Kommentar: Zweierlei Freunde

Das ägyptische Volk demonstriert. Millionen sind auf der Strasse und fordern die Absetzung des Regimes und die Schaffung einer neuen, demokratischen Verfassung. Die einen Sprechen von Protest, die anderen von Revolution. Dabei geniesst das Volk derzeit zweierlei Freundschaften.

Die erste Freundschaft kommt von denen, die Macht haben. Es ist die Freundschaft der USA und Europas, die nun die Umsetzung des Volkswillens fordern und ihre Sympathie mit den Demonstranten kundgetan haben. Diese Freundschaft scheint dem ägyptischen Volk nützlich, denn sie kommt von einem starken Freund mit grossen Mitteln. Was aber ist der tiefe Kern dieser plötzlichen Solidarität? Es ist das Eigeninteresse der Herrschenden. Gezwungen von der öffentlichen Meinung und getrieben von den moralischen Standards, die man aufbaute um sie anderen vorzugaukeln, hat man sich mit dem ägyptischen Volk gemein gemacht. Man unterstützt es. Wir haben aber gesehen, dass dies nicht von Anfang an galt. Solange es noch wahrscheinlich schien, dass Mubarak und seine Schergen sich halten können, solange hielt man sich mit Kritik zurück. Unvergessen ist, dass es gerade die westlichen Staaten, gerade ihre Regierenden, gerade die sind, die sich jetzt Freunde des Volkes nennen, die über Jahrzehnte gute Geschäfte mit der Diktatur in Kairo gemacht haben. Wenn sie sich nun mit dem Volk verbrüdern, dann, weil sie hoffen, auch mit dem zukünftigen Ägypten weiter paktieren zu können. Es ist nicht das Mitfühlen mit der Sache der Massen, sondern der drohende Verlust von Profiten, der die Regierungen des Westens umtreibt. Es ist keine Frage: Wenn Ägypten ein stabiles Land wäre, dann gäbe es diese Freundschaft nicht.

Die zweite Freundschaft ist kleiner in Masse und Wirkung. Ihr Nutzen offenbart sich erst auf den zweiten Blick und sie verbringt kaum grosse Taten. Es ist die Freundschaft der Linken, der Sozialisten und Kommunisten mit dem ägyptischen Volk. Dies sind die echten Freunde des Volkes; sie teilen die Bedürfnisse der Ägypter nach einem Ende der Despotie und sind bereit, in jeder Minute ihre Solidarität offen kundzugeben. Sie sind die Ehrlichen, Unbeirrbaren, Rationalen. Ihre Freundschaft mit dem Volk bestand vor den Demonstrationen, sie besteht nun und wird auch danach bestehen. Dabei ist es ganz gleich, welchen Ausgang die Proteste nehmen. Es sind die Linken, die das Zögern der Regierenden am schärfsten kritisieren, die sie zur Aktion mahnen, die ihnen ihre Doppelmoral vorwerfen. Darin liegt ihr Nutzen. Er ist begrenzt, aber er ist da. Auch dies ist keine Frage: Bestünde der Westen aus sozialistischen Ländern, man hätte – kein Zweifel! – die Demonstranten nach Kräften unterstützt.

Ägypten: USA fordern sofortige Reformen

Während die Massenproteste in Ägypten anhalten, fordern die USA die sofortige Umsetzung von Reformen. Man setzt hierbei auf den Dialog mit Omar Suleiman, der von Mubarak als Vizepräsident eingesetzt wurde. Dem steht die Drohung des ägyptischen Aussenministers gegenüber, der verlauten liess, dass die Streitkräfte intervenieren würden, sollte „Chaos“ ausbrechen.

Forderungen der USA…

US-Regierungssprecher Robert Gibbs gab am Mittwoch bekannt, dass die amerikanische Regierung mit den „Fortschritten“ in Ägypten unzufrieden ist. Er sprach darüber, dass die „Minimalforderungen des ägyptischen Volkes“ noch nicht erfüllt seien. Nun erhöht Amerika den Druck auf ägyptens Herrschaftsriege und fordert, dass „ein ordentlicher Übergang jetzt zu beginnen hat und ohne Verzögerungen unmittelbare und unumkehrbare Fortschritte hervorbringen muss“. Dabei setzt man offenbar auf Omar Suleiman, den Vizepräsidenten Ägyptens. Joe Biden (US-Vizepräsident) sprach am Mittwoch persönlich mit Suleiman, um ihm die Wünsche der USA mitzuteilen. Offenbar will man auf diese Weise die Zusammenarbeit mit Mubarak umgehen und seine Regierung spalten.

Dabei befinden sich die USA in einem Dilemma: Einerseits will man nicht die Sympathien Suleimans verlieren, andererseits ist man getrieben von den eigenen moralischen Ansprüchen und der öffentlichen Meinung. So kommt es auch, dass die USA einmal fordern, den „Dialog“ der Regierung mit der Opposition auf Zivilgruppen auszudehnen, die bislang nicht an den Gesprächen beteiligt waren, und dann sagen, man könne Ägypten keine Reformen diktieren. Entschieden hingegen ist man in der Frage des Militärs: Von diesem erbittet sich die US-Regierung weitere Zurückhaltung bezüglich der Demonstranten.

…und Reaktionen aus Kairo

Die Regierung um Mubarak und Suleiman weist die Forderungen der USA zurück. „Wenn man einem großen Land wie Ägypten Forderungen nach sofortigen Reformen stellt, dann drückt man ihm seinen Willen auf“, sagt der ägyptische Aussenminister Gheit. Dieser zeigte sich empört, denn die ägyptische Regierung sei immer ein „guter Freund“ der USA gewesen und habe die „beste aller Beziehungen“ aufrechterhalten. Auch drohte Gheit damit, dass die Armee intervenieren würde, wenn Chaos ausbräche.

Allerdings musste sich das Regime in Ägypten dem öffentlichen Druck ein Stück weit beugen. Man will sechs Artikel der Verfassung ändern lassen, die u.a. die eine unbegrenzte Wiederwahl des Präsidenten ermöglichen und die Kandidatur von Oppositionskandidaten erschweren. Die Wünsche des Volkes gehen jedoch viel weiter: Man will eine gänzlich neue Verfassung. So sind die „Reformen“ des Regimes blosse Spiegelfechtereien.