Action und Propaganda

(luk) Am 25. Semptember lief der Film «Der Baader Meinhof Komplex» vom Drehbuchautor und Produzenten Bernd Eichinger in den Kinos an. Von den 20 Millionen Produktionskosten wurden 6.5 Millionen von staatlichen Filmförderungen übernommen. Das muss seinen Grund haben. Eine politische Filmkritik.

Wahnsinnige Lifestyle-Revolutionäre. Das ist das Bild, welches im Film «Der Baader Meinhof Komplex» über die Mitglieder der Roten Armee Fraktion vermittelt wird. Moritz Bleibtreu, der Darsteller von Andreas Baader, kommentierte die Äusserung, dass er einen schelmischen, unpolitischen Macho spiele: « Man machte Politik damals, wie man heute an eine Afterwork-Party geht. Und sie wurden vom Spass getrieben: Free Love, Peace und Vögeln vor den Kindern. Erst im Gefängnis las Baader politische Bücher.» Die RAF – eine Afterwork-Spassbande, die sich erst im Gefängnis politisierte. Eine absurde Vorstellung, aber eine, die im Film konsequent inszeniert wird. Es wird nicht versucht, der Politik der RAF zu widersprechen, sondern, ihr jeglichen politischen Charakter abzusprechen. Dabei muss natürlich Sachlichkeit und eine historische Darstellung der Tatsachen fallengelassen werden: «Kurz vor Drehbeginn tauchte plötzlich ein Tonbandmitschnitt des Prozesses auf. Da sassen wir alle zusammen in Berlin und haben den angehört. Baader redete (…), und es war ziemlicher Murks, den er erzählte», sagt Bleibtreu. Gefragt, ob Bleibtreu den Baader so spielen solle, antwortet der Regisseur des Films Uli Edel: «Natürlich nicht!» – Das Drehbuch war zu dieser Zeit schon geschrieben, und es sollten ja nicht die wirklichen Geschehnisse dargestellt, sondern ein bestimmtes Bild von der RAF erzeugt werden…

Und so wird Andreas Baader nicht als politischer Revolutionär dargestellt, sondern als cholerischer Macho, dessen politische Aktionen nur Ausdruck seines unbändigen Charakters sind. Bei den inszenierten Wutanfällen muss er sogar mitunter für sexistische und rassistische Bemerkungen hinhalten. Gudrun Ensslin – gespielt von Jolanda Wokalek – bekommt dagegen die Rolle der Geliebte von Baader, ihn bewundernd, ihm hingegeben. Versteht sich, dass auch für sie dei Beteiligung am militanten Widerstand nicht aus politischen Gründen erfolgt. Im Gegensatz zur eindimensionalen Ensslin wird versucht, Ulrike Meinhofs Lebensweg – von Martina Gedeck inszeniert – mehr oder weniger nachvollziebar zu machen. Was allerdings darin endet, dass sie im Stammheimer Gefängnis als Verrückte dargestellt wird.

Propaganda

Das man den Film durchaus als einen agitativen Film, der eindeutig gegen die Rote Armee Fraktion Stellung bezieht, sehen kann, ist nicht nur an der Darstellung der Charaktere zu erkennen, sondern auch an der Auswahl und Inszenierung vom frei erfundenen Szenen, und vor allem: am Umgang mit dem Tod von Meinhof, Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe. Zu Ersterem: Das Augenmerk beim Dreh über die RAF wird auf die «Brutalität» ihrer Aktionen gelegt. Weder, was sie mit den Aktionen bezwecken wollte, noch die Umstände, welche zu diesen führten, werden im Film besprochen. Dass auch prügelnde Polizisten, die Erschiessung Benno Ohnesorgs durch die Polizei, der Vietnamkrieg und das Attentat auf Rudi Dutschke gezeigt werden, erscheint im Hinblick darauf, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik nicht gezeigt werden, lediglich als verkrampftes Gehabe, um den Schein der Historizität und Objektivität zu wahren. Der Gang in die Militanz von Ulrike Meinhof erscheint im Film deshalb nicht durch die gesellschaftliche, politische Analyse bestimmt, sondern als extremer Reflex auf diese Ereignisse. Und die RAF erscheint als mordende Bande, die nicht aus reflektiert politischen Motiven handelt. Ihre Ideologie als Wahnsinn, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Die Todesnacht von Stammheim und der Tod Ulrike Meinhofs werden diskussionslos als Selbstmorde hingenommen. Mehr noch: Der Drehbuchschreiber Eichinger erdreistet sich am Schluss sogar, eine Szene anzudichten, in der ein RAF-Mitglied aussagt, dass all die Stammheimer Tode vorgeplante Selbstmorde waren. Nichts von all den Widersprüchlichkeiten der Tode; nichts davon, dass eine internationale unabhängige Untersuchungskomission zum Schluss kam, dass sich Ulrike Meinhof nicht selber umgebracht gekonnt haben kann (welche von der deutschen Justiz ignoriert wurde), nichts davon, dass Andreas Baader sich nicht aus 40 Zentimeter Distanz in den Nacken hat schiessen können (was getan wurde, wie eine medizinische Untersuchung ergab), nichts davon, dass an keine der Leichen von Baader, Ensslin und Raspe Schmauchspuren festgestellt werden konnten, welche eine Selbsttötung mit Pistole jedoch hinterlassen würde.

Als Gegenspieler der RAF wird der Chef des Bundeskriminalamtes, Horst Herold, dargestellt, gespielt von Bruno Ganz. Als weiser, bedachter, grossväterliche Mensch stellt er das Gegenstück zur unreflektiert-emotional inszenierten RAF dar. Das Weise an ihm wird so erarbeitet, dass selbst er den Staat kritisiert und seine Untergebenen vor unüberlegten Kurzschlusshandlungen gegenüber der RAF bewahrt. So ein Mensch, die sogar die Beweggründe der RAF versteht, kann doch nicht auf der falschen Seite sein, wird im Film wahrscheinlich versucht zu sagen.

Fiktion als Realität

Nun, wozu wurde der Film gemacht? Edel sagte, «für meine 20- und 21-jährigen Kinder», und das trifft es recht genau. Es geht darum, den Menschen heute weis zu machen, dass revolutionärer Widerstand keine Perspektive hat, ein Fehltritt der Geschichte ist, dass sie mit Gefängnis und Tod endet, und überdies unmenschlich und brutal ist. Die deutsche Zeitschrift «Stern» hat Jugendliche ins Kino geschickt, um den «Baader Meinhof Komplex» anzuschauen und danach ihre Meinung zu äussern. Das Wissen über die RAF ist auch bei deutschen Jugendlichen gering, und so wird, was im Film dargestellt wird, für Bares genommen. Katherina, 18-jährig, meint: «Es war brutal, die Menschen waren krank!», und ihr Freund: «Mit welcher Brutalität die Vereinigung vorgegangen ist, war mir vorher nicht wirklich klar. Durch den Film hat man das erst richtig zu sehen bekommen». Jan-Philipps gibt zur Auskunft: «Datenspeicherung, Überwachungs- und Polizeistaat – das beeinflusst uns bis heute. Ich habe mich auch gefragt, wie ich damals reagiert hätte. Wäre ich bereit gewesen, so weit zu gehen? Aus heutiger Sicht kann ich sagen, es war falsch.» Aber immerhin: Er will sich in Zukunft näher mit der RAF auseinandersetzen. Bei näherer Recherche wird er vielleicht sehen, dass die Schilderungen im Film keineswegs den Geschehnissen damals entsprechen. Und so das durchbrechen, was die Gefahr des Films ist: Dass die mediale Fiktion als Realität angesehen wird; dass dieser Film Geschichtsunterricht über die RAF wird. Der «Stern» rät dem Filmverleih Constantin Entertainment, «etliche Kopien an deutsche Schulen zu schicken». Die ältere Generation hat sich hat ihre Position gegenüber der RAF bereits angenommen. Wenn aber kein Gegenbewusstsein zu der Darstellung der RAF im Film geschaffen werden kann, so hat der Film dann auch erreicht, wofür er gedreht wurde: Den bewaffneten Widerstand als reale Alternative zum Leben im Kapitalismus vollends – auch bei den Jungen – zu diffarmieren.