
The Plaintiffs portrait group, from left to right Edi Mulyono, Asmania, Mustaghfirin, Arif Pujiyanto in Pari Island, Jakarta, on June 4, 2025.
lmt. Vier Fischer:innen der indonesischen Insel Pari ziehen vor ein Gericht in Zug, um gegen den Zementriesen Holcim zu kämpfen. Ihr Fall zeigt exemplarisch, wie der Kapitalismus mit seiner Profitsucht das Klima zerstört.
Die indonesische Insel Pari ist klein, flach und wunderschön – und immer öfter überschwemmt. Noch vor wenigen Jahren waren Fluten selten. Heute dringt das Meer regelmässig in die Häuser ein, Strassen stehen unter Wasser, Brunnen versalzen, Gärten sterben ab. Familien verlieren ihre Existenzgrundlage, Fischer:innen ihre Boote, Gästehausbetreiber:innen ihre Einnahmen. Pari droht im Meer zu verschwinden – und einer der Hauptverantwortlichen sitzt nicht am Rand des Pazifiks, sondern mitten in der Schweiz: der Zementkonzern Holcim mit Hauptsitz in Zug.
«Lasst uns nicht ertrinken»
Seit 1950 hat Holcim über sieben Milliarden Tonnen Zement produziert und dabei fast die gleiche Menge CO? ausgestossen. Das entspricht 0,42 Prozent aller industriellen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung – mehr als doppelt so viel, wie die gesamte Schweiz im gleichen Zeitraum verursacht hat. Mit 125 Millionen Tonnen Zement im Jahr 2023 ist Holcim Weltmarktführer – und damit ein Titan der Zerstörung. Denn die Zementindustrie ist für acht Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich, dreimal mehr als die gesamte Flugbranche. Während Aktionär:innen Dividenden kassieren, versinkt eine Insel mal so nebenbei.
Die Fakten sind eindeutig: Seit 1900 ist der Meeresspiegel um 20 Zentimeter gestiegen, heute drei Mal schneller als noch in den 1970er-Jahren. Bis Ende des Jahrhunderts könnten es mehr als ein Meter werden. Für Indonesien bedeutet das, dass Millionen Menschen jährlich Überflutungen ausgesetzt wären. Auf Pari sind schon heute elf Prozent der Inselfläche verschwunden. Edi, lokaler Fischer und Gästehausbesitzer, bringt es auf den Punkt: «Ein paar wenige Menschen zerstören die Umwelt und machen das für ihren persönlichen Profit. Es hat aber grosse Auswirkungen auf andere Menschen, wie uns aus Pari. Sie, Holcim, haben viel zum Klimawandel beigetragen. Sie müssen jetzt Verantwortung übernehmen, um sofort ihre Emissionen zu reduzieren. Lasst uns nicht ertrinken!»
Frauen auf der Insel spüren die Folgen doppelt
Doch Holcim hat anderes im Sinn. Der Konzern expandiert, verpackt seine Klimazerstörung in Hochglanzbroschüren über angeblich nachhaltige Baustoffe und betreibt Greenwashing, während seine Werke weiter Millionen Tonnen CO? ausstossen. 29,2 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2022, Gewinne in Milliardenhöhe – bezahlt mit dem Untergang von Inseln, mit zerstörten Lebensgrundlagen, mit Menschen, die ihre Heimat verlieren. Das ist die Logik des Kapitals: Profite privatisieren, Schäden sozialisieren. Wenn die Gewinnmaximierung weiter Priorität vor Menschenleben hat, wird Pari nicht die letzte Insel sein, die untergeht.
Die Stimmen aus Pari zeigen, was diese Zahlen bedeuten. Bobby, Fischer und Vater von vier Kindern, sagt: «Vor einigen Jahren konnten wir noch viel mehr fischen. Doch die Umwelt hat sich stark verändert, die Erträge gehen zurück. Viele Brunnen versalzen, wir können das Wasser nicht mehr brauchen, weder zum Waschen noch zum Trinken. Die grösste Sorge ist: Wenn Pari sinkt, wo sollen wir dann hin?» Dem stimmt sein Mitstreiter Arif Pujianto, Mechaniker, zu. Er erzählt von den Folgen der letzten Überschwemmungen: «Nach der Überflutung begannen Teile der Wände unseres Hauses zu faulen, das musste ich reparieren. Wir mussten Wasser kaufen, weil unser Brunnen versalzte. Unser Garten mit Bananen- und Papayabäumen ist abgestorben. Und natürlich kamen auch keine Touristen mehr.»
Für Ibu Asmania, Mutter von drei Kindern, zeigt sich die Krise auch in der Ungleichheit: «Ich arbeitete zuerst als Fischerin und kultivierte Seegras. Doch das Ökosystem begann sich zu verändern, ich musste mein Geschäft 2010 aufgeben. Ich mache mir Sorgen um unsere Zukunft. Frauen auf der Insel spüren die Folgen doppelt: Sie müssen ihre Familien versorgen, während die Einkommen schrumpfen.»
Widerstand regt sich
Die Fischer:innen von Pari haben genug. Edi, Bobby, Arif und Asmania reichten im Februar 2023 in Zug, wo Holcim seinen Hauptsitz hat, eine Klage gegen den Grosskonzern ein. Ihre Forderungen sind klar: Holcim soll anteilmässig für die bereits erlittenen Schäden aufkommen, seine Emissionen bis 2030 um 43 Prozent und bis 2040 um 69 Prozent reduzieren und sich an Schutzmassnahmen auf Pari beteiligen – Mangrovenpflanzungen, Wellenbrecher, Filteranlagen für Trinkwasser. Was sie verlangen, ist nicht mehr als das Offensichtliche: dass Holcim Verantwortung übernimmt für die Zerstörung, die der Konzern seit Jahrzehnten verursacht.
Die Klimaklage gegen Holcim ist deshalb mehr als ein juristischer Streit. Sie ist ein Angriff auf die kapitalistische Logik, die Leben gegen Profit verrechnet. Holcim steht exemplarisch für eine Industrie, die sich jahrzehntelang bereichert hat, während sie die Kosten auf jene abwälzt, die am wenigsten zum Problem beigetragen haben. Das Zuger Kantonsgericht entscheidet nun, ob es den Betroffenen überhaupt Zugang zu Rechtsschutz gewährt. Ein Entscheid für die Fischer:innen von Pari wäre ein Signal weit über die Schweiz hinaus: Die «Carbon Majors» müssen zahlen, sie müssen ihre Emissionen senken, sie müssen Verantwortung übernehmen.
Noch aber steht die Gerechtigkeit auf der Kippe. Holcim klammert sich an seine Gewinne, während die Menschen auf Pari um ihre Zukunft kämpfen. Und sie kämpfen mit Mut. «Wir haben noch Hoffnung auf eine Zukunft auf unserer Insel», sagt Ibu Asmania. «Jede Tonne CO? zählt für uns. Jeder Dollar für Anpassungsmassnahmen zählt. Es geht um unsere Zukunft.» Der Widerstand wächst – und mit ihm die Hoffnung, dass die Verantwortlichen endlich zur Rechenschaft gezogen werden.