«Unsere Kämpfe sichtbar machen»

Von links nach rechts: Domingo Quino, Adaluz García und Maria Bautista beim Treffen mit der Zivilgesellschaft in Bern. Bild: Guatemala-Netz Zürich.

Alice Froidevaux. Ende November besuchten drei Vertreter:innen der indigenen Auto-ritäten Guatemalas die Schweiz. Die Guatemala-Netze Zürich und Bern haben Adaluz García, María Bautista und Domingo Quino zum Austausch mit der Schweizer Zivilbevölkerung eingeladen.

Was sind die Gründe eurer Reise in die Schweiz?
Adaluz: Wir sind hier für das UN-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte. Dort haben wir über Menschenrechtsverletzungen berichtet, die in unseren Territorien im Rahmen von Wirtschaftsprojekten begangen werden. Da unser nationales Rechtssystem völlig korrumpiert ist, müssen wir auf internationale Systeme ausweichen. Generell dient uns die Reise dazu, an Türen zu klopfen und Kontakte zu knüpfen: Wir wollen unsere Kämpfe sichtbar machen. Wir wollen, dass auf internationaler Ebene bekannt und anerkannt wird, wer die Autoridades Ancestrales sind, und was unsere Rolle im historischen Widerstand und in den aktuellen Protesten ist.

Wie seid ihr als indigene Autoritäten organisiert?
Domingo: In einigen Regionen wie Sololá oder Totonicapan gibt es historische Strukturen, die trotz der herrschenden Kolonialmacht nie verschwunden sind. In anderen Regionen leben die indigenen Organisationsformen wieder auf. In den letzten Jahren haben wir kontinuierlich an einer Stärkung unserer regionalen und nationalen Koordination gearbeitet. Unser gemeinsames Ziel ist die Verteidigung unseres Territoriums, unserer Sprachen und traditioneller Formen von Landwirtschaft, Medizin oder Erziehung aus der Perspektive der Maya-Kosmovision. Auf nationaler Ebene sind wir heute als Autoridades Indígenas de IXIMULEW zusammengeschlossen. Ixim Ulew bedeutet Land des Mais und beschreibt gleichzeitig das Ende einer Ära und der Beginn einer neuen.

Seit mehr als zwei Monaten dauern die Proteste an und ihr befindet euch in «ständiger Versammlung». Was bedeutet das?
Adaluz: Gewöhnlich kommen Ver­­tret­er:innen der verschiedenen indigenen Völker Guatemalas zu bestimmten Zeiten zu nationalen Treffen zusammen. In der jetzigen Ausnahmesituation sind sie seit Beginn der Proteste dauerhaft in der Hauptstadt. Sie beobachten aus nächster Nähe, was im Kongress und in der Generalstaatsanwaltschaft entschieden wird, tauschen sich aus, reevaluieren und definieren Strategien. Gleichzeitig sind auch die regionalen Organisationsstrukturen in ständiger Bereitschaft. Sie besprechen die Informationen aus der Hauptstadt mit den Gemeinden an der Basis und rapportieren an die Vertreter:innen in Guatemala Stadt zurück. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass eine so lange nationale Versammlung der indigenen Autoritäten stattfindet.

Was sind eure Forderungen und welche Erfolge konnten die Proteste bereits erreichen?
Domingo: Erstens müssen die korrupte Generalstaatsanwältin Consuelo Porras und weitere korrupte Staatsanwält:innen und Richter:innen, die den Machtwechsel aktiv verhindern wollen, gehen. Und zweitens muss der Wille des Volkers respektiert und eine friedliche Machtübergabe an Bernardo Arévalo garantiert werden. Sollte dies nicht geschehen, sehen wir uns auch legitimiert dazu, unsere eigenen Regierungsformen, unsere Autonomie und Selbstverwaltung durchzusetzen.
Maria: Einer der grössten Erfolge sehe ich darin, dass wir es geschafft haben, uns als indigene Bewegungen zu vereinen. Und wir haben es geschafft, dass sich auch städtische Bewegungen und andere Sektoren den Protesten angeschlossen haben: Studierende, Arbeiter:innen, die Händler:innen auf den Märkten, Transportunternehmen und das Gesundheitspersonal. Sogar Polizist:innen haben sich teilweise mit den Protesten solidarisiert.
Adaluz: Die indigenen Autoritäten haben ihre mobilisierende und einheitsstiftende Kraft und ihr Verhandlungsgeschick gezeigt. Dafür erhalten sie von weiten Teilen der Bevölkerung einen noch nie dagewesenen Respekt. Auch international ist die Anerkennung gewachsen: Die internationale Gemeinschaft zieht es heute vor, mit uns indigenen Autoritäten zu sprechen, statt mit der offiziellen Regierung. Diese hat nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch international ihre Legitimität verloren.

Welche Rolle spielen die Frauen in den Protesten?
Adaluz: Die Frauen haben schon immer eine bedeutende Rolle gespielt im indigenen Widerstand. Nur war ihr Beitrag leider nicht immer sichtbar. Auch heute gibt es immer noch klassische Rollen, die die Frauen übernehmen. Aber es gibt heute vermehrt Frauen, die an der Front dabei sind und ihre Gemeinden als Autoritäten vertreten. Wir versuchen, Modalitäten zu finden, dass dies für mehr Frauen möglich wird. Denn oft bedeutet ein solches Engagement für Frauen eine Mehrfachbelastung, weil wir gleichzeitig arbeiten und für Haushalt und Kinder verantwortlich sind. Da wir immer noch wenige Frauen in diesen Strukturen sind, exponieren wir uns auch stärker. Das Risiko, Opfer von Kriminalisierung zu werden, ist sehr hoch. Deshalb müssen wir besonders die Frauen als Kollektiv mittragen und
schützen.

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