Stopp TiSA!

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Online-Petition unterzeichnen: www.stop-tisa.ch

TiSA steht für  «Trade in Services Agreement». Es handelt sich um die Verhandlungen über ein  «Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen», die im Frühjahr 2012 begonnen haben.  Daran sind neben der EU, die ihrerseits 28 Länder umfasst, 20 Länder unter der Führung der USA und der EU beteiligt. Die Schweiz spielt eine sehr aktive Rolle in diesen Verhandlungen. Gemäss diesem Vertrag müssten alle Dienstleistungsbereiche, in denen neben den öffentlichen auch private Anbieter vorhanden sind, den Regeln des «freien und unverfälschten Wettbewerbs» unterstellt werden. Die Regierungen müssten die öffentlichen und privaten Anbieter im selben Ausmass subventionieren. Die Steuerpflichtigen wären so beispielsweise gezwungen, die Profite von privaten Kliniken und Schulen mitzufinanzieren. In der Schweiz sind allein in den hochexponierten Sektoren Bildung und Gesundheit um die 500‘000 Arbeitsplätze betroffen.

Nochmals der Link: www.stop-tisa.ch

Masslos?

2425604958_5fe2efd1f1Eigentlich hätte man am 9. Februar 2014 darüber abstimmen müssen, ob es mit einem immer absurdere Dimensionen annehmenden Kapitalismus so weitergehen kann wie bisher. -Stattdessen ist es ausgerechnet der SVP, welche zu den glühendsten Verfechtern eines möglichst ungehinderten kapitalistischen Profit- und Wirtschaftswachstums gehört, einmal mehr gelungen, sich zur Heldin im Kampf gegen jene Probleme aufzuspielen, die sie selber verursacht hat. 

Aus der Printausgabe vom 14.März. Unterstütze uns mit einem Abo.

Wenn die SVP – wie sie das in ihrem Abstimmungskampf für die Initiative «Gegen Masseneinwanderung» getan hat – behauptet, «Masslosigkeit schade», hat sie ja eigentlich recht. Nur müsste es ehrlicherweise heissen: «Kapitalismus schadet». Denn diese Masslosigkeit, dieses unbeirrte Festhalten an der Ideologie eines endlosen Wirtschaftswachstums; das Hin- und Herschieben von Gütern quer über alle Grenzen hinweg zu reinen Profitzwecken, die explodierenden Bodenpreise, Wohnungsmieten und Krankenkassenprämien; die wachsende Zahl von Menschen, die dem steigenden Leistungsdruck nicht gewachsen sind und zu «Sozialfällen» werden; die Abwanderung einer immer grösseren Zahl von Menschen aus Ländern, in denen es überhaupt keine Erwerbsmöglichkeiten gibt, in andere Länder, wo es im Vergleich zur vorhandenen Bevölkerung viel zu viele Erwerbsmöglichkeiten gibt; das damit verbundene, immer drastischere Auseinanderklaffen zwischen Zentren des Reichtums und Zonen der Armut; das rücksichtslose Verprassen natürlicher Ressourcen auf Kosten zukünftiger Generationen; die unaufhaltsame Verbetonierung wertvollsten Kulturlandes; die überfüllten Züge, die verstopften Strassen.

Dies alles ist ja nicht über Nacht zufällig vom Himmel gefallen, sondern ist nichts anderes als die ganz natürliche und logische Folge jenes Wirtschaftssystems, das man Kapitalismus nennt, und das nicht auf soziale Gerechtigkeit und schon gar nicht auf den Respekt gegenüber Mensch und Natur ausgerichtet ist, sondern einzig und allein darauf, mithilfe der Herstellung, des Handels und des Verkaufs einer unablässig wachsenden Menge an Gütern einen möglichst grossen und unablässig wachsenden materiellen Profit zu erzeugen.

Falsche und gefährliche Schuldzuweisung

Das Fatale daran ist, dass ausgerechnet die SVP, die bei jeder Gelegenheit für die grösstmögliche «Freiheit» und Selbstentfaltung einer durch und durch wachstumsorientierten kapitalistischen Wirtschaftslogik eintritt und sich gegen jegliche staatliche Kontrolle oder Einmischung zur Wehr setzt, gleichzeitig aus den zerstörerischen und lebensfeindlichen Auswirkungen dieses Systems am allermeisten politisches Kapital zu schlagen vermag, indem es ihr nämlich immer und immer wieder gelingt, die in der Bevölkerung vorhandenen Sorgen, Ängste und Frustrationen auf eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen, die so genannten «Ausländerinnen» und «Ausländer», umzulenken.

Keine vernünftige Sachpolitik 

Erst eine umfassende und tiefgreifende Analyse der Prinzipien und daraus resultierenden Auswirkungen des kapitalistischen Denk-, Geld- und Wirtschaftssystems kann diesen Schwindel ans Licht bringen. So lange dies nicht erfolgt, kann keine echte Alternative zu jener «Masslosigkeit» in Form der kapitalistischen Wachstumsideologie entwickelt werden, der wir alle zusammen – ob «Linke» oder «Rechte», ob SP oder SVP – gleichermassen unterworfen sind. Einfach gesagt: Wir brauchen eine von Grund auf neue, nicht auf die Bedürfnisse des nach seiner Selbstvermehrung schreienden Kapitals, sondern auf die Bedürfnisse von Mensch und Natur ausgerichtete Wirtschaftsordnung. Alles andere ist reine Symptombekämpfung, Augenwischerei und Selbsttäuschung.

 

Peter Sutter ist Autor des Buches «Zeit für eine andere Welt – Warum der Kapitalismus keine Zukunft hat»

Im Staate der Eidgenossen

schweizer fahnWir sind beliebt! In Europa. Und dies nach all dem Mist, der im Ausland über uns geschrieben wurde. Dorthin (gemeint ist das Ausland) beträgt die grösste Entfernung 270 Kilo-meter gemessen ab dem geographischen Herzen der Schweiz und das ist bekanntlich die Ällgialp im Kanton Obwalden. Aber von der idyllischen Alp zurück ins Europa des Freien Personenverkehrs. Richtiggehend euphorisch und enthusiastisch wurden wir gefeiert. Sogar im Europaparlament, dem wir gar nicht angehören. Krass, nicht wahr? Eine ganz spezielle Ehrung hat die Eidgenossenschaft vom Abgeordneten Mario Borghezio erhalten: Er stürmte während der Ratsdebatte mit einer Schweizer Fahne in die Mitte des Plenarsaals. Dort schwenkte er voller Begeisterung das rote Stofftuch mit dem weissen Kreuz drauf. Er unterbrach lautstark den Kommissar mit Zwischenrufen wie «Freie Schweiz» oder «Stopp der europäischen Diktatur über seine Völker». Mario Borghezio, aus der ehemaligen ArbeiterInnenstadt Turin stammend, gehört der separatistischen Lega Nord an. Im Jahre 1993 musste er wegen Nötigung eines marokkanischen Kindes 750 000 Lire (etwa 380 Euro) Busse bezahlen. Am 19. Oktober 2005 wurde Mario Borghezio zu einer Geldstrafe von 3040 Euro verurteilt, weil er im Jahr 2000 in Turin Zelte von Einwanderern angezündet hatte, die unter einer Brücke schliefen. Und da ist noch ein Radiointerview nach dem Massaker in Norwegen von 2011. Der Freund der Eidgenossen meinte, dass viele Ideen des Attentäters der Anschläge «gut und manche ausgezeichnet» seien. Die Freude und Begeisterung dieses Mannes über das Ja zur SVP-Initiative war so gross, dass er fast in Trance verfiel und aus dem Parlamentssaal verwiesen wurde. Aber kein Problem, -andere gute Freunde traten an seine Stelle. Als so ein Grüner aus Deutschland (immer wieder die) forderte, die Schweiz müsse «in Knien angekrochen kommen», löste er eine massive und emotionale Protestwelle der Kameraden des französischen «Front National» von Le Pen aus. Schön, so charmante, neue Freunde gewonnen zu haben. Danke SVP. Freude herrscht im Lande, juhui. 

Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert den Vorfall im EU-Parlament mit den Worten: «Die falschen Freunde der SVP». Falsch? Was ist daran so falsch? Richtig ist, dass die politischen Vorstösse und Ansichten von Borghezio und seiner Partei oft deckungsgleich mit jenen der SVP sind. Etwas Kenntnis der italienischen Fremdsprache (ausser im Tessin) und ein Blick auf die Homepage der Lega Nord genügen, um es selber nachlesen zu können. Gleiches gilt für die vielen nationalistischen und rassistischen Rechtsaussenparteien aus ganz Europa, die am 9. Februar der SVP gleich zum Sieg gratuliert haben. Es ist nun mal so, dass die politischen FreundInnen gratulieren und nicht die GegnerInnen. Der «Tagi» bezeichnet Borghezio als «Spinner». Wohl kaum aber wegen seinen politischen Überzeugungen, denn sonst müsste der liebe «Tagi» – wenn er kohärent und konsequent bleiben wollte – auch Blocher und die ganze SVP als «Spinner» bezeichnen. 

Tja, aber mit solchen Feststellungen, so richtig und nett sie auch sein mögen, kommen wir keinen Schritt weiter. Und was ist mit der Forderung der Juso, die SP solle wegen der Abstimmung vom 9. Februar vom Bundesrat zurücktreten? Stellen wir uns das Unvorstellbare mal vor und nehmen wir an, die SP würde den Bundesrat verlassen, was wäre dann so viel anders und /oder besser? Was würde sich ändern?

Aber eben, was tun? Eine Patentlösung hat niemand; wie auch? Vielleicht lohnt es sich mal, nach den Ursachen des Rassismus zu fragen. Sich ernsthaft zu fragen. Hilfreich dazu ist möglicherweise, sich wieder mal in Erinnerung zu rufen, dass die Grenzen nicht zwischen In- und AusländerInnen, sprich unter uns sondern zwischen oben und unten verlaufen. Vielleicht, wer weiss, sollten wir mal wegen den Ursachen des Rassismus nach Bern an eine Demo. So als Aktion und nicht als Reaktion auf einen Sieg der RechtspopulistInnen. Aber eben… wir laufen die Gefahr, dass wir selbst im Nachhinein nicht viel schlauer werden. Wir, die 49,7 Prozent, die in Bern demonstriert haben, weil wir verloren haben.

Aus der Printausgabe vom 14.März. Unterstütze uns mit einem Abo! 

Wohnraum für alle?!

wohnungsnotIn den grösseren Städten der Schweiz ist es für proletarische Haushalte vermehrt schwierig, eine preislich ange-messene Wohnung zu finden. In den Grossstädten wie Zürich, Genf und Lausanne besteht eine regelrechte Wohnungskrise. Doch auch in diesem Bereich formiert sich vermehrt Widerstand. Ein Buch präsentiert Kämpfe im Raum Lausanne und legt die Grundlagen für eine breite Bewegung für ein Recht auf Wohnen.

 

Die Aufkündigung von 50 Mietverträgen aufgrund einer Totalsanierung, die Durchsetzung einer Wohnraumverdichtung im Rahmen des neuen Raumplanungsgesetzes und die wohnräumliche Neugestaltung eines ganzen Quartiers – das waren die Gründe für drei unterschiedliche MieterInnenmobilisierungen in der Stadt Lausanne in den letzten Jahren. Tatsächlich stehen diese Beispiele sinnbildlich für die äusserst prekäre Wohnsituation in der waadtländischen Stadt: Die Preise für Mietwohnungen haben sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt und zum Teil gar verdreifacht. Ein Grossteil der Mieten für drei bis vier Zimmer Stadtwohnungen liegt zwischen 1500 und 4000 Franken. Leerstehende Wohnungen in der Stadt existieren kaum. Tiefere Mieten sind nur ausserhalb der städtischen Regionen, also auf dem Land, zu finden. MieterInnen, die in diesen Regionen leben, müssen mit hohen Transportkosten rechnen, da ihre Arbeitsplätze oft in der Stadt liegen.

MiterInnenproteste

Die Wohnsituation in den urbanen Zentren der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar akzentuiert, doch die Anfänge der Neugestaltung von Wohnzonen liegen schon weiter zurück. Die Mobilisierungen der BewohnerInnen des Quartiers Motelly in Lausanne haben diese Prozesse exemplarisch aufgedeckt (S. 37–57). Schon Mitte der 1990er Jahre bildete sich das Kollektiv Droit de Cité, welches – die Probleme der Gentrifizierung antizipierend – sich für eine partizipative Raumplanung einsetzte, bei der die Stadt die MieterInneninteressen in den Planungsprozess integriert. Das Kollektiv hat sich damals für den Bau eines Quartierzentrums eingesetzt, welches dann tatsächlich 1998 realisiert wurde. Zwischen 2001 und 2004 intervenierte das Kollektiv erfolgreich, um die Schliessung der Poststelle von Sévelin zu verhindern. Auch konnte im Rahmen des Lausanner Metrobaus, in dem die Reorganisierung und Streichung von Buslinien vorgesehen war, eine erfolgreiche Mobilisierung für den Erhalt der Busse 18 und 19 angestossen werden. Und zurzeit wehrt sich das Kollektiv gegen die massive Sanierung, die Stockwerkerhöhung und gegen eine Mietzinserhöhung für gewisse Wohnblöcke und -häuser im Quartier.

Die im Buch vorgestellten MieterInnenproteste fassen die AutorInnen wie folgt zusammen (S. 59–70): Die MieterInnenkonflikte in Lausanne beziehen sich sowohl auf die Wohnfrage im engeren Sinne wie auch auf die Lebensqualität in den Quartieren. Die AkteurInnen der Proteste und Kämpfe sind vielfältig, teilweise handelt es sich um MieterInnen, teilweise um kleine WohneigentumsbesitzerInnen, teilweise auch um StadtbewohnerInnen, die nicht direkt von den Umbrüchen betroffen sind. Und auch die Gründe für die Mobilisierungen sind unterschiedlich: Mieterhöhungen, Aufkündigung von Mietverträgen, die Veränderung der städtischen Infrastruktur, die Qualität des öffentlichen Raumes, Bauprojekte oder neue Raumplanungen. «Aus dieser Komplexität rauszukommen wird in Zukunft nicht die kleinste Herausforderung sein.» (S. 62)

Wohnpolitik für die Reichen

Die Lausanner Situation spiegelt grundsätzlich die Problematik aller städtischen Gebiete der Schweiz wider. Eine grosse Mehrheit der Bewoh-nerIn-nen der schweizerischen Agglomerationen sieht sich mit einer Wohnungskrise konfrontiert, die zumindest zurzeit nicht auf ein zu geringes Angebot an Wohnungen zurückzuführen ist. Vielmehr werden heute neue Wohnungen gebaut, die zum Privatverkauf bestimmt sind, und mehr noch: zum Privatverkauf an GutverdienerInnen und Vermögende. Die Wohnungssituation der proletarischen Haushalte hat sich zudem in den letzten Jahrzehnten dadurch verkompliziert, dass in den meisten Fällen ihr Real-ein-kom-men stagniert ist. Proletarische Haushalte ziehen konsequenterweise in die Peripherie um oder häufen Schulden an, um sich eine Stadt-wohnung zu leisten. Die AutorInnen des Buches schätzen, dass zirka zwei Drittel der Bevölkerung in der Schweiz aufgrund dieser Entwicklungen faktisch aus dem Wohnungsmarkt ausgeschlossen bleiben. Dadurch entsteht eine räumliche Segregation zwischen «verbürgerlichten» Wohnzonen im Zentrum, die gut gelegen und gut ausgestatten sind, und «proletarisierten» Wohnzonen in der Peripherie mit schlechterer Infrastruktur.

Raus aus der Krise

Die AutorInnen des Buches beschränken sich nicht darauf, die Mobilisierungen solidarisch vorzustellen. Es geht ihnen auch darum, in der ganzen Komplexität der Diskussion politische Anknüpfungspunkte zu bieten. Im abschliessenden Kapitel formulieren sie drei konkrete Forderungen. Erstens fordern sie die Blockierung der Mieten und die Limitierung des Verkaufs von Neuwohnungen (S. 88–96): 1992 lag der hypothekarische Referenzzins bei Mietwohnungen bei 7, inzwischen liegt er bei 2,25 Prozent. Umgerechnet hätte in dieser Zeit also eine durchschnittliche Mietzinsreduktion von 39 Prozent (!) erfolgen müssen, was nicht geschehen ist. Zweitens soll neue Raumplanung nur mit tatsächlicher Mitbestimmung geschehen (S. 97-103): Das am 3. März 2013 angenommene Raumplanungsgesetz sieht vor, die Bauzonen zu verkleinern aber zu verdichten. Damit dieser Prozess nicht zu einer Wohnpolitik für Reiche mutiert, braucht es eine wirkliche Mitbestimmung der MieterInnen in der öffentlichen Raumplanung. Drittens sprechen sie sich gegen die Diktatur der GrundeigentümerInnen aus: Die GrundeigentümerInnen haben heute ein grosses Interesse daran, den Boden für den Bau neuer Wohnungen dann zur Verfügung zu stellen, wenn eine hohe Rente in Aussicht steht. Die Jagd nach hohen Bodenrenten soll durch ein öffentliches Enteignungsrecht gestoppt werden, mit dem Ziel, den Bau von öffentlichen und preiswerten Sozialwohnungen zu fördern.

Diese Forderungen unterbreiten die AutorInnen einer öffentlichen Diskussion, denn: «Die kollektive Bewegung der MieterInnen ist noch zu wenig entwickelt, um mit Sicherheit auf alle Fragen zu antworten. Zurzeit ist das wichtigste, zum Aufschwung der Bewegung beizutragen, indem ein Austausch und Koordinationsversuche zwischen den verschiedenen kämpfenden Gruppen entwickelt wird. Fortschritte können nur erzielt werden, wenn die unterschiedlichen Erfahrungen analysiert werden, mit all ihren Schwierigkeiten, Fehlern und Erfolgen.» (S. 70)

Jean-Michel Dolivo, Andrea Eggli, ­Anne-Gabrielle Frund, Catherine Mathez, Urs Zuppinger (2013): Crise du logement. Locataires et habitants prenez votre sort en main!  Lausanne: Éditions d’en bas. 128 Seite

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