Pfister oder Ritter – potayto, potahto?

Der neue Bundesrat mit Martin Pfister (oben rechts) und der Stabschef des Bundesrats Viktor Rossi (oben links).
dom. Die Wahl von Amherds Nachfolge war brisanter, als sie auf den ersten Blick schien. Sie fiel mitten in eine Zeit, in der die Schweizer Aussenpolitik hart umkämpft ist. Für welche aussenpolitischen Linien stehen die beiden Kandidaten – und geht es jetzt weiter?
Bereits während des Wahlkampfs hatte Martin Pfister angedeutet, dass er gerne das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) übernehmen würde. Kurz nach seiner Wahl bekräftigte er diesen Wunsch, und so geschah es denn auch: Die übrigen Bundesrät:innen behalten ihre jeweiligen Departemente, Pfister wird Verteidigungsminister. Eigentlich eine brisante Wahl: Die internationale Politik erlebt schwere geopolitische Erschütterungen, die nationale Sicherheitsstrategie ist umkämpft. Das VBS steht seit Jahren unter Dauerbeschuss, die Abgänge von Armee-Chef Thomas Süssli und Nachrichtendienst-Chef Christian Dussey hatten zusätzlich für Unruhe gesorgt.
Nur auf den ersten Blick dasselbe
Und doch hatte sich im Vorfeld der Bundesratswahl eine gewisse Gleichgültigkeit breit gemacht: Pfister oder Ritter, Martin oder Markus – die Namen zum Verwechseln ähnlich, auch optisch kaum auseinanderzuhalten und auf den ersten Blick dasselbe politische Profil: Stabilität, Sicherheit, Kompromiss – typische Vertreter der Mitte eben.
Ein Urteil, das einem zweiten Blick nicht standhält. Erstens häuften sich im Zuge des Wahlkampfs die Stimmen, die Markus Ritter als überheblichen, einflussreichen Machtpolitiker beschrieben. Es schien, als habe er sich mit seiner Art zu politisieren im Parlament wenig Freunde gemacht – das spiegelte sich im deutlichen Wahlergebnis: Mit 134 Stimmen hatte Pfister die Wahl bereits im zweiten Gang für sich entschieden.
Wichtiger ist aber: Markus Ritter steht als Präsident des Schweizer Bauernverbands für den konservativen Flügel der Mitte. Er befürwortet den Bau neuer Atomkraftwerke, stellt sich gegen die offizielle Einführung eines dritten Geschlechts, plädiert für die bewaffnete Neutralität der Schweiz und übt Zurückhaltung betreffend die Zusammenarbeit mit internationalen militärischen Bündnissen. Insbesondere seine aussenpolitischen Standpunkte machte ihn zum Wunsch-Kandidaten der SVP.
Die SVP ist vorerst gescheitert
An der Spitze des Verteidigungsministeriums steht jetzt aber Pfister, der die Neutralität «flexibel» ausgestalten und damit Viola Amherds Linie fortführen will. Unmittelbar nach seiner Wahl meinte er, die Nato verändere sich, «wir wissen nicht, in welche Richtung». Interoperabilität und Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten sei entscheidend, «wenn uns die Sicherheit wichtig ist».
Damit ist der Plan der SVP, die EU/NATO-freundliche Amherd durch den konservativen Markus Ritter zu ersetzen, gescheitert. Unter dem Eindruck der Zeitenwende hatte die Regierung nicht nur den Zahlungsrahmen der Armee massiv erhöht (um vier Milliarden auf insgesamt 29.8 Milliarden Franken) – Amherd hatte die Schweiz ausserdem Schritt für Schritt enger mit dem imperialen westlichen Block verschränkt: Übernahme der Sanktionen gegen Russland, Beschaffung des NATO-Kampfjets F-35, Beitritt zur hauptsächlich gegen Russland gerichteten Skyshield-Initiative, oder die Teilnahme am europäischen Militarisierungsprojekt PESCO.
Trotz dieser grossen Schritte beklagte Amherd im Zuge ihres Rücktritts, dass sich ihr im Bundesrat während Jahren ein bürgerlich-konservativer Block unter der Führung der SVP in den Weg gestellt habe. Und auch wenn Amherd das nicht so richtig zugeben mochte: Mit der lauten und anhaltenden öffentlichen Kritik an Amherds Kurs hat die SVP letztlich ihre Absetzung bewirkt.
Eine Wahl für die Rüstungsindustrie
Damit dürfte die SVP vorerst die regierungskritische Regierungspartei bleiben, zu der sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Doch die Partei darf sich trösten: Immerhin war Pfisters Wahl auch eine Wahl für die Rüstungsindustrie. Wie die Financial Times berichtete, hatte Anfang März Stefan Holenstein, Präsident des Verbands der Militärischen Gesellschaften Schweiz, Pfister und Ritter zu einer Anhörung mit Vertretern des Militärs und der Rüstungsindustrie nach Bern eingeladen. Die Schweiz stehe zwar für Neutralität, sagte Holenstein, aber «für uns und auch für Martin» bedeute das weder Isolation noch «Nicht-Zusammenarbeit mit der europäischen Sicherheitsarchitektur». Substanziell wichtig seien ausserdem die Erhöhung des Armeebudgets und die Stärkung der Schweizer Waffenindustrie.
Ihr Ziel, die «integrale» Neutralität durchzusetzen, verfolgt die SVP derweil auf dem Wege, auf dem sie bisher ihre grössten Erfolge vorzuweisen hat: über die Volksinitiative. Die Neutralitätsinitiative kommt voraussichtlich 2026 vors Stimmvolk und soll die «umfassende, immerwährende, bewaffnete» Neutralität in der Bundesverfassung verankern. Der Bundesrat lehnt Initiative ab, da sie seinen aussenpolitischen Spielraum erheblich einschränken würde.
SVP unter Druck
Prognosen sind schwierig. Laut einer 2024 durchgeführten Umfrage stimmten 91 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Schweiz ihre Neutralität beibehalten sollte – spezifische Umfragen zur Unterstützung der Neutralitätsinitiative gibt es aber keine. Ausserdem hat die Mobilisierungskraft der SVP abgenommen. Gerade in ihrem Kernbereich, der Migrationsfrage, hat sie mit ihren jüngsten Volksinitiativen nicht mehr an ihre alten Erfolge anknüpfen können. Mit der Polarisierung der Neutralitätsfrage versucht die SVP zu alter Stärke zurückzugewinnen – die Neutralitätsinitiative wird für sie zum Lackmustest.