Frankreichs ArbeiterInnen machen mobil

06_FrankreichNach Demonstrationen und Militanz kommt jetzt der Arbeitskampf: Um die drohende Reform des Arbeitsgesetzes zu verhindern, treten Frankreichs ArbeiterInnen in den Ausstand. Streiks legen Raffinerien und Häfen lahm, der öffentliche Verkehr soll folgen.

Streikunterstützung heisst Volltanken. Dieser Auffassung ist jedenfalls eine wachsende Zahl von UnterstützerInnen der französischen Sozialprotestbewegung. Ökologisch motivierte Bedenken gegen den motorisierten Individualverkehr seien vorläufig einmal zurückgestellt: Jetzt muss ein Autotank her, den man möglichst voll macht, und wenn es geht, auch noch ein paar Kanister dazu. Denn der Streik, der rund um den 20. Mai in den französischen Raffinerien begonnen hat, soll möglichst schnell seine Wirkung zeigen.

Mit dem Arbeitskampf in der petrochemischen Industrie werden nun von Seiten der Gewerkschaften und der Sozialprotestbewegungen andere Saiten aufgezogen – und zugleich eine Perspektive geschaffen, um aus dem Dilemma herauszukommen, das wochenlang darin bestand, zwischen folgenlosen «Latschdemonstrationen» – nach deren Ende man brav nach Hause geht – einerseits, und militanten Kleingruppenaktionen mit strategischer Ausrichtung auf «Glasbruch» andererseits, wählen zu müssen.

Härtere Repression gegen Proteste

Beide Optionen haben längst ihre engen Grenzen gezeigt. Auf Demonstrationen reagiert die Regierung unter dem rechten Sozialdemokraten Manuel Valls ganz offensichtlich nicht. Stattdessen hat sie, unter Rückgriff auf einen Verfassungstrick (die Anwendung des Artikels 49-3, die es erlaubt, die Sachdebatte zu einem Gesetz durch das Stellen der Vertrauensfrage zu unterbinden), die parlamentarische Opposition kurzerhand ausgeschaltet. Die Militanz der Aktionen von kleinen Gruppen ihrerseits ist indes nicht mehr steigerbar, sowohl aufgrund der brachialen Antworten des Staatsapparats als auch wegen der Notwendigkeit, unvertretbare Gewaltübergriffe auf Personen zu vermeiden. Am 18. Mai zündeten einige Individuen am Rande einer Spontandemonstration einen Streifenwagen an. Darin sassen zu diesem Zeitpunkt ein schwarzer Polizist und eine Kollegin. Der männliche Polizist zückte zunächst seine Waffe, beherrschte sich jedoch und steckte sie wieder ein, obwohl er zum selben Zeitpunkt Schläge abbekam. Am Freitag darauf wurde er, vor laufenden Kameras zu Tränen gerührt, für sein Verhalten mit einer Auszeichnung versehen. Es dürfte unschwer zu erkennen sein, wer aus dieser Aktion als politischer und moralischer Sieger hervorging.

Umgekehrt spart der Staatsapparat nicht mit ins Extreme gesteigerten Repressionsmitteln. Gegen eine Studentin, Manon Chelmy, Mitglied der Jugendorganisation der Französischen Kommunistischen Partei, forderte die Staatsanwaltschaft eine fünfjährige Haftstrafe ohne Bewährung. Bei der Räumung eines besetzten Saals in Amiens hatte sie mit ansehen müssen, wie einer ihrer Freunde von PolizistInnen gewalttätig behandelt wurde und spontan ein Saalmikrophon durch den Raum geworfen. Dieses fiel zu Boden, niemand wurde verletzt. Das irrsinnige Strafmass, das durch die Staatsanwaltschaft gefordert wurde, führte zu Petitionen und Protestbriefen.

Auch gegen die Gewerkschaften wird die Repression weiter ausgebaut. In mehreren Fällen wurden Gewerkschaftsräume polizeilich durchsucht, um im Anschluss an Demonstrationen TeilnehmerInnen zu ergreifen. Am 24. Mai drangen PolizistInnen in Räumlichkeiten der Gewerkschaft CGT in Fos-sur-Mer ein und setzte gegen die anwesenden Personen Tränengas ein. Bis dahin hatte die Polizei noch faktisch die Unverletzlichkeit von Gewerkschaftsräumen respektiert.

ArbeiterInnen im Ausstand

Die Mehrwertproduktion zu stören, indem Transportmittel oder die Treibstoffversorgung beeinträchtigt werden, erweist sich jedoch als geeigneter Ausweg aus dem Dilemma. Streiks und Blockaden in der petrochemischen Industrie erweisen sich dabei als am wirkungsvollsten.

Am Vormittag des 24. Mai erklärte die CGT, alle acht französischen Grossraffinerien würden inzwischen bestreikt. Weil die Staatsmacht aufgrund der strategischen Bedeutung der Petrochemie das Personal – unter Androhung einer Haftstrafe – jedoch zur Arbeit verpflichten könnte, wurden die Raffinerien und Treibstoffdepots vielerorts zudem von externen UnterstützerInnen blockiert. Etwa durch die HafenarbeiterInnen in Le Havre und Mitglieder der Platzbesetzerbewegung «Nuit debout».

Daraufhin löste die Polizei die Blockaden im südfranzösischen Fos-sur-Mer, und am nächsten Tag, am 25. Mai, im nordfranzösischen Douchy-les-Mines auf. Gleichzeitig entschied sich jedoch das Personal des Ölterminals am Hafen von Le Havre, über den fast die Hälfte des Rohölimports in Frankreich laufen, mit 95 Prozent Zustimmung, ebenfalls in den Streik zu treten. Am nächsten Tag folgten die Hafenbediensteten in Marseille.

Premierminister Manuel Valls mahnt seitdem dazu, nicht «der Panik» zu verfallen und keine Hamsterkäufe zu tätigen, während die soziale Opposition dazu aufruft, genau dies zu tun. Auch unsere LeserInnenschaft sei, sofern sie sich in der Nähe zur französischen Grenze befindet, etwa im Raum Basel, ausdrücklich zum Volltanken auf der westlichen Seite der Grenze aufgefordert!

Rückhalt in der Bevölkerung

Am 25. Mai wurde vermeldet, dass ein Drittel der französischen Tankstellen inzwischen vollständig oder teilweise trocken liegen würden. Bei einer Reportage in den Warteschlagen am südlichen Stadtausgang von Paris fand die liberale Pariser Abendzeitung «Le Monde» zur selben Zeit allerdings keine Personen, die auf die Gewerkschaften schimpften. Vielmehr erklärten die Befragten, dass die eben erforderlich seien, um sich durchzusetzen.

Auch in den Umfragen der bürgerlichen Meinungsforschungsinstituten vom 24. und 25. Mai gab stets eine deutliche Mehrheit von über 60 Prozent der Regierung und den Kapitalverbänden die Schuld an der «Blockadesituation». Im Vorgriff auf die am 10. Juni beginnende Fussball-Europameisterschaft, deren Eröffnung empfindlich gestört werden könnte, machen 61 Prozent bereits jetzt die Regierung für eine Beeinträchtigung verantwortlich und lediglich eine Minderheit von 37 Prozent die Gewerkschaften.

Am Wochenende vom 28./29. Mai wurde zunächst vermeldet, die Situation an vielen Tankstellen habe sich entspannt. Dies erklärt sich damit, dass die Regierung im Laufe der Woche die – normalerweise für Armeezwecke bestimmten – «strategischen Reserven» angezapft hat und alle Blockaden vor Treibstoffzwischenlagern hat räumen lassen. Die daraus resultierende Atempause für die TreibstoffanbieterInnen wird jedoch nicht ewig dauern: Ab dem 31. Mai wollen die EisenbahnerInnen in den unbefristeten, und alle vierundzwanzig Stunden in Personalabstimmungen verlängerbaren, Streik treten. Ab dem 2. Juni werden ihnen die Beschäftigten der Nahverkehrsbetriebe RATP – also der Métro- und Buslinien im Raum Paris – folgen. Vom 3. bis 5. Juni sollen zudem die Lohnabhängigen der Fluggesellschaften und Flughäfen in den Ausstand treten. Premierminister Manuel Valls hat derweil angekündigt, er würde dennoch eisern durchhalten. Der Kampf geht weiter.

Aus dem vorwärts vom 3. Juni 2016 Unterstütze uns mit einem Abo!

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