Blutbad im Gazastreifen

Georg Polikeit. Parallel zu den Festivitäten zur Einweihung der nach Jerusalem verlegten Botschaft der USA veranstaltete das israelische Militär am Montag, den 14. Mai, das blutigste Massaker im Gazastreifen seit dem Krieg von 2014.

Mindestens 52 PalästinenserInnen, die im Gazastreifen entlang der Sperrzone für das Recht auf Rückkehr der seit 1948 aus dem israelischen Staat vertriebenen PalästinenserInnen und gegen die totale Abriegelung des Gazastreifens durch das israelische Militär demonstrierten, wurden an diesem einzigen Tag von israelischen ScharfschützInnen erschossen. mehr als 2400 weitere durch Schüsse und Tränengaseinsätze teilweise schwer verletzt.
Zur gleichen Stunde verkündete USA-Präsident Trump, der seine Tochter Ivanka plus Schwiegersohn als Vertretung nach Jerusalem geschickt hatte, dass die Verlegung der US?Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem ein «grosser Tag für Israel» sei. Israels rechtslastiger Regierungschef Benjamin Netanjahu erhob erneut den Anspruch Israels auf ganz Jerusalem als Hauptstadt des «jüdischen Staates» und nannte die Verlegung der US?Botschaft dorthin einen «historischen Tag». Vermutlich weil er darin die Möglichkeit sieht, nun weltweit andere Staaten unter Druck zu setzen, dem US-amerikanischen Beispiel zu folgen und damit die Oberhoheit Israels über die «heilige Stadt» dreier Religionen anzuerkennen, was die Verwirklichung einer Zwei-Staaten-Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt für immer torpediert würde.
Insgesamt haben die israelischen Streitkräfte seit Beginn der palästinensischen Demonstrationen am 30. März nach Angaben des palästinensischen Sanitätsdienstes mindestens 90 PalästinenserInnen erschossen, obwohl sie völlig unbewaffnet gewesen waren. Etwa 10 500 weitere wurden durch scharfe Schüsse und Tränengaseinsatz so verletzt, dass sie medizinisch behandelt werden müssten, manche davon so schwer, dass sie lebenslang behindert sein werden.

Tag der Katastrophe
Die palästinensischen Protestdemonstrationen am 14. Mai waren der vorgesehene abschliessende Höhepunkt der seit sieben Wochen anhaltenden Protestaktionen unter der Bezeichnung «Marsch der Rückkehr». Sie waren bewusst einen Tag vor dem Tag angesetzt worden, den die PalästinenserInnen als «Nakba» (Tag der Katastrophe) bezeichnen und der zugleich der Gründungstag des Staates Israel ist (15. Mai). Damals waren in einer Kampagne der ethnischen «Säuberung» rund 700 000 PalästinenserInnen gewaltsam aus dem Staat Israel vertrieben und ihr Land und anderes Eigentum beschlagnahmt worden.
Nun hatten sich an diesem 14. Mai erneut Zehntausende PalästinenserInnen an sieben Stellen in der Nähe des von Israel auf palästinensischem Territorium errichteten Grenzzauns und «Sicherheitsstreifens» versammelt. Einige Beteiligte hatten erneut Autoreifen in Brand gesetzt, um einen Rauchvorhang zwischen dem israelischen Militär und den DemonstrantInnen zu erzeugen, und auch brennende Reihen in Richtung Grenze ins Rollen gebracht. Manche versuchten auch, Steine und Flaschen Richtung Grenze zu schleudern oder sich unter Gefahr ihres Lebens dem Grenzzaun zu nähern, um dieses Zeichen ihres Eingeschlossenseins einzureissen. Das israelische Militär nahm dies wiederum zum Anlass, um die Protestdemonstrationen generell als «terroristische Operation» zu bezeichnen und entsprechend unter Beschuss zu nehmen.
Einige palästinensische Protestdemonstrationen fanden auch noch am 15. Mai statt, wobei erneut ein Demonstrant getötet wurde.

Proteste auch in Jerusalem
Protestaktionen anlässlich der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem gab es am Montag (14. Mai) auch in Jerusalem und anderen Städten Israels selbst, u. a. in Haifa, Jaffa, Nazareth, Sachnin, Kafr Yassif, und Tamra.
Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es dabei in Jerusalem, als sich einige hundert Israelis und PalästinenserInnen im Jerusalemer Stadtteil Amona in der Nähe der Stelle trafen, wo die US-Botschaft eröffnet wurde. Als die DemonstrantInnen parallel zur Ankunft der Gäste für die Botschaftseinweihung palästinensische Fahnen und Transparente gegen die Botschaftseröffnung hochhoben, rissen PolizeioffizierInnen den TeilnehmerInnen die Fahnen teilweise mit brutaler Gewalt aus den Händen. Obwohl das als Veranstalter fungierende «High-Follow Up Committee for the Arab Citizens of Israel» eine Genehmigung für die Aktion erhalten hatte, ging die Polizei gegen die TeilnehmerInnen vor. In den sozialen Netzwerken verbreitete Videos zeigen PolizistInnen, die an der Demonstration teilnehmende Mitglieder der Knesset, also Abgeordnete des israelischen Parlaments angriffen, herumschubsten und anschrien. Es handelte sich um Abgeordnete der in der Knesseth mit rund einem Dutzend Abgeordneten vertretenen «Vereinten Liste», darunter alle Abgeordneten der «Hadash» (Demokratische Front für Frieden und Gleichheit), zu der auch die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Israels gehören.

«Kampf fortsetzen»
Ayman Odeh, der Vorsitzender der «Vereinten Liste», hatte in einem Tweet vor der Demonstration geschrieben: «Da ist nichts Feierliches bei der Verlegung der Botschaft … Die Mobbing-Allianz von Netanjahu-Trump vertieft weiter den Konflikt, schürt den Rassismus und verbreitet Hass und Gewalt.» Nach der Protestaktion sagte der Vorsitzende des High-Follow Up Committee und frühere Hadash-Abgeordnete Muhammad Barakeh: «Wir werden unseren Kampf fortsetzen. Obwohl wir eine Genehmigung für den Protest hatten, gebrauchte die Polizei extreme Gewalt. Als ob das, was in Gaza passiert, noch nicht genug wäre, sind sie auch hinter uns her … Das Hochkomitee organisierte diesen Protest, um unsere Stimme gegen die US?Politik zu erheben, die die Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels unterstützt und die Möglichkeit der Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates innerhalb der Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt zerstört.»
Die Hadash-Abgeordnete Aida Touma-Sliman sagte, dass palästinensisches Blut an den Händen von Premierminister Netanjahu und US?Präsident Trump klebt. Sie nannte die zwei Politiker «zwei Hooligans, die das Gebiet in Brand setzten». Trump und Netanjahu seien «verantwortlich für jegliche Eskalation, und genau das hatten sie schon im Voraus geplant, um jeden Versuch zu torpedieren, eine diplomatische Vereinbarung und Frieden zu erreichen».

Internationale Kritik
Auch international hat die hohe Zahl palästinensischer Opfer in verschiedenen Ländern erneut Kritik, teilweise auch von hochrangigen PolitikerInnen, an der «Unverhältnismässigkeit» des israelischen Vorgehens ausgelöst, zumal von den palästinensischen Demonstrationen im Gazastreifen zu keiner Zeit eine reale Gefahr für Israel und seine Bevölkerung ausgegangen sind. Uno-Generalsekretär Antonio Guterres (Portugal) erklärte sich am Montag «besonders beunruhigt» über die Situation im Gazastreifen. «Wir sehen eine Vervielfältigung der Konflikte, alter Konflikte, die niemals zu sterben scheinen. Ich bin heute besonders besorgt im Hinblick auf die Nachrichten darüber, was im Gazastreifen passiert, mit einer hohen Zahl von getöteten Personen», erklärte er vor der Presse bei seinem Besuch in Wien. Er trat dabei übrigens ein weiteres Mal für die Beibehaltung des Atomabkommens mit dem Iran ein, das von den USA einseitig aufgekündigt worden ist.
Saeb Erekat, ein hochrangiger palästinensischer Politiker und ehemaliger palästinensischer Chefunterhändler bei den bisherigen Verhandlungen mit Israel, hat am Montag im Hinblick auf die Botschaftseröffnung der USA in Jerusalem von einem «Akt notorischer Feindseligkeit gegen das Völkerrecht und das Volk von Palästina» gesprochen, «mit dem sich die USA auf die Seite der Besatzungsmacht Israel gestellt haben». Der Sprecher der im Westjordanland installierten palästinensischen Regierung, Jussuf al-Mahmoud, forderte «ein sofortiges internationales Eingreifen, um das in Gaza von den israelischen Besatzungstruppen verübte abscheuliche Massaker gegen unser heroisches Volk zu stoppen».

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