Luchar es vencer

Maria Bernasconi. Seit September 2017 ist Nekane aus dem Knast. Ich habe mit ihr über ihre Zeit in Haft und über ihre neue Freiheit geredet. Im langen Gespräch geht Nekane unter anderem auf die Zustände im Gefängnis ein, warum dort die Frauen doppelt, dreifach ja gar vierfach unterdrückt werden. Und dann in der Freiheit wartet eine andere Art von Gefängnis.

Welche Erfahrungen waren für dich besonders wertvoll für deinen politischen Kampf während deiner langen Haft in Zürich und in Dielsdorf?

Im Gefängnis zu sein, bedeutete für mich die Fortführung meines Kampfes. Mit der vielfältigen und breiten Solidarität auf der Strasse haben wir den Knast ein bisschen zu unserem Kampffeld gemacht. Die Gefängnismauern haben mich eingeschränkt, aber es war mein politischer Ort, wo ich meinen ideologischen Kampf weiterführte. Für mich war es wichtig, den Kampf auf der Strasse mit meinem Kampf drinnen zu vernetzen, und ich denke, das ha­ben wir erreicht. Wir haben das zusammengebracht, die Strasse und den Knast. Ich habe eine sehr vielfältige Solidarität erfah­ren. Egal wie klein, wie winzig die Zeichen waren. Aber sie waren jeden Tag da. Am ersten Tag und am nächsten und nächsten.

Du hast jeden Tag Zeichen der Solidarität bekom­men?
Ja, kontinuierlich. Es gab verschiedene Arten von Solidarität, zum Beispiel die Mobilisierung auf der Strasse oder die Feuerwerke. Aber auch bezüglich der Betreuung meiner Tochter habe ich viel Unter­stützung erfahren. Es wurden Briefe mit politischen Informationen geschrieben oder mit Anfragen nach meiner Meinung. So wurde meine Stimme nach aus­sen getragen und die Kämpfe vernetzt. Für mich war es wichtig, dass ich als Subjekt aktiv bleiben konn­te. Wenn ich in manchen Briefen gelesen habe: ‹Wir kämpfen für dich›, da habe ich gedacht: ‹Nein, wir kämpfen zusammen. Nicht für … sondern mit …›.
Für den Überlebenskampf im Gefängnis war es sehr wertvoll zu fühlen, dass ich nicht alleine bin und dass der Druck von draussen die Wärterinnen nervös gemacht hat und ihnen die Arbeit unbequem gemacht hat. Das habe ich gemerkt und das hat mir jeden Tag Kraft gegeben, um weiterzumachen.

Du hast die Gefängnisse in Zürich und Dielsdorf von innen gesehen. Kannst du etwas über die Zu­stände in diesen Gefängnissen sagen? Wie ist die Situation für Frauen?
Ich habe dort drinnen gesehen, dass die Ge­fängnisse immer noch wie im 17. Jahrhundert funktionieren. Genauso wie sie damals konzipiert wurden, sind es Maschinen oder Apparate, um die Gefangenen zu zerstören. Das habe ich so erlebt. Es ist, als würden sie versuchen, alles zu amputie­ren: Unsere affektiven, sozialen, kulturellen, poli­tischen Beziehungen werden jeden Tag aufs Neue verhindert. Sogar lieben und geliebt zu werden ist verboten. Auch unsere Körper und unsere Sexualität sind kontrolliert. So findest du dich von einem Tag auf den anderen gewaltsam abgeschnitten von die­ser Welt und ich denke, das hat damit zu tun, dass, wenn du isoliert und alleine bist, du verletzbarer und weniger stark bist.
In unserem Fall als Frauen haben wir eine dop­pelte, dreifache oder gar vierfache Unterdrückung. Die Unterdrückung des patriarchalen Herrschafts­systems, die wir auf der Strasse und im Alltag erle­ben, wird im Gefängnis noch stärker. Wegen unserer Rolle als Frauen im patriarchalen Herrschaftssystem werden wir von der Gesellschaft sozial bestraft. Und dann entsprechen wir nicht diesen guten, diesen der hegemonialen Rolle entsprechenden Frauen, die die Gesellschaft will. Und solche Frauen werden stigmatisiert und ihnen wird von dieser Gesellschaft gesagt, dass sie keine guten Frauen seien. Das Ge­fängnis versucht dann, solche Frauen zu produzie­ren, die der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Das hiess in unserem Fall, Gehorsam zu entwickeln. Weil du keine Ablenkung hast, bekommst du diese Unterdrückung mit voller Wucht zu spüren. Jede Se­kunde, jede Minute – denn auf der Strasse hast du Orte, wo du dich zurückziehen kannst und die von dieser Unterdrückung weniger geprägt sind als an­dere. Im Gefängnis gibt es diese Orte nicht. Für mich war das ein alltäglicher starker Kampf. Ich war dort, weil ich nicht der Rolle des Patriarchats entsprochen habe, weil ich mich dagegen gewehrt habe, und im Gefängnis habe ich das weitergemacht. Aber ja, al­leine und in einer so eingeschränkten Welt war das nicht einfach.

Du hast viel Solidarität von aussen erfahren, gab es auch innerhalb vom Gefängnis etwas, was euch gestärkt hat?
Ja, im Gefängnis sind wir alles Personen, wel­che diese Gesellschaft nicht will oder welche dis­kriminiert werden. Das Gefängnis war voll von ar­mutsbetroffenen Leuten oder Migrantinnen oder politischen und sozialen Dissidentinnen. Und das sind alles Personen, die dieses kapitalistische Sys­tem nicht will, und wir sind dann alle dort zusam­men.
Auf der Strasse habe ich vielleicht mit vielen der Frauen, die ich dort gekannt habe, nichts zu tun. Aber für mich ist klar, dass wir zusammen gegen dieses Herrschaftssystem, diese Unterdrückung, die uns im Alltag zu zerstören versucht, kämpfen.
Denn dieses Bewusstsein, und ich denke, die anderen Gefangenen waren nicht so politisch wie ich, hatten sie dennoch. Es kommt soweit, dass man merkt, man braucht Solidarität und Kollek­tivität, um sich besser wehren zu können. Aber im Gefängnis war auch Solidarität verboten. Dies be­wirkte, dass wir die Dinge anders machen mussten, ein bisschen versteckt. Ich habe ein Bewusstsein verbreitet, weil ich sagte: ‹Hey, wir sind zusammen auf einer Seite. Wir kämpfen gegen das System.› Ich habe gesagt: ‹Es ist gut, wenn wir zusammenhalten.› Das war mein politischer und ideologischer Kampf dort drin. Die Solidarität dort drin ist wichtig. Das Gefängnis weiss, dass wir zusammen stärker sind, und hat versucht, das zu unterbinden.
Was mich wütend gemacht hat, ist, dass sie ver­sucht haben, mich zu zerstören oder auch zu inst­rumentalisieren. Und sie benutzen unsere Familien und Freunde, um uns zu unterdrücken. Wenn wir zum Beispiel unsere Kinder nicht umarmen können oder sie durch eine Trennscheibe sehen müssen. Wir konnten unsere Kinder auch nicht anrufen, die Brie­fe meiner Tochter wurden übersetzt und kamen erst drei Wochen später zu mir. Das illustriert nochmals dieses Ausgeliefertsein. Unser Umfeld wird (mit-) bestraft, um uns zu zerstören. Und dann musste man alle diese Unterdrückungen und die damit ver­bundenen Gefühle sortieren und deswegen war die­se vielfältige Solidarität sehr wichtig.
Als du rausgekommen bist, waren wir alle unend­lich froh. Sauer hat es mich trotzdem gemacht, dass deine Freilassung auf eine Änderung der Rechtslage in Spanien zurückzuführen war und nicht auf einen politischen Erfolg in der Schweiz. Und auch diese wäre ohne viel Belang geblieben, wäre nicht massenhafter Druck von der Strasse erfolgt. Was ist deiner Meinung nach zu tun?
Ich denke wir waren erfolgreich. Aber am An­fang hatte der Entscheid für mich auch einen sauren Beigeschmack. Sie haben begründet, ich sei frei ge­kommen, weil mein Urteil verjährt war. Das gilt für mich nicht, weil dieses Urteil auf Aussagen basiert, die ich unter Folter gemacht habe. Und auch die Verkürzungen (Anm. d. R.: Nekanes Haftzeit wurde 2007 im Makroprozess 18/98 auf sechs Jahre und neun Monate verkürzt) bedeutet, dass damals in einem politischen Kontext die gleichen Delikte Jah­re später nochmals beurteilt wurden und am Ende wurde daraus ein Drittel der Haftzeit. Es war ganz klar, dass dies eine politische Entscheidung war. Ich werde von einem faschistischen Gericht nie etwas akzeptieren, und noch weniger, wenn es unter Folter entstanden ist. Nicht damals, nicht heute.
Ich weiss nicht, ob wir diese Botschaft auf der Strasse klar gemacht haben, aber das Akzeptieren des Grundes für die Freilassung war für mich, wie in einen sauren Apfel zu beissen. Fuck, am Ende war ich mehr als zwei Jahre im Gefängnis für ein politi­sches Urteil.
Aber als ich rauskam, habe ich gemerkt, dass die Behörden wegen der Kampagne einen grossen Druck spürten. Und so denke ich, dass nicht alles mit dieser Verjährung zu tun hat, sondern vielleicht diese Verjährung wegen dem sozialen Druck gekom­men ist. Vielleicht hat dieser Druck erreicht, dass die Spanier und Schweizer eine ‹schöne Lösung›, eine juristisch manipulierte Lösung, finden mussten. Ohne anzuerkennen, dass wir diese auf der Strasse erreicht haben. Ich denke wirklich der Druck hat sehr geholfen, dass es so gekommen ist.
Die Zivilgesellschaft war langsam auf dem Standpunkt ‹Wir glauben Nekane› und so blieb nur ein Teil der Regierung, der die Augen schliessen wollte. Sie konnten dieses Spiel nicht mehr durch­halten. Sie mussten sich entscheiden: glauben wir den Folterern oder der Gefolterten? Und dann hat die Zivilgesellschaft klar gesagt, dass sie der Gefol­terten glauben sollen.

Die FreeNekane-Kampagne war erfolgreich, nicht nur weil du heute draussen bist, sondern weil du damit Menschen auf der ganzen Welt bewegt und politisiert hast. Was ist heute von diesem Druck und von diesen Leuten, die sich da positioniert haben, übrig?
Ich habe mich entschieden, für meine Ideen zu kämpfen. Für mich geht der Kampf weiter, bis ich dieses Ziel erreicht habe, egal wo ich bin. Für mich greift Freiheit auch weiter, als nur aus dem Gefäng­nis raus zu sein. Ich fühle mich nicht frei. Ich kann mich nicht frei bewegen, weil ich keine Aufenthalts­bewilligung habe. Meine Tochter ist immer noch eine Sans-Papier, die die Behörden selber produ­ziert haben. Für mich war es darum in Bezug auf diese Kampagne etwas schwierig und enttäuschend, als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Denn die Haftbedingungen, die mich so unterdrückt ha­ben sind immer noch dort. Die Gefängnisse sind im­mer noch voll. FreeNekane bedeutet für mich auch der Kampf gegen diese Haftbedingungen, gegen dieses Haftsystem, gegen die Vernichtungsstrategie, gegen die Straflosigkeit der Folterer. Darum geht für mich der Kampf weiter. Ich habe gedacht, dass diese Kampagne mit mir diesen Kampf weiterführt, weil es ein kollektiver Kampf ist. Ich kann nicht frei sein, wenn andere Frauen immer noch unterdrückt sind, ich kann nicht frei sein, wenn diese systematische Folter nicht anerkannt ist, ich kann nicht frei sein, wenn ich wieder nach Spanien zurückgewiesen wer­den könnte und diese Gesetze, die mich gefoltert haben immer noch gültig sind. Ich kann nicht frei sein, wenn diese Repression gegen mein Volk immer noch besteht.
Ich habe aber gemerkt, dass das anders ist in der Schweiz. All diese Arbeit, diese schöne Kampag­ne, diese vielseitige Vernetzung, die wir erreicht ha­ben, die geht nicht weiter. Das war eine kleine Ent­täuschung. Ich kämpfe weiter, egal wo, wie. Ich kann nicht einfach aus diesem Zug aussteigen. Ich finde, die Kampagne ist eine Haltestelle vor dem Ziel aus­gestiegen. Weil ich als Frau und aufgrund der Klasse unterdrückt wurde und immer noch werde, fühle ich, dass ich weiterkämpfen werde.
Es gibt noch viel zu tun. Mein Motto ist nach wie vor ‹uchar es vencer› (kämpfen heisst gewin­nen) weil, wie gesagt, ich habe schon viel überlebt. Damals auf dem Kommissariat entschied ich mich, lebendig da rauszukommen. Weiterkämpfen ist wie eine Pflicht. Viele haben das nicht geschafft, acht­zehn oder mehr sind gestorben. Es ist auch meine Therapie und es gibt mir Kraft. Trotz der Folter und trotz des Gefängnisses konnten sie mir meine Ideen nicht wegnehmen. Und das ist für mich wichtig – weiterzukämpfen, den Kampf zu gewinnen.

Jetzt bist du draussen …
Die politische Repression ist weitergegangen. Jetzt einfach bürokratisch. Als ich freikam, musste ich mich an ein System anpassen, mit dem ich nicht ein­verstanden bin. Da mitzumachen, ist für mich eine andere Art von Gefängnis. Da merke ich die Auswir­kungen der Kampagne. Mein Fall ist bekannt, wenn ich meinen Namen sage, kennen mich die Leute und ich bemerke die Anspannung. Sie wollen einen Prä­zedenzfall unbedingt vermeiden. Auch beim Asyl­verfahren ging es ihnen darum, einen Präzedenzfall zu vermeiden. Wenn sie zum Beispiel in meinem Fall das Istanbul-Protokoll anerkennen, dann müssen sie das auch für andere anwenden. Das ist eine bürokra­tische Geschichte. Auch die verlangten Dokumente sowie die Warterei auf die B-Bewilligung sind reine Schikane.
Das alltägliche Leben wird mir extrem er­schwert, zum Beispiel ein Telefon auf meinen Na­men zu registrieren oder eine Wohnung zu mieten, das geht alles noch nicht. Das nimmt mir viel Kraft und Zeit, weil ich von Behörde zu Behörde rennen muss und ich keine klaren Antworten bekomme. Aber ich gebe nicht auf. Ich merke, dass sie sol­chen Widerstand nicht gewohnt sind und ich habe deshalb auch schon rassistische Aussagen erlebt auf dem Migrationsamt. Ich werde meine Mei­nung nicht verstecken. Weitersagen, weiterkämp­fen. Zudem habe ich Leute in meinem Umfeld, die mir helfen können. Manchmal frage ich mich, wie das andere Leuten ohne Aufenthaltsstatuts, die die Sprache nicht kennen oder keine solche Solidarität haben, schaffen.
Mit meiner Erfahrung möchte ich das thema­tisieren und öffentlich machen, damit die Leute se­hen, dass hier nicht alles schön demokratisch und neutral ist. Alle Anlässe, zu denen ich eingeladen werde, werde ich besuchen, wenn ich kann. An die Öffentlichkeit zu gehen und das Bewusstsein weiter­zuverbreiten, zu zeigen, dass ich nicht aufgegeben habe, finde ich wichtig. Ich tue es auch für all die Leute, die in dieser Zeit solidarisch waren.
Der nächste Anlass wird der 1. Mai sein. Dort werde ich alles sagen, was ich bis jetzt gesagt habe, aber auf einer Bühne und nicht mehr von meiner Zelle aus. Das wird emotional und extrem schön sein.

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