Im Staate der Eidgenossen

schweizer fahnWir sind beliebt! In Europa. Und dies nach all dem Mist, der im Ausland über uns geschrieben wurde. Dorthin (gemeint ist das Ausland) beträgt die grösste Entfernung 270 Kilo-meter gemessen ab dem geographischen Herzen der Schweiz und das ist bekanntlich die Ällgialp im Kanton Obwalden. Aber von der idyllischen Alp zurück ins Europa des Freien Personenverkehrs. Richtiggehend euphorisch und enthusiastisch wurden wir gefeiert. Sogar im Europaparlament, dem wir gar nicht angehören. Krass, nicht wahr? Eine ganz spezielle Ehrung hat die Eidgenossenschaft vom Abgeordneten Mario Borghezio erhalten: Er stürmte während der Ratsdebatte mit einer Schweizer Fahne in die Mitte des Plenarsaals. Dort schwenkte er voller Begeisterung das rote Stofftuch mit dem weissen Kreuz drauf. Er unterbrach lautstark den Kommissar mit Zwischenrufen wie «Freie Schweiz» oder «Stopp der europäischen Diktatur über seine Völker». Mario Borghezio, aus der ehemaligen ArbeiterInnenstadt Turin stammend, gehört der separatistischen Lega Nord an. Im Jahre 1993 musste er wegen Nötigung eines marokkanischen Kindes 750 000 Lire (etwa 380 Euro) Busse bezahlen. Am 19. Oktober 2005 wurde Mario Borghezio zu einer Geldstrafe von 3040 Euro verurteilt, weil er im Jahr 2000 in Turin Zelte von Einwanderern angezündet hatte, die unter einer Brücke schliefen. Und da ist noch ein Radiointerview nach dem Massaker in Norwegen von 2011. Der Freund der Eidgenossen meinte, dass viele Ideen des Attentäters der Anschläge «gut und manche ausgezeichnet» seien. Die Freude und Begeisterung dieses Mannes über das Ja zur SVP-Initiative war so gross, dass er fast in Trance verfiel und aus dem Parlamentssaal verwiesen wurde. Aber kein Problem, -andere gute Freunde traten an seine Stelle. Als so ein Grüner aus Deutschland (immer wieder die) forderte, die Schweiz müsse «in Knien angekrochen kommen», löste er eine massive und emotionale Protestwelle der Kameraden des französischen «Front National» von Le Pen aus. Schön, so charmante, neue Freunde gewonnen zu haben. Danke SVP. Freude herrscht im Lande, juhui. 

Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert den Vorfall im EU-Parlament mit den Worten: «Die falschen Freunde der SVP». Falsch? Was ist daran so falsch? Richtig ist, dass die politischen Vorstösse und Ansichten von Borghezio und seiner Partei oft deckungsgleich mit jenen der SVP sind. Etwas Kenntnis der italienischen Fremdsprache (ausser im Tessin) und ein Blick auf die Homepage der Lega Nord genügen, um es selber nachlesen zu können. Gleiches gilt für die vielen nationalistischen und rassistischen Rechtsaussenparteien aus ganz Europa, die am 9. Februar der SVP gleich zum Sieg gratuliert haben. Es ist nun mal so, dass die politischen FreundInnen gratulieren und nicht die GegnerInnen. Der «Tagi» bezeichnet Borghezio als «Spinner». Wohl kaum aber wegen seinen politischen Überzeugungen, denn sonst müsste der liebe «Tagi» – wenn er kohärent und konsequent bleiben wollte – auch Blocher und die ganze SVP als «Spinner» bezeichnen. 

Tja, aber mit solchen Feststellungen, so richtig und nett sie auch sein mögen, kommen wir keinen Schritt weiter. Und was ist mit der Forderung der Juso, die SP solle wegen der Abstimmung vom 9. Februar vom Bundesrat zurücktreten? Stellen wir uns das Unvorstellbare mal vor und nehmen wir an, die SP würde den Bundesrat verlassen, was wäre dann so viel anders und /oder besser? Was würde sich ändern?

Aber eben, was tun? Eine Patentlösung hat niemand; wie auch? Vielleicht lohnt es sich mal, nach den Ursachen des Rassismus zu fragen. Sich ernsthaft zu fragen. Hilfreich dazu ist möglicherweise, sich wieder mal in Erinnerung zu rufen, dass die Grenzen nicht zwischen In- und AusländerInnen, sprich unter uns sondern zwischen oben und unten verlaufen. Vielleicht, wer weiss, sollten wir mal wegen den Ursachen des Rassismus nach Bern an eine Demo. So als Aktion und nicht als Reaktion auf einen Sieg der RechtspopulistInnen. Aber eben… wir laufen die Gefahr, dass wir selbst im Nachhinein nicht viel schlauer werden. Wir, die 49,7 Prozent, die in Bern demonstriert haben, weil wir verloren haben.

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