Streikwelle in Ägyptentrotz Ausnahmezustand
Nach der Erstürmung der israelischen Botschaft wurde in Ägypten der Ausnahmezustand wieder in Kraft gesetzt und es wurde angekündigt, mit harter Hand gegen Streikende vorzugehen. Prozesse gegen das alte Regime wurden vertagt.
Am 10. September finden in ganz Ägypten Grosskundgebungen statt. Es sind vorwiegend linke Organisationen, streikende ArbeiterInnen und Jugendgruppen, die auf die Strasse gehen. Auch auf dem Kairoer Tahrirplatz sind es an diesem Tag wieder Zehntausende, unter ihnen viele Ultras der beiden Vereine Zamalek und Al-Ahly. Aus gutem Grund: Die beiden Fanclubs werden an diesem Tag für ihre mutige Rolle während der Tage der Revolution von der Bewegung «geadelt». Gleichzeitig demonstrieren vor der israelischen Botschaft mehrere Hundert Personen. Später stösst ein Teil der DemonstrantInnen vom Tahrirplatz hinzu. Dort soll die gigantische Betonmauer, welche zum Schutz der israelischen Botschaft erst ein paar Tage zuvor errichtet wurde, demontiert werden. Sozusagen als symbolischer Akt, so der Konsens im Vorfeld. Am späteren Nachmittag strömen immer mehr Menschen vor die israelische Botschaft, gleichzeitig kommt es vor dem kilometerweit entfernten Innenministerium zu Krawallen. Und vor dem Kabinett protestieren zeitgleich Zehntausende Lehrer. Es ist viel los, an diesen Tagen am Nil. Später dann der Sturm einer wütenden Menge auf die israelische Botschaft. Während ein Grossaufgebot von Militär und Polizei während mehreren Stunden tatenlos zusieht. Erst als die Situation völlig aus dem Ruder läuft, greifen die Sicherheitskräfte ein. Die Folge sind stundenlange Strassenschlachten, drei Tote und über 1?000 Verletzte. Erst in den frühen Morgenstunden kehrt in Kairo allmählich wieder Ruhe ein.
Der Kater danach
Nach dem Botschaftssturm bleibt ein Scherbenhaufen zurück. Der Militärrat nutzt die Gunst der Stunde und setzt den Ausnahmezustand wieder in Kraft. Derweil haben Verschwörungstheorien rund um den Sturm auf die israelische Botschaft Hochkonjunktur. Gemäss verschiedenen Augenzeugen sollen die vier Männer, welche als erste in die Botschaft eindrangen, zuvor von der Militärpolizei zur Botschaft gebracht worden sein. Selbst ein Sprecher der radikal-islamistischen Salafisten, der zunächst den Botschaftssturm noch bejubelte, veröffentliche am Tag darauf die Meldung, dass hinter dem Angriff auf die Botschaft das ägyptische Militär stecken würde. Auch die Jugendorganisation «6.April», welche sich schon im Vorfeld von der Aktion distanzierte, bezichtigt den Militärrat die Proteste für ihre Interessen manipuliert und angeheizt zu haben. So sollen sich eine grosse Anzahl Mubarak-Anhänger und bezahlte Provokateure unter die Menge vor der Botschaft gemischt haben. Zumindest in einem Punkt sind sich alle Akteure einig: Der Botschaftssturm nützt nur den alten Seilschaften und dem Militärrat.
Schiessbefehl und Notstandsgesetze
In den folgenden Tagen werden mehrere AktivistInnen von der wieder aktiveren Sicherheitspolizei verhaftet. Die Regierung behauptet, sie seien am Angriff auf die Botschaft beteiligt gewesen und hätten sich deshalb vor einem der neuen Sondergerichte zu verantworten. AktivistInnen hingegen sagen, es handele sich um Oppositionelle, die auf dem Tahrirplatz waren und sich nicht am Botschaftssturm beteiligt hätten. Die ägyptische Redaktion von Al-Jazeera wird geschlossen und die Büros von 16 internationalen TV-Stationen werden durchsucht. Dabei werden Sendegeräte beschlagnahmt und MitarbeiterInnen verhaftet. Mehreren populären Fernsehmoderatoren wird ein Auftrittsverbot erteilt. Und Innenminister Essawy kündigt an, dass ab sofort jeder Angriff auf ein öffentliches Gebäude mit scharfer Munition beantwortet werde. Polizisten, welche sich nicht an den Schiessbefehl halten, sollen hart bestraft werden. Das Notstandsgesetz soll mit grosser Härte vor allem gegen «thugs» (Kriminelle) – so werden die Protestierende oft genannt – und Streikende (!) angewandt werden.
Landesweite Streiks
Trotz Ausnahmezustand sowie Demonstrations- und Streikverbot weiten sich die Proteste aus. So rufen die «Revolutionäre Jugendkoalition» und ein breites Bündnis politischer Parteien für Montag, 19. September, zu einem Marsch zum Kabinett in Kairo auf, um gegen die Reaktivierung des Notstandsgesetze, welches die grösste Bedrohung seit der Revolution darstelle, zu demonstrieren. Zuvor hatte schon die «Unabhängige Union der ägyptischen Lehrkräfte» ihre Drohung wahr gemacht. Pünktlich zum Beginn des neuen Schuljahres sind sie, trotz Ausrufung des Ausnahmezustandes, am 17. September landesweit in den Streik getreten. Es ist der erste Lehrerstreik seit 1951. Damals hatten die Briten in Ägypten noch das Sagen. Sie fordern höhere Löhne, kleinere Klassen und den sofortigen Rücktritt von Innenminister Essawy. Tatsächlich ist die Lage für ägyptische LehrerInnen ausgesprochen ungemütlich. So liegt der Monatslohn für eine Lehrperson in den ersten fünf Jahren bei rund 20 Franken. Selbst für ägyptische Verhältnisse ein sehr geringer Lohn. Die staatliche Nachrichtenagentur MENA berichtet, dass nur 140 Schulen (rund 0,6 Prozent) bestreikt würden. Die Realität ist wie immer eine Andere. Landesweit bleiben zu Beginn des neuen Schuljahres 90 Prozent der Schulen geschlossen, in einigen Regionen liegt die Quote gar bei 100 Prozent. Unabhängige ägyptische Medien sprechen von 65 bis 75 Prozent Streikbeteiligungen. Entsprechend aufgebracht ist man bei der Lehrergewerkschaft und wirft der staatlichen Nachrichtenagentur MENA gezielte Desinformation der ägyptischen Öffentlichkeit vor. Vielerorts werden die Lehrkräfte massiv unter Druck gesetzt und mit Gefängnis und den Notstandsgesetzen bedroht. Unterdessen sind in Oberägypten aus Protest gegen den Militärrat und die Wiederinkraftsetzung des Ausnahmezustandes Zehntausende ArbeiterInnen von Zuckerrohrraffinerien in den Streik getreten. Schon zuvor haben die Transportangestellten ihre Arbeit niedergelegt. Angestellte und StudentInnen besetzten am 11. September die «Amerikanische Universität». In Ägypten geht der Kampf um jeden Millimeter Freiheit ungebrochen weiter.
Solange die arabische/muslimische Welt nicht vom zurückgebliebenen Islam loskommt wird sich auch nichts ändern. Denn nur der Islam behindert den Fortschritt. Die jetzt gestürtzten Despoten werden in absehbarer Zeit durch neue (islamische) ersetzt sein. Und der Islam wird weiter verhindern dass die Frauen mehr Mitsprache in der Familienpolitik erhalten und so die dringend notwendigen Änderungen in der (Über)-Bevölkerungspolitik verhindern.