Zölle statt Feier


dom. Trump schockt die Schweiz: Ab 7.August belegt Washington hiesige Exporte mit Zöllen von 39 Prozent. Der Bundesrat rang um eine Last-Minute-Lösung, die Wirtschaft fürchtet Einbrüche.

Nicht einmal im «Worst-Case» hatte die Schweiz mit sowas gerechnet: Ein Zollsatz von 39 Prozent – die Pharmaindustrie vorerst ausgenommen. So gab es am diesjährigen Nationalfeiertag statt Feuerwerk und patriotischer Feier vor allem lange Gesichter, die Zuversicht des Bundesrats wich stiller Ratlosigkeit. Seit April versuchte die Regierung, die am «Liberation Day» verkündeten Zölle von 31 Prozent abzuwenden. Helene Budliger Artieda, Direktorin des Staatssek-retariats für Wirtschaft (Seco) war wiederholt nach Washington gereist, Finanzministerin Karin Keller-Sutter hatte stolze 25 Minuten mit Donald Trump telefoniert und versicherte, man habe sich gut verstanden.

Schweiz trifft es härter als EU
Doch je näher der 1.August rückte, desto nervöser wurden Schweizer Unternehmen und bürgerliche Medien. «Was gilt jetzt eigentlich für die Schweiz?», titelte die NZZ am 31.Juli, ob Trump die Schweiz vielleicht gar vergessen habe, fragte der Blick. Auch das wenige Tage zuvor geschlossene Abkommen zwischen den USA und der EU hatte zur Beseitigung der Unsicherheit nur wenig beigetragen. Vor allem hatte der von EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen «ausgehandelte» Deal die herrschenden Kräfteverhältnisse verdeutlicht. Es war ein Deal nach Trumps Geschmack, eine Machtdemonstration im Golfresort.
Ab sofort gelten 15 Prozent US-Zölle auf EU-Exporte, für Stahl und Aluminium Zölle von gar 50 Prozent. Umgekehrt fallen sämtliche Zölle auf Industrie-Exporte aus den USA komplett weg. Darüber hinaus musste sich die EU verpflichten, bis 2028 jährlich verflüssigtes Erdgas und Uran aus den USA im Wert von je 250 Milliarden zu beziehen, sowie Investitionen von 600 Milliarden Euro zu tätigen. Gemäss des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) wird insbesondere die deutsche Wirtschaft stark unter dem US-Protektionismus leiden. Der kurzfristige Schaden belaufe sich auf 6,5 Milliarden Euro, das Bruttoinlandprodukt (BIP) werde entsprechend um 0,15 Prozent einbrechen. Frankreich hat mit einem Einbruch von 0,01 Prozent, Italien mit 0,02 Prozent zu rechnen. Das BIP der gesamten EU werde um 0,1 Prozent zurückgehen.

Am kürzeren Hebel
Trumps Strategie scheint aufzugehen: Trotz dieser düsteren Prognosen feierten die politischen Führungskräfte Europas das Abkommen als Erfolg. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz begrüsste die Vereinbarung, eine «unnötige Eskalation in den transatlantischen Handelsbeziehungen» werde damit vermieden. Deutschland habe einen schlimmeren Konflikt abwenden und seine «Kerninteressen wahren können». Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni pflichtete ihm bei und begrüsste die Einigung – ebenfalls mit der Erklärung, dass eine Eskalation des Zollstreits «potenziell verheerende» Folgen gehabt hätte.
Hinter Merz’ und Melonis Worten steht die Einsicht, am kürzeren Hebel zu sitzen. Nur aus der französischen Politik ertönte Kritik, es sei ein «schwarzer Tag» für Europa, meinte Premierminister François Bayrou. Die EU habe sich – statt ihre Werte und Interessen zu verteidigen – den USA «unterworfen». Zu einer ähnlichen Einschätzung kam das betroffene europäische Kapital. Von einem «fatalen Signal» sprach der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der deutsche Aussenhandelsverband BGA nannte das Geschäft einen «schmerzhaften Kompromiss», eine «existenzielle Bedrohung» für viele Betriebe.

Lohnsenkungen, Kurzarbeit, Stellenabbau
In der Schweiz wurde die Einigung zwischen USA und EU mit Erleichterung aufgenommen. Etwas mehr als die Hälfte der Schweizer Exportgüter landen im EU-Binnenmarkt, jede protektionistische Einschränkung Europas schlägt sich auch in den Auftragsbüchern hiesiger Unternehmen nieder. Besonders problematisch wäre ein Nachfrageeinbruch bei grossen Abnehmern wie der deutschen Autoindustrie gewesen, die Schweizer Präzisionskomponenten, Maschinen und chemische Produkte in Milliardenhöhe verbaut.
Doch nach dem 1.August dürfte die Stimmung im Schweizer Exportsektor auf dem Nullpunkt angelangt sein. Bereits die Zoll-Drohung von 31 Prozent liess Verbände wie Swissmem oder den Arbeitgeberverband Swissmechanic Alarm schlagen: Rund 15 Prozent der Exporte aus der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie gehen in die USA. Die Gefährdung dieser Exporte, gefährdet in erster Linie die Arbeiter:innen. Angesichts der 39 Prozent, die ab dem 7.August gelten sollen, sprach der Verband Swissmem von «zehntausenden Stellen», die in Gefahr seien. Es brauche nun Reformen, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exportindustrie erhalten.

Die Gunst der Stunde
Auch die Parteien nutzten die Gunst der Stunde, um ihre jeweilige politische Agenda in den Vordergrund zu rücken. Bürgerliche Kräfte wie die SVP oder die FDP gehen einig mit den Forderungen der Wirtschaftsverbände und pochen auf möglichst rasche Steuersenkungen für Exporteur:innen. Für die hohen Zölle macht die SVP ihre politischen Gegner:innen verantwortlich, es handle sich um die Quittung für eine «verantwortungslose und arrogante Haltung von Mitte-links».
Währenddessen bekräftigt die SP ihre Forderung nach einer engeren Anbindung an die EU. In ihrer Medienmitteilung vom 1.August bezeichnet die SP die 39-Prozent-Zölle als «direkte Folge einer kurzsichtigen und isolierten Aussenwirtschaftspolitik» und fordert, die bilateralen Verhandlungen mit Brüssel rasch voranzutreiben, um «wirtschaftliche Stabilität und sozialen Zusammenhalt» zu sichern.

 

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