Freisprüche und einschüchternde Anzeigen

Solidarität für die Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude.

flo. Bereits zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten werden mehrere Aktivist:innen vor dem Bezirksgericht Winterthur freigesprochen. Die Anzeigen durch die Polizei zielen auf Einschüchterung – scheinen aber vor allem in höheren Kosten und beschäftigten Gerichten zu resultieren.

Landfriedensbruch – der liebste Wackelparagraf der Schweizer Polizei – sieht Strafen von bis zu drei Jahren oder Geldstrafen für Personen vor, die an einer «Zusammenrottung» teilnehmen, von der Gewalt gegen Sachen oder Menschen ausgeht. Das kann ein brutaler Angriff mit Schwerverletzten sein oder eben das Besprayen eines Trams durch Fussballfans – nicht wirklich vergleichbar. Genau das dürfte den Landfriedensbruchpassus aber so interessant für die Polizei machen – er lässt sich als Drohszenario auf unzählige Situationen anwenden.
Das dachte sich wohl auch die Staatsanwaltschaft, als Mitte August 2024 im Rahmen einer unbewilligten Demo einige Teilnehmende von vier zu spät kommenden Polizist:innen mitgenommen wurden. Ob man bei den paar Dutzend Menschen, die sich in der Marktgasse versammelt hatten, von einer Demo oder gar einer «Zusammenrottung» sprechen kann, sei fürs Erste dahingestellt.

Besetzt
Bei der Demo kam es in der Tannenbergpassage bei einem Besetzungsversuch zu einer zersplitterten Glastüre eines leerstehenden Ladenlokals, als man versuchte, sie mit Holzkeilen zu öffnen. Der Passant, der die Demo gemeldet hatte, war nicht vernommen worden. Damit blieb als Grundlage für die Anklage einzig die Aussage von – Achtung, kein Witz – den vier Polizist:innen. Gerade auf dieser Basis konstruierten die Behörden einen Anklagepunkt, bei dem Bürgerliche nicht müde werden, zu betonen, es handle sich um kein Bagatelldelikt. Der Grund, den die Polizei für die Verhaftung angegeben hatte: Die sieben Angeklagten hätten auf der Seite der Passage zur Stadthausstrasse ein Schild in die Höhe gehalten, auf dem «besetzt» stand…

Nichtexistente Beweislage
Die Beschuldigten verweigerten über weite Teile des Prozesses, der am 9. September vor dem Winterthurer Bezirksgericht stattfand, ihre Aussagen. Entsprechend kam es wenig überraschend zum Freispruch. Alles, was aus Sicht des Gerichts wirklich feststand, war Folgendes: Mitte August 2024 gab es in Winterthur eine unbewilligte Demonstration. Am Rande dieser Demo war eine Tür zunächst noch ganz – danach nicht mehr. So wird die Richterin im Tages-Anzeiger zitiert: «Wir haben nur Kenntnisse von Bruchstücken.» Was die Angeklagten konkret gemacht hätten, die zu siebt laut Gericht ohnehin keine «Zusammenrottung» bildeten, ausser vor dem Haus eine Tür mit einem Schild zu markieren, auf dem «besetzt» stand, sei nicht nachvollziehbar. Der Forderung der Staatsanwaltschaft nach Bussen zwischen 200 und 1200 Franken, teils bedingt, wurde nicht stattgegeben. Die Beschuldigten wurden freigesprochen. Weil die Polizist:innen beim Einsatz wahllos verhafteten, erhalten alle sieben je 100 Franken Genugtuung. Das Geld spenden die Aktivist:innen laut Barrikade.info an die Repressionskasse.
Was die Gerichtskosten angeht, die die Polizei erneut verursacht hat, wollen wir gar nicht erst sprechen – sie dürften ein Vielfaches betragen. Polizei und Staatsanwaltschaft scheinen es nicht peinlich zu sein, als staatliche Exekutive derart offen Rechtsmittel und öffentliche Mittel zu beanspruchen. Noch weniger scheint es sie zu stören, dabei öffentlich zu scheitern – und das nicht nur einmal, sondern zweimal. Die erste Runde fand am 6. Mai dieses Jahres statt. Ein Aktivist war wegen der 1.-Mai-Demo 2024 in Winterthur angezeigt worden. Ja, jene Demo, bei der grundlos und aggressiv durch die Polizei die Abschlusskundgebung angegriffen und sogar Journalist:innen mit Pfefferspray getroffen wurden. Wie auch beim aktuelleren Fall lauteten im Mai die Anklagepunkte begangene Sachbeschädigung – Sprayereien – und Landfriedensbruch. Das Gericht sprach ihn in praktisch allen Punkten frei. Eine kleine Busse gab es nur wegen Verstosses gegen das Vermummungsverbot, da der Beschuldigte eine Hygienemaske getragen hatte.

Abgenutzte Drohgebärden
Wegen etwas vor Gericht gestellt zu werden, für das man im Extremfall drei Jahre ins Gefängnis wandern kann, muss bedrohlich wirken. Genau darin sahen die Aktivist:innen, von denen einige sich selbst verteidigt hatten, auch das bürgerliche Rational in den Anzeigen. «In den Innenstädten richtet sich die Kameraüberwachung und die Polizei gegen jene, die dort Zeit verbringen und nicht nur zum Einkaufen und Konsumieren in die Stadt kommen. Wer sich dagegen wehrt, soll mit Polizeieinsätzen und Gerichtsverfahren eingeschüchtert, abgeschreckt und vereinzelt werden», schreiben sie auf Barrikade.info. Der Vereinzelung wurde mit Solidarität begegnet. Wie schon beim Prozess im Mai zeigten etwa 50 Genoss:innen vor dem Bezirksgericht ihre Unterstützung.

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