei und Abgabe falscher Erklärungen ein gerichtliches Ermittlungsverfahren beantragt hat. Der weitere Gang des Verfahrens ist also offen und hängt von den Entscheidungen der eingeschalteten Untersuchungsrichter ab. Selbst eine Gruppe führender Mitglieder der Republikaner hat angesichts der Enthüllungen öffentlich den Kandidaturverzicht Fillons gefordert. Doch dieser hat sich offenbar für die Devise «Augen zu und durch» entschieden und beharrt auf seiner Kandidatur.

Macron «en marche»

Hauptnutzniesser der «Affäre Fillon» ist derzeit offenkundig Hollandes Ex-Wirtschaftsminister und Ex-Rothschild-Banker Emmanuel Macron. Der wollte nicht im Rahmen des Parti Socialiste (PS) antreten, sondern sich mit einem neuen Firmenschild «En marche» (Auf dem Marsch) als «unabhängiger» Kandidat präsentieren. Er gibt sich als Repräsentant der «Mitte» und eines «modernen Pragmatismus», bei dem die traditionellen Trennlinien zwischen rechts und links überwunden seien. De facto will er aber im Wesentlichen die sozial verbrämte neoliberale Politik der Hollande-Valls-Amtszeit weiterführen.
Infolge der «Fillon-Affäre» wendet sich ein Teil der rechtskonservativen bürgerlichen WählerInnen nun Macron zu. Er findet aber auch Unterstützung im rechten Flügel der SozialdemokratInnen. Ebenso haben bekannte frühere RepräsentantInnen der Grünen die Wahl Macrons befürwortet. Ausserdem empfiehlt seit Kurzem auch der Anführer der bürgerlichen Liberalen, François Bayrou, nach Absprachen über eine «Allianz» mit Macron dessen Wahl.
Damit ist es Macron zumindest derzeit gelungen, Fillon den zweiten Platz im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl streitig zu machen. Beide liegen nach den letzten Umfragen mit 20 bis 22 Prozent etwa gleichauf. Macron könnte das «Kopf-an-Kopf-Rennen» gegen Fillon also gewinnen und damit als Gegenkandidat von Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang kommen und eine reale Chance erhalten, zum nächsten französischen Präsidenten gewählt zu werden.

Rivalitäten im Lager der Linken

Auch im Lager der französischen Linken ist Einiges in Bewegung gekommen. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, eine Einigung auf eine gemeinsame erfolgversprechende und mehrheitsfähige Kandidatur zur Präsidentenwahl zu erreichen.
Die Wahl von Benoît Hamon, eines Vertreters des linken, zum Kurs des bisherigen sozialdemokratischen Staatschefs Hollande in Opposition stehenden Parteiflügels, zum offiziellen Kandidaten des Parti Socialiste hat neue Debatten über die Möglichkeit einer solchen Einigung ausgelöst. Aber sie ist zwischen den beiden Hauptkonkurrenten um die linken Stimmen, nämlich Hamon und dem Anführer der Bewegung «La France Insoumise» (Das widerständige Frankreich), Jean-Luc Mélenchon, dessen Wahl auch von der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) unterstützt wird, bisher nicht in Sicht.
Die französischen Grünen (EELV) allerdings haben sich seit dem 24. Februar mit Hamon geeinigt, dass der EELV-Kandidat Yannick Jadot, der bei der Präsidentenwahl nur marginale Ergebnisse erreicht hätte, seine Kandidatur zugunsten von Hamon zurückzieht. Als Grundlage für das vereinbarte Wahlbündnis verfassten Hamon und Jadot eine gemeinsame 10-Punkte-Erklärung, mit der sich Hamon verpflichtet, falls er gewählt würde, eine Reihe von Forderungen der Grünen zu verwirklichen. Das in dieser gemeinsamen Erklärung skizzierte Programm signalisiert eine deutliche Abkehr vom bisherigen Kurs des PS unter Hollande und eine Einigung auf seit Langem von den verschiedenen Linkskräften verfochtene Forderungen für einen politischen Kurswechsels in Frankreich.
Zu den vereinbarten Punkten gehören u.a. der völlige Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2025, die Stilllegung erster AKWs bereits in der kommenden Legislaturperiode, der Ausstieg auch aus fossilen Energiequellen (Kohle, Öl) mit dem Ziel des Übergangs zu 100 Prozent erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050, der Verzicht auf eine Reihe umweltschädlicher Grossbauvorhaben wie den umstrittenen Flugplatz Nôtre-Dame-des-Landes und die Eisenbahn-Schnellstrecke Lyon-Turin, die Bekämpfung von Diesel-Abgasen und das Verbot von Pestiziden. Festgeschrieben wurde aber auch die Wiederabschaffung des umstrittenen, von der PS-Ministerin El Khomri und dem früheren Regierungschef Valls durchgesetzten Arbeitsgesetzes, die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes und der Sozialhilfesätze, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Verstärkung der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in den Unternehmen, der Kampf gegen Steuerflucht, der Bau von 150 000 Sozialwohnungen pro Jahr. Weitere Festlegungen sind die Aufhebung des immer noch geltenden Ausnahmezustands, die generelle Einführung des Wahlrechts für EinwohnerInnen ausländischer Herkunft, die Ablehnung von Freihandelsabkommen wie TTIP sowie die Vorlage eines Verfassungsentwurfs für eine VI. Französische Republik mit Reduzierung des Präsidialsystems und generelle Einführung des Verhältniswahlrechts, der in der Bevölkerung breit diskutiert und letztlich einer Volksabstimmung vorgelegt werden soll.
Neben dieser politisch-inhaltlichen Vereinbarung haben sich Hamon und Jadot offenbar auch darauf geeinigt, dass der PS zur nach der Präsidentenwahl anstehenden Neuwahl des Parlaments in den Wahlkreisen, in denen die Grünen bisher Mandate hatten, keine KonkurrenzkandidatInnen aufstellen wird, womit die Wiederwahl der bisherigen grünen Parlamentsabgeordneten erheblich sicherer geworden sein dürfte.

Hegemonie-Probleme

Die Einigung Hamon-Jadot reicht jedoch nicht aus, um einen Wahlsieg Hamons bei der Präsidentenwahl möglich zu machen. Denn Hamon liegt in den Umfragen derzeit bei 13 Prozent, auch mit den 2 Prozent, die Jadot bestenfalls beisteuern könnte, genügt das nicht, um auch nur in die Nähe der Umfragewerte der Konkurrenten Macron und Fillon und damit in den zweiten Wahlgang zu kommen.
Eine gemeinsame Linkskandidatur mit einer echten Chance, bei der Präsidentenwahl einer linken Mehrheit zum Sieg zu verhelfen, könnte nur entstehen, wenn auch der von dem Linkssozialisten Mélenchon geführte Block der «alternativen Linken», der in den Umfragen derzeit bei 11 bis 13 Prozent liegt und den auch die KommunistInnen unterstützen, in das Wahlbündnis einbezogen würde. Mit den 13 bis 15 Prozent der Allianz Hamon-Jadot käme eine solche Kandidatur dann auf 24 Prozent, könnte sie also Fillon und Macron überholen.
Doch dafür bestehen zumindest derzeit noch wenig Chancen. Dazu müsste die anhaltende Rivalität zwischen dem von Hamon und dem von Mélenchon geführten WählerInnenpotenzial überwunden werden. Hamon hat zwar unmittelbar nach seiner Kür zum Spitzenkandidaten des PS nicht nur Jadot, sondern auch Mélenchon zu Gesprächen eingeladen, und auch Mélenchon hat sich dazu bereit erklärt. Dennoch ist der Kontakt zwischen beiden bisher nicht über ein kurzes Telefongespräch hinausgekommen. Stattdessen wurde in jüngsten öffentlichen Erklärungen beider eher ein rauer Ton praktiziert. Mélenchon liess verlauten, dass er sich nicht an den «Leichenwagen» des PS ankoppeln wolle, und Hamon erklärte, er werde Mélenchon «nicht nachlaufen».
Es wäre falsch, für diese Rivalität nur die persönlichen «Egos» der beiden Spitzenkandidaten verantwortlich zu machen. Dahinter stehen tiefer gehende politische Probleme. Offensichtlich geht es unter anderem darum, wer bzw. welche Richtung im Lager der Linken künftig die politische Hegemonie haben würde.
Hamon geht nach seinem Sieg bei den Vorwahlen als offizieller Spitzenkandidat des Parti Socialiste ins Rennen. In seinen Vorstellungen soll wohl der PS auch künftig die Führungsposition unter den Linken innehaben. Er hat zwar zuletzt in der Vereinbarung mit den Grünen eine deutliche Abkehr vom Hollande-Kurs und eine Festlegung auf ein linkes Regierungsprogramm öffentlich deutlich gemacht. Aber es bleibt die Frage, ob damit bereits garantiert ist, dass er sich auch nach der Wahl unter dem sicher einsetzenden massiven Druck der etablierten Unternehmer- und Rechtskreise sowie der EU noch daran halten würde. Hamon will den zerstrittenen PS wieder «zusammenführen» und dabei auch den rechten Parteiflügel einbeziehen. Dem entsprechend hat er ein Wahlkampfteam berufen, in dem die VerfechterInnen seines Kurses zwar die Mehrheit haben, aber im Namen der «Wiederzusammenführung» des PS auch AnhängerInnen des früheren Hollande-Valls-Kurses einbezogen sind. Hamon möchte offensichtlich trotz seines «linken» Programms den Eindruck eines vollständigen Bruchs mit der bisherigen PS-Politik unter Hollande vermeiden. Das wirft die Frage auf, ob er sich damit nicht durch den rechen Parteiflügel erpressbar macht, bei der Realisierung seines Linksprogramms Abstriche zu machen, wenn die Rechten mit Spaltung drohen.

Mélenchon und PCF gesprächsbereit

Jean-Luc Mélenchon und der PCF-Nationalsekretär Pierre Laurent haben am 25. Februar nach einem gemeinsamen Frühstück auf einer gemeinsamen Pressekonferenz – dem ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt beider seit Wochen – übereinstimmend betont, dass sie für Gespräche mit Hamon offen bleiben. «Ich wende mich an Hamon mit gutem Willen. Wir wollen reden. Aber wir wollen Garantien», erklärte Mélenchon. «Wir werden nicht aufhören, Gesten guten Willens zu zeigen», betonte auch Laurent, aber ein «Anschluss» (an den PS) sei «kein Bestandteil der Kultur der KommunistInnen». Laurent erinnerte daran, dass er und der PCF sich seit einem Jahr für eine politisch-inhaltliche Vereinbarung zwischen allen Linkskräften als Grundlage gemeinsamer Kandidaturen sowohl zur Präsidenten- wie zur Parlamentswahl eingesetzt haben. Ein politischer Pakt für eine linke Mehrheit ist seiner Ansicht nach wohl nach wie vor die entscheidende Voraussetzung für ein Bündnis. «Wenn es ein Treffen der Linken gibt, wird der PCF sicherlich mit am Tisch sitzen. Aber es braucht Garantien. Die FranzösInnen haben Zweifel, und sie haben recht damit. Schon François Hollande hat eine Wende versprochen und schon am Tag nach seiner Wahl den Rückwärtsgang eingelegt.»
Offensichtlich liegt also rund acht Wochen vor dem ersten Wahlgang am 23. April, anders als es zu Jahresbeginn aussah, der Sieg einer linken Mehrheit bei der Präsidenten- und Parlamentswahl in Frankreich noch im Bereich des Möglichen. Aber der Weg dahin dürfte gewaltige Anstrengungen zur Verständigung zwischen den Linkskräften erfordern, auch über Garantien gegen eine Wiederholung des Debakels unter Hollande. Und ob diese Bemühungen letztlich erfolgreich sein werden, ist derzeit nicht mit Bestimmtheit abzusehen.

Update: Die beiden Kandidaten der Linken, Hamon und Mélenchon, haben nach einem Treffen angekündigt, dass sie eine vereinte linke Kandidatur ablehnen und beide im Rennen um die französische Präsidentschaft bleiben werden.

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Abschottung und Aufrüstung

European flags in BrusselsGrenzen zu und mehr Militär – so will die EU «besser werden». Am Gipfeltreffen von Mitte September beschlossen die EU-ChefInnen mit dem «Fahrplan von Bratislava», wie sie der «Krise» Herr werden wollen. Fahrplan einer Fahrt, die in die falsche Richtung geht.

Sie klangen tatsächlich ziemlich alarmiert, die EU-Oberen, die am 16. September zum Gipfeltreff in Bratislava zusammenkamen. Kommissionspräsident Juncker hatte zwei Tage vorher in seiner Rede vor dem EU-Parlament eine «existenzielle Krise» der EU ausgemacht. Aber auch Kanzlerin Merkel meinte bei ihrer Ankunft in Bratislava: «Wir sind in einer kritischen Situation». Es müsse jetzt darum gehen, «durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können.»

Zugleich sollte allerdings nicht übersehen werden, dass das alarmistische Krisengerede auch einen Zweck verfolgt. «Mehr Geschlossenheit zeigen», heisst die Parole. Gemeint ist damit, dass die verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten sich wieder mehr den von den Führungsmächten gewollten Vorgaben unterordnen und auf «Eigenmächtigkeiten» verzichtet sollen. Die EU sei «zwar nicht fehlerfrei», aber doch «das beste Instrument, über das wir verfügen», heisst es in der von den Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen verabschiedeten «Deklaration von Bratislava». Die führenden Kapitalkreise und ihre politischen AkteurInnen brauchen die EU als Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen nach innen und aussen. Deshalb wollen und werden sie mit aller Entschlossenheit an der Fortentwicklung und dem Ausbau der EU festhalten.

Die EU-Armee kommt

Die «Deklaration von Bratislava» verdeutlicht, wie die EU Chefs die derzeitige «kritische Situation» in den Griff bekommen wollen und wohin die Reise in den nächsten Monaten gehen soll. Kernaussage: Es gehe jetzt vor allem darum, «die politische Kontrolle über die Entwicklungen sicherzustellen». Dazu wurde in Bratislava als Anhang zur verabschiedeten «Deklaration» auch ein «Fahrplan» mit den «Kernprioritäten» für die nächsten Monate verabschiedet. Nach diesem «Fahrplan» konzentriert sich das «Besserwerden» der EU in den nächsten Monaten im Wesentlichen auf zwei Hauptpunkte: Erstens auf die weitere Abschottung der EU gegen Menschen auf der Flucht und zweitens auf den Ausbau der EU-Militärmacht.

Zum Flüchtlingsthema wird unter anderem das «uneingeschränkte Festhalten» an dem schändlichen Abschiebeabkommen mit dem autoritären Erdogan-Regime in der Türkei sowie die Erhöhung der Zahl der Frontex-GrenzschützerInnen an der Grenze Bulgariens zur Türkei festgeschrieben. Bis Ende des Jahres soll die EU-Grenz- und Küstenwache weiter ausgebaut werden. Doch die eigentliche Streitfrage zwischen den beteiligten Staaten, nämlich die EU-weite Aufteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Staaten nach einem von der EU festgelegten Schlüssel, wurde mit keinem einzigen Wort angesprochen.

Die EU-Oberen geben vor, mit ihren «Massnahmen» dem Anwachsen rechtsextremistischer Kräfte in der EU entgegenwirken zu wollen. Aber in Wahrheit übernehmen sie damit nur die Verwirklichung der rechtsextremistischen Forderungen und Parolen als EU-eigene Politik. Der zweite Hauptpunkt des Bratislava-Fahrplans ist der Ausbau der Militärmacht. Ein Kernpunkt ist dabei die Einrichtung eines ständigen «EU-Militärhauptquartiers für Auslandseinsätze» nach einem kurz vorher von Merkel und Hollande gemeinsam vorgelegten Vorschlag. Kommissionschef Juncker plädierte vor dem EU-Parlament auch für die Schaffung «gemeinsamer militärischer Mittel», die, so wörtlich, «in einigen Fällen auch der EU gehören sollten». Also eigene Truppenteile als Kern einer künftigen «EU-Armee». Davon soll dann vor allem die EU-Rüstungsindustrie profitieren, bei der die EU neue Ausrüstungen bestellt. Denn «eine starke europäische Verteidigung braucht eine innovative europäische Rüstungsindustrie», betonte Juncker.

Eine Erkenntnis bleibt

Im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hingegen gibt es im «Fahrplan von Bratislava» kaum nennenswertes Neues. Die von Brüssel diktierte rigorose Spar- und Kürzungspolitik wird mit keinem Wort erwähnt. Noch weniger natürlich Vorstellungen, wie etwa der Einführung eines verbindlichen europäischen Mindestlohns oder der Schaffung von Arbeitsplätzen durch eine EU-weite Festschreibung der Verkürzung der Arbeitszeiten. Ganz zu schweigen von Massnahmen zur Reduzierung der ungleichen und ungerechten Verteilung des Reichtums. Es bleibt bei der Erkenntnis: Fortschritte in diese Richtung sind nicht «von oben» zu erwarten. Sie müssen von den Völkern selbst erkämpft werden.

Aus dem vorwärts vom 21. Oktober 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Wir werden das ändern!

syriza_junge frauHerr Katrougkaos, der Präsident des europäischen Parlaments, Martin Schulz, war am Donnerstag in Athen. Am Freitag soll der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, sich mit der neuen Regierung treffen. Die Vertreter der europäischen Institutionen, die Syriza vor den Wahlen scharf geisselten, eilen heute nach Athen. Ist dies ein Zeichen, dass der Sieg der gegen die Sparzwangpolitik auftretenden Linken das europäische Spielbrett durcheinander wirft?

Katrougkalos: Das ist klar. Vor den Wahlen sagten uns unsere politischen Gegner, dass selbst das Prinzip einer Neuverhandlung der Schulden ausgeschlossen sei. ‚Ein abgeschlossenes Abkommen wird nicht wieder neu verhandelt‘, wiederholten sie. Nun scheint es, dass die Logik beide Seiten zu Neuverhandlungen zwingt. Ganz einfach, weil das Resultat der Memoranden, der Sparpolitik, ein eklatantes Scheitern ist. Diese antisoziale Politik bringt desaströse ökonomische Auswirkungen hervor. Der Sieg von Syriza hat bereits Rückwirkungen auf dem Kontinent. Zwei grosse Lager zeichnen sich nunmehr ab: die harte deutsche Rechte und ihre Verbündeten aus den Nordstaaten. Das andere Lager vereinigt die Parteien der europäischen Linken, zu denen SYRIZA gehört, und neu aufkommende Kräfte wie PODEMOS. Möglicherweise kann sich dieses Lager ausweiten auf manche Sozialdemokraten, wenn sie begreifen, dass die absolute Identifizierung mit der Politik der Rechten zum Zusammenbruch führt, wie dies in Griechenland mit der PASOK schon geschehen ist. Um deutlich zu sein: wir erkennen in den Entscheidungen von François Hollande keine linke Politik. Aber wir sagen, dass man von den Rissen in der Front der Austerität profitieren sollte, um Unterstützungen zu finden und unsere Positionen zu stärken. Die Deutschen können nicht weiterhin ihre Entscheidungen ganz Europa aufzwingen.

Sie stehen in der ersten Linie, um die Austeritätpolitik zu stoppen, da die Troika zu Beginn der Austeritätsprogramme die Streichung von 150 000 Stellen noch vor 2015 forderte, von den 667 000, die die griechischen öffentlichen Dienste insgesamt aufwiesen. Wieviele Stellen sind tatsächlich schon gestrichen worden? Werden Sie die entlassenden Beschäftigten wieder einstellen?

Katrougkalos:Wir werden alle diejenigen wieder einstellen, die entlassen worden sind. Man hat von 20.000 Entlassungen gesprochen, aber die reale Zahl ist sicherlich geringer. Was den harten Kern des Staates anbetrifft, sind nach den ersten Berichten, die ich einsehen konnte, 3.500 Staatsangestellte, die in den Ministerien arbeiteten, vor die Tür gesetzt worden. Aber dazu muss man beispielsweise noch alle entlassenen Beschäftigten infolge der brutalen Schliessung des öffentlichen Rundfunk- und Fernsehsenders ERT hinzurechnen. Wir werden das ändern.

Wie wollen Sie der Vetternwirtschaft ein Ende machen, die sich wie ein Funktionsmodell im Zug des Wechsels zwischen Pasok und Neue Demokratie durchgesetzt hat?

Katrougkalos:Das wird eine wesentliche Schiene sein, um einen Rechtsstaat wiederaufzubauen. Wir brauchen ein klares und wirksames Beurteilungssystem. Nicht um Entlassungen zu rechtfertigen, wie dies bisher konzipiert wurde, sondern um unsere Verwaltung zu verbessern. Ohne Hexenjagd werden wir einen klaren Diskurs mit den Staatsangestellten führen, über all das, was geändert werden muss. Wir werden die Gewerkschaften in diese Änderungen einbeziehen, um das System der Vetternwirtschaft zu zerbrechen und den Staat auf gesunden Grundlagen wieder aufzubauen.

Sie sind Verfassungsrechtler. Soll das griechische Grundgesetz, das die vorhergehende Regierung von jeder sozialen Verpflichtung säubern wollte, bestehen bleiben?

Katrougkalos:Das wird Gegenstand einer Debatte in der Regierung und in den Reihen von SYRIZA sein. Mein Gesichtspunkt ist, dass eine Verfassungsgebende Versammlung gebraucht würde. Wenn ein Land einer schweren Krise entgegentreten muss, wie das 1958 in Frankreich im Moment des algerischen kolonialen Befreiungskrieges der Fall war, muss es sich Institutionen schaffen, die es ihm ermöglichen, die Schwierigkeiten zu überwinden. Wir brauchen eine neue Verfassung einer IV. griechischen Republik, die auf direkte Demokratie gegründet ist. Mit zum Beispiel der Möglichkeit, korrumpierte Abgeordnete abzuberufen, und mit Anerkennung der Volksinitiative für Gesetze oder Referenden. Auf sozialem Gebiet müssten schon bestehenden Garantien auch ausgeweitet werden. Die eigentliche Ausarbeitung dieser neuen Verfassung sollte eine Übung in direkter Demokratie sein, wie in Island.

gr_george katrougalosZur Person: Georgios Katrougkalos ist stellvertretender Innenminster und zuständig für die Staatsreform Griechenlands.  Er ist 51 Jahre alt, Verfassungs- und Völkerrechtler, Professor für Staatsrecht. Katrougkalos studierte in Athen und später an der Sorbonne Paris, war Gastprofessor in Dänemark, absolvierte Studienaufenthalte in den USA, war Professor für Öffentliches Recht in Athen. Er war als Experte und Mitarbeiter von Stiftungen und anderen Einrichtungen für verschiedene griechische Ministerien tätig; Mitarbeiter an Forschungsprojekten des Europarats, Beratungstätigkeiten im internationalen Rahmen u.a. in Usbekistan, Mazedonien, Albanien, Armenien, Syrien; Verfasser zahlreicher Bücher und Artikel in juristischen Zeitschriften; zuletzt Abgeordneter für SYRIZA im Europäischen Parlament.

 

Aus der französischen kommunistischen Tageszeitung «Humanité» vom  30. Januar 2015. Übersetzung: G. Polikeit

Quelle: www.kommunisten.de

Kein Kurswechsel nach der EU-Wahl

meine_wahl2014Das Gesamtergebnis der EU-Wahl 2014 lässt sich nach den Anfang dieser Woche vom EU?Parlament bekanntgegebenen Zahlen in drei Haupttrends zusammenfassen:

  1. Die etablierten Parteien, die bisher den EU-Kurs des neoliberalen Sparzwangs und des Sozialabbaus durchgesetzt haben, verlieren zwar an Stimmen, aber die Absage der WählerInnen an diese Parteien reicht nicht aus, um eine spürbare Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse zu erreichen. Sowohl die Rechtskonservativen wie die Sozialdemokraten, aber auch Liberale und Grüne haben weniger Stimmen und Mandate als 2009. Die «Europäische Volkspartei» (EVP) und die sozialdemokratische Fraktion S&D («Sozialisten und Demokraten») stellen aber dennoch weiterhin die stärksten Fraktionen im EU?Parlament.
  2. Der vorhergesagte und in den vorherrschenden Medien oft geradezu herbeigeredete «Durchbruch» rechtsextremistischer, ausländerfeindlicher und rassistischer Parteien ist in der Tat besorgniserregend. Nicht nur in Frankreich und Grossbritannien, sondern auch in mindestens neun weiteren EU?Staaten.
  3. Die Wahlergebnisse der linken Parteien und Bündnisse, linkssozialistischer wie kommunistischer Prägung, weisen in mehreren Ländern erfreuliche Verbesserungen auf, was sich auch in einer vergrösserten Linksfraktion im EU?Parlament niederschlägt. Aber die Tendenz ist uneinheitlich. In einigen Ländern sind auch Stimmenrückgänge zu verzeichnen. Insgesamt bleibt das Ergebnis der Linken hinter den Erwartungen und Vorhersagen, vor allem aber hinter dem für die Durchsetzung eines anderen politischen Kurses notwendigen Gewicht zurück.

Linksparteien mit verbesserten, aber insgesamt unbefriedigenden Ergebnissen

Die Fraktion der «Vereinigen Linken» im künftigen EU-Parlament wuchs von 35 (2009) auf 42 Abgeordnete. So erfreulich dies ist, verbergen sich dahinter doch ganz unterschiedliche Ergebnisse in den einzelnen Ländern.

Der grösste Zuwachs ergab sich in Griechenland, wo das Linksbündnis «Syriza» von 4,7 auf 26,6 Prozent anwuchs und damit stärkste Partei im Land wurde. Sie erreichte 6 Mandate im EU?Parlament (statt bisher 1). Die in scharfer Konkurrenz zu Syriza kandidierende KKE errang mit knapp 6,1 Prozent zwei weitere EU-Mandate (wie bisher, bei der EU-Wahl 2009 hatte die KKE allerdings 8,35 Prozent erreicht).

Stimmen- und Mandatszuwächse für Linke ergaben sich auch in Irland (Sinn Fein 17 Prozent, 3 Mandate, 2 mehr als bisher), Portugal (12,7 Prozent, 3 Mandate für das von der PCE initiierte Bündnis CDU, und gleichzeitig bei deutlichem Stimmenverlust 4,6 Prozent für den konkurrierenden «Linksblock» (BE) – 1 Mandat statt bisher 3) und Spanien (Vereinigte Linke 9,99 Prozent, 5 Mandate, 4 mehr als bisher).

In Frankreich erreichte die «Linksfront» nur einen Stimmenzuwachs von 0,34 Prozent (von 6,0 auf 6,34 Prozent, was einen Rückgang der Mandatszahl von 5 auf 4 zur Folge hatte.) In den Niederlanden konnte die linkssozialistische «Sozialistische Partei» (SP) von 7,1 auf 9,6 Prozent zulegen und erreichte damit 2 Mandate. Stimmenzuwächse für linke Parteien gab es auch in Finnland (von 5,9 auf 9,3 Prozent, 1 Mandat), Dänemark (von 7 auf 8 Prozent, 1 Mandat), und Italien (von 3,4 auf 4 Prozent, 3 Mandat). In Belgien steigerte die «Partei der Arbeit» (PTB) bei der EU-Wahl ihr Ergebnis von 1 auf 3,6 Prozent, was aber für einen Mandatsgewinn nicht ausreichte. Immerhin konnte die PTB aber bei den gleichzeitig stattfindenden nationalen Parlamentswahlen und Regionalwahlen erstmals zwei Mandate im gesamtbelgischen föderativen Parlament und 2 oder 3 Sitze im Regionalparlament von Brüssel erreichen.

Den Zugewinnen stehen jedoch auch Stimmenverluste gegenüber. So ging die Stimmenzahl für AKEL auf Zypern von 34,9 auf 26,9 Prozent zurück, was sich allerdings in der Zahl der EU?Abgeordneten (2 wie bisher) nicht auswirkte. In Tschechien ging die Stimmenzahl der KS?M von 14,2 auf knapp 11 Prozent zurück (nur 3 statt bisher 4 Mandate im EU-Parlament).

Insgesamt ist es den linken Parteien offenbar nicht in dem wünschenswerten und vor allem für die Durchsetzung einer anderen Politik notwendigen Ausmass gelungen, sich den von der bisherigen EU?Politik enttäuschten und von den etablierten Parteien abwendenden WählerInnen als sinnvolle und glaubwürdige Alternative darzustellen. Es wird sicher noch gründlich untersucht und diskutiert werden müssen, wo dafür die objektiven und subjektiven Ursachen liegen und was dafür verantwortlich ist, dass sich die unzufriedenen Menschen nicht in weit stärkerem Mass den Linken zuwenden.

Absage an den bisherigen EU?Kurs

Die rechtskonservative EVP kam zwar auf 213 Mandate (bei insgesamt 751 Abgeordneten), verlor aber 61 Sitze. Die Sozialdemokraten erreichten 190 Mandate, verloren 6 Sitze. Die Liberalen (ALDE) erhielten 64 Sitze, 19 weniger als 2009. Das Wahlergebnis der Grünen ist wechselhaft; beachtlichen Gewinnen in einigen Ländern (Österreich) stehen grosse Verluste in anderen (Frankreich) gegenüber. Insgesamt kommen die Grünen auf 53 Sitze, 4 weniger als 2009.

Auch die in manchen EU-Staaten leicht gestiegene Wahlbeteiligung kann nicht als Zustimmung zum bisherigen EU?Kurs gewertet werden. Auf EU-Gesamtebene stagnierte die Beteiligung bei 43 Prozent. Das heisst, mehr als jeder zweite Wahlberechtige brachte seinen Missmut über die etablierte Politik dadurch zum Ausdruck, dass er nicht hinging. In der Slowakei fiel die Wahlbeteiligung auf das Rekordtief von 13 Prozent, in Tschechien, Slowenien, Polen, Kroatien und Ungarn lag sie gleichfalls noch unter 30 Prozent.

Das Hauptergebnis dieser Wahlen ist also unbestreitbar eine drastisch schwindende Zustimmung zu den bisher in der EU-Politik tonangebenden Parteien.

Dessen ungeachtet hat hinter den Kulissen nun bereits ein heftiger Posten- und Koalitionsschacher begonnen, da weder Juncker noch Schulz mit ihren Parteiformationen allein im EU-Parlament über die erforderliche Mehrheit verfügen, um zum künftigen EU?Kommissionschef gewählt zu werden. Kanzlerin Merkel hat sich für eine Vereinbarung mit den Sozialdemokraten über ein «Personalpaket» ausgesprochen, das mehrere EU?Spitzenposten einbezieht. Es dürfte also mit grösster Wahrscheinlichkeit zur Fortsetzung der «grossen Koalition» in der EU kommen, die auch bisher schon in der EU?Kommission bestanden hat.

Eigentlich ist es ziemlich unwichtig, wie dieser «Kompromiss» am Ende aussehen. Denn sowohl die EVP wie die Sozialdemokraten stehen für die im Wesentlichen unveränderte Fortsetzung des bisherigen neoliberalen Zwangsparkurses, die Deregulierung der Arbeitsmärkte und des Tarifvertragssystems und die Ausweitung des Niedriglohnsektors, für den Ausbau der Macht der EU-Zentralen über die Mitgliedsstaaten und für den Ausbau der EU zu einer global agierenden und in Kriege verwickelten EU?Militärmacht.

Es wird somit weiterhin entscheidend auf die Entwicklung des ausserparlamentarischen Widerstands gegen diese Politik ankommen.

 

Der gefährliche Vormarsch der Rechtsextremisten

Die alarmierenden Ergebnisse der rechtsextremistischen Parteien können dazu führen, dass sie im künftigen EU?Parlament mit mehr als hundert Abgeordneten den drittstärksten Block darstellen, auch wenn sich bezeichnet, dass sie sich infolge verschiedenartiger Differenzen wahrscheinlich nicht zu einer einzigen Fraktion zusammenschliessen, sondern möglicherweise mit zwei Fraktionen auftreten werden, zusätzlich zu einer ganzen Reihe von «fraktionslosen» Abgeordneten, die sich keiner der bestehenden Fraktionen anschliessen.

Die grössten Erfolge verzeichneten die Rechtsextremisten in Grossbritannien mit der «Unabhängigkeitspartei» (UKIP 26,8 Prozent), in Dänemark mit der «Dänischen Volkspartei» (DF 26,6 Prozent), in Frankreich mit dem «Front National» (FN) unter Marine Le Pen (24,95 Prozent) und in Belgien mit der «Neuen Flämischen Allianz» (N-VA 16,35 Prozent), die alle vier bei dieser Wahl in ihrem Land jeweils stärkste Partei wurden. Die antisemitische «Jobbik» in Ungarn erreichte 14,7 Prozent, und dies neben der gleichfalls rechtsextremen FISESZ-Partei von Regierungschef Orban, die 51,5 Prozent für sich gewinnen konnte. Die österreichische FPÖ kam auf 19,7  Prozent, ebenso wie die «wahren Finnen» (19,7 Prozent). Die «Freiheitspartei» (PVV) des niederländischen Rechtsextremist Bill Wilders kam auf 13,2 Prozent, trotz eines gewaltigen Stimmenverlusts gegenüber vorhergehenden Wahlen. Die «Schwedendemokraten» (SD) erreichten 9,7 Prozent und die griechische «Goldene Morgenröte» als drittstärkste Partei des Landes 9,4 Prozent.

Zweifellos sind diese Ergebnisse auf dem Boden des Unmuts und der Unzufriedenheit mit der bisherigen EU?Politik gewachsen. Es gelang den Rechtsextremisten offensichtlich, sich in erheblichen Teilen der Wählerschaft mit ihrer sozialen und nationalistischen Demagogie als die wahren Volks- und Arbeitervertreter gegen «die da oben» darzustellen und Enttäuschte und Empörte mit falschen Feindbildern, ausländer- und immigrationsfeindlichen Parolen von den wahren Verursachern ihrer Nöte abzulenken. In einer Stellungnahme der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) wurde sicher nicht zu Unrecht erklärt: «Wenn die Rechte und die Rechtsextremen vorn liegen, ist damit vor allem die Regierungsmehrheit (unter dem sozialdemokratischen Staatschef Hollande wegen ihrer nicht eingehaltenen linken Wahlversprechen, GP) sanktioniert worden».

Kleines Krisen-Update

Finanzminister beraten über Euro-Krise

Die Krise wütet in der Euro-Zone, vom Zweckoptimismus des politischen Personals gänzlich unberührt, weiter.  Ein (zu) kurzer ökonomischer Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Stand des Schlamassels.

Aus dem vorwärts vom 24. Mai. Unterstütze uns mit einem Abo.

Die litauische Präsidentin, Dalia Grybauskaite, verkündete kürzlich in einem Interview mit der «Deutschen Welle», dass es überhaupt keine Euro-Krise gebe. Ihr Kollege, der EU-Kommissionspräsident José Manuel Borroso, war in Bezug auf die Vergangenheit etwas realitätsnäher, aber auch er erklärte auf dem «WDR Europaforum» kürzlich: «Die existenzielle Krise des Euro ist vorbei». Diese Aussagen deuten entweder auf einen grassierenden Realitätsverlust bei Teilen des politischen Personals hin oder aber sie sollen vor allem eines sein: selbsterfüllende Prophezeiungen. Man möchte die Zuversicht bei den MarktteilnehmerInnen fördern und ignoriert dazu schlicht die reellen Problemen, die sich unvermindert in die Nationalökonomien der Euro-Zone fressen.

Die Proletarisierten können eine Lied vom Ende der Krise singen: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in der Euro-Zone bei rund 24 Prozent; angeführt von Griechenland und Spanien, die mittlerweile mit knapp 60 Prozent Arbeitslosen unter 25 Jahren zu Buche schlagen. Die «Zukunft der Gesellschaft» wächst ohne Zukunft heran. Derzeit werden in Spanien täglich über 500 Familien aus ihren Häusern geworfen; seit Beginn der Krise wurden über 400 000 Räumungen vollstreckt. Die Austeritätsprogramme in den Krisenstaaten sorgen dafür, dass allerorts Betroffene nur schlecht aufgefangen werden und die wohltätigen Suppenküchen kaum dem Ansturm gewachsen sind. Doch auch wenn man den Blick vom zunehmenden Elend der Proletarisierten weg, hin zu den nackten Wirtschaftsdaten lenkt, sieht es nicht wesentlich besser aus.

Krisenphänomene

Die neusten Quartalszahlen der Euro-Zone sprechen von einem Sinken des Bruttoinlandproduktes (BIP) von 0,2 Prozent. Von einer Rezession spricht man im Allgemeinen, wenn das BIP in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinkt. Es ist nun aber bereits das sechsts Quartal in Folge, dass die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone schrumpft. Das schwache Wachstum der deutschen Nationalökonomie kann diesem Trend nicht entgegenwirken – und ist übrigens nur auf Kosten von Staaten möglich, die deutsche Waren importieren. Für den Krisenstaat Zypern rechnen ExpertInnen 2013 mit einem Einbruch des BIP von 8,7 Prozent. Die Ideologie des beständigen Wachstums, wie sie von ExpertInnen und PolitikerInnen wie ein Mantra beschworen wird, hat ihren wahren Kern, auch wenn sie selber davon keinen Begriff haben?: Das Kapital kann sich nur auf erweiterter Stufenleiter reproduzieren. Geld muss profitabel investiert werden und der entstehende Mehrwert als Kapital neu in den Produktionsprozess fliessen – alles natürlich bei entsprechenden Profitraten. Eine stagnierende oder gar sich verkleinernde Volkswirtschaft zeigt also nicht weniger an, als dass sich gewisse Kapitale nicht mehr reproduzieren können.

Die wachsenden Staatsschulden hängen natürlich damit zusammen: Nebst der stockenden (momentan aber zumindest kurzfristig wieder etwas besser laufenden) Refinanzierung auf den Finanzmärkten sind vor allem die damit verbundenen sinkenden Steuereinnahmen durch die Unternehmen ein Problem. Die Rezession führt aber auch zu einem Einbrechen der Einnahmen der Massen durch Arbeitslosigkeit. Dies wiederum untergräbt das Steuersubstrat. Zudem wird dadurch die Massennachfrage reduziert, was einige Linke fälschlich zur Ursache der Krise verklären.

Krise des Kapitals

Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht seit einiger Zeit diesen Prozessen mit verschiedenen Massnahmen Herr zu werden: Sie erklärte, dass sie im Krisenfall die betreffenden Staatsanleihen aufkaufen würde. Dies führte dazu, dass die Finanzmärkte wieder etwas Vertrauen fassten und etwa riskante italienische Staatspapiere aufkauften. Bloss: Sollte der italienische Staat, immerhin die drittgrösste Nationalökonomie der EU, tatsächlich Bankrott gehen, ist es mehr als fraglich, ob die monetären Mittel der EZB ausreichen, um die entsprechenden Schrottpapiere aufzukaufen. Ausserdem senkte die EZB den Leitzins auf 0,5 Prozent und versucht so Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Die Vorstellung dabei ist, dass dieses Geld in die produktive Wirtschaft fliesst und einen Wirtschaftsaufschwung generiert, der auch die Arbeitslosenzahlen nach unten korrigiert. Blöd nur, dass dieses Geld momentan gerade das nicht macht, sondern in hochspekulative Bereiche abfliesst und die Börsenkurse unabhängig von der sogenannten Realwirtschaft befeuert – was zu allerhand veritablen Blasenbildungen führt. Das Problem ist nicht, dass die Bank-ManagerInnen alle durchgedreht sind. Das Geld wird in der Regel nicht mehr in der sogenannten Realwirtschaft investiert, weil die Profitraten nicht mehr ausreichen, um Unternehmensgewinn und (Bank-)Zinsen in der notwendigen Höhe zu garantieren. Das ist das eigentliche Dilemma: Die EZB pumpt Geld in eine Wirtschaft, die wegen mangelnder Profitraten an Kapitalüberproduktion leidet.

Krisenlösung?

Was Europa als Lösung anstrebt, ist eine aggressive Exportpolitik nach deutschem Vorbild. Diese quasi merkantilistische Politik soll dazu führen, dass durch die Exportüberschüsse die Defizite und schliesslich auch die Staatschulden exportiert werden können. Dies ist aber nur möglich, wenn bei hoher Produktivität die Lohnstückkosten gesenkt werden können – wie das Deutschland mit den Hartz-Reformen gelungen ist – und man das Defizit einfach an zu Schuldnerstaaten degradierte Nationalökonomien auslagern kann. Wie lange diese Staaten überhaupt die Überschüsse aufkaufen können, steht in den Sternen; ihre Wirtschaft wird schlicht und einfach ruiniert (siehe etwa Griechenland). Eine wirkliche Lösung ist dieses Modell auf jeden Fall nicht. Aus dem wirtschaftlichen Dilemma wird es keinen Ausweg geben ausser der massiven Vernichtung von Kapital mit den damit verbundenen Verheerungen für die Proletarisierten. Als kommunistischer Beobachter dieser Prozesse muss man sich nicht so dumm machen lassen wie das politische Personal des Kapitals, sondern kann offen aussprechen, dass der Kapitalismus derzeit in einer Sackgasse steckt.

«Ein Massaker, als wäre es ein Krieg»

lampe-sos«Ich bin die neue Bürgermeisterin von Lampedusa. Ich wurde im Mai 2012 gewählt, und bis zum 3. November wurden mir bereits 21 Leichen von Menschen übergeben, die ertrunken sind…, weil sie versuchten, Lampedusa zu erreichen.

Das ist für mich unerträglich und für unsere Insel ein grosser Schmerz. Wir mussten andere Bürgermeister der Provinz um Hilfe bitten, um die letzten elf Leichen würdevoll zu bestatten. Wir hatten keine Gräber mehr zur Verfügung. Wir werden neue schaffen, aber jetzt frage ich: Wie gross muss der Friedhof auf meiner Insel noch werden? Ich bin über die Gleichgültigkeit entrüstet, die alle angesteckt zu haben scheint; mich regt das Schweigen von Europa auf, das gerade den Friedensnobelpreis erhalten hat, und nichts sagt, obwohl es hier ein Massaker gibt, bei dem Menschen sterben, als sei es ein Krieg.

Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass die europäische Einwanderungspolitik diese Menschenopfer in Kauf nimmt, um die Migrationsflüsse einzudämmen. Vielleicht betrachtet sie sie sogar als Abschreckung. Aber wenn für diese Menschen die Reise auf den Kähnen den letzten Funken Hoffnung bedeutet, dann meine ich, dass ihr Tod für Europa eine Schande ist.
Wenn Europa aber so tut, als seien dies nur unsere Toten, dann möchte ich für jeden Ertrunkenen, der mir übergeben wird, ein offizielles Beileidstelegramm erhalten. So als hätte er eine weisse Haut, als sei es unser Sohn, der in den Ferien ertrunken ist.»

Giusi Nicolini, Bürgermeisterin von Lampedusa.

 

Europa spielt mit dem Feuer

Tausende Menschen beteiligen sich Flüchtlingsdemo in BerlinFriedensnobelpreis für die Europäische Union? Schlechte Realsatire oder dadaistische Selbstinszenierung, könnte man sich jetzt laut fragen. Oder einfach etwas Balsam auf die krisengeschüttelte Seele der europäischen Zwangsgemeinschaft? Schliesslich hat die EU sonst grad nicht viel zu jubilieren.

Aus der Sonderbeilage zur Jahresendnummer vom 21.Dezember. Unterstütze uns mit einem Abo.

«Wir werden stets auf der Seite derjenigen stehen, die nach Frieden und Menschenwürde streben» sagte EU-Kommissionspräsident Barroso in seiner Rede bei der Preisverleihung in Oslo am 10. Dezember. Schöne Worte! Ob Herr Barroso mit dem «Streben nach Menschenwürde» auch an die wagemutigen «Boat People» gedacht hat?  Alleine 2011 ertranken im Mittelmeer gemäss offiziellen Statistiken über 2300 Menschen, beim Versuch nach Europa zu kommen. Ein neuer, trauriger Rekord. Seit 1993 sind insgesamt 18000 Menschen an den Aussengrenzen Europas gestorben. Das sind die offiziellen Zahlen, die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen.

Verschiedene erschütternde Berichte belegen zudem, dass immer wieder in Seenot geratenen Flüchtlingsschiffen die Rettung verweigert wird und die Menschen ihrem Schicksal überlassen werden. Ziemlich viele Tote für einen Kontinent des Friedens. Da wäre das Bekenntnis, man stehe zwar zu Freiheit, Menschenrechten und sozialem Wohlstand, nur wolle man sie nicht teilen, wohl ehrlicher gewesen. Europa mit seinen zwei Gesichtern: Für die einen existiert das Europa der freien Fahrt für freie Bürger, für die anderen warten Internierungsknäste, wo selbst Kinder hungern und in Urinlachen schlafen, wie unlängst ein schockierter François Crépeau, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von MigrantInnen, nach einem Besuch in griechischen Internierungslagern feststellen musste. 

In Europa gestrandet

Gerade in Mittelmeerländern wie Griechenland oder Malta ist die Situation besonders prekär und angespannt. Auf Grund des Dublin-Abkommens entziehen sich die wohlhabenden Staaten Mitteleuropas ihrer Verantwortung, denn für die Bearbeitung eines Asylantrages ist ausschliesslich das Land der Erstankunft zuständig. Reisen Flüchtlinge trotzdem weiter und stellen in einem anderen Land ihr Asylgesuch, werden sie umgehend mittels Fingerabdrücken und biometrischen Daten identifiziert und zurückgeschafft. Länder wie Griechenland werden so zu Bollwerken der Festung Europa umfunktioniert.

Heute sollen alleine in Athen über 100000 Illegale leben. Viele von ihnen obdach- und mittellos und ohne Perspektive. Die Chance überhaupt ein Asylgesuch in Griechenland stellen zu können, liegt praktisch bei null. Nicht mal da hält Europa, was es verspricht. Kein Wunder, dass die EU Griechenland nicht fallen lassen wird. Die neuen Armenhäuser Europas werden mit den Armen der Welt gefüllt. Da verwundert es auch nicht, wenn im antifaschistisch geprägten Griechenland eine offen neonazistisch auftretende Partei wie die «Goldene Morgenröte» gemäss aktuellsten Umfragen bis zu 18 Prozent Wähleranteil erreicht und mit diesem Ergebnis die dritt stärkste Partei wäre. Europa spielt mit dem Feuer.

Scharfmacher Schweiz

Im innereuropäischen Wettbewerb um die asozialsten Gesetze und besten Vergrämungsstrategien gehört die Schweiz zu den fleissigsten Platzhirschen. Kein Jahr vergeht, in dem die Ausgrenzungsmaschinerie mit neuen Gesetzen nicht noch tödlicher und effizienter gestaltet wird. Kein Jahr, in dem die Schrauben nicht noch mehr angezogen und neue Notstandsgesetze in Kraft gesetzt werden, obwohl ähnliche Gesetze längst schon bestehen. Europa hat sich satt gefressen und kackt moralisch ab. Die Schweiz gehört bei der mörderischen Politik der Wohlstandsverteidigung zu den zentralen Scharfmachern Europas. Die parlamentarische Linke spielt mit und schweigt, wohlwissend dass mit netten Worten über Ausländer derzeit keine Wahlen zu gewinnen sind. Und die SVP ist längst die europäische Gallionsfigur einer extremen Rechten schlechthin, auch wenn sie sich gern als Partei für alle darstellt. Doch falsch ist auch dieses Urteil nicht ganz, zumal die Mitte zunehmend weiter an den rechten Rand rückt.

Und sie kommen trotzdem

Egal wie hoch und tödlich die sichtbaren und unsichtbaren Mauern in und um Europa und in den Köpfen der Menschen sein mögen, die Verdammten dieser Erde, sie werden sich auch weiterhin auf den gefährlichen Weg in die reichen Ländern des Nordens machen – und dafür alles riskieren. Auf diese Realität hat das vereinte Europa bis heut keine gerechte Antwort gefunden. Je undurchlässiger diese Grenzen werden, desto mehr Tote wird es an den Aussenrändern der Festung Europa geben. Und das Perverseste, der tausendfache Tod wird durch Schlagworte wie «Menschenrechte» oder «Kampf gegen Menschen- und Frauenhandel» durchgesetzt und mehrheitsfähig gemacht. Arbeitslose senegalesische Fischer (die EU-Hochseeflotte lässt grüssen), die sich als Fluchthelfer betätigen, werden zu schleppenden Massenmörder hochsterilisiert und junge Frauen, die für etwas Glückseligkeit bereit sind, den eigenen Körper zu verkaufen, zu willenlosen Sklavinnen verklärt, die man ertrinken lässt, damit sie nicht ausgebeutet werden können. Angesichts dieses Zynismus passt der Friedensnobelpreis für die EU vielleicht doch grad wie die Faust aufs Auge. Die Stimmen in den Länder der Verdammten, die ein Ende der Kollaboration mit Europa sowie eine historische Aufarbeitung der Tausenden von Toten an den europäischen Aussengrenzen fordern, sie werden nicht leiser werden. Die neue Zeitrechnung, sie hat längst begonnen.

Auf Wiedersehen, good old Europe.

Europa streikt

Der Europäische Gewerkschaftsbund erklärt den 14. November zum europäischen Aktionstag  «Für Arbeitsplätze und Solidarität in Europa und gegen die Austeritätspolitik» und ruft seine Mitgliedsgewerkschaften mit 60 Millionen Mitgliedern in der Europäischen Union auf zu protestieren, zu demonstrieren und zu streiken. Erstmals wird es in mehreren Ländern gleichzeitig zum Generalstreik kommen. In  Portugal, Spanien, Griechenland und Zypern werden an dem Tag wohl alle Räder still stehen. In Italien sind verschiedene Aktionen geplant. In Italien ruft der kämpferische Gewerkschaftsbund CGIL zu einem vier Stündigen Generalstreik. Basisgewerkschaften sowie kommunistische Parteien und Gruppen haben sich dem Anruf angeschlossen. Die beiden anderen rosaroten Gewerkschaftsbünde UIL und CISL unterstützen den Generalstreik nicht.

Soziale Mindeststandards erkämpfen

Das Exekutivkomitee des EGB verurteilte am 17. Oktober die sogenannten Sparmassnahmen, die Europa in Stagnation und Rezession treiben und Ungleichgewichte sowie Ungerechtigkeiten vertiefen und den Sozialabbau beschleunigen. Es wirft dem IWF vor, mit falschen Berechnungen die zu erwartenden Folgen der Austeritätspolitik im Vorfeld geschönt zu haben. Es wendet sich gegen die frontalen Angriffe auf Tarifvertragssysteme und Gewerkschaftsrechte bei der Durchsetzung der Politik der Troika. Hier sei unsererseits daran erinnert, dass auch die Führungen von SPD und Grünen grundsätzlich den «Hilfsprogrammen»  zum Beispiel für Griechenland zustimmen. Bei letzterem ist dessen integraler Bestandteil die gesetzliche Nichtigkeitserklärung aller Tarifverträge. Warum sollen Politiker, deren einstiger Basta-Kanzler den Gewerkschaften mit staatlichen Eingriffen drohte, wenn sie nicht selbst ihre Tarifverträge für betriebliche Verschlechterungen öffnen würden, zu gegebener Zeit vor gleichen Massnahmen in Deutschland zurückschrecken? Unter Hinweis auch auf die wachsenden Proteste in den EU-Ländern will der EGB um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und soziale Mindeststandards in der EU kämpfen.

Quelle: www.kommunisten.de

Generalstreik in Spanien

Ralf Streck. Am 23. März kommt es in Spanien zum sechsten Generalstreik seit Ende der Diktatur im Jahr 1975. Die Gewerkschaften mobilisieren gegen die neue Arbeitsreform der bürgerlichen Regierung. Diese führt unter anderem zu einer Durchlöcherung des Kündigungsschutzes. Am Sonntag, 13. März, haben die Gewerkschaften die Hauptprobe für den Generalstreik durchgeführt.

Auch die grossen spanischen Gewerkschaften werden am 29. März gegen die Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung streiken. Die Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) haben sich Anfangs März dem Aufruf der Gewerkschaften im Baskenland und Galicien angeschlossen, die sofort nach dem Dekret der Regierung zu diesem Streiktag aufgerufen hatten. CCOO und UGT hatten noch versucht, mit Ministerpräsident Mariano Rajoy zu verhandeln. Nachdem das Parlament, in dem die rechte Volkspartei (PP) die absolute Mehrheit hat, das Dekret bestätigte, sehen sie aber keinen anderen möglichen Ausweg mehr.

«Reform für Entlassungen»
«Der Generalstreik an sich ist nicht das Ziel, sondern das Mittel, um die Regierung zu Verhandlungen zu bringen», sagte der Chef der CCOO. Ignacio Fernández Toxo fügte an, die Reformvorschläge habe man ihr schriftlich übermittelt. Er hofft, im Gesetzgebungsverfahren deutliche Veränderungen an den «brutalen Einschnitten» durchsetzen zu können. Es handelt sich um den sechsten Generalstreik im ganzen Land seit dem Ende der Diktatur 1975. Wie Toxo hofft auch der UGT-Chef Cándido Méndez auf einen Schwenk, obwohl der Regierungssprecher Alfonso Alonso als Reaktion auf den Generalstreik angekündigt hat: «Wir werden keinen Rückwärtsgang einlegen». Doch 2002 hatten die Gewerkschaften per Generalstreik eine Arbeitsmarktreform der damaligen PP-Regierung unter José María Aznar gekippt. Méndez sagte, die Entscheidung zum Streik sei «schwierig aber notwendig» gewesen, weil die Reform «Jahrzehnte des sozialen Friedens» beerdige. Die Gewerkschaften kämpfen dagegen an, dass mit der Reform über einen Probevertrag erstmals eine völlige Freigabe der Kündigungen und zudem ohne Abfindung möglich wird. Es sei unverständlich, wenn die Regierung von einer «Reform für Einstellungen» spreche, denn in Tat und Wahrheit es sei eine «Reform für Entlassungen». Toxo erinnert die Regierung an ihre eigene Prognose, dass im laufenden Jahr weitere 630 000 Stellen verlorengehen werden. Damit wären zum Jahresende fast sechs Millionen Menschen in einem Land ohne Arbeit, das nur etwa die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands hat, indem drei Millionen Arbeitslose gezählt werden. Die bisherige Arbeitslosenquote von 23,3 Prozent wird daher deutlich weiter steigen.

Schwammige Floskeln
Mit der Reform wird es für Firmen allgemein einfach und billiger, sich von Beschäftigten zu trennen, auch wenn sie weiter Gewinne machen. Es reicht der Nachweis, dass in drei Quartalen die Umsätze gefallen sind, um eine Abfindung zahlen zu müssen, die auf dem Lohn von 20 statt wie bisher 45 Tagen basiert. Die Reform sieht auch eine Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen vor. Weiter sagen die Gewerkschaften, dass die Mitbestimmung der Betriebsräte und Rahmentarifverträge ausgehebelt würden. So können Löhne gekürzt, Urlaub angeordnet, Arbeitszeiten geändert und ArbeitnehmerInnen versetzt werden, wenn es die «Wettbewerbsfähigkeit, die Produktivität oder die technische Organisation sowie die Arbeit der Firma» erfordern. So lautet die schwammige Formulierung im Dekret. Bei Entlassungen von bis zu zehn Prozent der Beschäftigten, dürfen diese Massnahmen eingeleitet werden, ohne dass der Betriebsrat zu Wort kommt. Ist eine grössere Zahl von Beschäftigten betroffen, muss der Betriebsrat angehört werden. Doch, gibt es keine Einigung, entscheidet die Firma einseitig.
Unternehmen können sich nun auch vom Tarifvertrag lösen, wenn sechs Monaten die Umsätze sinken. Bei Uneinigkeiten schlichtet eine Kommission aus Vertretern von Gewerkschaften, Unternehmern und Verwaltung. In dieser Zusammensetzung der Kommission ist es für die Gewerkschaften sehr schwierig, die Interessen der ArbeiterInnen zu verteidigen. Sie erwarten daher wohl zurecht, dass sie in der Schlichtungskommission bei Konflikten meistens überstimmt werden. Die Gewerkschaften weisen auch hier wieder zurecht darauf hin, dass es unter solchen Umständen und Bedingungen kaum noch einen Sinn macht, Branchenverträge auszuhandeln.

Probleme werden nur verschoben
Der Professor für Arbeitsrecht an der Universität Madrid, Fernando Valdés, zweifelt auch deshalb an der Verfassungsmässigkeit der Reform, weshalb Linksparteien und Gewerkschaften vor das höchste Gericht ziehen wollen. Experten weisen auch darauf hin, dass damit der Wettbewerb verzerrt werde. Statt dringend notwendiger Investitionen zur Steigerung der Produktivität würden einfach die Löhne gesenkt, womit die allseits bekannten strukturellen Probleme Spaniens zeitlich nur verschoben würden. Mit Billiglohnländern könne auch mit fallenden Löhnen nicht konkurriert werden, weshalb das Wirtschaftsmodell allgemein reformiert werden müsse.
Mit grossen Demonstrationen in vielen Städten haben die Gewerkschaften am Sonntag, 11. März die Hauptprobe für den Generalstreik durchgeführt. Schon Mitte Februar hatten Hunderttausende demonstriert, doch wegen des Jahrestags islamistischer Anschläge am 11. März 2004, waren die Proteste der Gewerkschaft diesmal umstritten. Bei den schlimmsten Anschlägen in der neueren Geschichte wurden 191 Menschen ermordet, als in vier in Vorortzügen der Hauptstadt Madrid Bomben gezündet wurden. Die Präsidentin der grossen Opfervereinigung «11-M» sieht jedoch in den Demos keinen respektlosen Umgang mit den Opfern, wie von Seite der Regierung den Gewerkschaften vorgeworfen wurde. Der Opfer «müsse jeden Tag gedacht werden», sagte Pilar Manjón und betont: «Am Sonntag finden auch Fussballspiele statt, ohne dass jemand dagegen etwas sagt».

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