Big Brother is watching you

spitzel_spacejunkie_f1Mit dem Bericht «Massenüberwachung durch die Geheimdienste» lanciert die Digitale Gesellschaft eine Kampagne gegen die Revision des Nachrichtendienstgesetzes, mit dem sich der Nationalrat im März beschäftigen wird. Vor rund zwei Jahren wurde durch die Enthüllungen von Edward Snowden die wohl umfangreichste Überwachungsmaschinerie der Geschichte aufgedeckt. Die längst überfällige Aufarbeitung der Massenüberwachung durch Geheimdienste und andere Sicherheitsbehörden, und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft, fand bis heute kaum statt und die Politik und die Zivilgesellschaft scheinen sich längst mit der totalen Überwachung und dem Verlust der Privatsphäre abgefunden zu haben. Der am 20. Februar 2015 publizierte Bericht der Digitalen Gesellschaft fasst nun die Programme zur Massenüberwachung der National Security Agency (NSA) und des britischen Geheimdienstes Government Communications Headquarters (GCHQ) gemeinsam mit den Aktivitäten des schweizerischen Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) zu einem Gesamtbild zusammen und klopft die Enthüllungen von Snowden auf Bezüge zur Schweiz ab.

Abhörstationen in der Schweiz

Schon beim Verkauf der Leuker Satelliten-Bodenstation von der Swisscom an die US-amerikanische Gesellschaft Verestar im Jahr 2000 gab es grosse Bedenken wegen möglicher Spionagetätigkeit. Die berüchtigte Satellitenanlage im Oberwallis hat sich Gelände und Infrastruktur mit dem Abhörsystem Satos 3 geteilt, welches vom VBS betrieben wird. Satos 3 heisst heute Onyx und die Firma Verestar ist in die Signalhorn AG übergegangen, geblieben hingegen sind die Vorbehalte. Gemäss einer Reportage der ZDF-Sendung Zoom hat die NSA zwar seit September 2013 keinen direkten Zugang mehr zu Daten mit Inlandsbezug, doch diese Einschränkungen seien kein Problem, denn Daten «mit Deutschlandbezug kann der NSA problemlos anderswo bekommen – von seinen Abhörstationen in Dänemark und der Schweiz (!)». Der Tages-Anzeiger griff das Thema in seiner Ausgabe vom 13. September 2013 auf: «Trifft die Schilderung des ZDF zu, hätte dies in der Schweiz zweifellos ein politisches Erdbeben zur Folge, denn gemäss Schweizer Gesetz ist der Betrieb solcher Anlagen durch einen fremden Nachrichtendienst ebenso im höchsten Mass verboten wie fremder Direktzugriff auf eine Anlage, die durch die Schweiz betrieben wird und ihr gehört.» Doch das politische Erdbeben blieb aus und die Rolle der Signalhorn AG bleibt bis heute im Dunkeln.

Wirtschaftliche Interessen

Weltweit betreibt der NSA rund 80 Abhörstationen in diplomatischen Vertretungen der USA. Ehemalige Mitarbeiter berichten von Abhöranlagen auf dem Dach der amerikanischen UNO-Mission in Genf sowie in der US-Botschaft in Bern und dem US-Konsulat in Zürich. Laut NSA-Mitarbeitern ist die USA vor allem am Finanzplatz Zürich und Liechtenstein interessiert, aber auch die Rohstoffkonzerne in Zug stehen im Fokus der NSA. Man kann das als Linker durchaus mit einer gewissen Häme zur Kenntnis nehmen, trotzdem verstossen diese Aktivitäten in mehrfacher Hinsicht gegen das Schweizer Gesetz. Umso erstaunter ist man bei der Digitalen Gesellschaft über die Untätigkeit der Schweizer Behörden und stellt im aktuellen Bericht fest, dass die Geheimdienste vor allem zum Vorteil der eigenen Wirtschaft und nicht ausschliesslich aus Sicherheitsüberlegungen spionieren.

Noch im Oktober 2013 behauptet Bundesrat Ueli Maurer zudem an einer Pressekonferenz: «Wir haben keine Kontakte mit der NSA. Es werden und wurden keine Daten mit der NSA ausgetauscht.» Ein Jahr später tönt es gegenüber der Rundschau aus dem NDB etwas anders: «Der Nachrichtendienst des Bundes tauscht mit der NSA keine Daten direkt aus. Es existiert kein Abkommen NDB-NSA. (…) Letzte Kontakte waren Ende 2012.» Dass verschiedene US-Dienste «Partner» der Schweiz sind und Informationen ausgetauscht werden, scheint hingegen hinreichend belegt und ist auch nicht bestritten. Aus den Unterlagen von Edward Snowden geht jedoch hervor, dass die Schweiz als «Tier B»-Land eine «Focused Cooperation» mit den USA beziehungsweise der NSA eingegangen ist. Dies ist, unmittelbar nach der Gruppe der «Five-Eyes» (USA, Grossbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland), die zweithöchste Stufe der Zusammenarbeit und umfasst 17 europäische Länder sowie Japan und Südkorea.

Der muntere Datentausch

Wie Markus Seiler, Direktor des Nachrichtendienstes, der NZZ einmal anvertraute: «Nachrichtendienst bedeutet ein ständiges Geben und Nehmen. Die Schweiz verfügt über einen kleinen, aber feinen Dienst. Wir haben unseren Partnern im Ausland durchaus etwas zu geben.» Selbst wenn jeder Dienst «nur» die ausländische Kommunikation abhören würde, die Erkenntnisse jedoch mit den Partnerdiensten teilen, so werden schliesslich doch alle auch vom «eigenen» Geheimdienst bespitzelt. Die Informationen, welche der Schweizer Geheimdienst seinen Partnern bietet, dürften mehrheitlich aus dem Abhörsystem Onyx stammen. Durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Geheimdienste ist die Schweizer Bevölkerung in mehrfacher Hinsicht von der Überwachung betroffen: Der NDB spioniert die Kommunikation im Ausland aus, um Informationen zum «Tausch» anbieten zu können. Um an diese Information zu gelangen, müssen die ausländischen Dienste wiederum wertvolle Informationen für und somit über die Schweiz besitzen. Was also liegt näher, als die Kommunikation der Schweiz abzuhören, um an «Tauschware» zu kommen?

Forderungen an die Politik

Die Überwachung ist (wohl aus diesem Grund) auch nicht strikt auf das Ausland beschränkt, darf der NDB doch Informationen über Personen im Inland bearbeiten, wenn sie für das Verständnis eines Vorgangs im Ausland notwendig sind. Der Schweizer Nachrichtendienst und die Bundesanwaltschaft wären auch für die Spionageabwehr, also die Verfolgung von fremden Nachrichtendiensten, zuständig. Da sie aber auf Informationen der Partnerdienste angewiesen sind, befinden sie sich in einem virulenten Interessenkonflikt. Aus diesen Gründen fordert die Digitale Gesellschaft unter anderem eine «Expertenkommission zur Zukunft der Datenbearbeitung und Datensicherheit», die sich mit den Herausforderungen einer digitalen Gesellschaft befassen soll. Ausserdem will die Digitale Gesellschaft, dass der zivile und militärische Nachrichtendienst getrennt und ein ausserordentlicher Bundesanwalt eingesetzt wird, um den systematischen Rechtsbruch durch in- und ausländische Geheimdienste strafrechtlich aufzuarbeiten.

Aus der Printausgabe vom 13. März 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

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