„Europäische Wirtschaftsregierung“

Eine „Europäische Wirtschaftsregierung“ soll aufgebaut werden. So die Forderung der deutschen und französischen Regierung, vertreten von Merkel und Sarkozy. Gestern wurde der Plan in seinen Grundzügen von den Regierungschefs Europas abgesegnet.

Eine Wirtschaftsregierung?

Der Plan macht skeptisch: Regieren in Europa nicht ohnehin Wirtschaft und Kapital? Ja, aber das ist offenbar nicht genug. In dem Plan der Wirtschaftsregierung steckt vor allem die Hoffnung, das Vorgehen der europäischen Staaten zu harmonisieren. Und was das heissen soll, wird schnell klar: Ein einheitliches Rentenalter (nämlich das deutsche, das bei 67 liegt), eine einheitliche Lohnpolitik (gelenkt von den Regierungen) und auch eine einheitliche Steuerpolitik soll es geben. Kommentiert wird all das mit der „Abschaffung von Wettbewerbsnachteilen“.

Widerstand innerhalb der EU

Immerhin wurde dieser Plan nicht einfach abgenickt: Widerstand meldete sich, unter anderem, aus Österreich und Belgien. Jedoch scheint es, als ob man weniger die geplante Vernichtung der Sozialstaaten fürchtet, als viel mehr den Kontrollverlust über den eigenen Sozialabbau. So wurde der Plan zwar angenommen, aber seine Details wurden noch ausgeklammert und man ist nicht bereit, sich Zeitplan und Inhalt der „Wirtschaftsregierung“ von Deutschland oder Frankreich diktieren zu lassen. Was folgt, sind weitere Spitzengipfel und Treffen, auf denen das Projekt weiter besprochen werden soll.

Interessante Implikationen

Zweierlei ist interessant an den Plänen. Zuerst offenbart sich die EU ein weiteres Mal als Institution zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen. Der hier geplante Sozialabbau dürfte tatsächlich von gewaltigem Ausmass sein; die Folgen einer derartigen Wirtschaftsregierung für die Arbeiterklasse wären wohl verheerend. Andererseits ist interessant, dass die Gespräche um die Wirtschaftsregierung nicht im Europaparlament stattfanden, sondern im kleinen Kreis der Regierenden. Hier zeigt sich, dass das eigentliche Zentrum europäischer Macht nicht in den Dutzenden von Institutionen liegt, die Europa angehäuft hat, sondern noch immer bei den Regierungschefs. Deutlich gemacht wird dies auch von Jerzy Buzek, dem Präsidenten des Europaparlaments, der davor warnt, genau dieses zu umgehen.

Angela Merkel bringt es auf den Punkt: „Wir verteidigen den Euro nicht nur als Währung, sondern auch als politisches Projekt“. Genau das ist es, was zu befürchten steht…

Doppelte Enteignung

Wer zahlt Merkels „Rettungspaket“? Der Kapitalismus hat abgewirtschaftet. Nach Jahrzehnten der ungebremsten Zockerei an den Finanzmärkten sollen nun die kleinen Leute für die Verluste geradestehen.

Der Kapitalismus hat abgewirtschaftet. Nach Jahrzehnten der ungebremsten Zockerei an den Finanzmärkten sollen nun die kleinen Leute für die Verluste geradestehen. So sieht der »Rettungsplan« der Bundesregierung vor, daß 500 Milliarden Euro zur Sanierung des angeschlagenen Bankensystems verwendet werden können – eine enorme Summe verglichen etwa mit den Ausgaben des Bundes für soziale Sicherung (zirka 141 Milliarden Euro) oder den Leistungen für Hartz-IV-Empfänger (zirka 23 Milliarden Euro). Die neoliberale Behauptung, für Bildung, Gesundheit und andere soziale Leistungen sei einfach »kein Geld da«, ist damit als Lüge entlarvt. Peinlich ist die Rettungsaktion aber auch für die Ideologen des »freien Marktes«, der anscheinend nur dann funktioniert, wenn die Gewinne sprudeln. Gehen die Spekulationen schief, ist der Staat gefragt, der mit Steuergeldern das Vertrauen in den Kapitalismus wieder herstellen soll.

Daß die (teilweise) Verstaatlichung von Banken inzwischen auch von hartgesottenen Neoliberalen gefordert wird, ist freilich kein Anlaß für Genugtuung. Zwar führt an einer Verstaatlichung von bankrotten Banken vermutlich kein Weg vorbei. Doch leider sollen keine Vermögenswerte verstaatlicht werden, sondern faule Kredite bzw. Schulden, die sicher noch viele Jahre auf den Schultern der Steuerzahler lasten werden.

In gewisser Hinsicht kommen die aktuellen Rettungspakete einer zweiten Enteignung gleich: Die erste Enteignung fand statt, als mit billigen Krediten reihenweise Unternehmen aufgekauft und öffentliches Eigentum privatisiert wurde. Jetzt, wo die Kreditblase geplatzt ist, sollen die Kosten für die beispiellose Fusions- und Privatisierungswelle nachträglich der öffentlichen Hand aufgedrückt werden.

Die zentrale Auseinandersetzung wird sich jetzt darum drehen, auf wen die Kosten der Finanzkrise abgewälzt werden. Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: Die Profiteure der Finanzmarktblase, die über Jahre hinweg hohe Gewinne eingestrichen haben, müssen bezahlen! Dringend nötig ist eine Millionärssteuer in Höhe von wenigstens zehn Prozent auf Vermögen sowie die Einführung von Steuern auf Finanztransaktionen. Um die Krise rasch zu überwinden und künftigen Finanzkrisen vorzubeugen, muß außerdem ein Konjunkturpaket geschnürt und die Massenkaufkraft gestärkt werden. Denn letztlich ist die aktuelle Finanzkrise nichts anderes als das Resultat neoliberaler Umverteilung: Durch die Senkung von Unternehmens-, Vermögens- und Spitzensteuersätzen sowie eine Politik des Lohn- und Sozialdumpings sind jene Rekordgewinne entstanden, die anschließend auf den Finanzmärkten auf der Suche nach immer höheren Renditen verspekuliert wurden. Dies bedeutet im Umkehrschluß, daß eine Umverteilung zugunsten der Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner sowie der Arbeitslosen auch das beste Mittel ist, um künftigen Finanzkrisen vorzubeugen.

Erschienen als Gastkommentar in der Tageszeitung „junge Welt