Im Gedenken an Marc Rudin
Richard Frick. Am 7.April verstarb Genosse Marc Rudin. Marcs Leben war
geprägt durch sein Engagement für Gerechtigkeit, dem er bis zu seinem Tod alles untergeordnet hat. Ruhe in Frieden, Genosse.
Marc Rudin absolvierte in den 1960er-Jahren eine Grafiker-Lehre in Bern. Den berufskundlichen Unterricht besuchte er beim Grafik-Fachlehrer Hans Schwarzenbach, den Marc sehr schätzte, der ihn prägte und den er immer wieder erwähnte. Nach seiner Ausbildung arbeitete Marc anschliessend als Grafiker (Plakate für SBB, Grindelwald-First-Bahn usw.) und Editorial-Designer («Harper’s Bazar»). Schon als junger Gestalter erhielt er einige Auszeichnungen.
Berner Münster mit der FNL-Flagge
Eine wichtige Etappe seiner Sozialisierung war für Marc der Streik der Klavierfabrik Burger & Jacobi in Biel.Mit der Unterstützung der Arbeiter:innenkampfkomitees führte der Streik zu einem Teilerfolg der Gewerkschafter:innen.
Tief beeindruckt von der Mai-Revolte zog er 1968 nach Paris und wandte sich zusehends der politischen Grafik zu. Er setzte sich stark mit der Plakatkunst der Russischen Revolution, dem trikontinentalen Plakat in Kuba und der Kunst des antifaschistischen Widerstands auseinander. Fasziniert war er von der Spontanität und dem inhaltlichen Ausdruck der Mai-Revolte-Plakate. Bleibend ist auch die Aktion vom 22.Juni 1968, wo Marc mit zwei Genossen eine Flagge der vietnamesischen Befreiungsfront (FNL) hisste. In einer halsbrecherischen Kletterpartie stiegen sie bis auf die Spitze des Turms des Berner Münsters.
Der Weg nach Beirut
1975/76 arbeitete Marc mit einer Gruppe an der Gestaltung von grossformatigen Wandbildern auf besetzten Häusern in Mailand. Durch den Kontakt von Freund:innen, die ihm rieten, Plakate für den palästinensischen Widerstand zu gestalten, reiste er in den Libanon. Der arabischen Sprache kaum mächtig, kam er 1979 in Beirut an, wo er einige palästinensische Freund:innen hatte, die der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) nahestanden. Diese Organisation hatte eine starke internationalistische Ausrichtung. Unter dem Namen Jihad Mansou gestaltete Marc eine grosse Anzahl von Plakaten und Zeitschriften. Die PFLP war dankbar für seine gestalterischen Fähigkeiten und wies ihm ein bescheidenes Atelier und eine Unterkunft zu. Zudem bekam er das nötige grafische Verbrauchsmaterial – mehr verlangte Marc nicht. Marc fühlte sich wohl in Beirut und unter schwierigen Bedingungen gestaltete er eine grosse Anzahl von Plakaten.
Arabische Sichtweise angenommen
Er hatte die arabische Sprache in Wort und Schrift zu lernen, um sich zu verständigen und um die arabischen Schriftzüge auf seinen mehrsprachigen Plakaten typografisch umsetzen zu können. Von seiner eurozentristischen Sichtweise musste Marc sich verabschieden und sich eine arabische Sicht aneignen. Die Plakate sollten von der arabischen Bevölkerung und den Menschen in den palästinischen Flüchtlingslagern verstanden werden.
Beeindruckend in seinen Plakaten ist sein genialer Umgang mit dem Bild. Seine Weitwinkel-Bildkompositionen und Ausschnitte zeigen seine gestalterischen Fähigkeiten. 1982 folgte der Umzug nach Damaskus. 12 Jahre arbeitete er für die PFLP als Grafiker in Syrien. Ich selbst hatte schon früh eine grosse Anzahl seiner Plakate in meiner Sammlung. Es sind für mich nach wie vor gestalterische Trouvaillen. In den europäischen, nord- und lateinamerikanischen Solidaritätskomitees wurden die Plakate auch vertrieben. Marc zählt zweifellos zu den wichtigen Vertretern engagierter Grafik weltweit.
1991 wurde Marc beim Grenzübertritt in die Türkei verhaftet und verbrachte mehrere Jahre als politischer Gefangener in Gefängnissen der Türkei und Dänemark.
1997 kehrte Marc in die Schweiz zurück und trat kurze Zeit später der Partei der Arbeit (PdA) bei.
Der neue Lebensabschnitt als Lehrer
Von 1998 bis 2011 unterrichtete er an der Schule für Gestaltung Zürich, St. Gallen, Weinfelden und Aarau. Sein Hauptpensum hatte an der Schule für Gestaltung. 1998 wurde er auf Vorschlag von mir Lehrer in der Fachklasse «Typografische/r Gestalter/in». Er unterrichtete Schrift, Plakatdesign und Farb-Gestaltung. Seine besonnene und ruhige Art, seine enorme Geduld, sein fachliches Wissen war bei den Studierenden sehr beliebt. Seine Haltung zur Gestaltung war geprägt durch ein immenses Wissen. Als Leiter der Fachklasse Typografischer Gestalter:innen waren für mich seine Inputs bei den Bewertungen der Diplomarbeiten enorm wertvoll.
Auch das Musikmachen war für Marc eine wichtige Betätigung. Er textete und schrieb Musikstücke, die er auf seinem Cello oder auf der Halszither spielte. Anfang der 2000er-Jahre eignete er sich in sein neues Werkzeug an, den Apple-Macintosh-Computer. Er begann, sich in das Schriftdesign einzuarbeiten. Seine Deko-Schriften «Triface» und «Trifill» erfreuen sich beim jungen Gestalter:innen grosser Beliebtheit. Die letzte seiner gestalteten Schriften ist die «Triangle Bold».
Marcs Leben war geprägt durch sein Engagement für Gerechtigkeit, dem er bis zu seinem Tod alles untergeordnet hat. Marc Rudin war eine herzliche und bescheidene Person, die ich bleibend in Erinnerung behalten werde.