Kalifornien: Widerstand gegen ICE

Michelle Zacarias. Beispielhafte Community-Organisation gegen Migrant:innenhatz. Wie ein Aktivist sagt: «Wir können es uns nicht leisten, aufzuhören, denn unsere Leute sind auf unseren Widerstand angewiesen.» Das findet die Antiterrorismus-Kommission des Senats aber nicht gut. Aus «Correos de las Américas» vom Oktober 2025.

Kurz vor Mitternacht am 13.Juni 2025 versammelte sich eine kleine Gruppe von Aktivist:innen still vor dem Residence Inn in Long Beach, Kalifornien. Ein paar Blocks weiter war die Stimmung lauter und aufgeladener: Demonstrierende mit Megaphonen skandierten vor dem Hotel Holiday Inn in der Nähe des Flughafens von Long Beach, während Polizeibeamt:innen vor dem Eingang des Gebäudes Wache standen. In den sozialen Medien hatte sich die Nachricht verbreitet, dass Beamt:innen der Bundesbehörde ICE (Einwanderung und Zoll) in beiden Hotels eingecheckt hatten. Innerhalb einer Stunde war eine kleine Gruppe von Anwohner:innen vor beiden Häusern eingetroffen. Sie waren dort, um sicherzustellen, dass die ICE-Beamten nicht schlafen konnten.

Der Kern der Mobilisierungsbemühungen
Dies war eine von mehreren «No Sleep for ICE»-Aktionen (Kein Schlaf für ICE) letzten Juni. In einer Zeit, in der grosse Proteste oft die Schlagzeilen dominieren, etabliert sich in Südkalifornien eine andere Art des Widerstands. Kleine, dezentrale Netzwerke von Gemeindemitgliedern nutzen heimliche Taktiken und Echtzeit-Koordination, um die Bewegungen von ICE-Beamt:innen zu überwachen, zu stören und aufzudecken.
Im gesamten Bezirk Los Angeles hat sich diese Strategie zu einem der wirksamsten Instrumente für schnelles aktivistisches Handeln entwickelt. «Sie sollen keine Menschen einfach so von der Strasse weg entführen», sagte Michael Gearin, ein Einwohner von Long Beach, der während der Anti-ICE-Mobilisierungsbemühungen im Juni mit Truth-out sprach. Dabei betonte er sein Engagement für den Schutz seiner Nachbarn vor der Einwanderungsbehörde. Und zur ICE bemerkte er: «Warum sollen sie eine ruhige Nacht haben, wenn alle anderen Angst haben?»
No Sleep for ICE ist nur eine von mehreren Pop-up-Aktionen, die in den letzten Monaten in ganz Südkalifornien zugenommen haben. Als die Einwanderungsrazzien ab Anfang Juni bis in die späten Sommermonate hinein zunahmen, suchten die Einheimischen nach immer kreativeren Wegen, um gefährdete Mitglieder ihrer Gemeinschaft zu schützen. Viele dieser Mikrobewegungen schaffen es selten in die Abendnachrichten, aber sie sind zum Kern der Mobilisierungsbemühungen geworden.
In den Monaten vor der Amtseinführung von Präsident Donald Trump bereiteten sich Basisorganisator:innen still und leise auf einen erwarteten Anstieg von Einwanderungsrazzien vor. Guadalupe Carrasco Cardona, Pädagogin und Mitglied der Unión del Barrio, nahm an Gemeindepatrouillen teil, die die Bewegungen von Einwanderungsbeamt:innen überwachen und verfolgen und die Anwohner:innen in Echtzeit alarmieren. «[Die ICE] nutzt den Überraschungseffekt zu ihrem Vorteil», erklärte Cardona und wies darauf hin, dass viele Patrouillen frühmorgens losziehen und die Nachbarschaften nach möglichen ICE-Agent:innen absuchen. «Wir patrouillieren, um sie aufzuspüren, und lassen sie dann wissen, dass wir sie gesehen haben – wir gehen live in den sozialen Medien und informieren die gesamte Gemeinde mit, dass sie da sind.»

Eine alte Tradition
Die Arbeit der Gemeindepatrouillen hat tiefe Wurzeln in Südkalifornien und reicht bis in die frühen 1990er-Jahre zurück, vor allem entlang der Grenze zwischen den USA und Mexiko in San Diego. Viele Aktivist:innen dort liessen sich vom Modell der Nachbarschaftspatrouillen der Black Panthers inspirieren, und Unión del Barrio übernahm dieses Konzept, um migrantische Gemeinschaften vor Einwanderungsbehörden zu schützen.
Die jüngsten Patrouillen in Los Angeles wurden 2020 als Reaktion auf Razzien unter der Biden-Regierung wiederbelebt. Als die zweite Trump-Regierung ihr Amt antrat, hatte Unión del Barrio bereits wichtige Erfahrungen gesammelt. Angesichts der Grösse der bevorstehenden Aufgabe lancierte die Gruppe 2025 die Community Self-Defense Coalition. Ihr gehören mittlerweile über 60 Organisationen aus Los Angeles, Riverside, San Diego, Santa Barbara und sogar Teilen Nordkaliforniens an.
Ron Góchez, ein weiterer erfahrener Organisator bei Unión del Barrio, sagte, dass die Koalition neben der Durchführung von Patrouillen auch ein speziell auf Schulen zugeschnittenes Schulungsprogramm entwickelt habe. «Wir haben uns wirklich auf Lehrer:innen konzentriert, weil wir wissen, dass die Schulen bald wieder beginnen», sagte Góchez. «Lehrpersonen stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, ihre Schüler:innen und deren Familien zu verteidigen.» Vor kurzem führte die Koalition in Zusammenarbeit mit der Lehrer:inngewerkschaft eine Schulung mit über 250 Lehrpersonen des Schuldistrikts LAUSD im Gebäude der United Teachers Los Angeles (UTLA) durch. Góchez sagt, dass die Wirksamkeit der lokalen Organisation die Einwanderungsbehörden zu Anpassungen gezwungen habe. «Der gesamte ICE-Apparat musste aufgrund unserer Arbeit seine Taktik ändern.» Trotz einer Welle lokaler Unterstützung für die Mobilisierung der Basis reagieren die Bundesbehörden mit Einschüchterungen und Drohungen, um ihre laufenden Bemühungen einzudämmen.

«Anti-Terrorismus»
Im Juni erhielt Unión del Barrio einen an Góchez adressierten Brief von Senator Josh Hawley aus Missouri, der sich als Vorsitzender des Senatsunterausschusses für Kriminalität und Terrorismusbekämpfung vorstellte. In dem Brief warf Hawley der Organisation vor, während der Proteste in Los Angeles «logistische Unterstützung und finanzielle Mittel für Personen bereitgestellt zu haben, die an diesen störenden Aktionen beteiligt waren». Er behauptete weiter, Unión del Barrio habe zivile Unruhen finanziert und kriminelles Verhalten begünstigt, und forderte die Gruppe auf, alle organisierten Aktivitäten einzustellen. «Wir lassen uns von einer neokolonialistischen Regierung wie der der Vereinigten Staaten nicht einschüchtern», antwortete Góchez auf den Brief. Sowohl er als auch Cardona liessen sich vom Schreiben nicht beirren und erklärten, dass der Brief das Interesse und die Unterstützung für ihre Arbeit sogar noch verstärkt habe.
Und kürzlich wurde gar ein Mitglied von Unión del Barrio auf Terminal Island verhaftet, als es zusammen mit Mitgliedern der Harbor Area Peace Patrol die Bewegungen von Bundesfahrzeugen überwachte. Amanda Trebach, eine US-Bürgerin, wurde während einer morgendlichen Friedenspatrouille von mehreren maskierten Personen festgenommen, die sich nicht als Bundesbeamte auswiesen. Das Video des Vorfalls wurde online weit verbreitet – Trebach wurde mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gedrückt, ein Knie auf ihrem Nacken, bevor sie in einem unmarkierten Van abtransportiert wurde. Sie wurde über Nacht in Bundeshaft gehalten und am nächsten Tag ohne Anklage freigelassen.
«Wir können es uns nicht leisten, aufzuhören, denn unsere Leute sind auf unseren Widerstand angewiesen», sagte Góchez. «Wir sind nicht nur eine Protestgruppe … wir sind nicht nur eine Gruppe, die auf die Strasse geht und Demonstrationen veranstaltet», erklärt er. Vielmehr engagiert sich die Gruppe auch in «organisiertem Widerstand, Koalitionen, der Ausbildung von Menschen, Taktiken und Strategien, die sich bewährt haben».

Quelle: truthout.org, 1.September 2025, «In Southern California, small Groups of Activists Quietly Undermine ICE Operations».

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