Nothilfe: Eine Sackgasse

Das Nothilfe-System im Asylwesen muss grundsätzlich in Frage gestellt werden. Zu diesem Zweck startet heute schweizweit eine Kampagne der vier im Asylbereich tätigen Organisationen Amnesty International, Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans frontières.

Rund 5800 zurückgewiesene Asylbewerber sind der Nothilfe unterworfen. Einem System, das zu sozialer Isolation, zahlreichen behördlichen Schikanen und zu einem Leben in Ungewissheit führt und die Betroffenen so an einem Leben in Würde hindert. Die Zustände in der Nothilfe sind besonders für als verletzlich geltende Personen schwer zu ertragen. So leiden Ältere und Traumatisierte, alleinerziehende oder schwangere Frauen und unbegleitete Minderjährige besonders stark unter den schwierigen Lebensbedingungen. Anderseits ist es zweifelhaft, ob die Nothilfe die bezweckte abschreckende Wirkung hat: Alleine 12 bis 17% der Nothilfe-Bezüger verlassen die Schweiz nachweislich.

Die Öffentlichkeit muss wissen

«Mit unserer Kampagne machen wir die Öffentlichkeit auf die schwierigen und menschenunwürdigen Lebensumstände aufmerksam, denen Menschen in der Nothilfe unterworfen sind», erklärt Claudia Dubacher, Generalsekretärin der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht. «Die Schweizer Bevölkerung muss sich bewusst werden, was es heisst, mit 4.30 bis maximal 12 Franken pro Tag in Bar oder in Form von Einkaufsgutscheinen auskommen zu müssen. Ein menschenwürdiges Dasein ist unter diesen Bedingungen schlicht unmöglich.»

Seit dem 1. April 2004 werden Asylbewerber mit einem Nichteintretensentscheid aus der Sozialhilfe ausgeschlossen. Seit dem 1. Januar 2008 trifft dies auch auf Menschen zu, deren Asylgesuch endgültig zurückgewiesen wurde. Bereits Ende 2009 bezogen schweizweit rund 5800 Personen Nothilfe. Nothilfe ist ein von der Verfassung garantiertes Grundrecht. Sie umfasst eine einfache, oft kollektive Unterkunft, die Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, medizinische Notversorgung und allfällige andere unverzichtbare Leistungen.

Die Forderungen

Die vier an der Kampagne beteiligten Organisationen fordern eine grundsätzliche Überprüfung des Nothilfesystems, das unbedingt mehr auf die Bedürfnisse besonders verletzlicher Personen eingehen muss. Grundrechte müssen respektiert werden. Im Besonderen das Recht auf Schulbildung und das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein ? beides Rechte, welche den Menschen in der Nothilfe regelmässig vorenthalten werden. Die vier beteiligten Organisationen werden sich in dieser Angelegenheit in den nächsten Wochen an die nationalen und kantonalen Behörden wenden.

Kampagnen-Website:  www.nothilfe-kampagne.ch

Foltern für den Tourismus in Chiapas

Im mexikanischen Bundestaat Chiapas sind indigene Bauern genötigt worden, sich als «bewaffnete Räuber» zu definieren. Hintergrund des Konfliktes ist die andauernde Unterdrückung der oppositionellen Bauern, die darauf abzielt bäuerliches Gemeinschaftsland zu privatisieren.

Am 13.April wurden sechs Aktivisten der «Anderen Kampagne», eines linken Bündnisses, das 2005 von der EZLN (Zapatistische Armee der nationalen Befreiung) initiiert wurde, in Bachajón in Polizeigewahrsam genommen.Nach Angaben des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas mussten sie unter der Anwendung von Folter Taten zugeben, die sie nie begangen haben: Ein Überfall auf einen Touristenbus. Am 18. und 19. April wurden weitere zwei Bauern willkürlich festgenommen, deren Aufenthaltsort immer noch unbekannt ist.

Paramilitärische Anschläge

In Agua Azul, das von den regierungsnahen Kräften kontrolliert wird und eines der wichtigsten Touristenziele in Chiapas ist, werden die Bauern der «Anderen Kampagne» und der EZLN- Basis von der OPPDIC(«Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte») angegriffen. Die OPPDIC ist eine regierungsnahe Organisation, die schon mehrmals paramilitärische Anschläge  auf Zapatisten verübte, sie schwer verletzte sowie ihr Vieh abgeschlachtet und ihre Maisplantagen zerstört hatte.

Am 15. April führten Bauern der «Anderen Kampagne»  eine Strassenblockade auf einer vielbefahrenen Landstrasse zwischen Ocosingo und Palenque, die direkt zu Agua Azul führt. Über 100 Aktivisten waren da dran beteiligt um die Freilassung ihrer Familienangehörigen zu erwirken. Zwei Tage später wurden 800 Polizisten herangezogen, woraufhin die Bauern sich gezwungen sahen die Blockade aufzulösen. Trotzdem griff die Polizei die Demonstranten an, entwendete Kleider, Dokumente und vor allem auch 115‘000 Pesos, einen enormen Betrag für die bitterarmen Campesinos der Region. Die OPPDIC blieb dagegen unbehelligt.

Rund 20 Tageszeitungen wurden von der Regierung unter Juan Sabines (Gouverneur des Bundesstaates Chiapas) offenbar bezahlt, da sie alle gleichlautende Artikel veröffentlichten, die die Bauern der «Anderen Kampagne» als gewalttätige Kriminelle bezeichneten.